Affekt und Wahrnehmung: Unterschied zwischen den Versionen
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Den Beiträgen zu einer phänomenologischen Erklärung des Bildes/der Bildbetrachtung ist die grundlegende Unterscheidung zwischen dem materiellen Bildträger und dem imaginärem Bildobjekt (oder: Bildgegenstand) gemeinsam.<ref> Vgl. <bib id='Husserl 1980'>Husserl 1980</bib>, <bib id='Sartre 1994b'>Sartre 1994b</bib>, <bib id='Sartre 1994c'>Sartre 1994c</bib> sowie <bib id='Merleau-Ponty 1966'>Merleau-Ponty 1966</bib>. Siehe auch die systematische Gegenüberstellung der Positionen von Husserl, Sartre und Merleau-Ponty in <bib id='Wiesing 2000'>Wiesing 2000</bib>.</ref> In seiner Schrift "Das Imaginäre" grenzt Jean-Paul Sartre den Bewusstseinsakt der Einbildung, der etwas als irreales Bildobjekt (als Vorstellung, image mentale) erscheinen lässt, strikt von der Wahrnehmung ab – denn die Wahrnehmung setzt ihr Objekt als ein in Raum und Zeit anwesend existierendes.<ref> Auf Sartres Überlegungen, unter welchen Bedingungen etwas als Bild gesetzt wird, bezieht sich Roland Barthes in seiner Untersuchung der Begegnung von photographischem Bild und Betrachter <bib id='Barthes 1989'>Barthes 1989</bib>.</ref> Die Vorstellung situiert Sartre auf einer mittleren Position, zwischen Wahrnehmung und Wissen (in Form begrifflicher Reflexion). Die Grundstruktur der Vorstellung erläutert Sartre u.a. am Beispiel affektiver Bewusstseinsformen, die irreale Objekte setzen <bib id='Sartre 1994b'>Sartre 1994b</bib>, S. 113 ff. Affektive Bewusstseinsformen haben einen repräsentationalen Gehalt und weisen spezielle Intentionalitäten auf. Auftretende Empfindungen, die vor einem begrifflichen Erkennen liegen, treiben die aktiven und spontanen Konstruktionen der Einbildungskraft an, die in Form des Begehrens wirksam werden. Das Begehren ist „ein blindes Bemühen, auf der repräsentativen Ebene zu besitzen, was mir auf der affektiven Ebene schon gegeben ist; durch die affektive Synthese hindurch visiert es ein Jenseits an, das es vorempfindet, ohne es erkennen zu können; es richtet sich auf das affektive ‚Etwas‘, das ihm gegenwärtig gegeben ist, und erfaßt es als Repräsentanten des Begehrten. So ist die Struktur eines affektiven Begehrensbewußtseins schon die eines vorstellenden Bewußtseins, da ja, wie in der Vorstellung, eine gegenwärtige Synthese als Substitut einer repräsentativen abwesenden Synthese dient.“ <bib id='Sartre 1994b'>Sartre 1994b</bib>, S. 119. Affektive Bewusstseinsformen geben sich daher – so wie Vorstellungen insgesamt – in bestimmter Hinsicht wie die Wahrnehmung und in anderer Hinsicht wie die logisch-begriffliche Erkenntnis. | Den Beiträgen zu einer phänomenologischen Erklärung des Bildes/der Bildbetrachtung ist die grundlegende Unterscheidung zwischen dem materiellen Bildträger und dem imaginärem Bildobjekt (oder: Bildgegenstand) gemeinsam.<ref> Vgl. <bib id='Husserl 1980'>Husserl 1980</bib>, <bib id='Sartre 1994b'>Sartre 1994b</bib>, <bib id='Sartre 1994c'>Sartre 1994c</bib> sowie <bib id='Merleau-Ponty 1966'>Merleau-Ponty 1966</bib>. Siehe auch die systematische Gegenüberstellung der Positionen von Husserl, Sartre und Merleau-Ponty in <bib id='Wiesing 2000'>Wiesing 2000</bib>.