Symbol, Index, Ikon: Unterschied zwischen den Versionen
K (→Indexikalität und raumzeitliche Zusammenhänge) |
K (→Symbolhaftigkeit und Bedeutungskonventionen) |
||
Zeile 50: | Zeile 50: | ||
: | : | ||
Ein Beispiel für diesen Zusammenhang kann man in der Diskussion um die [[Perspektive und Projektion|Perspektive]] als einer symbolischen Form<ref>Cassirer bezeichnet mit dem Ausdruck ‘symbolische Form’ „jede Energie des Geistes [...], durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird“ (<bib id='Cassirer 2009a'></bib>, S. 67). Der Ausdruck ‘Zeichen’ wird dabei offensichtlich im Sinn von ‘Zeichenträger’ verwendet und ‘Symbol’ (als dritte hier erwähnte Bedeutungsvariante dieses Ausdrucks) analog zu ‘Zeichen<sub><small>''P''</small></sub>’ (s.o.).</ref> “sehen” (vgl. <bib id='Panofsky 1924a'></bib>). Zwar scheinen zentralperspektivische Konstruktionen in einer quasi kausalen Ableitung besonders natürlich wirkende Bildzeichen zu erzeugen. Doch um diese Zeichen geht es nun gar nicht. Vielmehr ist die Konstruktion selbst – als Zeichen für das jene Natürlichkeit allererst begründende [[Sehen]] genommen – nur eine (historisch gewachsene) Möglichkeit unter vielen anderen; eine Möglichkeit, die, da sie ein einäugiges, simultanes Sehen mit starrem Blick unterstellt, trotz aller ikonischer Anteile (d.h. bestehenden Ähnlichkeiten zur Bedeutung dieses Zeichens, dem zweiäugigen, sakkadischen Sehen mit beweglichen Augen) auch stark von tradiert-konventionellen Faktoren abhängt: der Konvention nämlich, dass eben auf genau diese Weise das Sehen darzustellen sei (vgl. <bib id='Cassirer 1930a'></bib>). | Ein Beispiel für diesen Zusammenhang kann man in der Diskussion um die [[Perspektive und Projektion|Perspektive]] als einer symbolischen Form<ref>Cassirer bezeichnet mit dem Ausdruck ‘symbolische Form’ „jede Energie des Geistes [...], durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird“ (<bib id='Cassirer 2009a'></bib>, S. 67). Der Ausdruck ‘Zeichen’ wird dabei offensichtlich im Sinn von ‘Zeichenträger’ verwendet und ‘Symbol’ (als dritte hier erwähnte Bedeutungsvariante dieses Ausdrucks) analog zu ‘Zeichen<sub><small>''P''</small></sub>’ (s.o.).</ref> “sehen” (vgl. <bib id='Panofsky 1924a'></bib>). Zwar scheinen zentralperspektivische Konstruktionen in einer quasi kausalen Ableitung besonders natürlich wirkende Bildzeichen zu erzeugen. Doch um diese Zeichen geht es nun gar nicht. Vielmehr ist die Konstruktion selbst – als Zeichen für das jene Natürlichkeit allererst begründende [[Sehen]] genommen – nur eine (historisch gewachsene) Möglichkeit unter vielen anderen; eine Möglichkeit, die, da sie ein einäugiges, simultanes Sehen mit starrem Blick unterstellt, trotz aller ikonischer Anteile (d.h. bestehenden Ähnlichkeiten zur Bedeutung dieses Zeichens, dem zweiäugigen, sakkadischen Sehen mit beweglichen Augen) auch stark von tradiert-konventionellen Faktoren abhängt: der Konvention nämlich, dass eben auf genau diese Weise das Sehen darzustellen sei (vgl. <bib id='Cassirer 1930a'></bib>). | ||
+ | : | ||
==Zur Anwendung auf Bilder: Ein (kom­ple­xes) Beispiel== | ==Zur Anwendung auf Bilder: Ein (kom­ple­xes) Beispiel== |
Version vom 27. Dezember 2013, 16:57 Uhr
Unterpunkt zu: Zeichentheorien: Übersicht
