Visual Culture / Visual Studies: Unterschied zwischen den Versionen
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:3) den „baroque“ und sein theore­tisches Pendant in der Leibniz­schen Plura­lität von „monadic view­points“, in denen sich die Faszi­nation für die Opa­zität und Unles­barkeit der sichtba­ren Welt zeigt (vgl. <bib id='Jay 1988a'></bib>. | :3) den „baroque“ und sein theore­tisches Pendant in der Leibniz­schen Plura­lität von „monadic view­points“, in denen sich die Faszi­nation für die Opa­zität und Unles­barkeit der sichtba­ren Welt zeigt (vgl. <bib id='Jay 1988a'></bib>. | ||
− | ''c) Repräsentation''. Nicht zuletzt | + | ''c) Repräsentation''. Nicht zuletzt moti­viert durch Entwick­lungen in den Medien­techni­ken zeichnen die Visual Studies eine Reihe von Tenden­zen nach, die das Verhält­nis der reprä­sentie­renden Arte­fakte zur Welt nachhal­tig ändern und diver­sifi­zieren. Zunächst einmal ist die Quanti­tät der reprä­sentie­renden Arte­fakte vom Buchdruck bis zum Handy­foto drama­tisch gestie­gen.<ref>Zu­gleich hat sich die Ge­schwin­dig­keit ih­rer Pro­duk­ti­on er­höht, was bei be­weg­ten Bil­dern be­kannt­lich zur Live­sen­dung, zur asymp­to­ti­schen An­nä­he­rung an ei­ne mit den Er­eig­nis­sen zeit­glei­che Über­tra­gung die­ser Er­eig­nis­se ge­führt hat (vgl. <bib id='Virilio 1990a'>Vi­ri­lio 1990a</bib>: S. 9-38).</ref> Im Zusam­menhang mit jünge­ren Bildge­bungsver­fahren, wie wir sie etwa aus der Medi­zin (über Röntgen, Ultra­schall, MRT oder CT) oder auch aus der Raster­tunnel­mikro­skopie in den Nano­wissen­schaften kennen, tritt dazu das Faktum, dass zuse­hends nicht mehr nur die sicht­bare Welt sichtbar reprä­sentiert wird: „One of the most striking features of the new visual cul­ture is the growing ten­dency to visu­alize things that are not in them­selves visual.“<ref><bib id='Mirzoeff 1999a'></bib>: S. 5. — Zur Al­le­go­rie als ei­nem Vor­läu­fer der­ar­ti­ger Vi­su­a­li­sie­run­gen vgl. <bib id='Liebsch 2007b'></bib>: S. 31ff.</ref> Aufgrund der Masse an Repro­dukti­onen lässt sich schließlich ein dialek­tischer Umschlag beobach­ten, und zwar in der Angst, die Welt könne hinter der “Bilder­flut” verschwin­den. Seine noch unge­brochen kultur­kriti­sche Formu­lierung hat dieser Umschlag – im Anschluss an Marx’ Ausein­ander­setzung mit dem „Fetisch­charak­ter der Ware“ – in Guy Debords Theorie des „Spekta­kels“ gefun­den; das „Spekta­kel“ gilt hier als eine durch Bilder vermit­telte Gesell­schaft, in der „die sinnli­che Welt durch eine über ihr schweben­de Auswahl von Bildern ersetzt wird“.<ref> Vgl. da­zu <bib id='Marx 1867a'></bib>: S. 85-​108 und <bib id='Debord 1967a'>De­bord 1967a</bib>: S. 14, 31.</ref> Seine postmo­derne Version zieht – darin Jean Baudril­lards Theorien der [[Simulation, Simulakrum|Simu­lation]] und des [[Simulation, Simulakrum|Simu­lakrums]] folgend – den refe­rentiel­len Charakter der “Bilder­flut” auch aufgrund der Möglich­keiten [[Bildverarbeitung, digitale|digi­taler]] Bildpro­duktion gene­rell in Zweifel. |
