Vorstellungsbilder / Mentale Modelle

Aus GIB - Glossar der Bildphilosophie
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Unterpunkt zu: Bildbewusstsein und Einbildungskraft


Begriffsstruktur

Das imaginative Konstrukt der Bildvorstellung korreliert in hohem Maß mit den Strukturen des Vorstellungsbildes. Beide Konstrukte beschreiben ein spezifisch kognitives Potential des Menschen: das Vorstellungsbild. Dieses ist als mentale Repräsentation jedoch multimodal und die Bildvorstellung – als (quasi-)piktoriale mentale Repräsentation – monomodal und damit rein visuell strukturiert. Die Bildvorstellung ist demnach eine ausschließlich bildhafte Repräsentation, man spricht hier auch von mentalen Bildern. Diese sind jedoch nicht mit richtigen Bildern im Gehirn gleichzusetzen, sondern sie funktionieren lediglich wie Bilder, da sie „in einer bestimmten Weise verwendet und verarbeitet werden“ ([Sachs-Hombach 1995a]: S. 206) und man sie primär in Bezug auf ihre sinnlichen Eigenschaften benutzt, sie also nicht in Beschreibungen übersetzt.

Die Bildvorstellung, als Teilkomponente des Vorstellungsbildes (mental image), gehört zum System analoger Repräsentationen, welches „vorzugsweise mit mentalen Bildern oder Vorstellungen operiert und somit Zeichen eines vorwiegend ikonischen Symbolsystems […]“ ([Seel 1991a]: S. 158) verwendet. Bildvorstellungen verfügen demgemäß über eine ikonische Codierung von Gegenständen und deren Relationen untereinander. Die Verwendung des Adjektivs „analog“ ist nach Sachs-Hombach problematisch, da sie darauf schließen lässt, dass tatsächlich richtige Bilder im Gehirn existieren würden – dem ist jedoch nicht so. Auch der Theorie der Ähnlichkeit bringt Sachs-Hombach Bedenken entgegen, da Ähnlichkeit zum einen ein ungenauer Begriff ist und keine notwendige Bestimmung von Abbildungen sein kann (man denke nur an abstrakte Bilder) (vgl. [Sachs-Hombach 1995a]: S. 206; dazu auch [Goodman 1995a]: S. 15ff).

Mentale Modelle

Die Bildvorstellung bzw. das Vorstellungsbild organisiert sich grundsätzlich „highly specific“ ([Johnson-Laird 1983a]: S. 157) im mentalen Kontinuum des Menschen, denn die subjektiv-kognitive Leistung ist nicht fähig, eine generelle Bildlichkeit von Gegenständen konkret bildhaft hervorzubringen. Es ist demnach nicht möglich in einer Bildvorstellung „a triangle in general“ ([Johnson-Laird 1983a]: S. 157) mental zu stabilisieren – dies ist lediglich über mentaler Modelle möglich –, denn ein Dreieck wird sich in einer Bildvorstellung immer bereits in einer spezifischen Bild-Struktur manifestieren. Daher sind nach Johnson-Laird Bildvorstellungen als perzeptuelle Korrelate mentaler Modelle zu verstehen. Sie repräsentieren die wahrnehmbaren Eigenschaften der Objekte des Modells aus einer bestimmten Perspektive – resultierend aus der Wahrnehmung oder Vorstellung – und sind folglich als perspektivische Ansichten eines mentales Model zu beschreiben: Während bei der bildlichen Vorstellung eines Spielwürfels lediglich drei Würfelseiten sichtbar sein können, enthält die quasi-bildhafte Repräsentation des mentalen Modells dieses Würfels mehr Informationen, z.B. über die fehlenden Seiten und die darauf abgebildeten Augenzahlen. Durch diese Informationen innerhalb des mentalen Modells und dessen „Kompetenz für Kontrafaktizität“ ([Metzinger 1999a]; S. 112) wird eine mentale Simulation möglich, die es erlaubt, den Würfel zu drehen (mental rotation) und so aus verschiedenen Perspektiven zu sehen.


Visual Imagination

Der generische Ursprung von mentalen Repräsentationen hat seine Quelle damit in „visual imagination. It consists of a viewer-centred representation of the visible characteristics of an underlying three-dimensional spatial or kinematic model” ([Johnson-Laird 1983a]: S. 423). Die Bildvorstellungen konstituieren Bilder im Geist und fungieren dadurch grundsätzlich als Konkretisierung und „Vergegenwärtigung von Wissen“ ([Seel 1991a]: S. 173). In dieser Funktion zeigen sich zahlreiche Untersuchungsansätze der Imagery-Forschung als äußerst fruchtbar, da sie eine Wissensrepräsentation beim Menschen nicht länger auf „Formate der kategorialen, propositionalen und prädikatenlogischen Notation beschränken“ ([Seel 1991a]: S. 172f.), sondern grundsätzlich von einer ›Anschaulichkeit‹ des Denkens ausgehen. Diese ›Anschaulichkeit‹ vollzieht sich demnach als „imaginale (d.h. quasi-piktoriale) Repräsentation […] in der Objekte einer Szene und zwischen ihnen bestehende Beziehungen analog dargestellt werden“ ([Seel 1991a]: S. 173). Norbert Seel betont eine Nähe zwischen Perzepten und Vorstellungsbildern und verortet die Erzeugung von mentalen Bildern in der Aktivität des zentralen Nervensystems. Werden also Objektrepräsentationen durch externe Stimulation ausgelöst, so dient die mentale Simulation als Auslöser für Vorstellungsbilder: „Imagery kann als die mentale Simulation kognitiver Operationen aufgefasst werden, die ansonsten bei Wahrnehmungsprozessen ablaufen“ ([Seel 1991a]: S. 174f.). Bildvorstellungen und Vorstellungsbilder liefern gleichermaßen in „ganzheitlich-holistischer Weise Informationen über Gestalteigenschaften und räumliche Strukturen in Form quasi-bildhafter Repräsentationen“ ([Seel 1991a]: S. 175).


