Virtualität: Unterschied zwischen den Versionen
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− | Der Ausdruck ‘Virtualität’ leitet sich vom lateinischen ‘virtus’ ab (vgl. <bib id='Stowasser et al. 1998a'></bib>: S. 554); ‘virtus’ gibt in und nach der lateinischen Bibelübersetzung die griechischen Wörter ‘dynamis’ (δύναμις) bzw. ‘dynatos’ (δυνατός) wieder (vgl. <bib id='Gemoll & Vretska 2006a'></bib>: S. 239-240) und fügt den Grundbedeutungen von | + | Der Ausdruck ‘Virtualität’ leitet sich vom lateinischen ‘virtus’ ab (vgl. <bib id='Stowasser et al. 1998a'></bib>: S. 554); ‘virtus’ gibt in und nach der lateinischen Bibelübersetzung die griechischen Wörter ‘dynamis’ (δύναμις) bzw. ‘dynatos’ (δυνατός) wieder (vgl. <bib id='Gemoll & Vretska 2006a'></bib>: S. 239-240) und fügt den Grundbedeutungen von »Tugend«, »Mannheit«, »Tüchtigkeit«, »Sittlichkeit« und »Tapferkeit« noch den Aspekt der »Kraft«, des »Vermögens«, hinzu (vgl. <bib id='Okolowitz 2006a'></bib>: S. 35f.; vgl. <bib id='Roth 2000a'></bib>: S. 33f.). |
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Im modernen Verständnis bezieht sich Virtualität auf das Feld der Möglichkeit. In dieser Perspektive kommen dem Adjektiv ‘virtuell’ folgende Bedeutungen zu: »entsprechend seiner Anlage als Möglichkeit vorhanden«, »die Möglichkeit zu etwas in sich begreifend« (<bib id='Duden 2013a'></bib>: S. 4331) und »nicht echt, nicht in Wirklichkeit vorhanden, aber echt erscheinend« (<bib id='Duden 2013a'></bib>: S. 4331). | Im modernen Verständnis bezieht sich Virtualität auf das Feld der Möglichkeit. In dieser Perspektive kommen dem Adjektiv ‘virtuell’ folgende Bedeutungen zu: »entsprechend seiner Anlage als Möglichkeit vorhanden«, »die Möglichkeit zu etwas in sich begreifend« (<bib id='Duden 2013a'></bib>: S. 4331) und »nicht echt, nicht in Wirklichkeit vorhanden, aber echt erscheinend« (<bib id='Duden 2013a'></bib>: S. 4331). |
Version vom 16. Januar 2013, 23:27 Uhr
Unterpunkt zu: Medientheorien: Übersicht
Etymologie und WortbedeutungDer Ausdruck ‘Virtualität’ leitet sich vom lateinischen ‘virtus’ ab (vgl. [Stowasser et al. 1998a]Literaturangabe fehlt.Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. : S. 554); ‘virtus’ gibt in und nach der lateinischen Bibelübersetzung die griechischen Wörter ‘dynamis’ (δύναμις) bzw. ‘dynatos’ (δυνατός) wieder (vgl. [Gemoll & Vretska 2006a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. : S. 239-240) und fügt den Grundbedeutungen von »Tugend«, »Mannheit«, »Tüchtigkeit«, »Sittlichkeit« und »Tapferkeit« noch den Aspekt der »Kraft«, des »Vermögens«, hinzu (vgl. [Okolowitz 2006a]Okolowitz, Herbert (2006). Virtualität bei G.W. Leibniz. Eine Retrospektive.. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 35f.; vgl. [Roth 2000a]Roth, Peter (2000). Virtualis als Sprachschöpfung mittelalterlicher Theologen. In Die Anwesenheit des Abwesenden. Theologische Annäherungen an Begriff und Phänomene von Virtualität, 33-42. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 33f.). Im modernen Verständnis bezieht sich Virtualität auf das Feld der Möglichkeit. In dieser Perspektive kommen dem Adjektiv ‘virtuell’ folgende Bedeutungen zu: »entsprechend seiner Anlage als Möglichkeit vorhanden«, »die Möglichkeit zu etwas in sich begreifend« ([Duden 2013a]Literaturangabe fehlt.