Einteilung der Zeichen bei PeirceCharles S. Peirce (1839-1914) gilt als einer der Gründungsväter der modernen Zeichentheorie. Auf ihn geht auch eine differenzierte Einteilung der Zeichenarten zurück (Abb. 1), von der zumindest ein Teil sehr weite Verbreitung gefunden hat. Grob skizziert unterscheidet Peirce drei zeichenrelevante Ebenen, die ungefähr mit der Einteilung in Pragmatik, Semantik und Syntax übereinstimmen. In jeder dieser Ebenen setzt er eine weitere Dreiteilung an. Syntaktisch differenziert er Zeichen in »Sinzeichen«, »Legizeichen« und »Qualizeichen«, während »Thema«, »Rhema« und »Dicent« pragmatische (wirkungsbezogene) Zeichenunterkategorien bilden.[1] Es ist vor allem die semantische Ebene, deren Peircesche Dreiteilung unter Semiotikern und Theoretikern benachbarter Disziplinen, wie Sprachphilosophie und Kunstgeschichte, machtvoll nachwirkt und nicht zuletzt in seinem Begriff der Ikonizität für die Bildtheorie große Relevanz aufweist.[2] Semantische Dreiteilung: Eigenheiten der BedeutungsbeziehungDa sie auf die semantische Ebene fokussiert sind, differenzieren die Peirceschen Zeichenkategorien »Index«, »Ikon« und »Symbol« die Klasse der Zeichen gemäß dem Charakter der Beziehung, die zwischen dem Zeichenträger und dem damit Bezeichneten besteht (in Abb. 1 als ‘Objektbezug’ charakterisiert). Diese “Objekt”beziehung gilt als konstitutiv für die Bedeutung, die dem Zeichenträger zugeschrieben wird.[3] Genau genommen handelt es sich bei den drei Kategorien um Idealtypen; in konkreten Fällen wirken die zugehörigen Bedeutungsrelationen oft auf komplizierte Weise zusammen (vgl. das ausführliche Beispiel unten). Ikonizität und ÄhnlichkeitenDer Peircesche Ausdruck ‘Ikon’ (Plural: ‘Ikone’),[4] der seine altgriechische Wurzel (εἰκών, etwa ‘Abbild’) ganz offensichtlich sowohl mit der mittelalterlich-religiösen Ikone als auch mit dem englischen Leihwort ‘Icon’ des Informationszeitalters (dazu ⊳ Bilderschrift und Piktogramm) teilt, mit beidem aber nicht verwechselt werden sollte, bezeichnet solche Zeichen, deren Bedeutungsbeziehung sich einer Ähnlichkeitsrelation zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem verdankt (vgl. [Peirce 1983a]: S. 64). Dies trifft unter anderem auf “natürliche” Bilder (Spiegelbild) wie “normale” abbildende Bilder (Phantomskizze),[5] auf “Foleys” (von einem Geräuschespezialisten für Hörspiel, Film oder Computerspiel erzeugte “Geräuschattrappen”) und synthetische Gerüche (künstliches Erdbeeraroma), sowie im sprachlichen Bereich auf onomatopoetische Wörter (‘Kuckuck’), form-ikonische Ausdrücke (‘T-Träger’) und – in gewisser Weise – auf Metaphern (“Sprachbilder”) zu. Tatsächlich liegen bei Peirce echte (genuine) Ikone nur dann vor, wenn man eine Eigenschaft eines (als Zeichenträger) wahrgenommenen Gegenstands dazu benutzt, sich (oder einen anderen) auf eben diese Eigenschaft aufmerksam zu machen – wenn also, in Goodmans Begrifflichkeit, eine Exemplifikation vorliegt.[6] Zeichen, bei denen wegen geteilter Eigenschaften ein Gegenstand auf einen anderen Gegenstand verweist, bezeichnet Peirce genauer als ‘Hypoikone’ (auch ‘degenerierte Ikone’ [Peirce 1998a], §276). Doch hat sich genau diese abgeleitete Charakterisierung für den in der Semiotik zumeist verwendeten Begriff »Ikon« durchgesetzt. Offen bleibt dabei zunächst, welche Konzeption eigentlich von »Ähnlichkeit« zu verwenden ist. Geht man von einem “ontologisch” gefassten Ähnlichkeitsbegriff aus, so stellt die Ähnlichkeitsbeziehung eine “an sich” bestehende Relation zwischen zwei Gegenständen dar, die nicht von spezifischen Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeiten eines über Ähnlichkeit Urteilenden abhängt. Ein “epistemisch” gefasster Ähnlichkeitsbegriff würde hingegen auf das zurückgreifen, was einem bestimmten Betrachter[7] als ähnlich erscheint. Nur insofern sich ein Teil der (als objektiv oder subjektiv gefassten) “Eigenschaftsstruktur” eines Dings in der Eigenschaftsstruktur eines anderen Dings spiegelt, kann dieses als ikonisches Zeichen für jenes verwendet werden – und umgekehrt.