Stil: Unterschied zwischen den Versionen

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Es ist schwierig bis unmöglich, eine bündi&shy;ge Antwort auf die Frage zu geben, was Stil sei, aber soviel lässt sich doch sagen, dass Stil immer eine Moda&shy;lität darstellt, mit deren Hilfe etwas auf spezi&shy;fische Weise formu&shy;liert wird; Stil betrifft mithin immer das Wie der Durchfüh&shy;rung: sei es eines Handlungs&shy;vollzugs oder des Erlebens, einer [[Darstellung_(historisch)|Darstel&shy;lung]] oder Narra&shy;tion, des Denkens oder [[Wahrnehmungstheorien: Übersicht|Wahrneh&shy;mens]]. Stets sind es Unter&shy;schiede in der Art und Weise der Ausfüh&shy;rung, der Gestal&shy;tung, in der Manier oder Eigen&shy;art, die zwei Handlun&shy;gen oder Erzäh&shy;lungen, zwei Darstel&shy;lungen oder Sichtwei&shy;sen vonein&shy;ander unter&shy;scheidbar machen, und es sind die Modi der Darstel&shy;lung, die das Darge&shy;stellte erst zu dem werden lassen, was es ist.
 
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Ursprüng&shy;lich ein Begriff aus der Rheto&shy;rik, später stark okku&shy;piert für Bereiche der Mode und des äuße&shy;ren Erschei&shy;nungsbil&shy;des von Menschen und Dingen, in Verruf gera&shy;ten durch seinen Mangel an ana&shy;lyti&shy;scher Trennschär&shy;fe, wird er gele&shy;gentlich mißbraucht zur ober&shy;flächli&shy;chen Rubri&shy;zierung singu&shy;lärer Werke.
Es ist schwierig bis unmöglich, eine bündige Antwort auf die Frage zu geben, was Stil sei, aber soviel lässt sich doch sagen, dass Stil immer eine Modalität darstellt, mit deren Hilfe etwas auf spezifische Weise formuliert wird; Stil betrifft mithin immer das Wie der Durchführung: sei es eines Handlungsvollzugs oder des Erlebens, einer [[Darstellung_(historisch)|Darstellung]] oder Narration, des Denkens oder [[Wahrnehmungstheorien: Übersicht|Wahrnehmens]]. Stets sind es Unterschiede in der Art und Weise der Ausführung, der Gestaltung, in der Manier oder Eigenart, die zwei Handlungen oder Erzählungen, zwei Darstellungen oder Sichtweisen voneinander unterscheidbar machen, und es sind die Modi der Darstellung, die das Dargestellte erst zu dem werden lassen, was es ist.
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Ursprünglich ein Begriff aus der Rhetorik, später stark okkupiert für Bereiche der Mode und des äußeren Erscheinungsbildes von Menschen und Dingen, in Verruf geraten durch seinen Mangel an analytischer Trennschärfe, wird er gelegentlich mißbraucht zur oberflächlichen Rubrizierung singulärer Werke.  
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Was auch immer [[Zeigen und Sich-Zeigen|sich zeigt]] oder darge&shy;stellt wird und wer auch immer in Erschei&shy;nung tritt, es ist unver&shy;meidlich, dieses auf eine bestimm&shy;te Art und Weise zu tun; man hat, wie Lessing bemerkt, “seinen eignen Stil, so wie seine eigne Nase.”  Deswe&shy;gen kann es Wohnsti&shy;le, Fahrsti&shy;le, Führungs&shy;stile und Poli&shy;tiksti&shy;le geben, nur eine wirkli&shy;che Stil-Losig&shy;keit, nicht im Sinne eines fehlen&shy;den Gespürs für’s Ange&shy;messe&shy;ne, sondern im Sinne einer völli&shy;gen Neutra&shy;lität oder Stilfrei&shy;heit ist nicht denkbar, weil eben auch eine vermeint&shy;lich neutra&shy;le – etwa nüchter&shy;ne oder wertungs&shy;freie – Darstel&shy;lung noch die Form einer Darstel&shy;lung ist.
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Auffäl&shy;lig ist, dass der Stilbe&shy;griff zugleich subsu&shy;mierend als auch diffe&shy;renzie&shy;rend fungiert, zugleich Kollek&shy;tives von epo&shy;chaler Allge&shy;meinheit als auch Indi&shy;vidu&shy;elles von singu&shy;lärer Unver&shy;gleichlich&shy;keit erfas&shy;sen will. Ist damit folglich einer&shy;seits die besondere Eigenart und persön&shy;liche Charak&shy;teris&shy;tik eines Indi&shy;vidu&shy;ums gemeint, lassen sich damit ande&shy;rerseits kollek&shy;tive Zuord&shy;nungen vorneh&shy;men, etwa zu einer Gruppe, Epo&shy;che oder Loka&shy;lität. So gilt bspw. Rembrandt mit der Einzig&shy;artig&shy;keit seines persön&shy;lichen Duktus doch zugleich als expo&shy;nierter Vertre&shy;ter des nieder&shy;ländi&shy;schen Barock, typisch für eine ganze Nation und Epo&shy;che. Das Inkom&shy;mensu&shy;rable und das [[Darstellung und Repräsentation|Reprä&shy;senta&shy;tive]] greifen also im Stilbe&shy;griff auf merkwür&shy;dige Weise inein&shy;ander. Die Paral&shy;leli&shy;tät von indi&shy;vidual&shy;psycho&shy;logi&shy;schen und histo&shy;rischen Tenden&shy;zen, von persön&shy;lichen und natio&shy;nalen bzw. epo&shy;chalen Menta&shy;litä&shy;ten bildet einen schwer zu durch&shy;schauen&shy;den und ebenso schwer zu erklä&shy;renden Konnex, beson&shy;ders in der Kunstge&shy;schichte. Natür&shy;lich wirken Zeiten und Schulen verhal&shy;tensnor&shy;mierend auf Indi&shy;viduen, aber umge&shy;kehrt bilden auch Indi&shy;viduen eine Epo&shy;che, ohne dass es dafür eine allge&shy;meingül&shy;tige Erklä&shy;rung gäbe.
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Eine grundlegende Dichotomie kennzeich&shy;net alle Stilfra&shy;gen: Äuße&shy;re Form einer (sprachli&shy;chen oder piktu&shy;ralen) Darstel&shy;lung auf der einen Seite steht dem [[Darstellung und Repräsentation|darge&shy;stellten Inhalt]], der [[Bedeutung und Referenz|Bedeu&shy;tung]] oder dem Kern der Sache gegen&shy;über.
 