BegriffsstrukturBei Bergson allerdings – wie schon zuvor bei Leibniz und später erneut bei Deleuze – findet sich die Abgrenzung des Virtuellen vom Möglichen, denn „das so verstandene Mögliche gehört in keinem Grad zum Virtuellen“ ([Bergson 1948a]Bergson, Henri (1948).Das Mögliche und das Wirkliche. In Denken und Schöpferisches Werden. Aufsätze und Vorträge, 110-125. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 122). Clara Völker erklärt diese Aussage in ihrer Ideengeschichte der Virtualität folgendermaßen: „Während das Mögliche zeitlich nach dem Wirklichen entsteht, [...] ist das Virtuelle zeitlich vor dem Wirklichen existent, [...] und tritt nur durch etwas Aktuelles in Erscheinung“ ([Völker 2010a]Völker, Clara (2010). Mobile Medien. Zur Genealogie des Mobilfunks und zur Ideengeschichte von Virtualität. Bielefeld: Transcript. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 210). Dies zeigt, dass der Versuch, Realität und Virtualität durch Begriffe wie Potentialität, Möglichkeit, Wirklichkeit, dynamis oder energeia klar voneinander abzugrenzen, kaum durchzuhalten ist. Eine simple Zweiteilung ist schon in der Philosophie des Aristoteles problematisch, dessen Begriffe der dynamis (Vermögen) und energeia (wirkliche Tätigkeit) als die Bausteine der Wirklichkeit sich nicht gegenüberstehen, sondern zusammengedacht werden müssen. In der Verbindung der Konzepte »Realität« und »Virtualität« kommt dem Begriff der virtuellen Realität (siehe auch ⊳ Cyberspace) schließlich eine technikbasierte Eigenbedeutung zu, als „virtuelle Realität (vom Computer simulierte Wirklichkeit, künstliche Welt, in die sich jemand mithilfe der entsprechenden technischen Ausrüstung scheinbar hineinversetzen kann; nach englisch virtual reality)“ ([Duden 2013a]Literaturangabe fehlt.
Mentale Virtualität und Theorie der SubjektivitätIm modernen Kontext der Konstitution von Subjektivität und deren Analyse gewinnt der Begriff der Virtualität eine komplexe Bedeutungsebene hinzu. Gemäß der Selbstmodell-Theorie der Subjektivität gehört Virtualität zum mentalen Paradigma der Konstitution von Selbstbewusstsein, da „so etwas wie Selbste in der Welt“ ([Metzinger 2000a]Metzinger, Thomas (2000).Philosophische Perspektiven auf das Selbstbewusstsein: Die Selbstmodell-Theorie der Subjektivität. In Psychologie des Selbst, Zitiert aus der überarbeiteten Online-Version. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 1) nicht existieren. Es existieren nur das erlebte Ichgefühl und variable Inhalte des Selbstbewusstseins, die quasi virtuell in mentalen Modellen organisiert sind. Die ontologische Vorhandenheit des Ich bzw. der alltagspsychologische Zusammenhang des Ich lässt sich als phänomenales „Selbst“ klassifizieren, als „der im subjektiven Erleben unmittelbar gegebene Inhalt des Selbstbewusstseins“ ([Metzinger 2000a]Metzinger, Thomas (2000). Philosophische Perspektiven auf das Selbstbewusstsein: Die Selbstmodell-Theorie der Subjektivität. In Psychologie des Selbst, Zitiert aus der überarbeiteten Online-Version. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 6). Die Selbstmodelle fungieren als virtuelle Elemente und der Besitz von „immer besseren Selbstmodellen als einer neuen Art von „virtuellen Organen“ ermöglichte – diesen Punkt darf man nicht übersehen – überhaupt erst die Bildung von Gesellschaften“ ([Metzinger 2000a]Metzinger, Thomas (2000). Philosophische Perspektiven auf das Selbstbewusstsein: Die Selbstmodell-Theorie der Subjektivität. In Psychologie des Selbst, Zitiert aus der überarbeiteten Online-Version. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 6). Philosophische Perspektiven auf das Selbstbewusstsein: Die Selbstmodell-Theorie der Subjektivität. In Psychologie des Selbst, Zitiert aus der überarbeiteten Online-Version. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 22). In dieser Perspektive zeigt sich Virtualität in mentaler statt technischer Fundierung: „Die zeitgenössische Begeisterung für das Vordringen des Menschen in künstliche virtuelle Welten übersieht, dass wir uns immer schon in einem biologisch generierten „Phenospace“ befinden: Innerhalb einer durch mentale Simulation erzeugten virtuellen Realität“ ([Metzinger 2000a]Metzinger, Thomas (2000). Philosophische Perspektiven auf das Selbstbewusstsein: Die Selbstmodell-Theorie der Subjektivität. In Psychologie des Selbst, Zitiert aus der überarbeiteten Online-Version. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 243).
