Weltbild, Lebensform
Unterpunkt zu: Bildlichkeit: Bedingungen und Folgen
Der Begriff des Weltbildes ist für das Thema Bildlichkeit deswegen von Bedeutung, weil Weltbilder Rahmenbedingungen sämtlicher Wirklichkeitsverhältnisse abgeben und als solche auch den Bedingungshintergrund pikturale Darstellungen prägen. Ein Weltbild besteht in den perspektivierenden Grundannahmen, aufgrund deren die Dinge in den Blick genommen und dargestellt werden können. Für die verstehenstheoretische Voraussetzungshaftigkeit von Weltbildern hat Ludwig Wittgenstein eindrückliche Formulierungen gefunden:
Mit dem Bild des Flußbettes der Gedanken macht Wittgenstein klar, dass es sich bei Weltbildern um [Rahmung, Rahmen|Rahmungen] von Inhalten und Bedeutungen, nicht um diese selbst handelt, sondern um Bedingungen, die ihnen vorausgehen. Zugleich sind die Bedeutungen, was auch immer sie sind, nur aufgrund jener Rahmenbedingungen.
In Anlehnung an Kierkegaards berühmte Definition des Selbstbewusstseins könnte man sagen, dass ein Weltbild der Rahmen eines Verhältnisses ist, mit dem wir uns zu uns und zur Welt verhalten. Wie der Rahmen eines Bildes dessen Grenzen und ästhetische Geltung festlegt, steckt ein Weltbild die Grenzen der in einer Zeit typischen Auslegungs- und Verstehensmöglichkeiten ab. Es konditioniert ein verwobenes System von Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsschemata, die Bewährtes absichern und Neues konditionieren. „Jenseits von berechtigt und unberechtigt“ ([Wittgenstein 1984]Literaturangabe fehlt. Als kollektive Hintergrundannahme hat sich das Weltbild in die Sprache eingenistet. Diesen Zusammenhang hat Wittgenstein mit den Begriffen »Lebensform« und »Sprachspiel« erläutert, indem er zeigte, dass wir einander nur verstehen können, wenn wir in diesen übereinstimmen. Die Bilder, die Menschen sich zu verschiedenen Zeiten von der Welt machen, prägen als Wahrnehmungsbilder und Vorstellungsbilder die gesamte kulturelle Praxis. Sie sind insofern keine Abbilder von anderweitig vorhandenen Gegebenheiten, sondern der Deutungshorizont im Hintergrund der konkreten Bilder. Damit stellen sie zugleich Voraussetzungen und Produkte menschlicher Welterschließung dar. In Weltbildern sind Weltanschauungen, evaluative Einstellungen und normative Orientierungen einer Kulturgemeinschaft präsent, die oft mit hart umkämpften Geltungsansprüchen einhergehen und die Handlungs- und Wahrnehmungsmöglichkeiten präformieren, noch bevor sie sich realisieren. Sie sind daher die Möglichkeitsbedingungen kreativer ebenso wie konventioneller Welterschließung. In Heideggers Weltbild-Aufsatz wird der Begriff als Beschreibung neuzeitlicher Subjektivität konzipiert. Folgt man Heidegger, wird die Welt in dem Maße zum Bild, in welchem der Mensch zum Subjekt wird. Bild meint dabei
Eben wegen der historischen Weltbildrelativität unserer Wirklichkeitsverhältnisse, steht es uns jedoch nicht zur freien Verfügung, beliebig damit zu verfahren. Sowohl der normative Rahmencharakter als auch die Freiheitlichkeit bildnerischer Weltverhältnisse lassen Weltbilder als ethische Bilder erscheinen, die in mehr als metaphorischem Sinne Bilder sind, weil sie wesentliche Eigenschaften des Bildlichen aufweisen. Es sind Bilder, die sowohl perzeptiv und aisthetisch, als auch imaginativ und ästhetisch zustande kommen. Ein Weltbild ist eine Perspektivierung, nicht nur eine Perspektive, denn es befindet bereits über den Zuschnitt einer Fragestellung, einer Sichtweise oder eines einzunehmenden Standpunktes, noch bevor diese selbst sich formieren. |
Anmerkungen
[Heidegger 1950a]: Heidegger, Martin (1950). Die Zeit des Weltbildes. In: ders. (Hg.): Holzwege. Frankfurt a.M.: ???, S. 69-104.
[Wittgenstein 1984]: Ausgabe 1: 2013 Verantwortlich: Lektorat: Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [18], Eva Schürmann [6] und Sebastian Spanknebel [1] — (Hinweis) Zitierhinweis: [Schürmann 2013g-d]Literaturangabe fehlt. |