[8] Bei einem “behavioristischen” (genauer: handlungstheoretischen) Ähnlichkeitsbegriff verschiebt sich der Fokus darauf, dass ein Beobachter beurteilt, ob ein beobachtetes Wesen in seinem Verhalten Anlass zu der Behauptung gibt, etwas als etwas anderem ähnlich erkannt zu haben.[9] Diese Ansätze tragen dem Sachverhalt Rechnung, dass introspektive Begründungen für Ähnlichkeitszuschreibungen alleine nicht ausreichen, um über Ikonizität intersujektiv Einigkeit zu erreichen (vgl. [Schirra & Sachs-Hombach 2013a]). Im Prinzip genügt jeweils bereits eine einzige (objektive bzw. subjektive) Eigenschaft, die – neben beliebig vielen differierenden – von den betrachteten Gegenständen geteilt wird, um die Ikonizität einer Zeichenbeziehung zwischen jenen zu gewährleisten. Je größer die Ähnlichkeit, desto stärker ist die Ikonizität, wenn der eine Gegenstand als Zeichen für den anderen betrachtet wird. Probleme ergeben sich hingegen, wenn alle Eigenschaften übereinstimmen: Als im engen Sinne »ähnlich« werden üblicherweise zwei Gegenstände nur dann betrachtet, wenn es mindestens auch eine Eigenschaft gibt, in der sie sich nicht gleichen.[10] Indexikalität und raumzeitliche ZusammenhängeVon einem ‘Index’ (Plural ‘Indizes’) spricht Peirce bei einem Zeichen, dessen Träger aufgrund seines raumzeitlichen und insbesondere kausalen Zusammenhangs mit dem Bezeichneten als Zeichen für letzteres verwendet wird (vgl. [Peirce 1983a]: S. 65): wenn also beispielsweise Rauch das Zeichen für Feuer oder rote Hautflecken das Zeichen für (eine Infektion mit) Masern bilden. Alles was in den entsprechenden Naturwissenschaften von Physik bis Medizin als Auswirkung, Anzeichen oder Symptom für ein Phänomen X gilt, stellt mithin auch einen Peirceschen Index für X dar.[11] Genau genommen verweist ein indexikalisches Zeichen daher weniger auf einen anderen Gegenstand als vielmehr auf die Anwesenheit eines anderen Gegenstands in direkter Nähe zum Zeichenträger. Das unterscheidet Indizes deutlich von den beiden anderen Zeichenarten, die eher dazu verwendet werden, Abwesendes zu bezeichnen.[12] Was genau als »Nähe zum Zeichenträger« zu verstehen ist kann dabei allerdings von verschiedenen Faktoren abhängen. Bei einer Spur etwa kann die zeitliche Koinzidenz mehr oder weniger stark in die Vergangenheit ausgedehnt sein: Der die Spur erzeugende Hase beispielsweise mag längst über alle Berge sein, wenn der Jäger sie als indexikalisches Zeichen für den Hasen (oder genauer seine Anwesenheit) nutzt. Kausalketten können zu einer fast beliebig großen räumlichen Ausdehnung der Nähe-Region beitragen. Wesentlich ist für Indexikalität, dass der Bereich, den der Zeichennutzer als (erweitertes) “Hier und Jetzt” betrachtet, neben dem Zeichenträger stets auch das Bezeichnete enthält, so dass man gewissermaßen auch mit dem Finger darauf deuten könnte.[13] Zu beachten ist allerdings, dass die Definition der Indexikalität nicht notwendig von einer natürlichen Beziehung zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem ausgeht: Auch das Ortseingangsschild am Rand einer Stadt steht in direkter, wenn auch absichtlich erzeugter raumzeitlicher Beziehung zu dem Bezeichneten (eben dem Rand jener Stadt). Gleiches gilt für das auf dieser Glossarseite links oben gezeigte Logo (das markiert: ›dies ist eine Seite des Glossars der Bildphilosophie‹), die farblichen Markierungen, die in diesem Glossartext anzeigen, an welchen Stellen durch Mausklick eine andere Seite erreicht werden kann, oder auch generell Pfeile und Zeiger. Nicht alle Indizes sind mithin auch Symptome im engen (physikalisch-kausalen) Sinn, oder, wie es dann auch heißt: ‘natürliche Indizes’. Im Gegensatz zu den natürlichen ist die raumzeitliche Beziehung, die zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem vermittelt, bei den künstlichen Indizes mit Absicht erzeugt – Intentionalität ersetzt also in diesen Fällen Kausalität.