Virtuelle Realität als technisches Konstrukt (Bildansätze)Niklas Luhmann ist es, der Ende des 20. Jahrhunderts Virtualität und moderne Medientechnologien zusammendenkt und das Medium als „reine Virtualität“ ([Luhmann 1993a]Luhmann, Niklas (1993).Die Form der Schrift. In Schrift, 349-366. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 356) bezeichnet – als pure Potentialität und Möglichkeit. Während Luhmann sein Verständnis von Virtualität noch an jedes beliebige Medium koppelt, weitet sich durch die Entwicklung moderner mobiler Medien eine Sichtweise aus, die Virtualität immer stärker mit den digitalen Medien in Verbindung bringt. Durch Vaihingers Aufsatz «Virtualität und Realität – Die Fiktionalisierung der Wirklichkeit und die unendliche Information» (1997) kommt es schließlich zu einer Verwechslung bzw. Vermischung der Begrifflichkeiten »Virtualität«, »Simulation« und »Virtueller Realität« und somit zu einer Beschränkung des Begriffs auf die digitalen Medien. Aus dieser Perspektive wird Virtualität als eine neue konstruierte Wirklichkeit angesehen, die der Realität entgegensteht. Virtualität und Realität – Die Fiktionalisierung der Wirklichkeit und die unendliche Information. In Künstliche Paradiese, Virtuelle Realitäten. Künstliche Räume in Literatur-, Sozial-, und Naturwissenschaften, 19-43. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 21), die in Abhängigkeit von den Elementen Bild, Raum und Interaktivität konstituiert wird. Generell werden Konstrukte wie Computerspiele, online games oder chatrooms zu den besonders populären Ausprägungen virtueller Realitäten gezählt, da hier eine Konzeption von bildlich vermitteltem Raum (Anwesenheitsraum) wirksam ist, „der nicht existiert, aber dennoch in unsere Realität hineinwirkt – also virtuell ist“ ([Schwingeler 2008a]Schwingeler, Stephan (2008). Die Raummaschine. Raum und Perspektive im Computerspiel. Boizenburg: Werner Hülsbusch, (Reihe Game Studies). Eintrag in Sammlung zeigen: S. 11). Virtuelle Realität bzw. virtuelle Räume sind demnach davon abhängig, dass sie einerseits über eine bildliche Darstellungsfunktion verfügen, darüber hinaus aber „als Räume leiblicher Anwesenheit erfahren werden können“ ([Böhme 2004a]Böhme, Gernot (2004). Der Raum leiblicher Anwesenheit und der Raum als Medium von Darstellung. In Performativität und Medialität. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 139). Die Raummaschine. Raum und Perspektive im Computerspiel. Boizenburg: Werner Hülsbusch, (Reihe Game Studies). Eintrag in Sammlung zeigen: S. 142). Durch diese freie Perspektivwahl wird das Bild zum „Bildraum und Ereignisfeld. Der Betrachter wird zum User. Der dargestellte Raum und der Raum der leiblichen Anwesenheit werden miteinander verschränkt“ ([Schwingeler 2008a]Schwingeler, Stephan (2008). Die Raummaschine. Raum und Perspektive im Computerspiel. Boizenburg: Werner Hülsbusch, (Reihe Game Studies). Eintrag in Sammlung zeigen: S. 147). Living Virtually. Researching New Worlds. New York: Peter Lang Publishing, (Digital Formations vol. 47). Eintrag in Sammlung zeigen: S. 134). Die Partizipationsmöglichkeiten sind dementsprechend komplex und gestützt durch ein dichtes Netz virtueller Infrastrukturen, die Identitätsbildung, Kultur- und Subkulturbildung, flexible Geschlechterorientierung, Landerwerb, Bildungsstrukturen, Vergnügungs- und Luxusbedürfnisse, Kommunikationsprozesse, Produktionsprozesse, kommerzielle Transaktionen (inklusive einer eigenen Währung, den