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Was auch immer sich zeigt oder dargestellt wird und wer auch immer in Erscheinung tritt, es ist unvermeidlich, dieses auf eine bestimmte Art und Weise zu tun; man hat, wie Lessing bemerkt, “seinen eignen Stil, so wie seine eigne Nase.”  Deswegen kann es Wohnstile, Fahrstile, Fürhungsstile und Politikstile geben, nur eine wirkliche Stil-Losigkeit, nicht im Sinne eines fehlenden Gespürs fürs Angemessene, sondern im Sinne einer völligen Neutralität oder Stilfreiheit ist nicht denkbar, weil eben auch eine vermeintlich neutrale – etwa nüchterne oder wertungsfreie – Darstellung noch die Form einer Darstellung ist.
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In der Folge ergeben sich daraus gewisse Vorbe&shy;halte gegen alles vermeint&shy;lich oder tatsäch&shy;lich Ästhe&shy;tische, das als nur äußer&shy;lich, belie&shy;big, womög&shy;lich bloße Mode gegen&shy;über der Bedeu&shy;tung oder dem Inhalt herab&shy;gesetzt wird. Solche Kritik über&shy;sieht indes&shy;sen, dass in einem empha&shy;tische&shy;ren Verständ&shy;nis Stil nie nur austausch&shy;bare Hülle sein kann, sondern als Ausdruck einer Haltung oder sogar [[Weltbild, Lebensform|Lebens&shy;form]] ernst genom&shy;men werden muss.  
Auffällig ist, dass der Stilbegriff zugleich subsumierend als auch differenzierend fungiert, zugleich Kollektives von epochaler Allgemeinheit als auch Individuelles von singulärer Unvergleichlichkeit erfassen will. Ist damit folglich einerseits die besondere Eigenart und persönliche Charakteristik eines Individuums gemeint, lassen sich damit andererseits kollektive Zuordnungen vornehmen, etwa zu einer Gruppe, Epoche oder Lokalität. So gilt bspw. Rembrandt mit der Einzigartigkeit seines persönlichen Duktus doch zugleich als exponierter Vertreter des niederländischen Barock, typisch für eine ganze Nation und Epoche. Das Inkommensurable und das [[Darstellung und Repräsentation|Repräsentative]] greifen also im Stilbegriff auf merkwürdige Weise ineinander. Die Parallelität von individualpsychologischen und historischen Tendenzen, von persönlichen und nationalen bzw. epochalen Mentalitäten bildet einen schwer zu durchschauenden und ebenso schwer zu erklärenden Konnex, besonders in der Kunstgeschichte. Natürlich wirken Zeiten und Schulen verhaltensnormierend auf Individuen, aber umgekehrt bilden auch Individuen eine Epoche, ohne dass es dafür eine allgemeingültige Erklärung gäbe.
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Grundle&shy;gender als solche Einschät&shy;zungen ist jedoch der Umstand, dass die Disjunk&shy;tion von Stil und Wahrheit das Vorhan&shy;densein einer gestalt&shy;losen Rohmas&shy;se von Daten, Dingen oder Fakten voraus&shy;setzt, welche – wiewohl denk-notwen&shy;dig – empi&shy;risch nicht anzu&shy;treffen sind. Zwar ist es konsti&shy;tutions&shy;logisch notwen&shy;dig, sobald man vom Stil einer Darstel&shy;lung oder Erschei&shy;nung redet, auch eine darge&shy;stellte oder erschei&shy;nende Sache voraus&shy;zuset&shy;zen, die theore&shy;tisch und praktisch auch anders darge&shy;stellt werden oder erschei&shy;nen könnte, und daher in irgend&shy;einer Form gege&shy;ben sein muss, um auf diese oder auf jene Weise reali&shy;siert werden zu können. Immer aber muss sie sich auf eine bestimm&shy;te, diese und keine ande&shy;re Weise reali&shy;sieren und ist daher niemals vollkom&shy;men stil-frei.
 