− | ''d) Identität''. Konstitutiv für | + | ''d) Identität''. Konstitutiv für Iden­tität – sei es für die von Subjek­ten oder die von Gruppen – sind den Visual Studies zufol­ge einer­seits das Gesehen-​Werden, der Blick der ande­ren und jene Dispo­siti­ve und Arte­fakte, die im wörtli­chen oder über­trage­nen Sinne [[Spiegel|Spiege­lungen]] ermög­lichen.<ref>Vgl. da­zu grund­sätz­lich <bib id='Lacan 1949a'>La­can 1949a</bib>.</ref> Vor diesem Hinter­grund lässt sich beispiels­weise in Bezug auf weibli­che Iden­tität geltend machen, dass sie von patri­archa­len, hege­monia­len Erwar­tungen abhän­gig ist, durch Bilder, Fotos, Filme usw. kondi­tioniert wird<ref>Vgl. da­zu pa­ra­dig­ma­tisch Lau­ra Mul­veys Ma­ni­fest «Vi­sual Plea­sure and Nar­ra­tive Cin­ema» von 1975, wo­nach das Main­stream-​Ki­no als Ma­te­ri­a­li­sie­rung ei­nes kon­trol­lie­ren­den männ­li­chen Blicks gilt, in der männ­li­che Fi­gu­ren han­deln und weib­li­che Fi­gu­ren im wahr­sten Sin­ne des Wor­tes als An­schau­ungs­ob­jek­te gel­ten (<bib id='Mulvey 2009a'>Mul­vey 2009a</bib>: S. xvii, 14-​27).</ref> und eine Spaltung des weibli­chen Blicks mit sich bringt; jeder weibli­che Blick in den Spiegel ist zugleich ein inter­nali­sierter hege­monia­ler Blick, der das Spiegel­bild auf seine Konfor­mität mit der eta­blierten Erwar­tung prüft (vgl. <bib id='Silverman 1996a'>Silver­man 1996a</bib>). Konsti­tutiv für Iden­tität ist ande­rerseits, dass sie – wie fragil und vorü­berge­hend auch immer – im visu­ellen Feld über „nega­tive dif­feren­tiation“ erzeugt wird: |
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:''„that whiteness needs blackness to constitute itself as whiteness, that masculinity needs femininity or feminized masculinity to constitute its masculinity in agreed upon normative modes; that civility and bourgeois respectability need the stereotypical unruly “other”“'' (<bib id='Rogoff 1998a'></bib>: S. 21f.). | :''„that whiteness needs blackness to constitute itself as whiteness, that masculinity needs femininity or feminized masculinity to constitute its masculinity in agreed upon normative modes; that civility and bourgeois respectability need the stereotypical unruly “other”“'' (<bib id='Rogoff 1998a'></bib>: S. 21f.). | ||
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− | In diesem Sinne fungieren die | + | In diesem Sinne fungieren die Wahrneh­mung und die Darstel­lung des (vermeint­lich) Ande­ren zugleich immer auch als Stabi­lisie­rungen des eige­nen Selbst. |
− | ''e) Macht''. Für Fragen der Macht setzen die Visual Studies die | + | ''e) Macht''. Für Fragen der Macht setzen die Visual Studies die Arbei­ten Foucaults fort, der Insti­tuti­onen wie Klinik, Schule, Fabrik oder Gefäng­nis als Orte entschlüs­selt hat, in denen Kontrol­le und/​oder Herrschaft mit Hilfe visu­eller Beobach­tung instal­liert wird. Sowohl diese Arbei­ten als auch jünge­re Ana­lysen zu Closed Circuit Tele­vision (Formen der Über­wachung, die über Kame­ra, Moni­tor und ggf. Mittel zur Speiche­rung der Aufnah­men verfü­gen) kommen darin über­ein, dass oftmals gar keine aktu­elle visu­elle Über­wachung mehr stattfin­det, sondern dass sie nur noch erwar­tet werden muss: Bereits die Inter­nali­sierung des hege­monia­len Blicks, die Erwar­tung, über­wacht zu werden, erzeugt demnach einen Ordnungs- oder Normie­rungsef­fekt.<ref>Vgl. da­zu <bib id='Foucault 1976a'>Fou­cault 1976a</bib>: S. 251-​291 und <bib id='Rimmele & Stiegler 2012a'>Rim­me­le & Stieg­ler 2012a</bib>: S. 111-​124.</ref> Macht arti­kuliert sich darü­ber hinaus auch allge­mein in visu­ellen Arte­fakten. Ihrem Selbstver­ständnis als poli­tische Bewe­gung entspre­chend verfol­gen die Visual Studies daher |