</ref> In seiner Schrift "Das Imaginäre" grenzt Jean-Paul Sartre den Bewusstseinsakt der Einbildung, der etwas als irreales Bildobjekt (als Vorstellung, image mentale) erscheinen lässt, strikt von der Wahrnehmung ab – denn die Wahrnehmung setzt ihr Objekt als ein in Raum und Zeit anwesend existierendes.<ref> Auf Sartres Überlegungen, unter welchen Bedingungen etwas als Bild gesetzt wird, bezieht sich Roland Barthes in seiner Untersuchung der Begegnung von photographischem Bild und Betrachter <bib id='Barthes 1989'>Barthes 1989</bib>.</ref> Die Vorstellung situiert Sartre auf einer mittleren Position, zwischen Wahrnehmung und Wissen (in Form begrifflicher Reflexion). Die Grundstruktur der Vorstellung erläutert Sartre u.a. am Beispiel affektiver Bewusstseinsformen, die irreale Objekte setzen <bib id='Sartre 1994b'>Sartre 1994b</bib>, S. 113 ff. Affektive Bewusstseinsformen haben einen repräsentationalen Gehalt und weisen spezielle Intentionalitäten auf. Auftretende Empfindungen, die vor einem begrifflichen Erkennen liegen, treiben die aktiven und spontanen Konstruktionen der Einbildungskraft an, die in Form des Begehrens wirksam werden. Das Begehren ist „ein blindes Bemühen, auf der repräsentativen Ebene zu besitzen, was mir auf der affektiven Ebene schon gegeben ist; durch die affektive Synthese hindurch visiert es ein Jenseits an, das es vorempfindet, ohne es erkennen zu können; es richtet sich auf das affektive ‚Etwas‘, das ihm gegenwärtig gegeben ist, und erfaßt es als Repräsentanten des Begehrten. So ist die Struktur eines affektiven Begehrensbewußtseins schon die eines vorstellenden Bewußtseins, da ja, wie in der Vorstellung, eine gegenwärtige Synthese als Substitut einer repräsentativen abwesenden Synthese dient.“ <bib id='Sartre 1994b'>Sartre 1994b</bib>, S. 119. Affektive Bewusstseinsformen geben sich daher – so wie Vorstellungen insgesamt – in bestimmter Hinsicht wie die Wahrnehmung und in anderer Hinsicht wie die logisch-begriffliche Erkenntnis. | ||
− | Mit Blick auf Maurice Merleau-Pontys "Phänomenologie der Wahrnehmung" und seine in Aufsätzen in Auseinandersetzung mit Gemälden und dem Film formulierte Bildtheorie lässt sich eine leiblich-affektive Komponente der Wahrnehmung näher bestimmen <bib id='Merleau-Ponty 1984'>Merleau-Ponty 1984</bib>, <bib id='Merleau-Ponty 1994'>Merleau-Ponty 1994</bib>, <bib id='Merleau-Ponty 2006'>Merleau-Ponty 2006</bib>. In Merleau-Pontys Konzeption geben sich die unhintergehbaren, der Wahrnehmung immanenten Strukturen in der Erfahrung des existierenden Leibes zu erkennen, dem sich jede Wahrnehmung präsentiert. Der Leib organisiert das perzeptive Feld in Abhängigkeit von einem intentionalen Bewusstsein und gibt in seiner Begegnung mit der Welt den Gegenständen Gestalt und Sinn: „Mein Leib ist nicht einfach ein Gegenstand unter all den anderen Gegenständen, ein Komplex von Sinnesqualitäten unter anderen, er ist ein für alle anderen Gegenstände empfindlicher Gegenstand, der allen Tönen ihre Resonanz gibt, mit allen Farben mitschwingt und allen Worten durch die Art und Weise, in der er sie aufnimmt, ihre ursprüngliche Bedeutung verleiht.