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Eine grundlegende Dichotomie kennzeichnet alle Stilfragen: Äußere Form einer (sprachlichen oder pikturalen) Darstellung auf der einen Seite steht dem [[Darstellung und Repräsentation|dargestellten Inhalt]], der [[Bedeutung und Referenz|Bedeutung]] oder dem Kern der Sache gegenüber.
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Nach wie vor sind Heinrich Wölfflins (<bib id='Wölfflin 1929a'></bib>) Über&shy;legun&shy;gen zum Stil in der bilden&shy;den Kunst von maßgeb&shy;licher Bedeu&shy;tung, vor allem in Bezug auf den Zusam&shy;menhang von Darstel&shy;lung und Wahrneh&shy;mung. Wölfflin beschreibt Stil als „die Art, wie das Gese&shy;hene auf eine Form gebracht ist.“ (<bib id='Wölfflin 1912a'></bib>: S. 572)
 
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In der Folge ergeben sich daraus gewisse Vorbehalte gegen alles vermeintlich oder tatsächlich Ästhetische, das als nur äußerlich, beliebig, womöglich bloße Mode gegenüber der Bedeutung oder dem Inhalt herabgesetzt wird. Solche Kritik übersieht indessen, dass in einem emphatischeren Verständnis Stil nie nur austauschbare Hülle sein kann, sondern als Ausdruck einer Haltung oder sogar [[Weltbild, Lebensform|Lebensform]] ernst genommen werden muss.
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:''Aller Ausdruck ist an bestimm&shy;te opti&shy;sche Möglich&shy;keiten gebun&shy;den, die in jedem Zeital&shy;ter ande&shy;re sind. Der gleiche Inhalt könnte zu verschie&shy;denen Zeiten nicht in gleicher Weise ausge&shy;drückt werden, nicht weil die Gefühls&shy;tempe&shy;ratur sich geän&shy;dert hat, sondern weil die Augen sich geän&shy;dert haben'' (Ebd.)
Grundlegender als solche Einschätzungen ist jedoch der Umstand, dass die Disjunktion von Stil und Wahrheit das Vorhandensein einer gestaltlosen Rohmasse von Daten, Dingen oder Fakten voraussetzt, welche – wiewohl denk-notwendig – empirisch nicht anzutreffen sind. Zwar ist es konstitutionslogisch notwendig, sobald man vom Stil einer Darstellung oder Erscheinung redet, auch eine dargestellte oder erscheinende Sache vorauszusetzen, die theoretisch und praktisch auch anders dargestellt werden oder erscheinen könnte, und daher in irgendeiner Form gegeben sein muss, um auf diese oder auf jene Weise realisiert werden zu können. Immer aber muss sie sich auf eine bestimmte, diese und keine andere Weise realisieren und ist daher niemals vollkommen stil-frei.
 