[14] Gleichwohl besteht die semantische Pointe auch bei dieser Unterklasse darin, dass allein die raumzeitliche Nähe bereits die Bedeutung des Zeichens bei der Verwendung zu induzieren scheint. Sprachliche Ausdrücke, wie insbesondere ‘hier’ und ‘jetzt’, aber auch ‘ich’, ‘wir’, ‘du’, ‘ihr’ hängen in ihrer jeweiligen Bedeutung ebenfalls stark ab vom Kontext ihrer Verwendung: Die raumzeitliche Beziehung zu Ort und Zeit ihrer Äußerung bestimmt, welcher Ort mit ‘hier’, welche Person mit ‘du’ gemeint ist. Gleiches gilt natürlich auch für ‘içi’ oder ‘here’, für ‘tu’ oder ‘you’ – um nur zwei andere europäische Sprachen als Beispiele zu bemühen. Neben aller Konventionalität, die diese Art von Ausdrücken eigentlich zu Symbolen im Sinne von Peirce werden lässt, bleibt ihnen ein Moment an Indexikalität wesentlich, weshalb man auch von ‘indexikalischen Ausdrücken’ spricht. Einen weiteren Sonderfall indexikalischer Zeichen stellen Photographien (und die Produkte verwandter technischer Bildgebungsverfahren) dar: Offenkundig beruhen die hier betrachteten Produktionsverfahren für Zeichenträger darauf, dass eine mehr oder weniger lange, aber durchgehende Kette streng kausaler, physikalisch-chemischer Schritte den Zeichenträger automatisch aus dem Bezeichneten (‘Abgebildeten’) ableiten.[15] Obwohl als Bilder eigentlich den ikonischen Zeichen zuzuordnen, schwingt zumindest bei dieser Untermenge auch Indexikalität in ihrem Begriff mit.[16] Symbolhaftigkeit und BedeutungskonventionenIkone gleichen Indizes in einer wichtigen Hinsicht, in der die dritte semantische Zeichenkategorie von Peirce abweicht: Wegen des direkt erkennbaren Zusammenhangs zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem scheint die Bedeutung des Zeichens nicht erst durch einen geeigneten Taufakt etabliert werden zu müssen. Indizes und Ikone funktionieren ohne vorangehende Festlegung einer entsprechenden Bedeutungskonvention. Das gilt für viele der von uns im Alltag verwendeten Zeichengebräuche keineswegs, wie jeder leicht selbst feststellen kann, wenn er eine fremde Sprache erlernen will. Zeichen, deren Bedeutungsbeziehung mithilfe einer Konvention festgelegt werden müssen, nennt Peirce ‘Symbole’ (vgl. [Peirce 1983a]: S. 65ff.).[17] Dieser Wortgebrauch differiert deutlich von einer anderen, vor allem im deutschsprachigen Raum verbreiteten (auch von Saussure benutzten) Konvention, die dem ‘Zeichen’ das ‘Symbol’ gegenüberstellt, wobei ‘Symbol’ in diesem Sinn häufig synonym zu ‘Sinnbild’ gebraucht wird.[18] Markiert man die unterschiedlichen Wortgebräuche mit den Indizes ‘D’ (deutsch) und ‘P’ (Peirce), so ergibt sich (Abb. 3): »SymboleD« sind gerade keine »ZeichenD«, während »SymboleP« eine Unterart von »ZeichenP« sind; des weiteren entsprechen »SymboleP« weitgehend »ZeichenD«, während »SymboleD« in etwa den Peirceschen »Ikonen« entsprechen, also zwar keine »ZeichenD«, wohl aber »ZeichenP« sind.[19] Es empfiehlt sich daher, – besonders in der bildwissenschaftlichen Dikussion – sehr genau darauf zu achten, in welcher Bedeutung die Ausdrücke ‘Zeichen’ und ‘Symbol’ jeweils verwendet werden.