“ <bib id='Merleau-Ponty | + | Mit Blick auf Maurice Merleau-Pontys "Phänomenologie der Wahrnehmung" und seine in Aufsätzen in Auseinandersetzung mit Gemälden und dem Film formulierte Bildtheorie lässt sich eine leiblich-affektive Komponente der Wahrnehmung näher bestimmen <bib id='Merleau-Ponty 1984'>Merleau-Ponty 1984</bib>, <bib id='Merleau-Ponty 1994'>Merleau-Ponty 1994</bib>, <bib id='Merleau-Ponty 2006'>Merleau-Ponty 2006</bib>. In Merleau-Pontys Konzeption geben sich die unhintergehbaren, der Wahrnehmung immanenten Strukturen in der Erfahrung des existierenden Leibes zu erkennen, dem sich jede Wahrnehmung präsentiert. Der Leib organisiert das perzeptive Feld in Abhängigkeit von einem intentionalen Bewusstsein und gibt in seiner Begegnung mit der Welt den Gegenständen Gestalt und Sinn: „Mein Leib ist nicht einfach ein Gegenstand unter all den anderen Gegenständen, ein Komplex von Sinnesqualitäten unter anderen, er ist ein für alle anderen Gegenstände empfindlicher Gegenstand, der allen Tönen ihre Resonanz gibt, mit allen Farben mitschwingt und allen Worten durch die Art und Weise, in der er sie aufnimmt, ihre ursprüngliche Bedeutung verleiht.“ <bib id='Merleau-Ponty 1966a'>Merleau-Ponty 1966a</bib>, S. 276. Innerhalb seines Modells setzt Merleau-Ponty Empfindungen und Affekte nicht als der Wahrnehmung vorgängige, äußere Reize an, sondern als dem Bewusstsein in der Reflexion als evident gegebene Phänomene. <bib id='Merleau-Ponty 1966a'>Merleau-Ponty 1966a</bib>, vgl. S. 59 ff. Komplexe und länger anhaltende Gefühle wie beispielsweise Liebe können den Bezug zu uns selbst und zur Welt begründen. Sie können somit existentielle Bedeutung gewinnen für unser intentionales Engagement in der Welt <bib id='Merleau-Ponty 1966a'>Merleau-Ponty 1966a</bib>, vor allem S. 430 ff. Mit Merleau-Pontys Überlegungen lässt sich ein Argument dafür gewinnen, dass Bilder selbst zur Erkenntnis über die Rolle der Affekte in der Wahrnehmung beitragen. Merleau-Ponty nimmt eine enge Verbindung zwischen dem leiblichen Sehen und der sichtbaren Wirklichkeit erfundener bildlicher Formen an. Vor diesem Hintergrund ist Bildtheorie als sprachlich-begrifflicher Nachvollzug der mit Bildern selbst gegebenen phänomenologischen Erforschung des Sehens und der Sichtbarkeit zu verstehen <bib id='Merleau-Ponty 1984'>Merleau-Ponty 1984</bib>.<ref>Siehe auch <bib id='Wiesing 2000'>Wiesing 2000</bib>, S. 70 ff.</ref> |
− | Für gegenwärtige Diskussionen erweist sich Merleau-Pontys phänomenologischer Zugang als instruktiv, weil er die leibliche Erfahrung des Sehens als ein reziprokes Geschehen zwischen Blick und Gesehenem vorstellt. Gemäß dieser Darlegung ist das Wahrnehmen von Bildern gleichermaßen aktiv (imaginativ-konstruierend) und passiv (rezeptiv).<ref> Merleau-Ponty spricht vom „Austausch zwischen Empfindungssubjekt und Sinnlichem“, <bib id='Merleau-Ponty | + | Für gegenwärtige Diskussionen erweist sich Merleau-Pontys phänomenologischer Zugang als instruktiv, weil er die leibliche Erfahrung des Sehens als ein reziprokes Geschehen zwischen Blick und Gesehenem vorstellt. Gemäß dieser Darlegung ist das Wahrnehmen von Bildern gleichermaßen aktiv (imaginativ-konstruierend) und passiv (rezeptiv).<ref> Merleau-Ponty spricht vom „Austausch zwischen Empfindungssubjekt und Sinnlichem“, <bib id='Merleau-Ponty 1966a'>Merleau-Ponty 1966a</bib>, S. 251.</ref> |