 
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Nach wie vor sind Heinrich Wölfflins (<bib id='Wölfflin 1929a'></bib>) Überlegungen zum Stil in der bildenden Kunst von maßgeblicher Bedeutung sind, vor allem in Bezug auf den Zusammenhang von Darstellung und Wahrnehmung. Wölfflin beschreibt Stil als „die Art, wie das Gesehene auf eine Form gebracht ist.“ (<bib id='Wölfflin 1912a'></bib>: S. 572) „Aller Ausdruck ist an bestimmte optische Möglichkeiten gebunden, die in jedem Zeitalter andere sind. Der gleiche Inhalt könnte zu verschiedenen Zeiten nicht in gleicher Weise ausgedrückt werden, nicht weil die Gefühlstemperatur sich geändert hat, sondern weil die Augen sich geändert haben.“ (Ebd.) Selbstverständlich hat Wölfflin einen komplexen Begriff vom [[Sehen]] als einer kulturellen Tätigkeit, welche auf Anschauungen und [[Darstellung und Vorstellung|Vorstellungen]] basiert. Im Nachwort zur achten Auflage seiner Grundbegriffe beschreibt Wölfflin Sehen als die „Art wie sich [...] in der Vorstellung die Dinge gestalten“<ref>„Wenn ich aber von Anschauungsform spreche, von Sehform und der Entwicklung des Sehens, so ist das wohl ein lässiger Ausdruck, doch kann er sich auf die Analogie berufen, daß man auch vom ‚Auge‘ des Künstlers und vom ‚Sehen‘ des Künstlers spricht, wo man eben die Art meint, wie sich ihm in der Vorstellung die Dinge gestalten.“ (<bib id='Wölfflin 1970a'></bib>: S. 277)</ref>. Malerisch oder plastisch sehen heißt demnach, gemäß den Vorstellungen zu sehen, die Wölfflin mit Hilfe der Begriffspaare linear-malerisch, Fläche-Tiefe, geschlossene Form- offene Form, Vielheit-Einheit und Klarheit-Unklarheit zu kategorisieren suchte. Dass solches Sehen viel mit Denkstilen und Sichtweisen zu tun hat, liegt auf der Hand. „Die Art des Sehens“ oder – so ergänzt Wölfflin in Replik auf die Kritik an seinem Sprachgebrauch im Vorwort zur sechsten Auflage (<bib id='Wölfflin 1929a'></bib>) – „sagen wir also des anschaulichen Vorstellens ist nicht von Anfang an und überall dieselbe, sondern hat, wie alles Lebendige, ihre Entwicklung.“  
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Selbstverständlich hat Wölfflin einen komple&shy;xen Begriff vom [[Sehen]] als einer kultu&shy;rellen Tätig&shy;keit, welche auf [[Anschauung und Begriff|Anschau&shy;ungen]] und [[Vorstellungsbilder / Mentale Modelle|Vorstel&shy;lungen]] basiert. Im Nachwort zur achten Aufla&shy;ge seiner «Grundbe&shy;griffe» beschreibt Wölfflin Sehen als die „Art wie sich [...] in der Vorstel&shy;lung die Dinge gestal&shy;ten“<ref>„Wenn ich aber von An&shy;schau&shy;ungs&shy;form spre&shy;che, von Seh&shy;form und der Ent&shy;wick&shy;lung des Se&shy;hens, so ist das wohl ein läs&shy;si&shy;ger Aus&shy;druck, doch kann er sich auf die Ana&shy;lo&shy;gie be&shy;ru&shy;fen, daß man auch vom ‘Au&shy;ge’ des Künst&shy;lers und vom ‘Se&shy;hen’ des Künst&shy;lers spricht, wo man eben die Art meint, wie sich ihm in der Vor&shy;stel&shy;lung die Din&shy;ge ge&shy;stal&shy;ten.“ (<bib id='Wölfflin 1970a'>Wölff&shy;lin 1970a</bib>: S. 277)</ref>. ‘Male&shy;risch oder plastisch sehen’ heißt demnach, gemäß den Vorstel&shy;lungen zu sehen, die Wölfflin mit Hilfe der Begriffs&shy;paare »linear-&#8203;male&shy;risch«, »Fläche-&#8203;Tiefe«, »geschlos&shy;sene Form-&#8203;offe&shy;ne Form«, »Vielheit-&#8203;Einheit« und »Klarheit-&#8203;Unklar&shy;heit« zu kate&shy;gori&shy;sieren suchte. Dass solches Sehen viel mit Denkstilen und Sichtweisen zu tun hat, liegt auf der Hand. „Die Art des Sehens“ oder – so ergänzt Wölfflin in Replik auf die Kritik an seinem Sprachgebrauch im Vorwort zur sechsten Auflage (<bib id='Wölfflin 1929a'></bib>) – „sagen wir also des anschaulichen Vorstellens ist nicht von Anfang an und überall dieselbe, sondern hat, wie alles Lebendige, ihre Entwicklung.“  
 