[20] Eine konventionelle Bedeutungszuschreibung liegt im Übrigen nicht nur dann vor, wenn eine Regel, auf die man sich im Zweifelsfall berufen kann, ausdrücklich festgelegt wird (Taufakt im weiten Sinn). Es kann sich auch um historisch gewachsene Gewohnheiten oder stillschweigende (implizite) Übereinkünfte handeln, wie sie bei den meisten Zeichen der “natürlichen” Sprachen, etwa den Wörtern und Sätzen des Deutschen, vorliegen. Hier existieren keine vorweisbaren Situationen mit entsprechenden bedeutungsstiftenden Akten, auf die man beim Verdacht einer falschen Verwendungsweise des symbolischen Zeichens verweisen könnte. Zudem wirken in aller Regel die sozialen Mechanismen, die zur Bildung der Tradition beitragen haben, immer weiter, weswegen sich die Traditionen kontinuierlich “unter der Hand” ändern (»Sprachwandel«). Im Gegensatz zu den tradierten Bedeutungskonventionen können ausdrücklich vereinbarte Zeichenbedeutungen hingegen nur wieder durch weitere ausdrückliche Vereinbarungen der betroffenen Zeichennutzer verändert werden.[21] Obwohl verwandt sollten die Begriffe »Konvention« und »Willkürlichkeit« (auch »Arbitrarität«) in diesem Zusammenhang nicht miteinander verwechselt werden: Auch tradierte Konventionen sind in der Regel auf die eine oder andere Weise motiviert und nicht rein willkürlich.[22] Und selbst die an sich frei verfügbaren Assoziationsmöglichkeiten werden bei explizit vereinbarten Konventionen aus guten (etwa mnemotechnischen) Gründen kaum je wirklich ausgeschöpft. Historisch bildete zwar die Frage nach der Willkürlichkeit der Bedeutungsbeziehung in Gestalt der phýsei/thései-Debatte in der griechischen Antike den wesentlichen Ausgangspunkt für die sukkzessive Differenzierung möglicher Objektrelationen bis hin zu Peirce (und darüber hinaus). Doch ergab sich im Verlauf dieser begrifflichen Entfaltung, dass es weniger um die Frage nach einer natürlich (sprich: unabhängig von Zeichenverwendern) bestehenden Beziehung zwischen Zeichen(träger) und Bezeichnetem geht, als vielmehr um verschiedene Möglichkeiten, Aspekte eines als Zeichenträger verwendeten Objekts in das komplexe Geschehen von Zeichenhandlungen zu integrieren (vgl. [Trabant 1996a], Abschn. II.4).[23] Ein Beispiel für diesen Zusammenhang kann man in der Diskussion um die Perspektive als einer symbolischen Form[24] “sehen” (vgl. [Panofsky 1924a]). Zwar scheinen zentralperspektivische Konstruktionen in einer quasi kausalen Ableitung besonders natürlich wirkende Bildzeichen zu erzeugen. Doch um diese Zeichen geht es nun gar nicht. Vielmehr ist die Konstruktion selbst – als Zeichen für das jene Natürlichkeit allererst begründende Sehen genommen – nur eine (historisch gewachsene) Möglichkeit unter vielen anderen; eine Möglichkeit, die, da sie ein einäugiges, simultanes Sehen mit starrem Blick unterstellt, trotz aller ikonischer Anteile (d.h. bestehenden Ähnlichkeiten zur Bedeutung dieses Zeichens, dem zweiäugigen, sakkadischen Sehen mit beweglichen Augen) auch stark von tradiert-konventionellen Faktoren abhängt: der Konvention nämlich, dass eben auf genau diese Weise das Sehen darzustellen sei (vgl. [Cassirer 1930a]). Zur Anwendung auf Bilder: Ein (komplexes) Beispiel
