Rahmung, Rahmen

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Unterpunkt zu: Grundbegriffe der Bildlichkeit


Grenze des Bildes und Bedingung seiner Einheit

Der Begriff des Rahmens ist für Bilder zentral und umfasst nicht nur den gegenständlichen Bilderrahmen, sondern im weiteren Sinne auch den Museums- und Diskursraum, wie er für Kunstwerke seit Duchamps Readymades als konstitutiv erachtet wird. Durch ihre Ausschnitthaftigkeit sind auch Bühnenbilder, Film- und Fernsehbilder auf eine Kadrierung angewiesen. Im übertragenen Sinne können mit Rahmen auch implizite Vorstellungsbedingungen, wie sie durch Weltbilder oder normative Vorannahmen gegeben sind, gemeint sein.

Berücksichtigt man den Umstand, dass besonders in Kunstbildern oft die Deutungsmuster einer Zeit thematisch werden, die ausserhalb der Kunst unthematisch mitlaufen, lässt sich ein großer Teil der Kunst der Moderne als Versuch, dem Rahmen zu entkommen oder ihn zu erweitern, begreifen. Das gilt für den Rahmen des Museums und des dinglichen Werkbegriffs, ebenso wie für den der normativen Hintergrundannahmen bzgl. dessen, was Kunst sei.

Im wörtlichen Sinne ist der Rahmen die konkrete Grenze eines Bildes und das, was dadurch bewirkt wird, ist die Stiftung einer inneren Einheit durch Abgrenzung nach außen. Der Rahmen eröffnet also gleichsam, indem er verschließt; Georg Simmel hat das als Inklusion nach innen und Exklusion nach aussen beschrieben (vgl. [Simmel 1995a]Simmel, G. (1995).
Der Bild­rahmen. Ein ästhe­tischer Versuch.
In Aufsät­ze und Abhand­lungen 1901-1908 Bd. 1, 101-108.

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).

Die Unterscheidung Rahmen/Gerahmtes bedingt insofern auch den Unterschied zwischen Bild und Nicht-Bild.[1]


Das Parergonale

Mit dem griechischen Terminus Parergon[2] reflektiert der französische Philosoph Jacques Derrida auch die über einen gegenständlichen oder institutionellen Rahmen hinausgehenden Prozesse der Rahmung. Damit sind performative (vgl. [Wirth 2004a]Wirth, Uwe (2004).
Das Vorwort als perfor­mative, para­textuel­le und parer­gona­le Rahmung.
In Rheto­rik. Figu­ration und Perfor­manz, 603-628.

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) Tätigkeiten kontextueller Bezugnahmen und Zuschnitte gemeint, welche Bedingungen der Möglichkeit jeglichen Darstellens sind.

Zwei Formen des Parergonalen sind zu differenzieren: einerseits der Rahmen im Sinne einer institutionellen oder gegenständlichen Gegebenheit, die eine Werkeinheit stiftet; andererseits die Rahmung im Sinne der vollzugsförmigen Modalität einer Aus- oder Durchführung durch Prozesse des Darstellens und Inszenierens wie im Übrigen auch des Rezipierens. Letzteres betrifft gewissermaßen auch die Bedingung der Möglichkeit immer neuer Lesarten.

Im § 14 seiner Kritik der Urteilskraft bezeichnet Kant (in den zweiten und dritten Auflagen) mit dem griechischen Wort Parerga „Zierate [...] wie Einfassungen von Gemälde[n], [...] goldene Rahmen“ ([Kant 1974a]Kant, Immanuel (1974).
Kritik der Ur­teils­kraft. Frank­furt/M.: Suhr­kamp.

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: § 14, S. 65) oder andere ‚äußerliche Zutaten’, die innerhalb der Analytik des Schönen eine differenzierte Rolle spielen.
Derrida weist darauf hin, dass die Parerga eine Textur haben, „die sie nicht allein [...] vom ganzheitlichen Innen, vom eigentlichen Körper des Ergon, sondern ebenso vom Außen trennt, von der Mauer, an der das Bild angebracht ist, vom Raum, in dem die Statue [...] errichtet ist“ ([Derrida 1992a]Derrida, Jacques (1992).
Die Wahr­heit in der Male­rei. Wien: Passa­gen.

