Anamorphose
Unterpunkt zu: Bildverwendungstypen
Darstellung des gr. ZusammenhangsBei einer Anamorphose handelt es sich um ein Bild, welches auf einem besonderen geometrischen Konstruktionsverfahren beruht. Dem zentralperspektivischen Bild ähnlich, gründet die Anamorphose auf einem komplexen mathematischen System. Was beide Systeme voneinander unterscheidet, sind die geometrischen Raster, die sich bei der Konstruktion einer Anamorphose in einer bestimmten Art und Weise verzerren. [Topper 2000a]Literaturangabe fehlt. Verschiedene Typen anamorphotischer Darstellungen existieren seit deren neuzeitlicher Erfindung. Die basale Form ist die optische bzw. Längenanamorphose. Sie beruht auf dem Prinzip der länglichen Verzerrung und wird für den Betrachter in der Dislozierung des eigenen Blickpunktes lesbar. Daneben existieren sogenannte katoptrische sowie dioptrische Anamorphosen. Diese werden mittels eines Spiegels, Prismas oder gar einer facettierten Linse dechiffriert. [Ausst.Kat. Köln 2002a]Literaturangabe fehlt. Engere BegriffsbestimmungDie Bezeichnung »ana-morphosis« umschreibt zugleich die Form und die Funktion des Darstellungsverfahrens: Im ‘doppelgestaltigen’ anamorphotischen Bild ist bzw. wird etwas ‘um-geformt’. Mit dieser Bestimmung verweist der Begriff auf die aktive Rolle des Betrachters bei der Bildbetrachtung: Er ist es, der modelliert, aktiv umformt, sei es durch den Wechsel des eigenen Standpunktes vor dem Tafelbild oder durch optische Hilfsmittel. Dieser Aspekt des aktiven Betrachters dominiert die Geschichte der Anamorphose und führte insbesondere im 20. Jahrhundert zur Präsenz der Anamorphose in kunsttheoretischer und bildwissenschaftlicher Theorie sowie Philosophie. Zum ersten Mal taucht der Begriff »Anamorphose« 1657 nachweislich in Kaspar Schotts Schrift Magia universalis naturae et artis auf. [Schott 1657a]Literaturangabe fehlt. Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse. Berlin, Weinheim: Quadriga. Eintrag in Sammlung zeigen). Er sieht in dieser ein Erkenntnisinstrument, das Sehen und damit den Blick des Subjekts evident zu machen. Den psychoanalytisch bedeutenden »Blick zurück« erkennt Lacan paradigmatisch in der Darstellung eines anamorphotischen Totenschädels auf Hans Holbeins Gemälde Die Gesandten.[1] So beschreibt er das anamorphotische Detail: „Mit Sicherheit ist es die außergewöhnliche, […] letztlich aber doch völlig offenkundige Absicht, uns zu zeigen, daß wir als Subjekte auf dem Bild buchstäblich angerufen sind und also dargestellt werden als Erfaßte“ ([Lacan 1987b]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. : S. 98). Lacans Ergebnisse postmoderner Bildinterpretation sind mitunter der Lektüre historischer Analysen von Anamorphosen durch Jurgis Baltrušaitis geschuldet ([Lacan 1987a]Lacan, Jacques (1987). Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse. Berlin, Weinheim: Quadriga. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 93). Dieser widmet dem Holbeinschen Gemälde ein Kapitel seines Buches [Baltrušaitis 1977a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. , wobei sich seine Kernthese auf den Handlungsvollzug der Bildbetrachtung stützt: Einer theatralen Aufführung gleich interpretiert er das Bild als einen Zweiakter, in dem der Betrachter zunächst vom starken Realismus des Gemäldes affiziert ist. Gleichzeitig erkennt dieser in der perfekten Illusion aber ein störendes Detail am unteren Bildrand. Aus Enttäuschung darüber, dass er diesen blinden Fleck des Bildes nicht entziffern kann, verlässt er den Raum, nicht ohne einen letzten Blick zurück zu werfen. Erst in diesem Augenblick eröffnet sich eine andere Perspektive auf das Bild und er bemerkt die Verwandlung des verzerrten Flecks in einen Totenkopf ([Baltrušaitis 1977a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. : S. 104f). Damit legt Baltrušaitis den Grundstein für eine Debatte, die die Anamorphose zu einem paradigmatischen Beispiel für die bildwissenschaftliche Theorie werden lässt. Die bildwissenschaftliche