Visual Culture / Visual Studies: Unterschied zwischen den Versionen
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John A. Walker und Sarah Chaplin verwenden eine analoge Unterscheidung, sprechen sich jedoch anstatt für die Bezeichnung ‘visual studies’ für ‘visual culture studies’ aus (<bib id='Walker & Chaplin 1997a'></bib>: S. 1).<ref> Diesem Sprachgebrauch folgen etwa auch Joanne Morra und Marquard Smith für ihre vierbändige Edition von Grundlagentexten (vgl. dazu <bib id='Morra & Smith 2006a'></bib>: S. 1).</ref> | John A. Walker und Sarah Chaplin verwenden eine analoge Unterscheidung, sprechen sich jedoch anstatt für die Bezeichnung ‘visual studies’ für ‘visual culture studies’ aus (<bib id='Walker & Chaplin 1997a'></bib>: S. 1).<ref> Diesem Sprachgebrauch folgen etwa auch Joanne Morra und Marquard Smith für ihre vierbändige Edition von Grundlagentexten (vgl. dazu <bib id='Morra & Smith 2006a'></bib>: S. 1).</ref> | ||
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− | Um terminologische Eindeutigkeit zu gewährleisten und auch um die | + | Um terminologische Eindeutigkeit zu gewährleisten und auch um die Umständlichkeit des Ausdrucks ‘visual culture studies’ zu vermeiden (vgl. dazu <bib id='Elkins 2003a'></bib>: S. 7), wird im Folgenden ‘visual culture’ für das Objekt der Untersuchung und ‘visual studies’ für den wissenschaftlichen Zugriff auf dieses Objekt verwendet. |
=====Disziplin, Interdisziplinarität, “Undiszipliniertheit”===== | =====Disziplin, Interdisziplinarität, “Undiszipliniertheit”===== | ||
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:''„It was to focus on notions about vision (the mechanism of the eye), on image-making devices (the microscope, the [[camera obscura|Camera obscura]]) and on visual skills (map makings, but also experimenting) as cultural resources related to the practice of painting“'' (Alpers in <bib id='VCQ 1996a'></bib>: S. 26). | :''„It was to focus on notions about vision (the mechanism of the eye), on image-making devices (the microscope, the [[camera obscura|Camera obscura]]) and on visual skills (map makings, but also experimenting) as cultural resources related to the practice of painting“'' (Alpers in <bib id='VCQ 1996a'></bib>: S. 26). | ||
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− | Ebenfalls Fakt – wenngleich weitgehend übersehen – ist, dass der Begriff in Medienwissenschaft und Filmtheorie schon weitaus länger eine Rolle spielt. In Marshall McLuhans «Understanding Media» von 1964 meint er entweder eine Strukturierung ähnlich derjenigen bei Alpers oder (seltener) auch eine vom Visuellen dominierte gesellschaftliche Epoche, wobei in beiden Fällen Medien wie phonetischer Schrift, Buchdruck, Fernsehen usw. ein starker Einfluss eingeräumt wird (vgl. <bib id='McLuhan 1964b'></bib>: S. 54, 127ff., u.ö.). Noch früher lässt sich »visuelle Kultur« in der Filmtheorie nachweisen. In «Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films» von 1924 antizipiert Béla Balázs die beiden Verwendungsweisen McLuhans und sieht im (Stumm-)Film eine Stärkung der durch den Buchdruck marginalisierten visuellen Kultur gekommen (vgl. <bib id=' Balázs 2001b'></bib>: S. 224ff. und <bib id='Liebsch 2007a'></bib>: S. 16).<ref>Bei einer weniger an Kontinuitäten orientierten Darstellung wären nicht nur die gravierenden Unterschiede zwischen McLuhan und Balázs zu berücksichtigen, sondern auch Differenzen in der Fragestellung von Kunstgeschichte einerseits und Medienwissenschaft und Filmtheorie andererseits. Alpers’ Position liegt eine ästhetische Frage zugrunde (‹wie manifestiert sich eine besondere visuelle Kultur in der Kunst?›) bei denjenigen von McLuhan und Balázs hingegen eine anthropologische und/oder soziale (‹welche Effekte hat eine besondere visuelle Kultur auf den Menschen und/oder die Gesellschaft?›).</ref> | + | Ebenfalls Fakt – wenngleich weitgehend übersehen – ist, dass der Begriff in Medienwissenschaft und Filmtheorie schon weitaus länger eine Rolle spielt. In Marshall McLuhans «Understanding Media» von 1964 meint er entweder eine kulturelle Strukturierung ähnlich derjenigen bei Alpers oder (seltener) auch eine vom Visuellen dominierte gesellschaftliche Epoche, wobei in beiden Fällen Medien wie phonetischer Schrift, Buchdruck, Fernsehen usw. ein starker Einfluss eingeräumt wird (vgl. <bib id='McLuhan 1964b'></bib>: S. 54, 127ff., u.ö.). Noch früher lässt sich »visuelle Kultur« in der Filmtheorie nachweisen. In «Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films» von 1924 antizipiert Béla Balázs die beiden Verwendungsweisen McLuhans und sieht im (Stumm-)Film eine Stärkung der durch den Buchdruck marginalisierten visuellen Kultur gekommen (vgl. <bib id=' Balázs 2001b'></bib>: S. 224ff. und <bib id='Liebsch 2007a'></bib>: S. 16).<ref>Bei einer weniger an Kontinuitäten orientierten Darstellung wären nicht nur die gravierenden Unterschiede zwischen McLuhan und Balázs zu berücksichtigen, sondern auch Differenzen in der Fragestellung von Kunstgeschichte einerseits und Medienwissenschaft und Filmtheorie andererseits. Alpers’ Position liegt eine ästhetische Frage zugrunde (‹wie manifestiert sich eine besondere visuelle Kultur in der Kunst?›) bei denjenigen von McLuhan und Balázs hingegen eine anthropologische und/oder soziale (‹welche Effekte hat eine besondere visuelle Kultur auf den Menschen und/oder die Gesellschaft?›).</ref> |