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Sieht man von Wölfflins voraussetzungsreichen, geschichtsphilosophischen Annahmen einmal ab, bleibt vor allem die Einsicht, dass Stil auf einer vorstellungs-basierten und vorstellungs-bildenden optischen Schematisierung basieren könnte. Wirklich ist „nicht alles zu allen Zeiten möglich“, weder technisch und empirisch noch symbolisch und aisthetisch. Der Stil einer Darstellung ist von werthaften Sichtweisen nicht zu entkoppeln, weil, wie wir sahen, selbst eine neutrale Sicht eine Sichtweise ist.
 
Sieht man von Wölfflins voraussetzungsreichen, geschichtsphilosophischen Annahmen einmal ab, bleibt vor allem die Einsicht, dass Stil auf einer vorstellungs-basierten und vorstellungs-bildenden optischen Schematisierung basieren könnte. Wirklich ist „nicht alles zu allen Zeiten möglich“, weder technisch und empirisch noch symbolisch und aisthetisch. Der Stil einer Darstellung ist von werthaften Sichtweisen nicht zu entkoppeln, weil, wie wir sahen, selbst eine neutrale Sicht eine Sichtweise ist.
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* [[Anschauung und Begriff]]
 
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* [[Darstellung (historisch)]]
 
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* [[Perspektivik]]
 
* [[Sehen]]
 
* [[Sehen]]
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* [[Vorstellungsbilder / Mentale Modelle]]
 
* [[Wahrnehmungstheorien: Übersicht]]
 
* [[Wahrnehmungstheorien: Übersicht]]
 
* [[Weltbild, Lebensform]]
 
* [[Weltbild, Lebensform]]
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* [[Zeigen und Sich-Zeigen]]
  
 
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Version vom 17. November 2013, 18:02 Uhr

Unterpunkt zu: Auswirkungen der Bildlichkeit


Es ist schwierig bis unmöglich, eine bündi­ge Antwort auf die Frage zu geben, was Stil sei, aber soviel lässt sich doch sagen, dass Stil immer eine Moda­lität darstellt, mit deren Hilfe etwas auf spezi­fische Weise formu­liert wird; Stil betrifft mithin immer das Wie der Durchfüh­rung: sei es eines Handlungs­vollzugs oder des Erlebens, einer Darstel­lung oder Narra­tion, des Denkens oder Wahrneh­mens. Stets sind es Unter­schiede in der Art und Weise der Ausfüh­rung, der Gestal­tung, in der Manier oder Eigen­art, die zwei Handlun­gen oder Erzäh­lungen, zwei Darstel­lungen oder Sichtwei­sen vonein­ander unter­scheidbar machen, und es sind die Modi der Darstel­lung, die das Darge­stellte erst zu dem werden lassen, was es ist. Ursprüng­lich ein Begriff aus der Rheto­rik, später stark okku­piert für Bereiche der Mode und des äuße­ren Erschei­nungsbil­des von Menschen und Dingen, in Verruf gera­ten durch seinen Mangel an ana­lyti­scher Trennschär­fe, wird er gele­gentlich mißbraucht zur ober­flächli­chen Rubri­zierung singu­lärer Werke.

