Anamorphose: Unterschied zwischen den Versionen
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Gaspar Schotts 1657 erschienene Schrift ''Magia universalis naturae et artis'' enthält ein Kapitel zur ''Magia Anamorphotica'' (vgl. <bib id='Schott 57a'>Schott 1657a</bib>). Dieser Traktat gilt heute gemeinhin als erster Beleg für die Verwendung des Begriffs. Zu dieser Zeit hatte die Anamorphose bereits praktische Anwendung gefunden: Das Konstruktionsverfahren war unter anderem bei der Gestaltung von Fresken eingesetzt worden, „um perfekte Proportionen sogar unter ungünstigen Rezeptionsbedingungen zu gewährleisten“ (<bib id='Mersmann 08a'>Mersmann 2008a</bib>: S. 25, vgl. dazu auch <bib id='Hensel 09a'>Hensel 2009a</bib>). Auch beeinflussten anamorphotische Verfahren wesentlich die Entwicklung naturwissenschaftlicher und geographischer Darstellungen im 16. und 17. Jahrhundert (vgl. <bib id='Schäffner 03a'>Schäffner 2003a</bib>). Im Laufe des 17. Jahrhunderts setzte schließlich im Zuge des Rationalismus in Künsten und Philosophie eine praktische wie theoretische Erschließung der Anamorphose ein (vgl. <bib id='Cha & Rautzenberg 08a'>Cha & Rautzenberg 2008a</bib>, <bib id='Hick 99a'>Hick 1999a</bib>). | Gaspar Schotts 1657 erschienene Schrift ''Magia universalis naturae et artis'' enthält ein Kapitel zur ''Magia Anamorphotica'' (vgl. <bib id='Schott 57a'>Schott 1657a</bib>). Dieser Traktat gilt heute gemeinhin als erster Beleg für die Verwendung des Begriffs. Zu dieser Zeit hatte die Anamorphose bereits praktische Anwendung gefunden: Das Konstruktionsverfahren war unter anderem bei der Gestaltung von Fresken eingesetzt worden, „um perfekte Proportionen sogar unter ungünstigen Rezeptionsbedingungen zu gewährleisten“ (<bib id='Mersmann 08a'>Mersmann 2008a</bib>: S. 25, vgl. dazu auch <bib id='Hensel 09a'>Hensel 2009a</bib>). Auch beeinflussten anamorphotische Verfahren wesentlich die Entwicklung naturwissenschaftlicher und geographischer Darstellungen im 16. und 17. Jahrhundert (vgl. <bib id='Schäffner 03a'>Schäffner 2003a</bib>). Im Laufe des 17. Jahrhunderts setzte schließlich im Zuge des Rationalismus in Künsten und Philosophie eine praktische wie theoretische Erschließung der Anamorphose ein (vgl. <bib id='Cha & Rautzenberg 08a'>Cha & Rautzenberg 2008a</bib>, <bib id='Hick 99a'>Hick 1999a</bib>). |
Version vom 26. Juni 2012, 16:13 Uhr
Unterpunkt zu: Bildverwendungstypen
Das anamorphotische BildBei einer Anamorphose handelt es sich um ein Bild, welches auf einem besonderen geometrischen Konstruktionsverfahren beruht. Dem zentralperspektivischen Bild ähnlich, gründet die Anamorphose auf einem mathematischen Raster. Das geometrisch berechnete Konstruktionsschema wird allerdings in einer anamorphotischen Darstellung verzerrt dargestellt, indem die einzelnen Trapez-Raster stark verlängert sind (vgl. [Topper 2000a]Topper, David (2000).On Anamorphosis. Setting Some Things Straight. In Leonardo, 33, 2, 115-124. Eintrag in Sammlung zeigen). Im anamorphotischen Bild erscheint der abgebildete Gegenstand daher in elongierter Form. Um diese Verzerrung auszugleichen, muss der Betrachter die Anamorphose von einem seitlichen Blickwinkel aus oder mit optischen Geräten betrachten. Verschiedene Typen anamorphotischer Darstellungen existieren seit deren neuzeitlicher Erfindung. Die basale Form ist die oben beschriebene optische bzw. Längenanamorphose. Sie beruht auf dem Prinzip der perspektivischen Verzerrung und wird für den Betrachter in der Dislozierung des eigenen Blickpunktes lesbar. Daneben existieren sogenannte katoptrische sowie dioptrische