Aus bildwissenschaftlicher Perspektive spielen Ikonizität (insofern »Bild« und »Ähnlichkeit« zusammenhängen) und Indexikalität (vor allem bei den kausalen Bildgebungsverfahren) die grössere, aber keineswegs die alleinige Rolle. Auch bei Bilverwendungen treten zahlreiche symbolische Aspekte auf. Nöths Zuordnung der ikonischen Prototypikalität mit der nichtgegenständlichen Malerei in obigem Zitat mag zunächst verwundern, ist aber dem Umstand geschuldet, dass er die beiden Pole der Assoziation auf je spezielle Weise interpretiert: Mit solchen Bildträgern würde erstens nämlich nur auf eine Eigenschaft des jeweiligen Bildträgers verwiesen, was zweitens eben genau dem ursprünglichen Peirceschen genuinen Ikon entspricht. Allerdings sind einerseits andere Interpretationen des Phänomens ungegenständlicher Bilder möglich (⊳ Bild in reflexiver Verwendung, Abschnitt «Zusammenhänge mit anderen Begriffen»), und andererseits eine weiter gefasste Verwendungsweise von ‘Ikon’ bildphilosophisch durchaus üblicher. In der Praxis dürften prototypische Fälle von Ikonizität, Indexikalität oder Symbolhaftigkeit in der Tat weder bei Bildern noch auch bei anderen Zeichentypen häufig auftreten. Mischformen dominieren unseren Bild(Zeichen)gebrauch. Die Anwendung der drei Aspekte auf ein konkretes Beispiel mag besser verdeutlichen, wie vielfältig die semantischen Relationen letztendlich für einen einzigen Bildträger zusammenwirken: Abbildung 4 gibt das Schwarz-Weiß-Photo eines unbekannten Photographen wieder, das vermutlich in den letzten Tagen des Jahres 1945 aufgenommen wurde und im Hiroshima Peace Memorial Museum aufbewahrt wird. Zu sehen sind zwei Stufen einer steinernen Treppe, die zum Eingang des Gebäudes der Sumitomo-Bank im Zentrum der japanischen Stadt Hiroshima führt, sowie ein kleiner Ausschnitt der Wand des Gebäudes. Auf den Treppenstufen zeichnen sich schwärzliche Spuren im perspektivisch verzerrten Umriß eines menschlichen Körpers ab. Es wird angenommen, dass sie entstanden sind, als am 6. August 1945 um 8 Uhr 15 eine Atombombe die Stadt zerstörte und Druck, Hitze und Strahlung die verglühenden Überreste einer Person, die zufällig zu diesem Zeitpunkt vor dem Gebäude auf den Stufen stand, in den Stein eingebrannt haben. Ikonizität, Indexikalität und Symbolhaftigkeit der BeispielphotographieWegen der längeren, aber durchweg kausalen Kette von optischen, photochemischen und digitaltechnischen Transformationen, die den hier betrachteten Zeichenträger mit der Aufnahmesituation in Hiroshima zu einem unbekannten Zeitpunkt kurz nach der Bombenexplosion verbinden, hat das damit verwendete Zeichen offensichtlich Index-Charakter. Da zudem eine visuelle Ähnlichkeit zu den tatsächlichen Treppenstufen in Japan besteht, ist auch ein deutlicher ikonischer Anteil gegeben. Symbolhaftigkeit tritt hinzu, weil die Signifikanz dieses Bildes erst klar werden kann, wenn man es in seinen historischen Kontext einordnen kann: Zwar ist – ikonisch – eine Art menschlicher Schatten zu sehen, der – indexikalisch – als Teil einer real in Raum und Zeit existierenden (d.h. mit dem Hier und Jetzt der Rezeptionssituation kausal verbundenen) Szene verstanden wird, doch dass diese Photographie etwa auch als Zeichen für die schreckliche Gewalt einer Atombombenexplosion über bewohntem Gebiet dienen mag, erschließt sich nur in einem durch Konventionen etablierten Verständnisrahmen. Ikonizität, Indexikalität und Symbolhaftigkeit des abgebildeten “Schattens”Tatsächlich lassen sich Ikonizität, Indexikalität und Symbolhaftigkeiten in diesem Beispiel (wie übrigens bei fast allen Bildern) auch noch auf einer zweiten Ebene anwenden: Denn auch der “Schatten” selbst wird in der Regel ja zeichenhaft gelesen. Als Symptom der ihn verursachenden Explosion kann er als Index für alle der in der zu ihm führenden Kausalkette enthaltenen Faktoren verwendet werden: Dominant in dieser Hinsicht sind sicherlich die Person, die in jenem verhängnisvollen Augenblick an jener Stelle stand, die Strahlungen, die in jenem Moment den Schatten in den Stein brannten, sowie das Ereignis, das die Strahlung ausgelöst hat: die Explosion von «Little Boy».