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− | :''„thematic individual or community-based concerns around the ways in which politically motivated images are produced, circulated and consumed to both construct and reinforce and resist and overthrow articulations of sexual or racial ontologies, identies and subjectivities – such as black visual culture or feminist visual culture or lesbian and gay visual culture“'' (<bib id='Morra & Smith 2006a'></bib>: S. 10f.). | + | :''„thematic individual or community-​based concerns around the ways in which politically motivated images are produced, circulated and consumed to both construct and reinforce and resist and overthrow articulations of sexual or racial ontologies, identies and subjectivities – such as black visual culture or feminist visual culture or lesbian and gay visual culture“'' (<bib id='Morra & Smith 2006a'></bib>: S. 10f.). |
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− | Die fünf Aspekte sind | + | Die fünf Aspekte sind keines­wegs iso­liert, sondern weitge­hend mitein­ander kombi­nierbar. Über die Inter­nali­sierung ist ''Iden­tität'' beispiels­weise mit ''Macht'' verknüpft; diese beein­flusst, was über­haupt und – wenn ja – wie es ''reprä­sentiert'' wird; für die drei gera­de genann­ten Aspek­te gilt eben­so wie für das ''Weltver­hältnis'', dass sie nicht schlicht gege­ben, sondern gesell­schaftli­cher Herkunft sind und daher nur im Modus der ''Entna­tura­lisie­rung'' erklärt werden können usw. |
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Version vom 11. Februar 2015, 19:54 Uhr
Unterpunkt zu: Bildtheoretische Ansätze
Begriffe: »visual culture«, »visual studies« (und »visual culture studies«)Visual Culture und Visual Studies sind in vielen Hinsichten umstritten. Eine erste Hinsicht zeigt sich bereits an den zugrunde liegenden Begriffen. »Visual culture«, »visual studies« und auch »visual culture studies« können einander teilweise, aber eben nur teilweise vertreten. Der am meisten verwendete, aber ein zugleich auch zweideutiger Begriff ist »visual culture«. So heißt es anlässlich des Visual Culture Questionnaire, mit dem die Kunstzeitschrift «October» 1996 erstmalig die scientific community zur allgemeinen Reflexion über das Thema einlud:
Demnach trifft auf ‘visual culture’ Ähnliches zu wie auf das deutsche ‘Kunstgeschichte’, das sowohl das Objekt als auch die Disziplin bezeichnet. Diese – in der Regel durch den Kontext disambiguierte – Zweideutigkeit ist bis in die jüngsten Schriften anzutreffen. Daneben haben sich Redeweisen etabliert, die um terminologische Eindeutigkeit bemüht sind. Douglas Crimp empfiehlt beispielsweise:
John A. Walker und Sarah Chaplin verwenden eine analoge Unterscheidung, sprechen sich jedoch anstatt für die Bezeichnung ‘visual studies’ für ‘visual culture studies’ aus ([Walker & Chaplin 1997a]Literaturangabe fehlt. Visual Studies. A Skeptical Introduction. New York, London: Routledge. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 7), wird im Folgenden ‘visual culture’ für das Objekt der Untersuchung und ‘visual studies’ für den wissenschaftlichen Zugriff auf dieses Objekt verwendet.