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Unter die Vorgeschichten der Visual Studies fallen auch die ab den 1950er Jahren entwickelten Cultural Studies. Von diesen übernehmen die Visual Studies neben Interdisziplinarität und “Undiszipliniertheit” auch den facettenreichen Kulturbegriff. Kultur lässt sich demnach erstens nicht mehr erschöpfend als ein normatives Projekt beschreiben, so wie es noch Matthew Arnold konnte, der die Formel prägte: „the best which has been thought and known in the world“ (<bib id='Arnold 1869a'></bib>: S. 70); Kultur umfasst vielmehr außer der Hochkultur einen „whole way of life“ (<bib id='Williams 1958a'></bib>: S. 92f.), der das Gewöhnliche und den Alltag mit einschließt. Zweitens stehen neben den Artefakten oft die Praktiken im Fokus, und zwar insbesondere die Praktiken der Bedeutungserzeugung: | Unter die Vorgeschichten der Visual Studies fallen auch die ab den 1950er Jahren entwickelten Cultural Studies. Von diesen übernehmen die Visual Studies neben Interdisziplinarität und “Undiszipliniertheit” auch den facettenreichen Kulturbegriff. Kultur lässt sich demnach erstens nicht mehr erschöpfend als ein normatives Projekt beschreiben, so wie es noch Matthew Arnold konnte, der die Formel prägte: „the best which has been thought and known in the world“ (<bib id='Arnold 1869a'></bib>: S. 70); Kultur umfasst vielmehr außer der Hochkultur einen „whole way of life“ (<bib id='Williams 1958a'></bib>: S. 92f.), der das Gewöhnliche und den Alltag mit einschließt. Zweitens stehen neben den Artefakten oft die Praktiken im Fokus, und zwar insbesondere die Praktiken der Bedeutungserzeugung: | ||
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:''“Primarily, culture is concerned with the production and the exchange of meanings – the ‚giving and taking of meaning’ – between the members of a society or group“'' (<bib id='Hall 1997a '></bib>: S. 2). | :''“Primarily, culture is concerned with the production and the exchange of meanings – the ‚giving and taking of meaning’ – between the members of a society or group“'' (<bib id='Hall 1997a '></bib>: S. 2). | ||
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− | Nicht zuletzt wegen der sozialen Genese von Bedeutung erscheinen drittens in der Analyse nicht ausschließlich isolierte Individuen als Träger von Kultur, | + | Nicht zuletzt wegen der sozialen Genese von Bedeutung erscheinen drittens in der Analyse nicht ausschließlich isolierte Individuen als Träger von Kultur, sondern eher um Hegemonie kämpfende Gruppen – Gruppen, deren Strukturen oft anhand der Kategorien ''race'', ''class'' und ''gender'' analysiert werden. Dabei adaptieren die Visual Studies nicht allein wesentliche Elemente der Cultural Studies, sondern sie korrigieren zugleich das positive Vorurteil, das die Cultural Studies noch dem Text als zentraler Bezugseinheit entgegenbrachten (vgl. <bib id='Jones 2003a'></bib>: S. 35). |
=====Gegenstände===== | =====Gegenstände===== | ||
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Für die erste Komponente, das Visuelle, hat der Kunsthistoriker Martin Jay die positivistisch angehauchte Bestimmung ausgegeben, es handele sich dabei um „anything that can imprint itself on the retina“ (<bib id='VCQ 1996a'></bib>: S. 42). Insofern wären die Visual Studies nicht auf das Bild, geschweige denn das künstlerische Bild eingeschränkt, sondern können sich ebenso auf das Fernsehen, die Menschen auf der Straße, das Urlaubspolaroid, den von „Lichtverschmutzung“ bedrohten Nachthimmel (vgl. <bib id='Ratzka 2012a'></bib>: S. 260ff.), das Videospiel oder die Objekte unterm Mikroskop beziehen. Die Liste ließe sich fast beliebig verlängern – alles was gesehen werden kann, könnte demnach auch Gegenstand der Visual Studies werden. Selbst eine derart offene Auffassung der ersten Komponente ist als Gegenstandsbestimmung jedoch noch zu eng. | Für die erste Komponente, das Visuelle, hat der Kunsthistoriker Martin Jay die positivistisch angehauchte Bestimmung ausgegeben, es handele sich dabei um „anything that can imprint itself on the retina“ (<bib id='VCQ 1996a'></bib>: S. 42). Insofern wären die Visual Studies nicht auf das Bild, geschweige denn das künstlerische Bild eingeschränkt, sondern können sich ebenso auf das Fernsehen, die Menschen auf der Straße, das Urlaubspolaroid, den von „Lichtverschmutzung“ bedrohten Nachthimmel (vgl. <bib id='Ratzka 2012a'></bib>: S. 260ff.), das Videospiel oder die Objekte unterm Mikroskop beziehen. Die Liste ließe sich fast beliebig verlängern – alles was gesehen werden kann, könnte demnach auch Gegenstand der Visual Studies werden. Selbst eine derart offene Auffassung der ersten Komponente ist als Gegenstandsbestimmung jedoch noch zu eng. | ||
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− | Einerseits kann der Gegenstand der Visual Studies auch hybride sein. Dies ist der Fall, wenn | + | Einerseits kann der Gegenstand der Visual Studies auch hybride sein. Dies ist der Fall, wenn das Visuelle in multimodale Komplexe eingebettet wird oder wenn es – und spätestens hier lässt sich die die zweite Komponente, die Kultur, nicht mehr übersehen – mit Praktiken und ihrer Institutionalisierung verbunden ist: |
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:''„The visual, in our view, never comes “pure”, it is always “contaminated” by the work of other senses (hearing, touch, smell), touched by other texts and discourses, and imbricated in a whole series of apparatuses – the museum, the academy, the art world, the publishing industry, even the nation state – which govern the production, dissemination, and legitimitation of artistic productions“.''<ref><bib id='Shohat & Stam 1998a'></bib>: S. 45. – Vgl. dazu auch <bib id='Bal 2003a'></bib>: S. 273: „The act of looking is profoundly “impure”“.</ref> | :''„The visual, in our view, never comes “pure”, it is always “contaminated” by the work of other senses (hearing, touch, smell), touched by other texts and discourses, and imbricated in a whole series of apparatuses – the museum, the academy, the art world, the publishing industry, even the nation state – which govern the production, dissemination, and legitimitation of artistic productions“.''<ref><bib id='Shohat & Stam 1998a'></bib>: S. 45. – Vgl. dazu auch <bib id='Bal 2003a'></bib>: S. 273: „The act of looking is profoundly “impure”“.</ref> | ||