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: S. 80/81) und in weitestem Sinne auch von ihren diskursiven Horizonten. Von all dem hebt sich das Parergon jedoch in anderer Weise ab als das Ergon, der Rahmen selbst indessen ist atopisch, weder außen noch innen, während er dem Gerahmten erst eigentlich einen Ort zuweist ([Krewani 2003a]Krewani, Anna Maria (2003).
Phi­loso­phie der Male­rei bei Jacques Derri­da..

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).

Das Beiwerk macht also das Werk zum Werk, das scheinbar Nebensächliche garantiert die Unterscheidbarkeit innerbildlich/außerbildlich.


Perspektive als Rahmung

Niklas Luhmann weist im Zusammenhang mit seinen Überlegungen zur Beobachtung zweiter Ordnung darauf hin, dass die Einheit eines Bildes jedoch nicht nur durch Exklusion/Inklusion zustande kommt, sondern auch werk-immanent verhandelt wird: „Erst durch die durch Perspektive garantierte Einheit des Raums werden Personen im Bild als Beobachter beobachtbar. Die Einheit des Bildes kann nicht nur durch die Komposition, sondern auch durch die abgebildeten Beobachtungsverhältnisse garantiert werden. Der Bildrahmen verliert damit nicht seine Funktion als Grenze der Komposition; aber die Beobachtungsverhältnisse im Bild und ebenso die Zentralperspektive selbst machen zugleich deutlich, daß die Welt über den Bildrahmen hinausreicht [...].“ ([Luhmann 1997a]Luhmann, Niklas (1997).
Die Kunst der Gesell­schaft. Frank­furt/M.: Suhr­kamp.

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: S. 141f.)

Demzufolge wäre auch die innerbildliche Perspektive als Rahmung zu begreifen, durch die eine nur durch das Bild ermöglichte Sicht sichtbar wird.

Anmerkungen
  1. ⊳ auch Identität bildhafter Zeichen und Identitätskriterien für Bildträger.
  2. [Derrida 1992a]Derrida, Jacques (1992).
    Die Wahr­heit in der Male­rei. Wien: Passa­gen.

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    . Ein Kommentar von Ulrike Dünkelsbühler: Kritik der Rahmen-Vernunft. Parergon-Versionen nach Kant und Derrida [Dünkelsbühler 1991a]Dünkelsbühler, Ulri­ke (1991).
    Kri­tik der Rahmen-Vernunft. Parer­gon- Versi­onen nach Kant und Derri­da. München: Fink.

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Literatur                             [Sammlung]

[Derrida 1992a]: Derrida, Jacques (1992). Die Wahr­heit in der Male­rei. Wien: Passa­gen.

[Dünkelsbühler 1991a]: Dünkelsbühler, Ulri­ke (1991). Kri­tik der Rahmen-Vernunft. Parer­gon- Versi­onen nach Kant und Derri­da. München: Fink. [Kant 1974a]: Kant, Immanuel (1974). Kritik der Ur­teils­kraft. Frank­furt/M.: Suhr­kamp. [Krewani 2003a]: Krewani, Anna Maria (2003). Phi­loso­phie der Male­rei bei Jacques Derri­da.
Elek­troni­sche Publi­kation.
link: webdoc.sub.gwdg.de/ebook/dissts/Bochum/Krewani2003.pdf.
[Luhmann 1997a]: Luhmann, Niklas (1997). Die Kunst der Gesell­schaft. Frank­furt/M.: Suhr­kamp. [Simmel 1995a]: Simmel, G. (1995). Der Bild­rahmen. Ein ästhe­tischer Versuch. In: Simmel, G. (Hg.): Aufsät­ze und Abhand­lungen 1901-1908 Bd. 1. Frank­furt/M.: Suhr­kamp, S. 101-108. [Wirth 2004a]: Wirth, Uwe (2004). Das Vorwort als perfor­mative, para­textuel­le und parer­gona­le Rahmung. In: Fohr­mann, J. (Hg.): Rheto­rik. Figu­ration und Perfor­manz. Stutt­gart: Metzler, S. 603-628.


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