Disziplin, Interdisziplinarität, “Undiszipliniertheit”Ebenfalls umstritten ist, ob und inwiefern es sich bei Visual Studies um eine Disziplin handelt. Die Frage wird selten bejaht und wenn, dann ist von Disziplin in einem eher schwachen Sinn die Rede. Gemeint ist damit zumeist, dass es seit den 1990er Jahren zunächst im englischsprachigen Raum manifeste Formen der pädagogischen, wissenschaftlichen und publizistischen Institutionalisierung gibt, also Aufnahmen in universitäre Curricula, einschlägige Konferenzen und Veröffentlichungen bis hin zu spezifischen Zeitschriften.[2] Darüber hinaus lassen sich auch Vorschläge zu weitergehenden Festlegungen inhaltlicher und methodischer Art finden, etwa in Bezug auf Grundlagentexte, kanonische Autoren, bevorzugte Objekte und Interpretationsmethoden. Als theoretische Referenzen, die die Arbeit der Visual Studies grundieren, werden am häufigsten die Arbeiten von Walter Benjamin und die der Poststrukturalisten Roland Barthes, Jacques Lacan und Michel Foucault genannt.[3] Auch weil diese Vorschläge insgesamt eher diskutiert als geteilt werden, hat es sich eingebürgert, die Visual Studies statt als Disziplin eher vage als akademisches Feld anzusprechen.[4] Ferner sind die Visual Studies wie schon die älteren Cultural Studies auch als „diskursive Formation“ apostrophiert worden[5] und als nicht nur akademische, sondern auch politische – genauer: linke und marxistisch inspirierte – Bewegung (vgl. [Bal 2003a]Literaturangabe fehlt. Visual Studies. A Skeptical Introduction. New York, London: Routledge. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 25) bis zu insgesamt 34 verschiedenen, nämlich:
Nicht zuletzt in Anbetracht der Tatsache, dass sich die Visual Studies zunehmend den Naturwissenschaften öffnen, kann jedoch auch diese Liste nicht erschöpfend sein. — Motiviert ist diese methodische Interdisziplinarität auch durch eine besondere Tendenz im Gegenstandsbereich, nämlich die wachsende Medienkonvergenz unter den Vorzeichen von technischer Entwicklung und globalem Kapitalismus:[6] Wir begegnen dem Kinofilm in der DVD, dem Fernsehen im Netz und den alten Meistern als Druck auf T-Shirt und Teetasse; und schon der Film wurde von keiner isolierten Industrie realisiert, sondern entstand an den Schnittlinien von Konsumgütern, Elektrizität, Beleuchtung, Make-Up und Mode. Dass von einer Disziplin nur in einem schwachen Sinne und zugleich von einer ausufernden Interdisziplinarität die Rede sein muss ist die Kehrseite der Dynamik der Visual Studies, ihres politischen und kritischen Impetus’. William John Thomas Mitchell spricht hier – mit leicht ironischem Akzent – von einer „Disziplinlosigkeit“ („indiscipline“, [Mitchell 2008a]Literaturangabe fehlt.
Vorgeschichte/nAuch aufgrund der Vielzahl der beteiligten Disziplinen verfügt das Feld oder die Bewegung der Visual Studies über keine verbindliche und homogene Vorgeschichte. Es lassen sich dennoch mindestens drei Vorgeschichten anführen, die für die Entwicklung der Visual Studies aussagekräftig sind: die Transgressionen der traditionellen Kunstgeschichte, die Geschichte des Begriffs »visual culture« sowie auch und vor allem die Cultural Studies. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. : S. 3f.). Eine ebenfalls beträchtliche Erweiterung der Forschungsgegenstände findet sich in den Arbeiten Erwin Panofskys, der sich schon früh, nämlich in den 1930er Jahren, dem Film widmete und später das Fortleben von palladianischer Tempelfassade einerseits und ungezügelter Romantik andererseits bis zum Kühler des Rolls Royce verfolgte.