Technisches Bild

Aus GIB - Glossar der Bildphilosophie
Version vom 1. Oktober 2011, 20:35 Uhr von Oliver Bidlo (Diskussion | Beiträge) (Darstellung des gr. Zusammenhangs)
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Unterpunkt zu: Bildverwendungstypen


Darstellung des gr. Zusammenhangs

Wenn man in heutiger Zeit vom technischen Bild spricht, meint man in der Regel das Technobild vom Medien- und Kommunikationsphilosophen Vilém Flusser. (1) Flusser hat sich in einer Reihe von Arbeiten mit Bildern, der Bildproduktion, Technobildern und Design auseinandergesetzt. Um das Technobild im Sinne Flussers verstehen zu können, muss man die Einbettung kennen, die Flusser im Rahmen seiner medientheoretischen Überlegungen vorgenommen hat. Seine Ausarbeitungen hierzu stehen fest im Netz seiner Überlegung zur kulturellen, gesellschaftlichen und technischen Entwicklung. Technobilder – und ihre besondere Wahrnehmungsform, die Flusser Technoimagination nennt – sind verschieden zu herkömmlichen Bildern. Traditionelle Bilder (z.B. die eines Malers) sind nach Flusser Flächen mit einer Bedeutung. Das Auge scannt die Oberfläche, um die Bedeutung des Bildes zu erschließen. Dieses Erfassen stellt eine Verbindung zweier Intentionen dar, nämlich jener, die sich im Bild manifestiert und jener des Betrachters. In diesem Zwischenspiel lassen Bilder Raum für Deutungen (vgl. Flusser 1983: 9). Die Bilder tragen eine besondere Zeitform in sich, die von der ewigen Wiederkehr des Gleichen bestimmt ist. Für Flusser ist es die Zeitform der Welt der Magie, einer Welt, in der sich alles wiederholt und alles in einem bedeutungsvollen Zusammenhang gestellt ist. Diese Welt und ihre Zeitform sind von der herkömmlichen historischen Linearität zu unterscheiden. Die Bedeutung der Bilder bezeichnet Flusser als magisch. Bilder sind keine objektiven Ereignisse, die die Wirklichkeit spiegeln oder reflektieren, sondern sie sind Vermittlungen zwischen der Welt und dem Menschen. Bilder stellen sich zwischen dem Menschen und der Welt und entfernen ihn damit zugleich von dieser. Denn er findet seinen Zugang zur Welt nicht unmittelbar, sondern über die Vorstellungen von Welt, die er sich durch die Bilder macht. Mit der Erfindung der Schrift wurde das Bild dekonstruiert und anschließend in Zeilen rekonstruiert. Aber eine Weltannäherung wurde so nicht erreicht, sondern eine weitere Abstraktionsebene zwischen Mensch und Welt etabliert. Die Anordnung in Zeilen, das einer Linie folgende Voranschreiten, führte zum geschichtlichen Bewusstsein, die die zirkuläre Zeit des Bildes ablöste. Die Welt wurde nun in Linien und Zeilen geordnet. Technobilder kennzeichnen nunmehr einen weiteren Schritt in der Entfernung des Menschen von der unmittelbaren Welt, sie bilden eine weitere Abstraktionsebene, die weg von der Welt führt. Ein technisches Bild bzw. Technobilder, zu dem nicht nur die Fotografie als ältestes Technobild gehört, sondern auch der Film oder das Computerbild – sind ein von Apparaten erzeugtes Bild. Und diese Bilder setzen sich in verschiedener Art vom herkömmlichen Bild ab und besitzen eine Reihe von Besonderheiten, die sich auf unsere Wirklichkeit legen bzw. diese durchdringen. „Die allgegenwärtigen technischen Bilder um uns herum sind daran, unsere ‚Wirklichkeit‘ magisch umzustrukturieren und in ein globales Bildszenarium umzukehren. Es geht hier um ein ‚Vergessen‘. Der Mensch vergißt, daß er es war, der die Bilder erzeugte, um sich an ihnen in der Welt zu orientieren, er kann sie nicht mehr entziffern und lebt von nun ab in Funktion seiner eigenen Bilder.“ (Flusser 1983: 19)