In der bildtheoretischen Forschung der jüngst vergangenen Jahre entzündete sich eine ausgedehnte Debatte über affektive Wirkungsformen und ihre Relevanz für den Status von Bildern. Bezogen auf Wahrnehmungstheorien, auf Gebrauchsweisen sowie auf technische Verfahren der Einsetzung und Verbreitung von Bildern wurde die Verteilung von (bzw. Dynamik zwischen) Aktivität und Passivität im Verhältnis von Bild und Betrachter vermehrt diskutiert. Die unterschiedlichen Forschungspositionen und Argumentationsgänge lassen sich dabei zwei leitenden, miteinander verknüpften Fragen zuordnen: Erstens wenden sich Untersuchungen zur Reflexion des Bildes bzw. „Bewußtwerdung des Bildes als Bild“ <bib id='Stoichita 1998'>Stoichita 1998</bib>, S. 110, den im gestalteten formalen Gefüge des Bildes angelegten, im Verhältnis zum Betrachter wirksam werdenden Aktqualitäten zu. Dabei wurde – zum Teil in differenzierender Auseinandersetzung mit Sprechakttheorien – die mit der Form gegebene Kraft des Bildes als Blickwendung, Bildhandeln oder Bildakt näher bestimmt <bib id='Didi-Huberman 1999'>Didi-Huberman 1999</bib>, <bib id='Dubois 1998'>Dubois 1998</bib>, <bib id='Bredekamp 2010'>Bredekamp 2010</bib>. Die kommunikative Funktion von Bildern erfährt eine stärkere Betonung in <bib id='Sachs-Hombach 2003'>Sachs-Hombach 2003</bib>, <bib id='Seja 2009'>Seja 2009</bib>. ‚Bildakt‘ bezeichnet dabei nach Horst Bredekamp „eine Wirkung auf das Empfinden, Denken und Handeln […], die aus der Kraft des Bildes und der Wechselwirkung mit dem betrachtenden, berührenden und auch hörenden Gegenüber entsteht.“ <bib id='Bredekamp 2010'>Bredekamp 2010</bib>, S. 52. | In der bildtheoretischen Forschung der jüngst vergangenen Jahre entzündete sich eine ausgedehnte Debatte über affektive Wirkungsformen und ihre Relevanz für den Status von Bildern. Bezogen auf Wahrnehmungstheorien, auf Gebrauchsweisen sowie auf technische Verfahren der Einsetzung und Verbreitung von Bildern wurde die Verteilung von (bzw. Dynamik zwischen) Aktivität und Passivität im Verhältnis von Bild und Betrachter vermehrt diskutiert. Die unterschiedlichen Forschungspositionen und Argumentationsgänge lassen sich dabei zwei leitenden, miteinander verknüpften Fragen zuordnen: Erstens wenden sich Untersuchungen zur Reflexion des Bildes bzw. „Bewußtwerdung des Bildes als Bild“ <bib id='Stoichita 1998'>Stoichita 1998</bib>, S. 110, den im gestalteten formalen Gefüge des Bildes angelegten, im Verhältnis zum Betrachter wirksam werdenden Aktqualitäten zu. Dabei wurde – zum Teil in differenzierender Auseinandersetzung mit Sprechakttheorien – die mit der Form gegebene Kraft des Bildes als Blickwendung, Bildhandeln oder Bildakt näher bestimmt <bib id='Didi-Huberman 1999'>Didi-Huberman 1999</bib>, <bib id='Dubois 1998'>Dubois 1998</bib>, <bib id='Bredekamp 2010'>Bredekamp 2010</bib>. Die kommunikative Funktion von Bildern erfährt eine stärkere Betonung in <bib id='Sachs-Hombach 2003'>Sachs-Hombach 2003</bib>, <bib id='Seja 2009'>Seja 2009</bib>. ‚Bildakt‘ bezeichnet dabei nach Horst Bredekamp „eine Wirkung auf das Empfinden, Denken und Handeln […], die aus der Kraft des Bildes und der Wechselwirkung mit dem betrachtenden, berührenden und auch hörenden Gegenüber entsteht.“ <bib id='Bredekamp 2010'>Bredekamp 2010</bib>, S. 52. |
Version vom 13. März 2011, 17:30 Uhr
Unterpunkt zu: Bildwahrnehmung