[9] Anregend für den Kontext der Visual Studies ist darüber hinaus sein folgenreicher Versuch, die oft als Siegeszug einer “natürlichen” Darstellung gefeierte Zentralperspektive der Renaissance auf Konvention und Kultur zurückzuführen und als „symbolische Form“ – im Sinne des Neukantianismus von Ernst Cassirer – zu beschreiben (vgl. [Panofsky 1924a]Panofsky, Erwin (1998). Die Perspektive als symbolische Form (1924). In Erwin Panofsky, Deutschsprachige Aufsätze Bd. 2, 664-757, Erstpublikation in: Vorträge der Bibliothek Warburg (1924/25). Leipzig, 1927, 258-330. Eintrag in Sammlung zeigen). Eine kritische Reflexion auf die Kunstgeschichte findet sich schließlich in den ursprünglich nicht für das Buch, sondern als Fernsehserie für die BBC konzipierten «Ways of Seeing» des marxistischen Kunstkritikers und -theoretikers John Berger. Seine Essays setzen sich gleich mit einer ganzen Reihe von für die Visual Studies einschlägigen Themenfeldern auseinander: mit dem Verhältnis von Sehen und Sprechen, dem Gesehen-Werden als Konstituens für soziale Ordnung und gender-Rollen, den Beziehungen zwischen Sehen und Besitz, der Rolle der medientechnischen Entwicklung insbesondere für die Erweiterung der Funktionsvielfalt von Bildern (vgl. ⊳ Replika, Faksimile und Kopie) oder auch mit den „publicity images“ der Werbung und ihren Beziehungen zur traditionellen Kunst (vgl. [Berger 1972a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. ). Dass sich die Visual Studies jedoch nicht ausschließlich als eine Transformation der älteren Kunstgeschichte begreifen lassen wird spätestens an der zweiten Vorgeschichte deutlich. Der Begriff »visual culture« wird zwar üblicherweise auf zwei kunsthistorische Arbeiten zurückgeführt, auf Michael Baxandalls «Painting and Experience in Fifteenth Century Italy. A Primer in the Social History of Pictorial Style» von 1972 und auf Svetlana Alpers’ «The Art of Describing. Dutch Art in the Seventeenth Century» von 1983. [10] Dies sind jedoch keineswegs die einzigen, geschweige denn die ältesten Quellen. Fakt ist, dass Baxandall den Ausdruck ‘visual culture’ nur beiläufig verwendet und dass sich erst Alpers um eine Explikation von »visual culture« als eine – für eine bestimmte Gesellschaft in einer bestimmten Epoche typische – kulturelle Strukturierung der visuellen Wahrnehmung bemüht.[11] Dazu hält sie fest:
Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. : S. 54, 127ff., u.ö.). Noch früher lässt sich »visuelle Kultur« in der Filmtheorie nachweisen. In «Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films» von 1924 antizipiert Béla Balázs die beiden Verwendungsweisen McLuhans und sieht im (Stumm-)Film eine Stärkung der durch den Buchdruck marginalisierten visuellen Kultur gekommen (vgl. [Balázs 2001b]Balázs, Béla (2001). Der sichtbare Mensch. In Texte zur Theorie des Films, 224-233. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 224ff. und [Liebsch 2007a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. : S. 16).[12] Unter die Vorgeschichten der Visual Studies fallen auch die ab den 1950er Jahren entwickelten Cultural Studies. Von diesen übernehmen die Visual Studies neben Interdisziplinarität und “Undiszipliniertheit” auch den facettenreichen Kulturbegriff. Kultur lässt sich demnach erstens nicht mehr erschöpfend als ein normatives Projekt beschreiben, so wie es noch Matthew Arnold konnte, der die Formel prägte: „the best which has been thought and known in the world“ ([Arnold 1869a]Literaturangabe fehlt.
Nicht zuletzt wegen der sozialen Genese von Bedeutung erscheinen drittens in der Analyse nicht ausschließlich isolierte Individuen als Träger von Kultur, sondern eher um Hegemonie kämpfende Gruppen – Gruppen, deren Strukturen oft anhand der Kategorien race, class und gender analysiert werden. Dabei adaptieren die Visual Studies nicht allein wesentliche Elemente der Cultural Studies, sondern sie korrigieren zugleich die Vorliebe, die die Cultural Studies noch dem Text als zentraler Bezugseinheit entgegenbrachten (vgl. [Jones 2003a]Literaturangabe fehlt.