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Andererseits muss der Gegenstand der Visual Studies noch nicht einmal selbst sichtbar sein, solange er sich nur auf das Visuelle bezieht, wie der Kunsthistoriker Jonathan Crary zu den sozialen und historischen Bedingungen, also jenen Teilen der Kultur ausgeführt hat, die regeln, was wir sehen oder zu sehen bekommen. In solchen Fällen handelt es sich bei den Visual Studies um „the study of colorless, nonvisual discursive and systemic formations and their historical mutations“ (vgl. <bib id='VCQ 1996a'></bib>: S. 34). | Andererseits muss der Gegenstand der Visual Studies noch nicht einmal selbst sichtbar sein, solange er sich nur auf das Visuelle bezieht, wie der Kunsthistoriker Jonathan Crary zu den sozialen und historischen Bedingungen, also jenen Teilen der Kultur ausgeführt hat, die regeln, was wir sehen oder zu sehen bekommen. In solchen Fällen handelt es sich bei den Visual Studies um „the study of colorless, nonvisual discursive and systemic formations and their historical mutations“ (vgl. <bib id='VCQ 1996a'></bib>: S. 34). | ||
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− | Kurz, in formaler Hinsicht sind die Gegenstände der Visual Studies eher hybride als rein visuell und können sich im Extremfall auf Teile der Kultur beschränken, die sich auf das Visuelle nur ''beziehen''.<ref>Diese Ambivalenz findet sich exemplarisch in der allgegenwärtigen Kategorie [[Blick|»Blick«]] wieder. Gemäß dem Sprachgebrauch in den Visual Studies kann der Blick z.B. über Kameras und Mikrophone (!) technisch aufgerüstet werden; er ist nicht ausschließlich die an jeweils nur ''ein'' Subjekt gebundene Wahrnehmung, sondern gilt auch als normsetzende soziale Instanz; und er ist keineswegs immer selbst sichtbar. Anders gesagt: der Ausdruck ‘Blick’ wird in den Visual Studies häufig metaphorisch oder metonymisch verwendet.</ref> | + | Kurz, in formaler Hinsicht sind die Gegenstände der Visual Studies eher hybride als rein visuell und können sich im Extremfall auf Teile der Kultur beschränken, die nicht selbst visuell sind, sondern sich auf das Visuelle nur ''beziehen''.<ref>Diese Ambivalenz findet sich exemplarisch in der allgegenwärtigen Kategorie [[Blick|»Blick«]] wieder. Gemäß dem Sprachgebrauch in den Visual Studies kann der Blick z.B. über Kameras und Mikrophone (!) technisch aufgerüstet werden; er ist nicht ausschließlich die an jeweils nur ''ein'' Subjekt gebundene Wahrnehmung, sondern gilt auch als normsetzende soziale Instanz; und er ist keineswegs immer selbst sichtbar. Anders gesagt: der Ausdruck ‘Blick’ wird in den Visual Studies häufig metaphorisch oder metonymisch verwendet.</ref> |
=====Aspekte===== | =====Aspekte===== | ||
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:''„Innerhalb großer geschichtlicher Zeiträume verändert sich mit der gesamten Daseinsweise der menschlichen Kollektiva auch die Art und Weise ihrer Sinneswahrnehmung“'' (<bib id='Benjamin 1974a'></bib>: S. 478). | :''„Innerhalb großer geschichtlicher Zeiträume verändert sich mit der gesamten Daseinsweise der menschlichen Kollektiva auch die Art und Weise ihrer Sinneswahrnehmung“'' (<bib id='Benjamin 1974a'></bib>: S. 478). | ||
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− | Statt von Sinneswahrnehmung spricht Irit Rogoff in diesem Zusammenhang von „viewing apparatuses“, die durch Technologie und Narrative modifiziert werden können (<bib id='Rogoff 1998a'></bib>: S. 18). Aufschluss über derartige technologische Modifikationen liefern beispielsweise Benjamins Analysen zur Medienentwicklung (zu Druck, Fotografie und Film) oder die oben im Zusammenhang mit der Geschichte von »visual culture« gegebenen Beispiele; narrativ erzeugte Modifikationen lassen sich etwa an dem Kontrast ablesen, der zwischen der heutigen Optik und mittelalterlichen, der Theologie affinen Erklärungsmodellen besteht, die die visuelle Wahrnehmung in körperliche, intellektuelle und spirituelle aufgeteilt haben (vgl. <bib id='Biernoff 2002a'></bib>: S. 3). Eine Verbindung von technischen und narrativen Aspekten thematisieren schließlich Crarys Analysen zu Geschichte des „observer“, die zwischen einer an der Optik und der Camera obscura orientierten Phase und einer sie im 19. Jahrhundert ablösenden unterscheiden, für die dann die Physiologie und neben dem Stereoskop vermehrt die Apparate aus dem Kontext der Bewegungsbilder relevant werden (vgl. <bib id='Crary 1990a'></bib>). | + | Statt von Sinneswahrnehmung spricht Irit Rogoff in diesem Zusammenhang von „viewing apparatuses“, die durch Technologie und Narrative modifiziert werden können (<bib id='Rogoff 1998a'></bib>: S. 18). Aufschluss über derartige technologische Modifikationen liefern beispielsweise Benjamins Analysen zur Medienentwicklung (zu Druck, Fotografie und Film) oder die oben im Zusammenhang mit der Geschichte von »visual culture« gegebenen Beispiele; narrativ erzeugte Modifikationen lassen sich etwa an dem Kontrast ablesen, der zwischen der heutigen Optik und mittelalterlichen, der Theologie affinen Erklärungsmodellen besteht, die die visuelle Wahrnehmung in körperliche, intellektuelle und spirituelle aufgeteilt haben (vgl. <bib id='Biernoff 2002a'></bib>: S. 3). Eine Verbindung von technischen und narrativen Aspekten thematisieren schließlich Crarys Analysen zu Geschichte des „observer“, die zwischen einer an der Optik und der Camera obscura orientierten Phase und einer sie im 19. Jahrhundert ablösenden Phase unterscheiden, für die dann die Physiologie und neben dem Stereoskop vermehrt die Apparate aus dem Kontext der Bewegungsbilder relevant werden (vgl. <bib id='Crary 1990a'></bib>). |