Was auch immer sich zeigt oder darge­stellt wird und wer auch immer in Erschei­nung tritt, es ist unver­meidlich, dieses auf eine bestimm­te Art und Weise zu tun; man hat, wie Lessing bemerkt, “seinen eignen Stil, so wie seine eigne Nase.” Deswe­gen kann es Wohnsti­le, Fahrsti­le, Führungs­stile und Poli­tiksti­le geben, nur eine wirkli­che Stil-Losig­keit, nicht im Sinne eines fehlen­den Gespürs für’s Ange­messe­ne, sondern im Sinne einer völli­gen Neutra­lität oder Stilfrei­heit ist nicht denkbar, weil eben auch eine vermeint­lich neutra­le – etwa nüchter­ne oder wertungs­freie – Darstel­lung noch die Form einer Darstel­lung ist. Auffäl­lig ist, dass der Stilbe­griff zugleich subsu­mierend als auch diffe­renzie­rend fungiert, zugleich Kollek­tives von epo­chaler Allge­meinheit als auch Indi­vidu­elles von singu­lärer Unver­gleichlich­keit erfas­sen will. Ist damit folglich einer­seits die besondere Eigenart und persön­liche Charak­teris­tik eines Indi­vidu­ums gemeint, lassen sich damit ande­rerseits kollek­tive Zuord­nungen vorneh­men, etwa zu einer Gruppe, Epo­che oder Loka­lität. So gilt bspw. Rembrandt mit der Einzig­artig­keit seines persön­lichen Duktus doch zugleich als expo­nierter Vertre­ter des nieder­ländi­schen Barock, typisch für eine ganze Nation und Epo­che. Das Inkom­mensu­rable und das Reprä­senta­tive greifen also im Stilbe­griff auf merkwür­dige Weise inein­ander. Die Paral­leli­tät von indi­vidual­psycho­logi­schen und histo­rischen Tenden­zen, von persön­lichen und natio­nalen bzw. epo­chalen Menta­litä­ten bildet einen schwer zu durch­schauen­den und ebenso schwer zu erklä­renden Konnex, beson­ders in der Kunstge­schichte. Natür­lich wirken Zeiten und Schulen verhal­tensnor­mierend auf Indi­viduen, aber umge­kehrt bilden auch Indi­viduen eine Epo­che, ohne dass es dafür eine allge­meingül­tige Erklä­rung gäbe.

Eine grundlegende Dichotomie kennzeich­net alle Stilfra­gen: Äuße­re Form einer (sprachli­chen oder piktu­ralen) Darstel­lung auf der einen Seite steht dem darge­stellten Inhalt, der Bedeu­tung oder dem Kern der Sache gegen­über.

In der Folge ergeben sich daraus gewisse Vorbe­halte gegen alles vermeint­lich oder tatsäch­lich Ästhe­tische, das als nur äußer­lich, belie­big, womög­lich bloße Mode gegen­über der Bedeu­tung oder dem Inhalt herab­gesetzt wird. Solche Kritik über­sieht indes­sen, dass in einem empha­tische­ren Verständ­nis Stil nie nur austausch­bare Hülle sein kann, sondern als Ausdruck einer Haltung oder sogar Lebens­form ernst genom­men werden muss. Grundle­gender als solche Einschät­zungen ist jedoch der Umstand, dass die Disjunk­tion von Stil und Wahrheit das Vorhan­densein einer gestalt­losen Rohmas­se von Daten, Dingen oder Fakten voraus­setzt, welche – wiewohl denk-notwen­dig – empi­risch nicht anzu­treffen sind. Zwar ist es konsti­tutions­logisch notwen­dig, sobald man vom Stil einer Darstel­lung oder Erschei­nung redet, auch eine darge­stellte oder erschei­nende Sache voraus­zuset­zen, die theore­tisch und praktisch auch anders darge­stellt werden oder erschei­nen könnte, und daher in irgend­einer Form gege­ben sein muss, um auf diese oder auf jene Weise reali­siert werden zu können. Immer aber muss sie sich auf eine bestimm­te, diese und keine ande­re Weise reali­sieren und ist daher niemals vollkom­men stil-frei.