Engere Begriffsbestimmung

Technische Bilder werden von Apparaten erzeugt, Apparate hingegen sind Erzeugnisse angewandter wissenschaftlicher Texte. Sie sind Materie gewordene Theorie und Formel. Daher handelt es sich bei technischen Bildern, als Produkt eines Apparates, um mittelbare Erzeugnisse wissenschaftlicher Texte. Die Schrift wiederum ist selbst eine Abstraktion der Welt. Sie ordnet die Bildelemente in Zeilen ab. Die Schrift ist daher nach Flusser noch eine Ebene weiter von der Welt entfernt als die alten, nicht-technischen Bilder. Denn Texte „bedeuten nicht die Welt, sie bedeuten die Bilder, die sie zerreißen“, um auf die Welt zu blicken. „Texte entziffern heißt folglich, die von ihnen bedeuteten Bilder zu entdecken,“ (Flusser 1983: 11) die auf die Welt verweisen. Beschaut man ein Technobild ganz aus der Nähe, so wird deutlich, dass es aus Punktelementen besteht und nicht aus einer Fläche. Man muss sich aus den Punkten das Bild einbilden, um es sehen zu können. Und dafür muss man das Bild oberflächlich beschauen, denn wenn man es genau ansieht, erkennt man nur noch die einzelnen Bildpunkte, die letztlich Symptome chemischer oder elektronischer Prozesse sind. Daher spricht Flusser vom „Lob der Oberflächlichkeit“. Das Bild steigt aus dem abstrakten Punktuniversum, aus einem reinen Punkteschwarm empor und wird durch die Einbildungskraft zu einem konkreten Bild. Ihre vermeintliche Ähnlichkeit mit der Welt verführt die Menschen zu dem Glauben und der Annahme einer Übereinstimmung von Welt und Technobildern. Aus diesem Grunde sind sie gefährlich, da sie die Illusion der Realität erzeugen, sich als Realität ausgeben, obwohl sie Begriffe und spezifische Anschauungen vermitteln. Denn die Techno-Bilder projizieren etwas und stellen nicht etwas dar. Technische Bilder sind Projektionen. „Sie fangen bedeutungslose Zeichen auf, die aus der Welt auf sie zukommen (Photonen, Elektronen), und sie codieren sie, um ihnen eine Bedeutung zu geben. Daher ist es falsch, bei ihnen zu fragen, was sie bedeuten [...]. Zu fragen bei ihnen ist, wozu sie das, was sie zeigen, bedeuten. Denn was sie zeigen, ist nur eine Funktion dessen, wozu sie bedeuten.“ (Flusser 1999: 54) Technische Bilder sind nunmehr Erfindungen, um Texte, die ja bereits eine Ableitung von der Welt darstellen, wieder magisch aufzuladen und vorstellbar zu machen. Ein herkömmliches, von einem Maler entworfenes Bild ist eine Abstraktion ersten Grades von der Welt. Texte sind Abstraktionen zweiten Grades, da sie das Bildhafte in Zeilen zerlegen und pressen, die dann linear gelesen werden müssen. Die technischen Bilder sind Abstraktionen dritten Grades, da sie von den abstrakten, wissenschaftlichen Texten, die sich in Form von Apparaten materialisieren, eine Abstraktion sind. Daraus ergibt sich für Flusser die kategorische Unterscheidung von vorgeschichtlich (klassisches Bild), geschichtlich (Texte) und nachgeschichtlich (technisches Bild). Ein interessanter Umstand ist in diesem Zusammenhang die scheinbare Objektivität der technischen Bilder. Sie bilden die Wirklichkeit vermeintlich objektiv und unmittelbar ab, so dass sie auf der gleichen Wirklichkeitsebene wie ihre Bedeutung zu liegen scheinen. Sie werden von den Menschen zunächst nicht als Symbole begriffen, sondern vielmehr als reine und unverstellte Fenster zur Welt. Und da der Mensch ihnen traut wie seinen Augen, kritisiert er sie nicht, sondern nimmt sie ungedeutet als eine unmittelbare Weltanschauung wahr. Darin sieht Flusser einen Fehler und eine Gefahr, denn die Techno-Bilder sind nicht nur nicht objektiv, sondern „stellen noch weit abstraktere Symbolkomplexe dar als die traditionellen Bilder“, (Flusser 1983: 14) da sie auf Texte basieren, ja Metacodes von Texten sind. Während beim traditionellen Bilder der Maler zwischen Welt und Betrachter des Bildes geschaltet war bzw. sich dazwischen geschoben hat, ist es beim technischen Bild nicht nur der Fotograf, sondern auch der Apparat, der in Form einer Blackbox mit In- und Output das Bild auswirft. Das komplexe Geschehen, die Codierung der Bilder, in der Blackbox bleibt rätselhaft verborgen. Der Fotograf sieht davon nichts. Die Apparate erfordern den Menschen als eine Funktion, z.B. um den Auslöser zu betätigen. Gleich einem Funktionär kontrolliert der Mensch scheinbar den Apparat, dank der Kontrolle seiner außen liegenden Tasten, die auf Programme und Funktionsabläufe im Inneren hindeuten, aber nichts weiter preisgeben. Der Apparat beherrscht durch die Undurchsichtigkeit seines Inneren den Menschen. Die Freiheit des Fotografen ist damit eine vorstrukturierte und programmierte Freiheit. Er kann nur das aufnehmen, was im Programm steht, die Bilder sind apparatgesättigt. Die Wahl des aufzunehmenden Objektes ist zwar frei, bildet aber letztlich eine Funktion des Programms des Apparats. Am Fotoapparat selbst ist das Entscheidende nicht das Material (Hardware), sondern die Software, das weiche Programm, welches letztlich die Möglichkeitsspielräume bestimmt. Aus diesem Grund kann die Fotografie nicht die Erfassung von Welt, sondern nur die Erforschung der Möglichkeiten des Programms sein. Die Technobilder stellen eine neu Form der Codierung der Welt dar, die von den Menschen eine neue Form der Einbildungskraft fordern, um sie interpretieren und gänzlich verstehen zu können. Der Mensch muss die durch ihn selbst kodifizierte Welt, d.h. die wirkliche Welt, die mit Sinn angefüllt wurde, wieder neu zu erfassen lernen. Denn der Mensch ist ein der Welt entfremdetes Wesen und sucht mittels selbst hervorgebrachter Codes wieder mit der Welt in Verbindung zu kommen. Die Codes und die vom Menschen gesponnene kodifizierte Welt sollen dem Menschen Sinn vermitteln, der in der Welt, in die er durch Geburt geworfen ist, nicht vorhanden ist. Symbolgebung und Codeerzeugung, das Spinnen einer Sinnwelt rettet den Menschen vor dem Wissen um seinen (unvermeidlichen) Tod, vor dem Zuströmen hin zur Entropie. Und dieser Vorgang des Sinnentwerfens vollzieht sich durch Kommunikation über Codes mit anderen Menschen. Erst in Kommunikation mit Anderen webt sich das Netz der Sinnwelt, die die wirkliche, sinnlose Welt verschleiert. Aber diese Sinnwelt, die dem Menschen seine Existenz- und Todesangst nehmen soll, führt in dem Augenblick zu einer Krise, wenn der Mensch vergisst, dass diese ihn umgebene Welt auf einer Vereinbarung (Codes, Symbole) beruht und er diese nicht mehr entziffern und recht deuten kann. Somit wird deutlich, „daß Symbole nicht nur ihre Bedeutung zeigen, sondern sie auch verdecken, daß sie also nicht nur als sinngebend, sondern auch als wahnsinngebend funktionieren.“ (Flusser 2003: 210) Die Technobilder sind der neue Code, der um sich greift und in den Vordergrund tritt. Der Mensch muss lernen, die Programmierung und die Funktionsweise der Technobilder zu durchschauen. Dies kann ihm nur mit einer ausgebildeten Techno-Imagination, die zur Entschlüsselung und zum Verständnis der Technobilder nötig ist, gelingen, mit der er die Apparate wieder unter seine Herrschaft bekommt und nicht bloß eine Funktion des Apparates bleibt. Flusser definiert nun die Techno-Imagination wie folgt:

„‚Techno-Imagination‘ soll nun die Fähigkeit genannt werden, durch Apparate erzeugte Bilder (‚Technobilder‘) zu verschlüsseln und zu entziffern. [Dem] liegt die Hypothese zugrunde, daß sich diese Fähigkeit von der traditionellen Imagination radikal unterscheidet.“ (Flusser 1993: 153)

In unserer Zeit sind es die Technobilder und nicht mehr die Texte, die in der kodifizierten Welt die meisten Botschaften übermitteln. Und daher wird es für die Menschen überlebenswichtig, „die unsere Welt betreffenden Botschaften ‚richtig‘ zu senden und zu empfangen“ (Flusser 1993: 153). Gegenwärtig sind wir, nach Flusser, gerade erst dabei, die Fähigkeit der Techno-Imagination auszubilden. Wir sind noch nicht fähig, gleich einem Analphabeten in einer Textwelt, uns in der Technobilderwelt zu orientieren. Denn unsere „Erlebnis-, Denk- und Wertkategorien“ (Flusser 1993: 154) sind noch auf ein geschichtliches, linear-schriftliches Dasein ausgerichtet und noch nicht auf ein nachgeschichtliches, wie es sich durch das Aufkommen der Technobilder entwickelt hat. Da jede Codeform ein besonderes Existenzklima beinhaltet – das magische Dasein vermittelt durch die traditionellen Bilder und das historische durch Texte –, müssen wir „das historische Bewusstsein überschreiten“ (Flusser 1993: 154), um uns in der Welt der Technobilder zurechtzufinden.

1 Die nachfolgenden Ausführungen lehnen sich an die entsprechenden Kapitel des Buches folgenden Buches an: Bidlo, Oliver (2008): Vilém Flusser. Einführung. Oldib Verlag, Essen. Mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

Literatur:

Bidlo, Oliver (2008): Vilém Flusser. Einführung. Oldib Verlag, Essen

Flusser, Vilém (1983): Für eine Philosophie der Fotografie. European Photography, Göttingen

Flusser, Vilém (1993): Lob der Oberflächlichkeit. Für eine Phänomenologie der Medien. Bollmann Verlag, Bensheim, Düsseldorf

Flusser, Vilém (1999): Ins Universum der technischen Bilder. European Photography, Göttingen

Flusser, Vilém (2003): Kommunikologie. Fischer Taschenbuch, Frankfurt/Main


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Verantwortlich:

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Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [19], Mark A. Halawa [7] und Oliver Bidlo [6] — (Hinweis)