L$ = Linden-Dollars), Besteuerung, Markenetablierung und politische Maßnahmen ermöglichen. Die komplexen Strukturen innerhalb von «Second Life» konstituieren ein “zweites Leben” für den Rezipienten: „Virtual worlds have real consequences“ ([Heider 2009a]Heider, Don (2009). Living Virtually. Researching New Worlds. New York: Peter Lang Publishing, (Digital Formations vol. 47). Eintrag in Sammlung zeigen: S. 23), demnach sind alle potentiell erlebbaren Elemente und Situationen „as “real” as anything we might experience in our day-to-day “real” lives. Virtual objects can hold the same meaning for people as real objects. Relationships formed in a virtual world […] can have emotional impact on people quite similar to the impact of relationships in the flesh” ([Heider 2009a]Heider, Don (2009). Living Virtually. Researching New Worlds. New York: Peter Lang Publishing, (Digital Formations vol. 47). Eintrag in Sammlung zeigen: S. 134).
Virtualität und FiktionEine Fiktion ist die Darstellung eines Sachverhalts ohne überprüfbare Referenz zu einem real stattgefundenen Ereignis, d.h. ohne notwendigen Wirklichkeitsbezug. Nach Aristoteles ist es nicht Aufgabe der Fiktion, das mitzuteilen, was wirklich geschehen ist, sondern vielmehr nachahmend darzustellen, „was geschehen könnte, d.h. das nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit Mögliche“ ([Aristoteles 1997a]Literaturangabe fehlt. Artifizielle Präsenz. Studien zur Philosophie des Bildes. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 121). Der fiktionale Text ist dabei in einem doppelten Sinne als virtuell anzusehen. Eco bezeichnet den Text als „eine Maschine, um mögliche Welten zu produzieren“ ([Eco 1998b]Literaturangabe fehlt. Eine mögliche Welt ist demnach die Darstellung eines Zustandes, der eine Alternative zum aktuellen Zustand bildet. Johnson-Laird wendet diesen Begriff jedoch nicht nur auf die aktuellen mentale Repräsentate an, welche die real existierende Welt abbilden, sondern auch auf die mentalen Simulationen von Weltzuständen, die ebenfalls mögliche Weltzustände abbilden, wie z.B. Hypothesen über den weiteren Verlauf eines Tages oder eben Vorstellungen über die fiktive Welt eines Romans oder Filmes. Ebenso sind digitale virtuelle Realitäten als mögliche Welten – als Simulationen bzw. Nachahmungen einer Welt – und damit als fiktionale Welten zu denken. Sie sind als Realitäten anderer Art zu verstehen, die neben unser realen Realität existieren. Fiktionen wie Virtualitäten sind weder wahr noch falsch – sie sind lediglich möglich bzw. wahrscheinlich. Allerdings will die virtuelle Wirklichkeit keine fiktionale Wirklichkeit repräsentieren, sondern sie will dem Beobachter die Realität der Fiktion präsentieren. Während eine Fiktion immer den Bezug zu der Perspektive desjenigen voraussetzt, der sie geschaffen hat, ist die virtuelle Realität unabhängig von der Perspektive, desjenigen, der sie geschaffen hat (vgl. [Esposito 1998a]Literaturangabe fehlt.
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Anmerkungen
[Aristoteles 1997a]:
Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Bergson 1948a]: Bergson, Henri (1948). Das Mögliche und das Wirkliche. In: Bergson, H. (Hg.): Denken und Schöpferisches Werden. Aufsätze und Vorträge. Meisenheim am Glan: Hain, S. 110-125. [Böcking 2008a]: Verantwortlich: Seitenbearbeitungen durch: Patrick Kruse [27], Joerg R.J. Schirra [24], Lars Grabbe [24], Dimitri Liebsch [18] und Franziska Kurz [4] — (Hinweis) |