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''b) Weltverhältnis''. Wie schon der Fall des „observer“ zeigt, bei dem Crary im 19. Jh. eine Entwicklung vom statischen und unbeteiligten zum aktiven und involvierten Betrachten feststellt, gehen Modifikationen der Wahrnehmung mit Modifikationen des Verhältnisses von Subjekt und Objekten bzw. Subjekt und Welt einher. Dieser Aspekt ist ausgehend von einer filmwissenschaftlichen Anregung in den Visual Studies häufig unter dem Titel des „skopischen Regimes“ oder „Blickregimes“ verhandelt worden. Während sich die Filmwissenschaften dabei auf ein schlichtes, durch einen konkreten Raum bestimmtes Dispositiv konzentrieren, nämlich das Kino,<ref>Nach Christian Metz unterscheidet sich das „skopische Kino-Regime“ vom Voyeurismus des Theaters dadurch, dass es erstens mehr Dinge präsentiert und zweitens eine stärkere Verbindung zum Imaginären (vgl. ⊳ [[Psychoanalytische Theorien des Bildes]]) besitzt, da die gezeigen Dinge abwesend und nur [[Lateinisch: 'effigies', 'species', 'simulacrum', 'imago'|„in effigie“]] vorhanden seien (vgl. <bib id='Metz 2000a'></bib>: S. 58f.).</ref> stehen in den Visual Studies spekulativere Korrespondenzen von Praktiken des Sehens, Theorien und ihrer Materialisierung in Artefakten zur Debatte. Jay etwa benennt für die Moderne drei konkurrierende skopische Regime: | ''b) Weltverhältnis''. Wie schon der Fall des „observer“ zeigt, bei dem Crary im 19. Jh. eine Entwicklung vom statischen und unbeteiligten zum aktiven und involvierten Betrachten feststellt, gehen Modifikationen der Wahrnehmung mit Modifikationen des Verhältnisses von Subjekt und Objekten bzw. Subjekt und Welt einher. Dieser Aspekt ist ausgehend von einer filmwissenschaftlichen Anregung in den Visual Studies häufig unter dem Titel des „skopischen Regimes“ oder „Blickregimes“ verhandelt worden. Während sich die Filmwissenschaften dabei auf ein schlichtes, durch einen konkreten Raum bestimmtes Dispositiv konzentrieren, nämlich das Kino,<ref>Nach Christian Metz unterscheidet sich das „skopische Kino-Regime“ vom Voyeurismus des Theaters dadurch, dass es erstens mehr Dinge präsentiert und zweitens eine stärkere Verbindung zum Imaginären (vgl. ⊳ [[Psychoanalytische Theorien des Bildes]]) besitzt, da die gezeigen Dinge abwesend und nur [[Lateinisch: 'effigies', 'species', 'simulacrum', 'imago'|„in effigie“]] vorhanden seien (vgl. <bib id='Metz 2000a'></bib>: S. 58f.).</ref> stehen in den Visual Studies spekulativere Korrespondenzen von Praktiken des Sehens, Theorien und ihrer Materialisierung in Artefakten zur Debatte. Jay etwa benennt für die Moderne drei konkurrierende skopische Regime: | ||
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:3) den „baroque“ und sein theoretisches Pendant in der Leibnizschen Pluralität von „monadic viewpoints“, in denen sich die Faszination für die Opazität und Unlesbarkeit der sichtbaren Welt zeigt (vgl. <bib id='Jay 1988a'></bib>. | :3) den „baroque“ und sein theoretisches Pendant in der Leibnizschen Pluralität von „monadic viewpoints“, in denen sich die Faszination für die Opazität und Unlesbarkeit der sichtbaren Welt zeigt (vgl. <bib id='Jay 1988a'></bib>. | ||
− | ''c) Repräsentation''. Nicht zuletzt motiviert durch Entwicklungen in den Medientechniken zeichnen die Visual Studies eine Reihe von Tendenzen nach, die das Verhältnis der repräsentierenden Artefakte zur Welt nachhaltig ändern und diversifizieren. Zunächst einmal ist die Quantität der repräsentierenden Artefakte vom Buchdruck bis zum Handyfoto dramatisch gestiegen.<ref>Zugleich hat sich die Geschwindigkeit ihrer Produktion erhöht, was bei bewegten Bildern bekanntlich zur Livesendung, zur asymptotischen Annäherung an eine mit den Ereignissen zeitgleiche Übertragung dieser Ereignisse geführt hat (vgl. <bib id='Virilio 1990a'></bib>: S. 9-38).</ref> Im Zusammenhang mit jüngeren Bildgebungsverfahren, wie wir sie etwa aus der Medizin (über Röntgen, Ultraschall, MRT oder CT) oder auch aus der Rastertunnelmikroskopie in den | + | ''c) Repräsentation''. Nicht zuletzt motiviert durch Entwicklungen in den Medientechniken zeichnen die Visual Studies eine Reihe von Tendenzen nach, die das Verhältnis der repräsentierenden Artefakte zur Welt nachhaltig ändern und diversifizieren. Zunächst einmal ist die Quantität der repräsentierenden Artefakte vom Buchdruck bis zum Handyfoto dramatisch gestiegen.<ref>Zugleich hat sich die Geschwindigkeit ihrer Produktion erhöht, was bei bewegten Bildern bekanntlich zur Livesendung, zur asymptotischen Annäherung an eine mit den Ereignissen zeitgleiche Übertragung dieser Ereignisse geführt hat (vgl. <bib id='Virilio 1990a'></bib>: S. 9-38).</ref> Im Zusammenhang mit jüngeren Bildgebungsverfahren, wie wir sie etwa aus der Medizin (über Röntgen, Ultraschall, MRT oder CT) oder auch aus der Rastertunnelmikroskopie in den Nanowissenschaften kennen, tritt dazu das Faktum, dass zusehends nicht mehr nur die sichtbare Welt sichtbar repräsentiert wird: „One of the most striking features of the new visual culture is the growing tendency to visualize things that are not in themselves visual.“<ref><bib id='Mirzoeff 1999a'></bib>: S. 5. – Zur Allegorie als einem Vorläufer derartiger Visualisierungen vgl. <bib id='Liebsch 2007b'></bib>: S. 31ff.</ref> Aufgrund der Masse an Reproduktionen lässt sich schliesslich ein dialektischer Umschlag beobachten, und zwar in der Angst, die Welt könne hinter der “Bilderflut” verschwinden. Seine noch ungebrochen kulturkritische Formulierung hat dieser Umschlag – im Anschluss an Marx' Auseinandersetzung mit dem „Fetischcharakter der Ware“ – in Guy Debords Theorie des „Spektakels“ gefunden; das „Spektakel“ gilt hier als eine durch Bilder vermittelte Gesellschaft, in der „die sinnliche Welt durch eine über ihr schwebende Auswahl von Bildern ersetzt wird“.<ref> Vgl. dazu <bib id='Marx 1867a'></bib>: S. 85-108 und <bib id='Debord 1967a'></bib>: S. 14, 31.</ref> Seine postmoderne Version zieht – darin Jean Baudrillards Theorien der [[Simulation, Simulakrum|Simulation]] und des [[Simulation, Simulakrum|Simulakrums]] folgend – den referentiellen Charakter der “Bilderflut” auch aufgrund der Möglichkeiten [[Bildverarbeitung, digitale|digitaler]] Bildproduktion generell in Zweifel. |
