Psychoanalytische Theorien des Bildes
Unterpunkt zu: Bildtheoretische Ansätze
Allgemeine Charakteristika psychoanalytischer BildtheorieIm Gegensatz zu den Kunstwissenschaften, die über umfangreiche und gut dokumentierte psychoanalytisch orientierte Theorietraditionen verfügen, stellen psychoanalytische Ansätze innerhalb der allgemeinen Bildtheorie bisher ein Forschungsdesiderat im Spannungsfeld phänomenologischer, feministischer sowie poststrukturalistischer Zugänge dar. Als ‚psychoanalytisch’ wird eine Bildtheorie zumeist dann charakterisiert, wenn sie sich unter Rückgriff auf klassische psychoanalytische sowie ideologie- und diskurskritische Theorieansätze mit den Blickverhältnissen und Blickregimen beschäftigt, die sich in Bildern als Symptome eines vorgängigen Weltverhältnisses manifestieren. Dies schließt die soziale Konstitution von Sichtbarkeit und Bildlichkeit ebenso ein wie das Verhältnis von Wahrnehmung und Affekt im Sinne einer Affektökonomie des Bildlichen. Die für psychoanalytische Ansätze grundlegende Denkfigur lautet: Bilder werden als Manifestationen latenter Sinngehalte oder Welt-/Macht-/Seinsverhältnisse verstanden (Traumanalogie). Die Psychoanalyse ist eine Mythographie des Selbst, die das Unbewusste als einen Code bestimmt, der entschlüsselt werden muss, um zum eigentlichen Sinngehalt durchzudringen. Die psychoanalytische Methode ist dabei zutiefst von der hermeneutischen Tradition geprägt, die im zwanzigsten Jahrhundert wiederum durch die Psychoanalyse entscheidende Impulse erhalten hat (vgl. [Ricoeur 1974a]Literaturangabe fehlt.
Kernelemente psychoanalytischer BildtheorieFreudEine via regia zur Entschlüsselung unbewussten Sinns ist der Traum – oder genauer: die Traumarbeit, die von Sigmund Freud in dessen Traumdeutung (vgl.[Freud 1900a]Literaturangabe fehlt. Für Freud sind Träume eine in der Ordnung des Visuellen arbeitende Aufführungspraxis des Unbewussten, in der es um „Verbildlichung des abstrakten Gedankens“ (ebd.: S. 344) gehe. Zu diesem Zweck bediene sich die Traumarbeit eines ganzen Arsenals von Möglichkeiten, aus logischen Beziehungen Bilder zu modellieren, die dann durch Entstellung, Verdichtung und Verschiebung für das „phantastische Gepräge“ (ebd.: S. 327) des Traums verantwortlich seien. Logische Verhältnisse wie „Kausalbeziehung“, „Entweder-Oder“ oder „Nacheinander“ würden in der Traumarbeit zu bestimmten Bildkonstellationen verdichtet, die dann die „Traumrequisiten“ (ebd.: S. 339) bereitstellten oder auch sich der Ausformung ins Bildliche verweigerten, sodass der Traum diesen Missstand durch weitere Entstellung und Verschiebung umgehen müsse, um zur Darstellung zu gelangen. Bildtheoretisch relevant bleibt auch Freuds Antwort auf die Frage, warum der Traumgedanke überhaupt der Bilder bedarf, um ‚zur Sprache‘ zu kommen. Dabei zeigt sich, dass es hier vor allem um Probleme der Effizienz geht, also das Unbewusste die Tendenz zu haben scheint, große Polysemie auf kleinsten Raum zu projizieren. Bilder scheinen zu diesem Zwecke ein geeigneteres Medium zu sein als Sprache: „Das Bildliche ist für den Traum darstellungsfähig, lässt sich in eine Situation einfügen, wo der abstrakte Ausdruck der Traumdarstellung ähnliche Schwierigkeiten bereiten würde wie ein politischer Leitartikel einer Zeitung der Illustration“ (ebd.: S. 342). Das Bildliche ist gegenüber dem Begrifflichen „anknüpfungsreicher“ (ebd.: S. 343) und kommt damit Zensur und Verdichtung entgegen. Neben jener impliziten Bildtheorie, die Bestandteil der Traumdeutung ist, hat sich Freud zu verschiedenen Zeiten auch mit Bildnissen aus der Kunstgeschichte befasst. Hervorzuheben sind hier vor allem die Studien „Eine Kindheitserinnerung des Leonardo Da Vinci“ (vgl. [Freud 1910a]Literaturangabe fehlt. LacanJacques Lacan ist für jene Erneuerung der Psychoanalyse verantwortlich, die im Zeichen strukturalistischer und post-strukturalistischer Theorie bis heute von zentraler Bedeutung für die meisten filmwissenschaftlichen, kunsthistorischen und bildtheoretischen Zugänge psychoanalytischer Provenienz geblieben ist. Ihr Einfluss reicht von Louis Althussers Implementierung psychoanalytischer Theorie in eine marxistisch-strukturalistische Methodik, die in Marx’ eigener Interpretationspraxis eine Form von „symptomatischer Lektüre“ aufzuzeigen versucht (vgl. [Althusser & Balibar 1972a]Literaturangabe fehlt.Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. ), über die für die Filmwissenschaften entscheidende Arbeiten eines Christian Metz (vgl. [Metz 2000a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. ) oder Michel Chion (vgl. [Chion 1999a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. ) bis zu medien- und bildwissenschaftlichen Ansätzen (vgl. [Kittler 2002b]Kittler, Friedrich (2002). Optische Medien. Berliner Vorlesung 1999. Berlin: ???. Eintrag in Sammlung zeigen, [Pfaller 2002a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. , [Blümle & von der Heiden 2005a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. und die dort enthaltene Bibliografie) jüngeren Datums. Lacan hat sich im Gegensatz zu Freud von Anfang an mit Bildlichkeit, Optik und dem Feld des Sichtbaren befasst. Einige der wichtigsten Grundtheoreme und Begriffe Lacans – etwa Spiegelstadium, Imaginäres, Tableau – sind direkt der Optik und dem Feld des Sichtbaren entnommen und zu psychoanalytischen Denkfiguren transformiert worden. Lacans Theorie ist – darin dem Freud’schen Vorbild verpflichtet – nicht nur eine Theorie des Psychischen, sondern immer auch eine philosophisch-ethisch ausgerichtete Kulturtheorie, in der Lacan stets eine ihm eigene strukturalistische Radikalisierung klassisch psychoanalytischer Positionen mit philosophischen, naturwissenschaftlichen, kunsthistorischen und epistemologischen Ansätzen (um nur einige zu nennen) eng verkoppelt. Der Aufsatz „Das Spiegelstadium als Bildner der Ich-Funktion“ (vgl. [Lacan 1949a]Literaturangabe fehlt. Diese Konzeption erlaubt es Lacan dann unter Hinzuziehung phänomenologischer Positionen (vgl. v.a. [Sartre 1943a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. : S. 415-416) Zur psychoanalytisch motivierten Kritik der Zentralperspektive im Anschluss an Freud und Lacan siehe [Damisch 1987a]Damisch, Hubert (1987). L'origine de la perspective. Paris: Flammarion. Eintrag in Sammlung zeigen.
AnwendungsfelderNach Reiche (vgl. [Reiche 2001a]Literaturangabe fehlt. 1. Der Einbau der Psychoanalyse in eine globale Kunsttheorie. Hiermit beschreibt Reiche die Integration psychoanalytischer Methoden und Denkfiguren in ein bereits existierendes Denkgebäude, wobei er qualitativ zwischen „gelungenen Assimilationen“ (ebd.: S. 26) und „äußerlichem Anbau“ (ebd.) unterscheidet. 2. „Ein psychopathographischer, über die Autorpsyche laufender Zugang“ (ebd.: S. 28). Jener Zugang, der in Freuds Leonardo-Studie sein Vorbild hat (s.o.), gilt heute als wissenschaftlich weitgehend diskreditiert und findet kaum mehr Anwendung. 3. In der Nachfolge von Phyllis Greenacre, Marion Milner und Donald W. Winnicott kann die therapeutische Situation selbst als ästhetisches Ensemble beschrieben werden. Da dieser Ansatz „nicht so sehr das Werk, als den Prozess seiner Erschaffung“ (ebd.: S. 28) in den Mittelpunkt stellt, werden hier Psychodynamiken der Werkgenese und damit Aspekte der Kreativität fokussiert. 4. Die „Gegenübetragungsthese“ hat insbesondere innerhalb der Filmwissenschaft eine lange Tradition und wurde von Alfred Lorenzer zu einer „tiefenhermeneutischen Kulturanalyse“ ausgebaut. Der aus der therapeutischen Praxis stammende Begriff der Gegenübertragung birgt allerdings nicht unbeträchtliche Risiken: „Die große Attraktion dieser Methode für alle Freunde der Psychoanalyse ist zugleich ihre Achillesverse: die je meinige Gefühlsantwort auf das Werk wird in den Mittelpunkt gestellt und als Gegenübertragung deklariert.“ (ebd.: S. 30) 5. „Zugänge über die Form“ (ebd.: S. 32), welche von Reiche selbst favorisiert werden, nehmen im Falle Reiches ihren Ausgang sowohl von Freuds Bildtheorie der Traumarbeit als auch von jenen Formanalysen, die Freud in "Der Moses des Michelangelo" erprobt hat. Ob dabei jedoch von einer „Strukturanalogie von Traum und Kunstwerk“ (Ebd.: S. 34) auszugehen ist, muss dahingestellt bleiben. Siehe auch: |
Anmerkungen
[Althusser & Balibar 1972a]:
Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Blümle & von der Heiden 2005a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Chion 1999a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Damisch 1987a]: Damisch, Hubert (1987). L'origine de la perspective. Paris: Flammarion. [Deleuze 1993a]: Verantwortlich: Lektorat: Seitenbearbeitungen durch: Markus Rautzenberg [25], Joerg R.J. Schirra [23], Mark A. Halawa [1] und Dimitri Liebsch [1] — (Hinweis) |