Anamorphosen. Diese dechiffriert der Betrachter mittels eines Spiegels, Prismas oder gar einer facettierten Linse ([Dewitz & Nekes 2002a]Literaturangabe fehlt. Der Begriff der AnamorphoseDie Bezeichnung »ana-morphosis« umschreibt zugleich die Form und die Funktion des Darstellungsverfahrens: Im „doppelgestaltig[en]“, anamorphotischen Bild ist bzw. wird etwas „um-geformt“ ([Eser 1998a]Literaturangabe fehlt. De Magia Anamorphotica. In Magia Universalis Naturae et Artis, Teil 1, Buch III. Eintrag in Sammlung zeigen). Dieser Traktat gilt heute gemeinhin als erster Beleg für die Verwendung des Begriffs. Zu dieser Zeit hatte die Anamorphose bereits praktische Anwendung gefunden: Das Konstruktionsverfahren war unter anderem bei der Gestaltung von Fresken eingesetzt worden, „um perfekte Proportionen sogar unter ungünstigen Rezeptionsbedingungen zu gewährleisten“ ([Mersmann 2008a]Mersmann, Jasmin (2008). Wandelgänge. Monumentale Anamorphosen im 17. Jahrhundert. In Der entstellte Blick. Anamorphosen in Kunst, Literatur und Philosophie, 23-41. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 25, vgl. dazu auch [Hensel 2009a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. ). Auch beeinflussten anamorphotische Verfahren wesentlich die Entwicklung naturwissenschaftlicher und geographischer Darstellungen im 16. und 17. Jahrhundert (vgl. [Schäffner 2003a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. ). Im Laufe des 17. Jahrhunderts setzte schließlich im Zuge des Rationalismus in Künsten und Philosophie eine praktische wie theoretische Erschließung der Anamorphose ein (vgl. [Cha & Rautzenberg 2008a]Cha, Kyung-Ho & Rautzenberg, Markus (2008). Einleitung: Im Theater des Sehens. Anamorphose als Bild und philosophische Metapher. In Der entstellte Blick. Anamorphosen in Kunst, Literatur und Philosophie, 7-22. Eintrag in Sammlung zeigen, [Hick 1999a]Hick, Ulrike (1999). Geschichte der optischen Medien. München: Fink. Eintrag in Sammlung zeigen). Die Anamorphose als ein Korrektiv zur Darstellung der Linearperspektive zu interpretieren, erfolgt spätestens im 20. Jahrhundert. Die Philosophie und Kunsttheorie der Moderne hat sich das Darstellungsverfahren der Anamorphose vor allem mit Blick auf das wahrnehmende Subjekt zunutze gemacht. Gerade bei Lacan taucht die Längenanamorphose als ein Leitmotiv postmoderner Subjektkritik auf (vgl. [Lacan 1987a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. : S. 93). Dieser widmet dem Holbeinschen Gemälde ein Kapitel seines Buches über das Phänomen der Anamorphose (vgl. [Baltrušaitis 1977a]Baltrušaitis, Jurgis (1977). Anamorphic Art. Chadwyck-Healey, (aus dem Französischen von W.J. Strachan, zuerst: Paris 1969). Eintrag in Sammlung zeigen), wobei sich seine Kernthese auf den Handlungsvollzug der Bildbetrachtung stützt: Einer theatralen Aufführung gleich interpretiert er die Rezeption des Bildes als einen Zweiakter, in dem der Betrachter zunächst vom starken Realismus des Gemäldes affiziert ist und alsbald ein störendes Detail am unteren Bildrand entdeckt. Aus Enttäuschung darüber, diesen blinden Fleck des Bildes nicht entziffern zu können, verlässt er den Raum, nicht ohne einen letzten Blick zurück zu werfen. Erst in diesem Augenblick eröffnet sich eine andere Perspektive auf das Bild und er bemerkt die Verwandlung des verzerrten Flecks in einen Totenkopf ([Baltrušaitis 1977a]Baltrušaitis, Jurgis (1977). Anamorphic Art. Chadwyck-Healey, (aus dem Französischen von W.J. Strachan, zuerst: Paris 1969). Eintrag in Sammlung zeigen: S. 104f.). Mit dieser Bildgeschichte legt Baltrušaitis den Grundstein