''d) Identität''. Konstitutiv für Identität – sei es für die von Subjekten oder die von Gruppen – sind den Visual Studies zufolge einerseits das Gesehen-Werden, der Blick der anderen und jene Dispositive und Artefakte, die im wörtlichen oder übertragenen Sinne [[Spiegel|Spiegelungen]] ermöglichen.<ref>Vgl. dazu grundsätzlich <bib id='Lacan 1949a'></bib>.</ref> Vor diesem Hintergrund lässt sich beispielsweise in Bezug auf weibliche Identität geltend machen, dass sie von patriarchalen, hegemonialen Erwartungen abhängig ist, durch Bilder, Fotos, Filme usw. konditioniert wird<ref>Vgl. dazu die Pionierarbeit von Laura Mulvey, die das Mainstream-Kino als Materialisierung eines kontrollierenden männlichen Blicks beschreibt, in der männliche Figuren handeln und weibliche Figuren als Anschauungsobjekte im Wortsinne dienen (<bib id='Mulvey 1975a'></bib>).</ref> und eine Spaltung des weiblichen Blicks mit sich bringt; jeder weibliche Blick in den Spiegel ist zugleich ein internalisierter hegemonialer Blick, der das Spiegelbild auf seine Konformität mit der etablierten Erwartung prüft (vgl. <bib id='Silverman 1996a'></bib>). Konstitutiv für Identität ist andererseits, dass sie – wie fragil und vorübergehend auch immer – im visuellen Feld über „negative differentiation“ erzeugt wird: | ''d) Identität''. Konstitutiv für Identität – sei es für die von Subjekten oder die von Gruppen – sind den Visual Studies zufolge einerseits das Gesehen-Werden, der Blick der anderen und jene Dispositive und Artefakte, die im wörtlichen oder übertragenen Sinne [[Spiegel|Spiegelungen]] ermöglichen.<ref>Vgl. dazu grundsätzlich <bib id='Lacan 1949a'></bib>.</ref> Vor diesem Hintergrund lässt sich beispielsweise in Bezug auf weibliche Identität geltend machen, dass sie von patriarchalen, hegemonialen Erwartungen abhängig ist, durch Bilder, Fotos, Filme usw. konditioniert wird<ref>Vgl. dazu die Pionierarbeit von Laura Mulvey, die das Mainstream-Kino als Materialisierung eines kontrollierenden männlichen Blicks beschreibt, in der männliche Figuren handeln und weibliche Figuren als Anschauungsobjekte im Wortsinne dienen (<bib id='Mulvey 1975a'></bib>).</ref> und eine Spaltung des weiblichen Blicks mit sich bringt; jeder weibliche Blick in den Spiegel ist zugleich ein internalisierter hegemonialer Blick, der das Spiegelbild auf seine Konformität mit der etablierten Erwartung prüft (vgl. <bib id='Silverman 1996a'></bib>). Konstitutiv für Identität ist andererseits, dass sie – wie fragil und vorübergehend auch immer – im visuellen Feld über „negative differentiation“ erzeugt wird: | ||
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In diesem Sinne fungieren die Wahrnehmung und die Darstellung des (vermeintlich) Anderen zugleich immer auch als Stabilisierungen des eigenen Selbst. | In diesem Sinne fungieren die Wahrnehmung und die Darstellung des (vermeintlich) Anderen zugleich immer auch als Stabilisierungen des eigenen Selbst. | ||
− | ''e) Macht''. Für Fragen der Macht setzen die Visual Studies die Arbeiten Foucaults fort, der Klinik, Schule, Fabrik oder Gefängnis als Orte entschlüsselt hat, in denen Kontrolle und/oder Herrschaft | + | ''e) Macht''. Für Fragen der Macht setzen die Visual Studies die Arbeiten Foucaults fort, der Institutionen wie Klinik, Schule, Fabrik oder Gefängnis als Orte entschlüsselt hat, in denen Kontrolle und/oder Herrschaft mit Hilfe visueller Beobachtung installiert wird. Sowohl diese Arbeiten als auch jüngere Analysen zu Closed Circuit Television (Formen der Überwachung, die über Kamera, Monitor und ggf. Mittel zur Speicherung der Aufnahmen verfügen) kommen darin überein, dass oftmals gar keine aktuelle visuelle Überwachung mehr stattfindet, sondern dass sie nur noch erwartet werden muss: Bereits die Internalisierung des hegemonialen Blicks, die Erwartung, überwacht zu werden, erzeugt demnach einen Ordnungs- oder Normierungseffekt.<ref>Vgl. dazu <bib id='Foucault 1976a'></bib>: S. 251-291 und <bib id='Rimmele & Stiegler 2012a'></bib>: S. 111-124.</ref> Macht artikuliert sich darüber hinaus auch allgemein in visuellen Artefakten. Ihrem Selbstverständnis als politische Bewegung entsprechend verfolgen die Visual Studies daher |
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:''„thematic individual or community-based concerns around the ways in which politically motivated images are produced, circulated and consumed to both construct and reinforce and resist and overthrow articulations of sexual or racial ontologies, identies and subjectivities – such as black visual culture or feminist visual culture oder lesbian and gay visual culture“'' (<bib id='Morra & Smith 2006a'></bib>: S. 10f.). | :''„thematic individual or community-based concerns around the ways in which politically motivated images are produced, circulated and consumed to both construct and reinforce and resist and overthrow articulations of sexual or racial ontologies, identies and subjectivities – such as black visual culture or feminist visual culture oder lesbian and gay visual culture“'' (<bib id='Morra & Smith 2006a'></bib>: S. 10f.). | ||
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− | Die fünf Aspekte sind keineswegs isoliert, sondern weitgehend miteinander kombinierbar. Über die Internalisierung ist ''Identität'' beispielsweise mit ''Macht'' verknüpft; diese beeinflusst, was überhaupt und – wenn ja – wie es ''repräsentiert'' wird; für die drei | + | Die fünf Aspekte sind keineswegs isoliert, sondern weitgehend miteinander kombinierbar. Über die Internalisierung ist ''Identität'' beispielsweise mit ''Macht'' verknüpft; diese beeinflusst, was überhaupt und – wenn ja – wie es ''repräsentiert'' wird; für die drei gerade genannten Aspekte gilt ebenso wie für das Weltverhältnis, dass sie nicht gegeben, sondern gesellschaftlicher Herkunft sind und daher nur im Modus der ''Entnaturalisierung'' erklärt werden können usw. |
Version vom 20. Oktober 2014, 10:25 Uhr
Unterpunkt zu: Bildtheoretische Ansätze