Nach wie vor sind Heinrich Wölfflins ([Wölfflin 1929a]Literaturangabe fehlt.
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) Über­legun­gen zum Stil in der bilden­den Kunst von maßgeb­licher Bedeu­tung, vor allem in Bezug auf den Zusam­menhang von Darstel­lung und Wahrneh­mung. Wölfflin beschreibt Stil als „die Art, wie das Gese­hene auf eine Form gebracht ist.“ ([Wölfflin 1912a]Literaturangabe fehlt.
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: S. 572)

Aller Ausdruck ist an bestimm­te opti­sche Möglich­keiten gebun­den, die in jedem Zeital­ter ande­re sind. Der gleiche Inhalt könnte zu verschie­denen Zeiten nicht in gleicher Weise ausge­drückt werden, nicht weil die Gefühls­tempe­ratur sich geän­dert hat, sondern weil die Augen sich geän­dert haben (Ebd.)

Selbstverständlich hat Wölfflin einen komple­xen Begriff vom Sehen als einer kultu­rellen Tätig­keit, welche auf Anschau­ungen und Vorstel­lungen basiert. Im Nachwort zur achten Aufla­ge seiner «Grundbe­griffe» beschreibt Wölfflin Sehen als die „Art wie sich [...] in der Vorstel­lung die Dinge gestal­ten“[1]. ‘Male­risch oder plastisch sehen’ heißt demnach, gemäß den Vorstel­lungen zu sehen, die Wölfflin mit Hilfe der Begriffs­paare »linear-​male­risch«, »Fläche-​Tiefe«, »geschlos­sene Form-​offe­ne Form«, »Vielheit-​Einheit« und »Klarheit-​Unklar­heit« zu kate­gori­sieren suchte. Dass solches Sehen viel mit Denkstilen und Sichtweisen zu tun hat, liegt auf der Hand. „Die Art des Sehens“ oder – so ergänzt Wölfflin in Replik auf die Kritik an seinem Sprachgebrauch im Vorwort zur sechsten Auflage ([Wölfflin 1929a]Literaturangabe fehlt.
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- Glossarlemma.
) – „sagen wir also des anschaulichen Vorstellens ist nicht von Anfang an und überall dieselbe, sondern hat, wie alles Lebendige, ihre Entwicklung.“

Sieht man von Wölfflins voraussetzungsreichen, geschichtsphilosophischen Annahmen einmal ab, bleibt vor allem die Einsicht, dass Stil auf einer vorstellungs-basierten und vorstellungs-bildenden optischen Schematisierung basieren könnte. Wirklich ist „nicht alles zu allen Zeiten möglich“, weder technisch und empirisch noch symbolisch und aisthetisch. Der Stil einer Darstellung ist von werthaften Sichtweisen nicht zu entkoppeln, weil, wie wir sahen, selbst eine neutrale Sicht eine Sichtweise ist. Eine solche Auffassung findet auch bei moderneren Autoren ihren Widerhall: Stil, schreibt Manfred Frank in seiner Untersuchung zum Stil in der Philosophie, sei „die individuelle Art und Weise, wie der Autor seine eigentümliche Sicht der Welt sprachlich zum Ausdruck bringt.“ ([Frank 1990a]Literaturangabe fehlt.
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: S. 11) Und Arthur Danto verdanken wir die Einsicht, dass der Stil einer Darstellung uns veranlaßt, dasjenige, von dem sie handelt, „mit einer bestimmten Einstellung und in einer besonderen Sicht zu sehen.“ ([Danto 1993a]Literaturangabe fehlt.
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: S. 255)

Anmerkungen
  1. „Wenn ich aber von An­schau­ungs­form spre­che, von Seh­form und der Ent­wick­lung des Se­hens, so ist das wohl ein läs­si­ger Aus­druck, doch kann er sich auf die Ana­lo­gie be­ru­fen, daß man auch vom ‘Au­ge’ des Künst­lers und vom ‘Se­hen’ des Künst­lers spricht, wo man eben die Art meint, wie sich ihm in der Vor­stel­lung die Din­ge ge­stal­ten.“ ([Wölff­lin 1970a]Literaturangabe fehlt.
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    : S. 277)
Literatur                             [Sammlung]

[Danto 1993a]:
Literaturangabe fehlt.
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- andere Publikation,
- Glossarlemma.
[Frank 1990a]:
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- andere Publikation,
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[Wölfflin 1912a]:
Literaturangabe fehlt.
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- andere Publikation,
- Glossarlemma.
[Wölfflin 1929a]:
Literaturangabe fehlt.
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[Wölff­lin 1970a]:
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Verantwortlich:

Lektorat:

Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [15], Eva Schürmann [6] und Sebastian Spanknebel [4] — (Hinweis)