Weltbild, Lebensform

Aus GIB - Glossar der Bildphilosophie
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Unterpunkt zu: Bildlichkeit: Bedingungen und Folgen


Der Begriff des Weltbildes ist für das Thema Bildlich­keit deswe­gen von Bedeu­tung, weil Weltbil­der Rahmen­bedin­gungen sämtli­cher Wirklich­keitsver­hältnis­se abge­ben und als solche auch den Bedin­gungshin­tergrund piktu­rale Darstel­lungen prägen. Ein Weltbild besteht in den perspek­tivie­renden Grundan­nahmen, aufgrund deren die Dinge in den Blick genom­men und darge­stellt werden können.

Für die verstehenstheoretische Voraus­setzungs­haftig­keit von Weltbil­dern hat Ludwig Wittgen­stein eindrück­liche Formu­lierun­gen gefun­den:

[...] mein Weltbild habe ich nicht, weil ich mich von seiner Richtig­keit über­zeugt habe; auch nicht, weil ich von seiner Richtig­keit über­zeugt bin. Sondern es ist der über­komme­ne Hinter­grund, auf welchem ich zwischen wahr und falsch unter­scheide.

Mit dem Bild des Flußbettes der Gedanken macht Wittgen­stein klar, dass es sich bei Weltbil­dern um Rahmun­gen von Inhal­ten und Bedeu­tungen, nicht um diese selbst handelt, sondern um Bedin­gungen, die ihnen voraus­gehen. Zugleich sind die Bedeu­tungen, was auch immer sie sind, nur aufgrund jener Rahmen­bedin­gungen.

Das Flußbett der Gedanken [kann] sich verschie­ben. Aber ich unter­scheide zwischen der Bewe­gung des Wassers im Flußbett und der Verschie­bung dieses; obwohl es eine scharfe Trennung der beiden nicht gibt ([Wittgen­stein 1984a]Wittgenstein, Ludwig (1984).
Über Gewiß­heit. Frank­furt/M.: Suhr­kamp.

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: §§ 94, 97 und 359).
In Anlehnung an Kierkegaards berühmte Defi­nition des Selbstbe­wusstseins könnte man sagen, dass ein Weltbild der Rahmen eines Verhält­nisses ist, mit dem wir uns zu uns und zur Welt verhal­ten. Wie der Rahmen eines Bildes dessen Grenzen und ästhe­tische Geltung festlegt, steckt ein Weltbild die Grenzen der in einer Zeit typi­schen Ausle­gungs- und Verste­hensmög­lichkei­ten ab. Es kondi­tioniert ein verwo­benes System von Wahrneh­mungs-, Bewer­tungs- und Handlungs­schema­ta, die Bewähr­tes absi­chern und Neues kondi­tionie­ren. „Jenseits von berech­tigt und unbe­rechtigt“ ([Wittgen­stein 1984]Wittgenstein, Ludwig (1984).
Über Gewiß­heit. Frank­furt/M.: Suhr­kamp.

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: § 359) gilt es als begrün­dungsun­bedürf­tig und ist rechtfer­tigungs­theore­tisch nicht mehr weiter ausweis­bar.

Als kollektive Hintergrund­annah­me hat sich das Weltbild in die Sprache einge­nistet. Diesen Zusam­menhang hat Wittgen­stein mit den Begrif­fen​ »Lebens­form«​ und​ »Sprach­spiel«​ erläu­tert, indem er zeigte, dass wir einan­der nur verste­hen können, wenn wir in diesen über­einstim­men.

Die Bilder, die Menschen sich zu verschie­denen Zeiten von der Welt machen, prägen als Wahrneh­mungsbil­der und Vorstel­lungsbil­der die gesam­te kultu­relle Praxis. Sie sind inso­fern keine Abbil­der von ander­weitig vorhan­denen Gege­benhei­ten, sondern der Deutungs­hori­zont im Hinter­grund der konkre­ten Bilder. Damit stellen sie zugleich Voraus­setzun­gen und Produk­te menschli­cher Welter­schließung dar. In Weltbil­dern sind Weltan­schauun­gen, eva­luati­ve Einstel­lungen und norma­tive Orien­tierun­gen einer Kultur­gemein­schaft präsent, die oft mit hart umkämpf­ten Geltungs­ansprü­chen einher­gehen und die Handlungs- und Wahrneh­mungsmög­lichkei­ten präfor­mieren, noch bevor sie sich reali­sieren. Sie sind daher die Möglich­keitsbe­dingun­gen kreati­ver eben­so wie konven­tionel­ler Welter­schließung.

In Heideggers Weltbild-Aufsatz wird der Begriff als Beschrei­bung neuzeit­licher Subjek­tivi­tät konzi­piert. Folgt man Heideg­ger, wird die Welt in dem Maße zum Bild, in welchem der Mensch zum Subjekt wird. Bild meint dabei

wie sind über etwas im Bilde. Das will sagen: die Sache selbst steht so, wie es mit ihr für uns steht, vor uns. [...] Weltbild wesent­lich verstan­den meint daher nicht ein Bild von der Welt, sondern die Welt als Bild begrif­fen. ([Heideg­ger 1950a]Heidegger, Martin (1950).
Die Zeit des Welt­bildes.
In Holz­wege, 69-104.

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: S. 82).

Eben wegen der historischen Weltbild­rela­tivi­tät unse­rer Wirklich­keitsver­hältnis­se, steht es uns jedoch nicht zur freien Verfü­gung, belie­big damit zu verfah­ren. Sowohl der norma­tive Rahmen­charak­ter als auch die Freiheit­lichkeit bildne­rischer Weltver­hältnis­se lassen Weltbil­der als ethi­sche Bilder erschei­nen, die in mehr als meta­phori­schem Sinne Bilder sind, weil sie wesent­liche Eigen­schaften des Bildli­chen aufwei­sen. Es sind Bilder, die sowohl perzep­tiv und aisthe­tisch, als auch ima­gina­tiv und ästhe­tisch zustan­de kommen.

Ein Weltbild ist eine Perspek­tivie­rung, nicht nur eine Perspek­tive, denn es befin­det bereits über den Zuschnitt einer Frage­stellung, einer Sichtwei­se oder eines einzu­nehmen­den Standpunk­tes, noch bevor diese selbst sich formie­ren.

Anmerkungen
Literatur                             [Sammlung]

[Heideg­ger 1950a]: Heidegger, Martin (1950). Die Zeit des Welt­bildes. In: ders. (Hg.): Holz­wege. Frank­furt/M.: Kloster­mann, S. 69-104.

[Wittgen­stein 1984]: Wittgenstein, Ludwig (1984). Über Gewiß­heit. Frank­furt/M.: Suhr­kamp.


Hilfe: Nicht angezeigte Literaturangaben

Ausgabe 1: 2013

Verantwortlich:

Lektorat:

Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [18], Eva Schürmann [6] und Sebastian Spanknebel [1] — (Hinweis)

Zitierhinweis:

[Schürmann 2013g-d]Vergleiche vollständigen Eintrag
in Literatursammlung
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Schürmann, Eva (2013). Weltbild, Lebensform. (Ausg. 1). In: Schirra, J.R.J.; Halawa, M. & Liebsch, D. (Hg.): Glossar der Bildphilosophie. (2012-2024).
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