Begriffe: »visual culture«, »visual studies« (und »visual culture studies«)Visual Culture und Visual Studies sind in vielen Hinsichten umstritten. Eine erste Hinsicht zeigt sich bereits an den zugrunde liegenden Begriffen. »Visual culture«, »visual studies« und auch »visual culture studies« können einander teilweise, aber eben nur teilweise vertreten. Der am meisten verwendete, aber ein zugleich auch zweideutiger Begriff ist »visual culture«. So heißt es anlässlich des Visual Culture Questionnaire, mit dem die Kunstzeitschrift «October» 1996 erstmalig die scientific community zur allgemeinen Reflexion über das Thema einlud:
Demnach trifft auf ‘visual culture’ Ähnliches zu wie auf das deutsche ‘Kunstgeschichte’, das sowohl das Objekt als auch die Disziplin bezeichnet. Diese – in der Regel durch den Kontext disambiguierte – Zweideutigkeit ist bis in die jüngsten Schriften anzutreffen. Daneben haben sich Redeweisen etabliert, die um terminologische Eindeutigkeit bemüht sind. Douglas Crimp empfiehlt beispielsweise:
Visual Culture. An Introduction. Manchester, New York: Manchester University Press. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 1).[1] Visual Studies. A Skeptical Introduction. New York, London: Routledge. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 7), wird im Folgenden ‘visual culture’ für das Objekt der Untersuchung und ‘visual studies’ für den wissenschaftlichen Zugriff auf dieses Objekt verwendet. Disziplin, Interdisziplinarität, “Undiszipliniertheit”Ebenfalls umstritten ist, ob und inwiefern es sich bei Visual Studies um eine Disziplin handelt. Die Frage wird selten bejaht und wenn, dann ist von Disziplin in einem eher schwachen Sinn die Rede. Gemeint ist damit zumeist, dass es seit den 1990er Jahren zunächst im englischsprachigen Raum manifeste Formen der pädagogischen, wissenschaftlichen und publizistischen Institutionalisierung gibt, also Aufnahmen in universitäre Curricula, einschlägige Konferenzen und Veröffentlichungen bis hin zu spezifischen Zeitschriften.[2] Darüber hinaus lassen sich auch Vorschläge zu weitergehenden Festlegungen inhaltlicher und methodischer Art finden, etwa in Bezug auf Grundlagentexte, kanonische Autoren, bevorzugte Objekte und Interpretationsmethoden. Als theoretische Referenzen, die die Arbeit der Visual Studies grundieren, werden am häufigsten die Arbeiten von Walter Benjamin und die der Poststrukturalisten Roland Barthes, Jacques Lacan und Michel Foucault genannt.[3] Auch weil diese Vorschläge insgesamt eher diskutiert als geteilt werden, hat es sich eingebürgert, die Visual Studies statt als Disziplin eher vage als akademisches Feld anzusprechen.[4] Ferner sind die Visual Studies wie schon die älteren Cultural Studies auch als „diskursive Formation“ apostrophiert worden[5] und als nicht nur akademische, sondern auch politische – genauer: linke und marxistisch inspirierte – Bewegung (vgl. [Bal 2003a]Bal, Mieke (2003).Visual Essentialism and the Object of Visual Culture. In Journal of Visual Culture, 1, 2, 5-32. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 5f.). Visual Studies. A Skeptical Introduction. New York, London: Routledge. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 25) bis zu insgesamt 34 verschiedenen, nämlich:
Nicht zuletzt in Anbetracht der Tatsache, dass sich die Visual Studies zunehmend den Naturwissenschaften öffnen, kann jedoch auch diese Liste nicht erschöpfend sein. – Motiviert ist diese methodische Interdisziplinarität auch durch eine besondere Tendenz im Gegenstandsbereich, nämlich die wachsende |Medienkonvergenz unter den Vorzeichen von technischer Entwicklung und globalem Kapitalismus:[6] Wir begegnen dem Kinofilm in der DVD, dem Fernsehen im Netz und den alten Meistern als Druck auf T-Shirt und Teetasse; und schon der Film wurde von keiner isolierten Industrie realisiert, sondern entstand an den Schnittlinien von Konsumgütern, Elektrizität, Beleuchtung, Make-Up und Mode. Introduction. Conceiving the Intersection of Feminism and Visual Culture. In The Feminism and Visual Culture Reader, 1-7. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 34). Vorgeschichte/nAuch aufgrund der Vielzahl der beteiligten Disziplinen verfügt das Feld oder die Bewegung der Visual Studies über keine verbindliche und homogene Vorgeschichte. Es lassen sich dennoch mindestens drei Vorgeschichten anführen, die für die Entwicklung der Visual Studies aussagekräftig sind: die Transgressionen der traditionellen Kunstgeschichte, die Geschichte des Begriffs »visual culture« sowie auch und vor allem die Cultural Studies. Der Bilderatlas Mnemosyne. Berlin: Akademie. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 3f.). Eine ebenfalls beträchtliche Erweiterung der Forschungsgegenstände findet sich in den Arbeiten Erwin Panofskys, der sich schon früh, nämlich in den 1930er Jahren, dem Film widmete und später das Fortleben von palladianischer Tempelfassade einerseits und ungezügelter Romantik andererseits bis zum Kühler des Rolls Royce verfolgte.[9] Anregend für den Kontext der Visual Studies ist darüber hinaus sein folgenreicher Versuch, die oft als Siegeszug einer “natürlichen” Darstellung gefeierte Zentralperspektive der Renaissance auf Konvention und Kultur zurückzuführen und als „symbolische Form“ im Sinne des Neukantianismus zu beschreiben (vgl. [Panofsky 1924a]Panofsky, Erwin (1998). Die Perspektive als symbolische Form (1924). In Erwin Panofsky, Deutschsprachige Aufsätze, Bd. 2, 664-757. Eintrag in Sammlung zeigen). Eine kritische Reflexion auf die Kunstgeschichte findet sich schließlich in den ursprünglich nicht für das Buch, sondern als Fernsehserie für die BBC konzipierten «Ways of Seeing» des marxistischen Kunstkritikers und -theoretikers John Berger. Seine Essays setzen sich gleich mit einer ganzen Reihe von für die Visual Studies einschlägigen Themenfeldern auseinander: mit dem Verhältnis von Sehen und Sprechen, dem Gesehen-Werden als Konstituens für soziale Ordnung und gender-Rollen, den Beziehungen zwischen Sehen und Besitz, der Rolle der medientechnischen