[25] Voraussetzung für eine solche indexikalische Zeichenverwendung mit einer dieser Bedeutungen ist die Einbettung des “Schattens” in eine kommunikative Interaktion (inklusive Selbstdarstellung des Senders) mit bewusster Kontrolle des kommunikativen Zwecks der Handlung (Reflexivierung inklusive Antizipation des Kommunikationspartners; ⊳ Bildrezeption als Kommunikationsprozess). Diese Bedingung ist auch erfüllt, wenn sich jemand selbst vor Ort mithilfe des “Schattens” auf die entsprechende Ursache aufmerksam macht. Insofern der “Schatten” eine gewisse Ähnlichkeit mit jenem Menschen hat, kann er zudem als ein ikonisches Zeichen für jenen stehen. Auch hier ist die Einbettung in den komplexen Handlungszusammenhang einer Zeichenverwendung Voraussetzung. Analog zur Verlängerung der indexikalischen Aspekte des Dargestellten durch die Indexikalität der Darstellung “verlängert” die Ikonizität des Bildes die ikonischen Aspekte des im Bild Dargestellten.[26] Als einem symbolischen Zeichen kann man sich dem “Schatten” schließlich zuwenden, wenn man damit etwa die eigene Aufmerksamkeit oder die eines anderen absichtlich auf den Sachverhalt lenken möchte, dass die Menschheit mit der in Hiroshima erstmals grauenvoll demonstrierten Fähigkeit, Atombomben über bewohnten Städten explodieren zu lassen, eine gefährliche Grenze überschritten hat. Ikonizität, Indexikalität und Symbolhaftigkeit des reflexiv genutzten PhotosEine dritte Bedeutungsebene ergibt sich, wenn wir in Betracht ziehen, dass jedes Bild auch dazu benutzt werden kann, als Zeichen für einen Aspekt des Zeichengebrauchs selbst zu dienen (⊳ Bild in reflexiver Verwendung). Eben dies ist ja unter anderem in diesem Glossarartikel mit dem Zeichenträger aus Abbildung 4 geschehen. Auch auf dieser Ebene können die drei Arten von Objektbezügen auftreten:
— In jedem konkreten Gebrauch des in Abbildung 4 wiedergegebenen Zeichenträgers können auf den erwähnten drei Zeichenebenen die drei von Peirce inspirierten Objektbezüge in jeweils verschiedenen Ausprägungen und variierenden Kombinationen die effektive Kommunikation semantisch prägen. Vor diesem Hintergrund ist die Vorstellung von einer einzigen »Bedeutung eines Bildträgers« bestenfalls stark verkürzt und stets abhängig von einer – meist nur implizit – als Standard festgelegten Referenzverwendungsweise, zu der ein Begriff von standardisierten Kommunizierenden mit bestimmtem Hintergrundwissen ebenso wie standardisierte Kommunikationsziele gehören (z.B. ikonische, nicht-reflexive Verwendung). Semiose – bei Peirce als fortlaufende Erzeugung weiterer Interpretanten gedacht, genauer: als Folge (mentaler) Zeichen, die die Bedeutung des ersten Zeichens elaborieren – kann offensichtlich auch noch in einem anderen Sinn verstanden werden: als ein sukzessives Ausarbeiten der verschiedenen Möglichkeiten, einen Zeichenträger als Zeichen zu verwenden. Für die Frage nach der Identität bildhafter Zeichen verschiebt sich der Fokus von einem am physischen Bildträger orientierten Kriterium zu einem an der jeweiligen Verwendungssituation orientierten Kriterium. Siehe auch:
|
Anmerkungen
[Birk et al. 2014a]:
Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Cassirer 1930a]: Cassirer, Ernst (2004). Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum (1930). In: B. Recki (Hg.): Ernst Cassirer: Gesammelte Werke, Bd. 17. Hamburg: Meiner, S. 411-436 [1931]. [Cassirer 2009a]: Verantwortlich: Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [61] und Klaus Sachs-Hombach [9] — (Hinweis) |