Darstellung des gr. ZusammenhangsIn der philosophischen Affektdiskussion wird Bildwerken neben Rhetorik, Musik und Dichtung (bzw. Theater) ein wichtiger Platz zugewiesen. Seit der griechischen Antike bezieht sich das Nachdenken über Affekte mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen auf die Gegenstände der Darstellung, die Struktur des Werks und die sinnlich-affektauslösende Wirkungskraft ästhetischer Formen. Im Zentrum der Diskussion stehen die menschliche Affektnatur und die Möglichkeiten einer ästhetischen Transformation starker Regungen mittels künstlerischer Repräsentationen. Kunstwerken wird zugesprochen, durch ihre würdige Form der Affektdarstellung und -auslösung dem Individuum eine Anleitung zum Umgang mit starken, unvernünftigen Regungen zu geben. Als affektregulierend werden in der Nachfolge von Aristoteles’ "Poetik" die Erlebnisqualitäten eines Kunstwerks verstanden, das starke Affektregungen ermöglicht, zu ihrer Mäßigung anleitet und somit den Einzelnen zu vernunftgemäßem tugendhaften Handeln hinführt [Aristoteles 1997]Aristoteles (1997).Poetik. Griechisch/Deutsch. Stuttgart: Reclam, Übers. und Hrsg.. Eintrag in Sammlung zeigen, [Aristoteles 1995b]Aristoteles (1995). Nikomachische Ethik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Philosophische Schriften 3; Übers.: Eugen Rolfes. Eintrag in Sammlung zeigen, [Bernays 1970]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. . Seit Mitte des 18. Jahrhunderts werden in ästhetischen Debatten Affekte als in Sinneseindrücken begründete, von Lust oder Unlust begleitete, kurzzeitige Gemütsbewegungen erörtert. Die Verwendung des Begriffs ‚Affekt‘ sowie des häufig synonym verwendeten Ausdrucks ‚Empfindung‘ für eine unmittelbare und zeitlich begrenzte Erlebnisqualität geben dabei eine Bedeutungsdifferenzierung gegenüber länger anhaltenden, habituellen Strebungen (‚Neigung‘, ‚Begierde‘ oder ‚Leidenschaften‘) zu erkennen.[1] In der philosophischen Ästhetik – ebenso in psychologisch fundierten Kunsttheorien – findet sich keine einheitliche Bestimmung von ‚Affekt‘, die einen spezifischen Bereich der subjektiven Wahrnehmung von seelischen und/oder körperlichen Zustandsveränderungen gegenüber den weiter gefassten Begriffen ‚Gefühl‘ oder ‚Stimmung‘ eindeutig abgrenzen würde. Eine systematische Begründung und präzise Funktion erhält der Affektbegriff demgegenüber in der Psychoanalyse: Er bezeichnet die unwillkürliche, starke gefühlsmäßige und/oder körperliche Reaktion eines Subjekts, die einen qualitativen Gehalt aufweist und nicht notwendig an eine bewusste Repräsentanz und ein bewusstes Erleben in Form einer Eindrücke reflektierenden Selbstwahrnehmung geknüpft ist [Freud 1946a]Freud, Sigmund (1946).Die Verdrängung. In Gesammelte Werke, Bd. 10, 247-261. Eintrag in Sammlung zeigen, [Freud 1946b]Freud, Sigmund (1946). Das Unbewußte. In Gesammelte Werke, Bd. 10, 263-303. Eintrag in Sammlung zeigen, [Laplanche & Pontalis 1973]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. . Seit den 1960er Jahren setzte sich, vor allem in der analytischen Philosophie, die terminologische Unterscheidung von Affekten und Emotionen durch. In gegenwärtigen Theorien werden Emotionen als bewusste intentionale Relation zwischen einem Individuum und einem Gegenstand in der Welt definiert, aufgrund derer der Gegenstand als in bestimmter Weise seiend repräsentiert wird [Döring 2009]Literaturangabe fehlt.