Entwicklung insbesondere für die Erweiterung der Funktionsvielfalt von Bildern (vgl. ⊳ Replika, Faksimile und Kopie) oder auch mit den „publicity images“ der Werbung und ihren Beziehungen zur traditionellen Kunst (vgl. [Berger 1972a]Berger, John (1972). Ways of Seeing. London: Penguin Books. Eintrag in Sammlung zeigen). Dass sich die Visual Studies jedoch nicht ausschließlich als eine Transformation der älteren Kunstgeschichte begreifen lassen, wird spätestens an der zweiten Vorgeschichte deutlich. Der Begriff »visual culture« wird zwar üblicherweise auf zwei kunsthistorische Arbeiten zurückgeführt, auf Michael Baxandalls «Painting and Experience in Fifteenth Century Italy. A Primer in the Social History of Pictorial Style» von 1972 und auf Svetlana Alpers’ «The Art of Describing. Dutch Art in the Seventeenth Century» von 1983. [10] Dies sind jedoch keineswegs die einzigen, geschweige denn die ältesten Quellen. Fakt ist, dass Baxandall den Begriff »visual culture« nur beiläufig verwendet und dass sich erst Alpers um eine Explikation von »visual culture« als eine – für eine bestimmte Gesellschaft in einer bestimmten Epoche typische – kulturelle Strukturierung der visuellen Wahrnehmung bemüht.[11] Dazu hält sie fest:
Die magischen Kanäle. Understanding Media. Düsseldorf, Wien: Econ. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 54, 127ff., u.ö.). Noch früher lässt sich »visuelle Kultur« in der Filmtheorie nachweisen. In «Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films» von 1924 antizipiert Béla Balázs die beiden Verwendungsweisen McLuhans und sieht im (Stumm-)Film eine Stärkung der durch den Buchdruck marginalisierten visuellen Kultur gekommen (vgl. [Balázs 2001b]Balázs, Béla (2001). Der sichtbare Mensch. In Texte zur Theorie des Films, 224-233. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 224ff. und [Liebsch 2007a]Liebsch, Dimitri (2007). Pictorial Turn and Visual Culture. In Visual Culture Revisited. German and American Perspectives on Visual Culture(s), 12-26. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 16).[12] Culture and Anarchy. Cambridge: Cambridge University Press. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 70); Kultur umfasst vielmehr außer der Hochkultur einen „whole way of life“ ([Williams 1958a]Williams, Raymond (2002). Culture Is Ordinary. In The Everyday Life Reader, 91-100. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 92f.), der das Gewöhnliche und den Alltag mit einschließt. Zweitens stehen neben den Artefakten oft die Praktiken im Fokus, und zwar insbesondere die Praktiken der Bedeutungserzeugung:
Introduction. Conceiving the Intersection of Feminism and Visual Culture. In The Feminism and Visual Culture Reader, 1-7. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 35). GegenständeEs gibt nicht den einen, klar umgrenzten Gegenstand für dieses interdisziplinäre und undisziplinierte Feld mit seiner facettenreichen Vorgeschichte. Das lässt sich auch an der eingangs gegebenen formalen Gegenstandsbestimmung, nämlich Visual Culture, verdeutlichen, wenn man ihre beiden Komponenten genauer betrachtet. Visual Culture Questionnaire. In October, 77, 25-70. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 42). Insofern wären die Visual Studies nicht auf das Bild, geschweige denn das künstlerische Bild eingeschränkt, sondern können sich ebenso auf das Fernsehen, die Menschen auf der Straße, das Urlaubspolaroid, den von „Lichtverschmutzung“ bedrohten Nachthimmel (vgl. [Ratzka 2012a]Ratzka, Thorsten (2012). Die Fenster zum Himmel. In Visualisierung und Erkenntnis. Bildverstehen und Bildverwenden in Natur- und Geisteswissenschaften, 237-264. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 260ff.), das Videospiel oder die Objekte unterm Mikroskop beziehen. Die Liste ließe sich fast beliebig verlängern – alles was gesehen werden kann, könnte demnach auch Gegenstand der Visual Studies werden. Selbst eine derart offene Auffassung der ersten Komponente ist als Gegenstandsbestimmung jedoch noch zu eng. Einerseits kann der Gegenstand der Visual Studies auch hybride sein. Dies ist der Fall, wenn das Visuelle in multimodale Komplexe eingebettet wird oder wenn es – und spätestens hier lässt sich die die zweite Komponente, die Kultur, nicht mehr übersehen – mit Praktiken und ihrer Institutionalisierung verbunden ist:
Visual Culture Questionnaire. In October, 77, 25-70. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 34). Kurz, in formaler Hinsicht sind die Gegenstände der Visual Studies eher hybride als rein visuell und können sich im Extremfall auf Teile der Kultur beschränken, die nicht selbst visuell sind, sondern sich auf das Visuelle nur beziehen.[14] AspekteUm wiederum diesem weiten Feld der Gegenstände Struktur zu geben, seien fünf zentrale Aspekte (Entnaturalisierung, Weltverhältnis, Repräsentation, Identität und Macht) vorgestellt, unter denen die Visual Studies häufig ihre Gegenstände analysieren. Mythen des Alltags. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 130ff.). Das Stichwort dafür, auch die Evidenz des Visuellen in dieser Weise in Frage zu stellen, liefert bereits Benjamins «Kunstwerk»-Aufsatz aus den 1930er Jahren:
Studying Visual Culture. In The Visual Culture Reader, 14-26. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 18). Aufschluss über derartige technologische Modifikationen liefern beispielsweise Benjamins Analysen zur Medienentwicklung (zu Druck, Fotografie und Film) oder die oben im Zusammenhang mit der Geschichte von »visual culture« gegebenen Beispiele; narrativ erzeugte Modifikationen lassen sich etwa an dem Kontrast ablesen, der zwischen der heutigen Optik und mittelalterlichen, der Theologie affinen Erklärungsmodellen besteht, die die visuelle Wahrnehmung in körperliche, intellektuelle und spirituelle aufgeteilt haben (vgl. [Biernoff 2002a]Biernoff, Suzannah (2002). Sight and Embodiment in the Middle Ages. New York et al.: Palgrave Macmillan. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 3). Eine Verbindung von technischen und narrativen Aspekten thematisieren schließlich Crarys Analysen zu Geschichte des „observer“, die zwischen einer an der Optik und der Camera obscura orientierten Phase und einer sie im 19. Jahrhundert ablösenden Phase unterscheiden, für die dann die Physiologie und neben dem Stereoskop vermehrt die Apparate aus dem Kontext der Bewegungsbilder relevant werden (vgl. [Crary 1990a]Crary, Jonathan (1990). Techniques of the Observer. On Vision and Modernity in the Nineteenth Century. Cambridge, MA/London: MIT-Press. Eintrag in Sammlung zeigen). b) Weltverhältnis. Wie schon der Fall des „observer“ zeigt, bei dem Crary im 19. Jh. eine Entwicklung vom statischen und unbeteiligten zum aktiven und involvierten Betrachten feststellt, gehen Modifikationen der Wahrnehmung mit Modifikationen des Verhältnisses von Subjekt und Objekten bzw. Subjekt und Welt einher. Dieser Aspekt ist ausgehend von einer filmwissenschaftlichen Anregung in den Visual Studies häufig unter dem Titel des „skopischen Regimes“ oder „Blickregimes“ verhandelt worden. Während sich die Filmwissenschaften dabei auf ein schlichtes, durch einen konkreten Raum bestimmtes Dispositiv konzentrieren, nämlich das Kino,[15] stehen in den Visual Studies spekulativere Korrespondenzen von Praktiken des Sehens, Theorien und ihrer Materialisierung in Artefakten zur Debatte. Jay etwa benennt für die Moderne drei konkurrierende skopische Regime:
c) Repräsentation. Nicht zuletzt motiviert durch Entwicklungen in den Medientechniken zeichnen die Visual Studies eine Reihe von Tendenzen nach, die das Verhältnis der repräsentierenden Artefakte zur Welt nachhaltig ändern und diversifizieren. Zunächst einmal ist die Quantität der repräsentierenden Artefakte vom Buchdruck bis zum Handyfoto dramatisch gestiegen.[16] Im Zusammenhang mit jüngeren Bildgebungsverfahren, wie wir sie etwa aus der Medizin (über Röntgen, Ultraschall, MRT oder CT) oder auch aus der Rastertunnelmikroskopie in den Nanowissenschaften kennen, tritt dazu das Faktum, dass zusehends nicht mehr nur die sichtbare Welt sichtbar repräsentiert wird: „One of the most striking features of the new visual culture is the growing tendency to visualize things that are not in themselves visual.“[17] Aufgrund der Masse an Reproduktionen lässt sich schliesslich ein dialektischer Umschlag beobachten, und zwar in der Angst, die Welt könne hinter der “Bilderflut” verschwinden. Seine noch ungebrochen kulturkritische Formulierung hat dieser Umschlag – im Anschluss an Marx' Auseinandersetzung mit dem „Fetischcharakter der Ware“ – in Guy Debords Theorie des „Spektakels“ gefunden; das „Spektakel“ gilt hier als eine durch Bilder vermittelte Gesellschaft, in der „die sinnliche Welt durch eine über ihr schwebende Auswahl von Bildern ersetzt wird“.[18] Seine postmoderne Version zieht – darin Jean Baudrillards Theorien der Simulation und des Simulakrums folgend – den referentiellen Charakter der “Bilderflut” auch aufgrund der Möglichkeiten digitaler Bildproduktion generell in Zweifel. d) Identität. Konstitutiv für Identität – sei es für die von Subjekten oder die von Gruppen – sind den Visual Studies zufolge einerseits das Gesehen-Werden, der Blick der anderen und jene Dispositive und Artefakte, die im wörtlichen oder übertragenen Sinne Spiegelungen ermöglichen.[19] Vor diesem Hintergrund lässt sich beispielsweise in Bezug auf weibliche Identität geltend machen, dass sie von patriarchalen, hegemonialen Erwartungen abhängig ist, durch Bilder, Fotos, Filme usw. konditioniert wird[20] und eine Spaltung des weiblichen Blicks mit sich bringt; jeder weibliche Blick in den Spiegel ist zugleich ein internalisierter hegemonialer Blick, der das Spiegelbild auf seine Konformität mit der etablierten Erwartung prüft (vgl. [Silverman 1996a]Silverman, Kaja (1996).The Threshold of the Visible World. London, New York: Routledge. Eintrag in Sammlung zeigen). Konstitutiv für Identität ist andererseits, dass sie – wie fragil und vorübergehend auch immer – im visuellen Feld über „negative differentiation“ erzeugt wird:
In diesem Sinne fungieren die Wahrnehmung und die Darstellung des (vermeintlich) Anderen zugleich immer auch als Stabilisierungen des eigenen Selbst. e) Macht. Für Fragen der Macht setzen die Visual Studies die Arbeiten Foucaults fort, der Institutionen wie Klinik, Schule, Fabrik oder Gefängnis als Orte entschlüsselt hat, in denen Kontrolle und/oder Herrschaft mit Hilfe visueller Beobachtung installiert wird. Sowohl diese Arbeiten als auch jüngere Analysen zu Closed Circuit Television (Formen der Überwachung, die über Kamera, Monitor und ggf. Mittel zur Speicherung der Aufnahmen verfügen) kommen darin überein, dass oftmals gar keine aktuelle visuelle Überwachung mehr stattfindet, sondern dass sie nur noch erwartet werden muss: Bereits die Internalisierung des hegemonialen Blicks, die Erwartung, überwacht zu werden, erzeugt demnach einen Ordnungs- oder Normierungseffekt.[21] Macht artikuliert sich darüber hinaus auch allgemein in visuellen Artefakten. Ihrem Selbstverständnis als politische Bewegung entsprechend verfolgen die Visual Studies daher
Die fünf Aspekte sind keineswegs isoliert, sondern weitgehend miteinander kombinierbar. Über die Internalisierung ist Identität beispielsweise mit Macht verknüpft; diese beeinflusst, was überhaupt und – wenn ja – wie es repräsentiert wird; für die drei gerade genannten Aspekte gilt ebenso wie für das Weltverhältnis, dass sie nicht gegeben, sondern gesellschaftlicher Herkunft sind und daher nur im Modus der Entnaturalisierung erklärt werden können usw.
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Anmerkungen
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[Mulvey 1975a]: Verantwortlich: Seitenbearbeitungen durch: Dimitri Liebsch [195], Joerg R.J. Schirra [24], Franziska Kurz [18] und Klaus Sachs-Hombach [3] — (Hinweis) |