Technisches Bild
Unterpunkt zu: Bildverwendungstypen
Vom Bild zum TechnobildWenn man in heutiger Zeit vom technischen Bild spricht, meint man in der Regel das Technobild des Medien- und Kommunikationsphilosophen Vilém Flusser.[1] Flusser hat sich in einer Reihe von Arbeiten mit Bildern, der Bildproduktion, Technobildern und Design auseinandergesetzt. Um das Technobild im Sinne Flussers verstehen zu können, muss man die Einbettung kennen, die Flusser im Rahmen seiner medientheoretischen Überlegungen vorgenommen hat. Seine Ausarbeitungen hierzu stehen fest im Netz seiner Überlegung zur kulturellen, gesellschaftlichen und technischen Entwicklung. Technobilder – und ihre besondere Wahrnehmungsform, die Flusser Technoimagination nennt – sind verschieden zu herkömmlichen Bildern. Für eine Philosophie der Fotografie. Göttingen: European Photography. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 9). Die Bilder tragen eine besondere Zeitform in sich, die von der ewigen Wiederkehr des Gleichen bestimmt ist. Für Flusser ist es die Zeitform der Welt der Magie, einer Welt, in der sich alles wiederholt und alles in einem bedeutungsvollen Zusammenhang gestellt ist. Diese Welt und ihre Zeitform sind von der herkömmlichen historischen Linearität zu unterscheiden. Die Bedeutung der Bilder bezeichnet Flusser als magisch. Bilder sind keine objektiven Ereignisse, die die Wirklichkeit spiegeln oder reflektieren, sondern sie sind Vermittlungen zwischen der Welt und dem Menschen. Bilder stellen sich zwischen den Menschen und die Welt und entfernen ihn damit zugleich von dieser. Denn er findet seinen Zugang zur Welt nicht unmittelbar, sondern über die Vorstellungen von Welt, die er sich durch die Bilder macht. Mit der Erfindung der Schrift wurde das Bild dekonstruiert und anschließend in Zeilen rekonstruiert. Aber eine Weltannäherung wurde so nicht erreicht, sondern eine weitere Abstraktionsebene zwischen Mensch und Welt etabliert. Die Anordnung in Zeilen, das einer Linie folgende Voranschreiten, führte zum geschichtlichen Bewusstsein, die die zirkuläre Zeit des Bildes ablöste. Die Welt wurde nun in Linien und Zeilen geordnet. Technobilder kennzeichnen nunmehr einen weiteren Schritt in der Entfernung des Menschen von der unmittelbaren Welt, sie bilden eine weitere Abstraktionsebene, die weg von der Welt führt. Ein technisches Bild bzw. Technobilder, zu dem nicht nur die Fotografie als ältestes Technobild gehört, sondern auch der Film oder das Computerbild – sind ein von Apparaten erzeugtes Bild. Diese Bilder setzen sich in verschiedener Art vom herkömmlichen Bild ab und besitzen eine Reihe von Besonderheiten, die sich auf unsere Wirklichkeit legen bzw. diese durchdringen:
TechnobilderTechnische Bilder werden von Apparaten erzeugt. Apparate hingegen sind Erzeugnisse angewandter wissenschaftlicher Texte. Sie sind Materie gewordene Theorie und Formel. Daher handelt es sich bei technischen Bildern, als Produkt eines Apparates, um mittelbare Erzeugnisse wissenschaftlicher Texte. Die Schrift wiederum ist selbst eine Abstraktion der Welt. Sie ordnet die Bildelemente in Zeilen ab. Die Schrift ist daher nach Flusser noch eine Ebene weiter von der Welt entfernt als die alten, nicht-technischen Bilder. Denn Texte „bedeuten nicht die Welt, sie bedeuten die Bilder, die sie zerreißen“ ([Flusser 1983a]Flusser, Vilém (1983).Für eine Philosophie der Fotografie. Göttingen: European Photography. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 11), um auf die Welt zu blicken. „Texte entziffern heißt folglich, die von ihnen bedeuteten Bilder zu entdecken“ ([Flusser 1983a]Flusser, Vilém (1983). Für eine Philosophie der Fotografie. Göttingen: European Photography. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 11), die auf die Welt verweisen. Lob der Oberflächlichkeit. Für eine Phänomenologie der Medien. Bensheim, Düsseldorf: Bollmann. Eintrag in Sammlung zeigen). Das Bild steigt aus dem abstrakten Punktuniversum, aus einem reinen Punkteschwarm empor und wird durch die Einbildungskraft zu einem konkreten Bild. Ihre vermeintliche Ähnlichkeit mit der Welt verführt die Menschen zu dem Glauben und der Annahme einer Übereinstimmung von Welt und Technobildern. Aus diesem Grunde sind sie gefährlich, da sie die Illusion der Realität erzeugen, sich als Realität ausgeben, obwohl sie Begriffe und spezifische Anschauungen vermitteln. Denn die Techno-Bilder projizieren etwas und stellen nicht etwas dar. Technische Bilder sind Projektionen. „Sie fangen bedeutungslose Zeichen auf, die aus der Welt auf sie zukommen (Photonen, Elektronen), und sie codieren sie, um ihnen eine Bedeutung zu geben. Daher ist es falsch, bei ihnen zu fragen, was sie bedeuten [...]. Zu fragen bei ihnen ist, wozu sie das, was sie zeigen, bedeuten. Denn was sie zeigen, ist nur eine Funktion dessen, wozu sie bedeuten.“ ([Flusser 1999a]Flusser, Vilém (1999). Ins Universum der technischen Bilder. Göttingen: European Photography. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 54) Technische Bilder sind nunmehr Erfindungen, um Texte, die ja bereits eine Ableitung von der Welt darstellen, wieder magisch aufzuladen und vorstellbar zu machen. Ein herkömmliches, von einem Maler entworfenes Bild ist eine Abstraktion ersten Grades von der Welt. Texte sind Abstraktionen zweiten Grades, da sie das Bildhafte in Zeilen zerlegen und pressen, die dann linear gelesen werden müssen. Die technischen Bilder sind Abstraktionen dritten Grades, da sie von den abstrakten, wissenschaftlichen Texten, die sich in Form von Apparaten materialisieren, eine Abstraktion sind. Daraus ergibt sich für Flusser die kategorische Unterscheidung von vorgeschichtlich (klassisches Bild), geschichtlich (Texte) und nachgeschichtlich (technisches Bild). Für eine Philosophie der Fotografie. Göttingen: European Photography. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 14), da sie auf Texte basieren, ja Metacodes von Texten sind. Während beim traditionellen Bilder der Maler zwischen Welt und Betrachter des Bildes geschaltet war bzw. sich dazwischen geschoben hat, ist es beim technischen Bild nicht nur der Fotograf, sondern auch der Apparat, der in Form einer Blackbox mit In- und Output das Bild auswirft. Das komplexe Geschehen, die Codierung der Bilder, in der Blackbox bleibt rätselhaft verborgen. Der Fotograf sieht davon nichts. Die Apparate erfordern den Menschen als eine Funktion, z.B. um den Auslöser zu betätigen. Gleich einem Funktionär kontrolliert der Mensch scheinbar den Apparat, dank der Kontrolle seiner außen liegenden Tasten, die auf Programme und Funktionsabläufe im Inneren hindeuten, aber nichts weiter preisgeben. Der Apparat beherrscht durch die Undurchsichtigkeit seines Inneren den Menschen. Die Freiheit des Fotografen ist damit eine vorstrukturierte und programmierte Freiheit. Er kann nur das aufnehmen, was im Programm steht, die Bilder sind apparatgesättigt. Die Wahl des aufzunehmenden Objektes ist zwar frei, bildet aber letztlich eine Funktion des Programms des Apparats. Am Fotoapparat selbst ist das Entscheidende nicht das Material (Hardware), sondern die Software, das weiche Programm, welches letztlich die Möglichkeitsspielräume bestimmt. Aus diesem Grund kann die Fotografie nicht die Erfassung von Welt, sondern nur die Erforschung der Möglichkeiten des Programms sein. Kommunikologie. Frankfurt/Main: Fischer. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 210). Die Technobilder sind der neue Code, der um sich greift und in den Vordergrund tritt. Der Mensch muss lernen, die Programmierung und die Funktionsweise der Technobilder zu durchschauen. Dies kann ihm nur mit einer ausgebildeten Techno-Imagination, die zur Entschlüsselung und zum Verständnis der Technobilder nötig ist, gelingen, mit der er die Apparate wieder unter seine Herrschaft bekommt und nicht bloß eine Funktion des Apparates bleibt. Flusser definiert nun die Techno-Imagination wie folgt:
Lob der Oberflächlichkeit. Für eine Phänomenologie der Medien. Bensheim, Düsseldorf: Bollmann. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 153). Gegenwärtig sind wir, nach Flusser, gerade erst dabei, die Fähigkeit der Techno-Imagination auszubilden. Wir sind noch nicht fähig, gleich einem Analphabeten in einer Textwelt, uns in der Technobilderwelt zu orientieren. Denn unsere „Erlebnis-, Denk- und Wertkategorien“ ([Flusser 1993a]Flusser, Vilém (1993). Lob der Oberflächlichkeit. Für eine Phänomenologie der Medien. Bensheim, Düsseldorf: Bollmann. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 154) sind nach wie vor auf ein geschichtliches, linear-schriftliches Dasein ausgerichtet und noch nicht auf ein nachgeschichtliches, wie es sich durch das Aufkommen der Technobilder entwickelt hat. Da jede Codeform ein besonderes Existenzklima beinhaltet – das magische Dasein vermittelt durch die traditionellen Bilder und das historische durch Texte –, müssen wir „das historische Bewusstsein überschreiten“ ([Flusser 1993a]Flusser, Vilém (1993). Lob der Oberflächlichkeit. Für eine Phänomenologie der Medien. Bensheim, Düsseldorf: Bollmann. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 154), um uns in der Welt der Technobilder zurechtzufinden. |
Inhaltsverzeichnis
Anmerkungen
[Bidlo 2008a]: Bidlo, Oliver (2008). Vilém Flusser. Einführung. Essen: Oldib.
[Flusser 1983a]: Flusser, Vilém (1983). Für eine Philosophie der Fotografie. Göttingen: European Photography. [Flusser 1993a]: Flusser, Vilém (1993). Lob der Oberflächlichkeit. Für eine Phänomenologie der Medien. Bensheim, Düsseldorf: Bollmann. [Flusser 1999a]: Flusser, Vilém (1999). Ins Universum der technischen Bilder. Göttingen: European Photography. [Flusser 2003a]: Flusser, Vilém (2003). Kommunikologie. Frankfurt/Main: Fischer. Verantwortlich: Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [19], Mark A. Halawa [7] und Oliver Bidlo [6] — (Hinweis) |