Engere BegriffsbestimmungAffektive Bildwahrnehmung bezeichnet eine starke oder überwältigende, augenblickliche emotionale Erregung eines Individuums im Prozess der sinnlichen und Bedeutung bildenden Erschließung von Bildwerken oder bildlich strukturierten Darstellungsräumen. Systematische Beiträge zur affektiven Komponente der Wahrnehmung finden sich vor allem in ästhetischen und phänomenologischen Bildtheorien. Diese fassen die Wahrnehmung als dynamische Struktur auf und kennzeichnen sie als einen sowohl reaktiven als auch produktiv-realisierenden Vollzug zwischen wahrnehmendem Subjekt und den sichtbaren Aspekten des Objekts (des Bildes). Bilder können in ihrer materiell-dinglichen und formalen Struktur vom Betrachter als Auslöser und Gegenstand einer unwillkürlich auftretenden, spezifischen Gestimmtheit erfahren werden. Für das Betrachter-Subjekt nimmt damit der Zugang zum bildlich Sichtbaren im Wesentlichen die Form einer Selbstwahrnehmung unmittelbarer Empfindungen an. Empfindungen umfassen dabei die momentane Erlebnisqualität sinnlicher Eindrücke sowie die sie begleitenden Gefühlszustände bzw. emotional bewegenden Vorstellungen. In der ersten Einleitung zur "Kritik der Urteilskraft" führt Immanuel Kant eine Empfindung, „die mit dem Gefühle der Lust und Unlust unmittelbar verbunden ist“ [Kant 1977]Literaturangabe fehlt. Schriften zur Kunst. München: Fink, 2 Bd., hrsg. von Gottfried Boehm. Eintrag in Sammlung zeigen.[5] Die Arbeit des Künstlers überträgt dessen vorbegriffliche, anschauliche Ausdrucksbeziehung zur Natur in das unabschließbare Spiel eines selbstbezüglichen und sich differenzierenden visuellen Sinns [Fiedler 1991b]Fiedler, Konrad (1991). Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeit. In Schriften zur Kunst, 111-220, Bd. 1, hrsg. von Gottfried Boehm. Eintrag in Sammlung zeigen, S. 173 ff. Den Wahrnehmungsvorgang konzipiert Fiedler als Ausdrucksbewegung des Sehenden in seiner jeweils bestimmten Verfassung. Im Vollzug der Wahrnehmung führt die künstlerische Form den Betrachter aus dem „unentwickelten, verdunkelten Zustand“ [Fiedler 1991c]Fiedler, Konrad (1991). Aphorismen. In Schriften zur Kunst, 7-105, Bd. 2, hrsg. von Gottfried Boehm. Eintrag in Sammlung zeigen, S. 48, des alltäglichen anschaulichen Bewusstseins zu Erkenntnissen in Form unablässig fortschreitender, sichtbarer Wirklichkeitsbezeichnungen [Fiedler 1991d]Fiedler, Konrad (1991). Zur neueren Kunsttheorie. In Schriften zur Kunst, 247-290, Bd. 2, hrsg. von Gottfried Boehm. Eintrag in Sammlung zeigen, vgl. S. 262. Für die Einschätzung der Affekte ist relevant, dass Fiedler in Erwiderung auf Kants Kritik der Urteilskraft auch Erkenntnissen zuschreibt, Lustempfindungen erregen zu können [Fiedler 1991d]Fiedler, Konrad (1991). Zur neueren Kunsttheorie. In Schriften zur Kunst, 247-290, Bd. 2, hrsg. von Gottfried Boehm. Eintrag in Sammlung zeigen, S. 265. Ernst Cassirer untersucht in der "Philosophie der symbolischen Formen" die Wirklichkeit des Menschen in der Kultur als Gesamtheit der vielfältigen, werkhaften Vermittlungen und aller möglichen Weisen, durch Akte der Symbolisierung Sinn zu erzeugen.[6] Bilder und Zeichen fasst Cassirer als sinnliche erlebte Ausdrucksbewegung und als darin sinntragende Vermittlung eines Geistigen [Cassirer 2009]Literaturangabe fehlt. Das Imaginäre. Phänomenologische Psychologie der Einbildungskraft (1940). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, Gesammelte Werke. Philosophische Schriften I-2, hrsg. von Vincent von Wroblewsky. Eintrag in Sammlung zeigen, S. 113 ff. Affektive Bewusstseinsformen haben einen repräsentationalen Gehalt und weisen spezielle Intentionalitäten auf. Auftretende Empfindungen, die vor einem begrifflichen Erkennen liegen, treiben die aktiven und spontanen Konstruktionen der Einbildungskraft an, die in Form des Begehrens wirksam werden. Das Begehren ist „ein blindes Bemühen, auf der repräsentativen Ebene zu besitzen, was mir auf der affektiven Ebene schon gegeben ist; durch die affektive Synthese hindurch visiert es ein Jenseits an, das es vorempfindet, ohne es erkennen zu können; es richtet sich auf das affektive ‚Etwas‘, das ihm gegenwärtig gegeben ist, und erfaßt es als Repräsentanten des Begehrten. So ist die Struktur eines affektiven Begehrensbewußtseins schon die eines vorstellenden Bewußtseins, da ja, wie in der Vorstellung, eine gegenwärtige Synthese als Substitut einer repräsentativen abwesenden Synthese dient.“ [Sartre 1994b]Sartre, Jean-Paul (1994). Das Imaginäre. Phänomenologische Psychologie der Einbildungskraft (1940). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, Gesammelte Werke. Philosophische Schriften I-2, hrsg. von Vincent von Wroblewsky. Eintrag in Sammlung zeigen, S. 119. Affektive Bewusstseinsformen geben sich daher – so wie Vorstellungen insgesamt – in bestimmter Hinsicht wie die Wahrnehmung und in anderer Hinsicht wie die logisch-begriffliche Erkenntnis. Mit Blick auf Maurice Merleau-Pontys "Phänomenologie der Wahrnehmung" und seine in Aufsätzen in Auseinandersetzung mit Gemälden und dem Film formulierte Bildtheorie lässt sich eine leiblich-affektive Komponente der Wahrnehmung näher bestimmen [Merleau-Ponty 1984]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. , [Merleau-Ponty 1994]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. , [Merleau-Ponty 2006]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. . In Merleau-Pontys Konzeption geben sich die unhintergehbaren, der Wahrnehmung immanenten Strukturen in der Erfahrung des existierenden Leibes zu erkennen, dem sich jede Wahrnehmung präsentiert. Der Leib organisiert das perzeptive Feld in Abhängigkeit von einem intentionalen Bewusstsein und gibt in seiner Begegnung mit der Welt den Gegenständen Gestalt und Sinn: „Mein Leib ist nicht einfach ein Gegenstand unter all den anderen Gegenständen, ein Komplex von Sinnesqualitäten unter anderen, er ist ein für alle anderen Gegenstände empfindlicher Gegenstand, der allen Tönen ihre Resonanz gibt, mit allen Farben mitschwingt und allen Worten durch die Art und Weise, in der er sie aufnimmt, ihre ursprüngliche Bedeutung verleiht.“ [Merleau-Ponty 1966a]Merleau-Ponty, Maurice (1966). Phänomenologie der Wahrnehmung (1945). Berlin: Walter de Gruyter, aus dem Französischen übersetzt und eingeführt durch eine Vorrede von Boehm, Rudolf. Eintrag in Sammlung zeigen, S. 276. Innerhalb seines Modells setzt Merleau-Ponty Empfindungen und Affekte nicht als der Wahrnehmung vorgängige, äußere Reize an, sondern als dem Bewusstsein in der Reflexion als evident gegebene Phänomene. [Merleau-Ponty 1966a]Merleau-Ponty, Maurice (1966). Phänomenologie der Wahrnehmung (1945). Berlin: Walter de Gruyter, aus dem Französischen übersetzt und eingeführt durch eine Vorrede von Boehm, Rudolf. Eintrag in Sammlung zeigen, vgl. S. 59 ff. Komplexe und länger anhaltende Gefühle wie beispielsweise Liebe können den Bezug zu uns selbst und zur Welt begründen. Sie können somit existentielle Bedeutung gewinnen für unser intentionales Engagement in der Welt [Merleau-Ponty 1966a]Merleau-Ponty, Maurice (1966). Phänomenologie der Wahrnehmung (1945). Berlin: Walter de Gruyter, aus dem Französischen übersetzt und eingeführt durch eine Vorrede von Boehm, Rudolf. Eintrag