Mentale Repräsentation und Empfindung

Die mentalen Repräsentaionen modifizieren die im Wahrnehmungsakt gewonnenen Informationen, so dass sie nachträglich spezifisch imaginative Empfindungen auslösen können: „Die Vorstellungsbilder einer früher gesehenen Landschaft, einer früher gehörten Melodie sind den Empfindungskomplexen, die in der Wahrnehmung dieser Gegenstände enthalten waren, ähnlich und werden zugleich auf die früheren Wahrnehmungen oder die in ihnen gegebenen Empfindungskomplexe zurückgeführt und bezogen“ ([Külpe 1923a]: S. 166). Bildvorstellungen und Vorstellungsbilder sind, da sie Wissen und imaginative Empfindungs-Optionen beinhalten, ein zentraler Aspekt der semantischen Kategorien des menschlichen Wissensgedächtnisses. Als ein solcher Teilbereich sind sie subjektiv, da die Verbindung von mentaler Repräsentation und dazugehörigem Wahrnehmungserlebnis gelernt sein muss – Bildvorstellungen und Vorstellungsbilder übernehmen die Funktion eines komplexen Zeichens. Die innere Bilder verfügen zudem über die Möglichkeit mit Existenzaussagen verknüpft zu werden, auch wenn das dadurch entwickelte Wissen falsch bzw. nicht verifizierbar ist. Seel führt hier als Beispiel das Bild eines Einhorns an, welches „nach menschlichem Ermessen und Wissen falsch und dennoch möglich“ ([Seel 1991a]: S. 178) ist. In diesem kreativen Aspekt der Bildvorstellung liegt zugleich auch ein hoher Nutzenfaktor, da wir „auf der Basis gespeicherten Wissens Vorstellungsbilder zu Objekten und Situationen“ ([Seel 1991a]: S. 178) erzeugen können, die wir „vorher noch nicht erfahren haben oder die grundsätzlich nicht erfahrbar sind, da sie real nicht existieren“ ([Seel 1991a]: S. 178).


Systemzusammenhang

Die Vorstellungsbilder – und damit der Teilaspekt der Bildvorstellung – bilden weiterhin mit den propositionalen Repräsentationen und mentalen Modellen einen mentalen Systemzusammenhang, der das kognitive Potential des Menschen strukturiert: Propositionale Repräsentationen (propositional representations) bilden eine elementare Funktion für die kognitive Informationsverarbeitung. Informatorische Inhalte (über Gegenstände, Situationen etc.) werden mittels Propositionen (Aussagen) verschlüsselt und können so im Langzeitgedächtnis gespeichert werden. Mentale Modelle (mental models) werden als subjektive Welt-Konstruktionen begreifbar, die in einer kognitiven Leitdimension Verstehensprozesse strukturieren: „Aus gespeicherten Informationen und dem ständigen Input, den ihnen die Sinnesorgane liefern, konstruieren sie ein internes Modell der äußeren Wirklichkeit“ ([Metzinger 1999a]: S. 242), welches grundsätzlich analog zur Struktur der repräsentierten Situation ist. Die mentalen Modelle besitzen demnach eine Struktur, „that plays a direct representational role since it is analogous to the structure of the corresponding state of affairs in the world“ ([Johnson-Laird 1983a]: S. 156). Die mentalen Modelle nehmen eine Mittelstellung zwischen propositionalen Repräsentationen und Vorstellungsbildern ein, denn „mentale Modelle konkretisieren abstraktes Weltwissen mit Hilfe von Vorstellungsbildern“ ([Seel 1991a]: S. 159).

Anmerkungen
Literatur                             [Sammlung]

[Goodman 1995a]: Goodman, Nelson (1995). Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symbol­theorie. Frank­furt/M.: Suhr­kamp.

[Johnson-Laird 1983a]: Johnson-Laird, Philip N. (1983). Mental Models. Towards a Cognitive Science of Language, Inference and Conciousness. Cam­bridge: Cam­bridge Uni­versity Press. [Külpe 1923a]: Külpe, Oswald (1923). Vorlesungen über Logik. Leipzig: Hirzel. [Metzinger 1999a]: Metzinger, Thomas (1999). Subjekt und Selbstmodell. Die Perspektivität phänomenalen Bewusstseins vor dem Hintergrund einer naturalistischen Theorie mentaler Repräsentation. Paderborn: Mentis. [Sachs-Hombach 1995a]: Sachs-Hom­bach, Klaus (1995). Piktoriale Einstellungen. In: Sachs-Hom­bach, K. (Hg.): Bilder im Geiste: Zur kognitiven und erkenntnistheoretischen Funktion piktoraler Repräsentationen. Amsterdam: Rodopi, S. 195-211. [Seel 1991a]: Seel, Norbert M. (1991). Weltwissen und mentale Modelle. Göttingen: Hogrefe.


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Patrick Kruse

Lars Grabbe

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