für eine Debatte, die die Anamorphose zu einem paradigmatischen Beispiel für bildwissenschaftliche Theorien werden lässt. Die sogenannte bildwissenschaftliche Wende nimmt ihren historischen Ausgangspunkt unter anderem in den angloamerikanischen kunsthistorischen Debatten der 1980er und 90er-Jahre aus der Auseinandersetzung um optische Modelle heraus. Diese Diskurse läuten eine Beschäftigung mit den Wahrnehmungsbedingungen der Zentralperspektive als eines Dispositivs ein, in dessen Zusammenhang auch der Anamorphose eine zentrale Position als erkenntnistheoretisches Modell zugewiesen wird (vgl. [Veltman 1986a]Literaturangabe fehlt. Die Anamorphose als ein Korrektiv zu sehen, setzt sich in der aktuellen Bildforschung fort. Zwei Stränge lassen sich dabei unterscheiden, deren Argumentationen einerseits in eine medienphilosophische und andererseits in die Richtung der angloamerikanisch geprägten visual studies zielen. Beide Ansätze gehen jeweils von der Anamorphose als einer Kippfigur aus, die im Augenblick des Betrachtens existent ist und in dieser ephemeren Situation etwas augenscheinlich macht. Anamorphose und MedienphilosophieDieter Mersch sieht in der Anamorphose das Paradigma einer negativen Medientheorie veranschaulicht. Ausgehend von Holbeins Gemälde argumentiert er, dass dieses die „Medialität der Bildkonstruktion“ zu erhellen im Stande sei ([Mersch 2006a]Literaturangabe fehlt. Anamorphose und visual studiesAuch Kyung-Ho Cha und Markus Rautzenberg betonen die Aufführungssituation der Anamorphose. Als ein Bild, das „kinetische Qualität“ ([Cha & Rautzenberg 2008a]Cha, Kyung-Ho & Rautzenberg, Markus (2008).Einleitung: Im Theater des Sehens. Anamorphose als Bild und philosophische Metapher. In Der entstellte Blick. Anamorphosen in Kunst, Literatur und Philosophie, 7-22. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 15) aufweist, bleibt dieses dauerhaft in der Schwebe zwischen bildlichen Zuständen. Die Vorstellung kinetischer Bildlichkeit ersetzt das Konzept des statischen Bildes (vgl. ebd.: S. 18). Ein Bild wird dann zu einem ephemeren Ereignis, das den Betrachter in seiner jeweiligen kulturellen Disposition zum konstitutiven Part ernennt. Es ist die Geschichte des Sehens, die sich ins anamorphotische Bild schleicht und die sie zum geeigneten Exempel macht, die Themenkomplexe »Bild« und »Wahrnehmung« zu überdenken (vgl. [Schürmann 2008a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. ). Beispiele für AnamorphosenErste anamorphotische Versuche lassen sich bereits im 15. Jahrhundert bei Leonardo da Vinci nachweisen. Dieser hatte um 1485 zwei verzerrt gezeichnete Skizzen angefertigt (vgl. [Leeman 75a]Literaturangabe fehlt. CinemaScope. Zur Geschichte der Breitwandfilme. Berlin: Spiess. Eintrag in Sammlung zeigen). Auswirkungen auf andere Begriffe⊳Perspektivik, ⊳Blick, ⊳Perspektive und Projektion, ⊳Optische Medien, ⊳Vexierbild |
Anmerkungen
[Baltrušaitis 1977a]: Baltrušaitis, Jurgis (1977). Anamorphic Art. Chadwyck-Healey, (aus dem Französischen von W.J. Strachan, zuerst: Paris 1969).
[Belach & Jacobsen 1993]: Belach, Helga & Jacobsen, Wolfgang (1993). CinemaScope. Zur Geschichte der Breitwandfilme. Berlin: Spiess.
[Cha & Rautzenberg 2008a]: Cha, Kyung-Ho & Rautzenberg, Markus (2008). Einleitung: Im Theater des Sehens. Anamorphose als Bild und philosophische Metapher. In: dies. (Hg.): Der entstellte Blick. Anamorphosen in Kunst, Literatur und Philosophie. München: Fink, S. 7-22.
[Damisch 1987a]: Verantwortlich: Seitenbearbeitungen durch: Yvonne Schweizer [70], Joerg R.J. Schirra [37] und Mark A. Halawa [3] — (Hinweis) |