GegenständeEs gibt nicht den einen, klar umgrenzten Gegenstand für dieses interdisziplinäre und undisziplinierte Feld mit seiner facettenreichen Vorgeschichte. Das lässt sich auch an der eingangs gegebenen formalen Gegenstandsbestimmung, nämlich Visual Culture, verdeutlichen, wenn man ihre beiden Komponenten genauer betrachtet. Visual Culture Questionnaire. In October, 77, 25-70. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 42). Insofern wären die Visual Studies nicht auf das Bild, geschweige denn das künstlerische Bild eingeschränkt, sondern können sich ebenso auf das Fernsehen, die Menschen auf der Straße, das Urlaubspolaroid, den von „Lichtverschmutzung“ bedrohten Nachthimmel (vgl. [Ratzka 2012a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. : S. 260ff.), das Videospiel oder die Objekte unterm Mikroskop beziehen. Die Liste ließe sich fast beliebig verlängern – alles was gesehen werden kann, könnte demnach auch Gegenstand der Visual Studies werden. Selbst eine derart offene Auffassung der ersten Komponente ist als Gegenstandsbestimmung jedoch noch zu eng. Einerseits kann der Gegenstand der Visual Studies auch hybride sein. Dies ist der Fall, wenn das Visuelle in multimodale Komplexe eingebettet wird oder wenn es – und spätestens hier lässt sich die zweite Komponente, die Kultur, nicht mehr übersehen – mit Praktiken und ihrer Institutionalisierung verbunden ist:
Visual Culture Questionnaire. In October, 77, 25-70. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 34). Kurz, in formaler Hinsicht sind die Gegenstände der Visual Studies eher hybride als rein visuell und können sich im Extremfall auf Teile der Kultur beschränken, die nicht selbst visuell sind, sondern sich auf das Visuelle nur beziehen.[14]
AspekteUm wiederum diesem weiten Feld der Gegenstände Struktur zu geben, seien fünf zentrale Aspekte (Entnaturalisierung, Weltverhältnis, Repräsentation, Identität und Macht) vorgestellt, unter denen die Visual Studies häufig ihre Gegenstände analysieren. a) Entnaturalisierung. Im Anschluß an die Marxsche Ideologiekritik und Barthes’ Mythenanalyse zielen die Visual Studies darauf, das vermeintlich Natürliche als gesellschaftlich oder kulturell bedingt und damit als kontingent und änderbar zu entschlüsseln ([Barthes 1957a]Literaturangabe fehlt.
Statt von Sinneswahrnehmung spricht Irit Rogoff in diesem Zusammenhang von „viewing apparatuses“, die durch Technologie und Narrative modifiziert werden können ([Rogoff 1998a]Literaturangabe fehlt. b) Weltverhältnis. Wie schon der Fall des „observer“ zeigt, bei dem Crary im 19. Jh. eine Entwicklung vom statischen und unbeteiligten zum aktiven und involvierten Betrachten feststellt, gehen Modifikationen der Wahrnehmung mit Modifikationen des Verhältnisses von Subjekt und Objekten bzw. Subjekt und Welt einher. Dieser Aspekt ist ausgehend von einer filmwissenschaftlichen Anregung in den Visual Studies häufig unter dem Titel des „skopischen Regimes“ oder „Blickregimes“ verhandelt worden. Während sich die Filmwissenschaften dabei auf ein schlichtes, durch einen konkreten Raum bestimmtes Dispositiv konzentrieren, nämlich das Kino,[15] stehen in den Visual Studies spekulativere Korrespondenzen von Praktiken des Sehens, Theorien und ihrer Materialisierung in Artefakten zur Debatte. Jay etwa benennt für die Moderne drei konkurrierende skopische Regime:
c) Repräsentation. Nicht zuletzt motiviert durch Entwicklungen in den Medientechniken zeichnen die Visual Studies eine Reihe von Tendenzen nach, die das Verhältnis der repräsentierenden Artefakte zur Welt nachhaltig ändern und diversifizieren. Zunächst einmal ist die Quantität der repräsentierenden Artefakte vom Buchdruck bis zum Handyfoto dramatisch gestiegen.[16] Im Zusammenhang mit jüngeren Bildgebungsverfahren, wie wir sie etwa aus der Medizin (über Röntgen, Ultraschall, MRT oder CT) oder auch aus der Rastertunnelmikroskopie in den Nanowissenschaften kennen, tritt dazu das Faktum, dass zusehends nicht mehr nur die sichtbare Welt sichtbar repräsentiert wird: „One of the most striking features of the new visual culture is the growing tendency to visualize things that are not in themselves visual.“[17] Aufgrund der Masse an Reproduktionen lässt sich schließlich ein dialektischer Umschlag beobachten, und zwar in der Angst, die Welt könne hinter der “Bilderflut” verschwinden. Seine noch ungebrochen kulturkritische Formulierung hat dieser Umschlag – im Anschluss an Marx’ Auseinandersetzung mit dem „Fetischcharakter der Ware“ – in Guy Debords Theorie des „Spektakels“ gefunden; das „Spektakel“ gilt hier als eine durch Bilder vermittelte Gesellschaft, in der „die sinnliche Welt durch eine über ihr schwebende Auswahl von Bildern ersetzt wird“.[18] Seine postmoderne Version zieht – darin Jean Baudrillards Theorien der Simulation und des Simulakrums folgend – den referentiellen Charakter der “Bilderflut” auch aufgrund der Möglichkeiten digitaler Bildproduktion generell in Zweifel. d) Identität. Konstitutiv für Identität – sei es für die von Subjekten oder die von Gruppen – sind den Visual Studies zufolge einerseits das Gesehen-Werden, der Blick der anderen und jene Dispositive und Artefakte, die im wörtlichen oder übertragenen Sinne Spiegelungen ermöglichen.[19] Vor diesem Hintergrund lässt sich beispielsweise in Bezug auf weibliche Identität geltend machen, dass sie von patriarchalen, hegemonialen Erwartungen abhängig ist, durch Bilder, Fotos, Filme usw. konditioniert wird[20] und eine Spaltung des weiblichen Blicks mit sich bringt; jeder weibliche Blick in den Spiegel ist zugleich ein internalisierter hegemonialer Blick, der das Spiegelbild auf seine Konformität mit der etablierten Erwartung prüft (vgl. [Silverman 1996a]Literaturangabe fehlt.
In diesem Sinne fungieren die Wahrnehmung und die Darstellung des (vermeintlich) Anderen zugleich immer auch als Stabilisierungen des eigenen Selbst. e) Macht. Für Fragen der Macht setzen die Visual Studies die Arbeiten Foucaults fort, der Institutionen wie Klinik, Schule, Fabrik oder Gefängnis als Orte entschlüsselt hat, in denen Kontrolle und/oder Herrschaft mit Hilfe visueller Beobachtung installiert wird. Sowohl diese Arbeiten als auch jüngere Analysen zu Closed Circuit Television (Formen der Überwachung, die über Kamera, Monitor und ggf. Mittel zur Speicherung der Aufnahmen verfügen) kommen darin überein, dass oftmals gar keine aktuelle visuelle Überwachung mehr stattfindet, sondern dass sie nur noch erwartet werden muss: Bereits die Internalisierung des hegemonialen Blicks, die Erwartung, überwacht zu werden, erzeugt demnach einen Ordnungs- oder Normierungseffekt.[21] Macht artikuliert sich darüber hinaus auch allgemein in visuellen Artefakten. Ihrem Selbstverständnis als politische Bewegung entsprechend verfolgen die Visual Studies daher
Die fünf Aspekte sind keineswegs isoliert, sondern weitgehend miteinander kombinierbar. Über die Internalisierung ist Identität beispielsweise mit Macht verknüpft; diese beeinflusst, was überhaupt und – wenn ja – wie es repräsentiert wird; für die drei gerade genannten Aspekte gilt ebenso wie für das Weltverhältnis, dass sie nicht schlicht gegeben, sondern gesellschaftlicher Herkunft sind und daher nur im Modus der Entnaturalisierung erklärt werden können usw. |
Anmerkungen
[Arnold 1869a]:
Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Bal 2003a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Balázs 2001b]: Balázs, Béla (2001). Der sichtbare Mensch. In: v. F. Albersmeier (Hg.): Texte zur Theorie des Films. Stuttgart: Philip Reclam jun., S. 224-233. [Barthes 1957a]: Ausgabe 1: 2015 Verantwortlich: Lektorat: Seitenbearbeitungen durch: Dimitri Liebsch [195], Joerg R.J. Schirra [24], Franziska Kurz [18] und Klaus Sachs-Hombach [3] — (Hinweis) |