in Sammlung zeigen, vor allem S. 430 ff. Mit Merleau-Pontys Überlegungen lässt sich ein Argument dafür gewinnen, dass Bilder selbst zur Erkenntnis über die Rolle der Affekte in der Wahrnehmung beitragen. Merleau-Ponty nimmt eine enge Verbindung zwischen dem leiblichen Sehen und der sichtbaren Wirklichkeit erfundener bildlicher Formen an. Vor diesem Hintergrund ist Bildtheorie als sprachlich-begrifflicher Nachvollzug der mit Bildern selbst gegebenen phänomenologischen Erforschung des Sehens und der Sichtbarkeit zu verstehen [Merleau-Ponty 1984]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. .[10] Für gegenwärtige Diskussionen erweist sich Merleau-Pontys phänomenologischer Zugang als instruktiv, weil er die leibliche Erfahrung des Sehens als ein reziprokes Geschehen zwischen Blick und Gesehenem vorstellt. Gemäß dieser Darlegung ist das Wahrnehmen von Bildern gleichermaßen aktiv (imaginativ-konstruierend) und passiv (rezeptiv).[11] In der bildtheoretischen Forschung der jüngst vergangenen Jahre entzündete sich eine ausgedehnte Debatte über affektive Wirkungsformen und ihre Relevanz für den Status von Bildern. Bezogen auf Wahrnehmungstheorien, auf Gebrauchsweisen sowie auf technische Verfahren der Einsetzung und Verbreitung von Bildern wurde die Verteilung von (bzw. Dynamik zwischen) Aktivität und Passivität im Verhältnis von Bild und Betrachter vermehrt diskutiert. Die unterschiedlichen Forschungspositionen und Argumentationsgänge lassen sich dabei zwei leitenden, miteinander verknüpften Fragen zuordnen: Erstens wenden sich Untersuchungen zur Reflexion des Bildes bzw. „Bewußtwerdung des Bildes als Bild“ [Stoichita 1998]Literaturangabe fehlt. Neben dieser formalen und phänomenologischen Akzentuierung verbinden sich Überlegungen zur Affektivität der Bildwahrnehmung zweitens mit Fragen nach Verwendungsweisen von Bildern und den ihnen eigenen Handlungsdimensionen als Agenten oder Akteure. Angesprochen sind damit politische oder religiöse Praktiken des Bildgebrauchs sowie affektive und emotional-evaluative Einstellungen, die als Verhalten beobachtbar werden in Formen der Bildverehrung, der Bildstrafe oder -zerstörung.[12]
Vor allem die Arbeiten von W. J. Thomas Mitchell zu Personifizierung, Animismus und Fetischismus sowie zur Personalität von Bildern (als Dingen oder Körpern) erweisen sich hier als weitreichend. Im Zentrum von Mitchells kritischen Interventionen steht ein subalternes Modell des Bildes. Das Bild soll in seinen Wünschen bzw. in seinem Begehren zum Sprechen gebracht werden, um in dieser Weise (gewissermaßen als Subjekt) selbstmächtig zur Theoriebildung beizutragen [ Mitchell 2008]Literaturangabe fehlt. Gegenwärtige Bildtheorien wenden sich also der Frage zu, welche Rolle Affekte als eine Komponente von Wahrnehmungsakten dafür spielen, dass Dinge als Bild wahrgenommen und behandelt werden. Darüber hinaus eröffnen sie auch eine Debatte darüber, wie ein Begehren oder affektives Bewegt-Sein des Bildes selbst einen formalen Ausdruck (er-)finden kann und dieser als theoretische Äußerung zu begreifen wäre. optional BeispieleAuswirkungen auf andere Begriffe |
Anmerkungen
[Volkelt 1905]:
Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Aristoteles 1995b]: Aristoteles (1995). Nikomachische Ethik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Philosophische Schriften 3; Übers.: Eugen Rolfes. [Aristoteles 1997]: Aristoteles (1997). Poetik. Griechisch/Deutsch. Stuttgart: Reclam, Übers. und Hrsg..
[Barthes 1989]: Verantwortlich: Seitenbearbeitungen durch: Ulrike Hanstein [68], Joerg R.J. Schirra [31] und Mark A. Halawa [2] — (Hinweis) |