Wende nimmt ihren historischen Ausgangspunkt unter anderem in den angloamerikanischen kunsthistorischen Debatten der 80er und 90er-Jahre aus der Auseinandersetzung um die Lacansche Psychoanalyse sowie um optische Modelle heraus. Diese Diskurse läuten eine Beschäftigung mit den Wahrnehmungsbedingungen der Zentralperspektive als eines Dispositiv ein, in dessen Zusammenhang auch der Anamorphose eine zentrale Position als erkenntnistheoretisches Alternativmodell zugewiesen wird ([Veltman 1986a]Veltman, Kim H. (1986). Perspective, Anamorphosis and Vision. In Marburger Jahrbuch, 21, 93-117. Eintrag in Sammlung zeigen, [Damisch 1987a]Damisch, Hubert (1987). L'origine de la perspective. Paris: Flammarion. Eintrag in Sammlung zeigen, [Iversen 1995a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. , [Massey 2007a]Massey, Lyle (2007). Picturing Space, Displacing Bodies. Anamorphosis in Early Modern Theories of Perspective. University Park, Pa: Pennsylvania State University Press. Eintrag in Sammlung zeigen). Die Anamorphose als ein bildwissenschaftliches Korrektiv zu sehen, setzt sich in der aktuellen Bildforschung fort. Zwei Stränge lassen sich dabei unterscheiden, deren Argumentationen einerseits in eine medienphilosophische und andererseits in die Richtung der angloamerikanisch geprägten visual culture studies zielen. Beide Ansätze gehen jeweils von der Anamorphose als einer Kippfigur aus, die im Augenblick des Betrachtens existent ist und in dieser ephemeren Situation etwas augenscheinlich macht.
Mediale Paradoxa. Einleitung in eine negative Medienphilosophie. In Sic et Non. Zeitschrift für Philosophie und Kultur im Netz, 6. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 8). Mersch macht den „Blick von der Seite her“ (ibid. S. 8) zur einzigen Möglichkeit, die Medialität des Gemäldes aufblitzen zu bemerken: Normalerweise bleibe die Medialität eines Mediums verdeckt, lediglich im Kippzustand eines anamorphotischen Bildes oder in vergleichbaren „Strategien einer Differenz“ (ibid. S. 9) zeige sich diese. Anhand der Anamorphose verdeutlicht Mersch damit die generelle Struktur von Medialität als eine negative.
Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. : S. 15) aufweist, bleibt dieses dauerhaft in der Schwebe zwischen bildlichen Zuständen. Die Vorstellung kinetischer Bildlichkeit ersetzt das Konzept des statischen Bildes. ([Cha & Rautzenberg 2008a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. : S. 18) Ein Bild ist ein ephemeres Ereignis, das den Betrachter mit seiner jeweiligen kulturellen Disposition zum konstitutiven Part ernennt. Es ist die Geschichte des Sehens, die sich ins anamorphotische Bild schleicht und die sie zum geeigneten Exempel macht, die Themenkomplexe »Bild« und »Wahrnehmung« zu überdenken. [Schürmann 2008a]Schürmann, Eva (2008). Sehen als Praxis. Ethisch-ästhetische Studien zum Verhältnis von Sicht und Einsicht. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Eintrag in Sammlung zeigen [Frank & Lange 2010a]Frank, Gustav & Lange, Barbara (2010). Einführung in die Bildwissenschaft. Bilder in der visuellen Kultur. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Eintrag in Sammlung zeigen BeispieleErste anamorphotische Versuche lassen sich bereits im 15. Jahrhundert bei Leonardo da Vinci nachweisen. Dieser hatte 1485 einen verzerrten Kinderkopf gezeichnet. Zu einer vielzitierten Ikone anamorphotischer Kunst wurde insbesondere Hans Holbeins Gemälde Die Gesandten (1533). Aktuell greift eine medien- und bildwissenschaftlich geschulte Kunstszene auf anamorphotische Verfahren zurück: Der südafrikanische Künstler William Kentridge kombiniert 2007 in der Arbeit "What will come (has already come)" Anamorphose und Film. [Schweizer 2011a]Literaturangabe fehlt.
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Inhaltsverzeichnis
Anmerkungen
[Ausst.Kat. Köln 2002a]:
Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Baltrušaitis 1977a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Bazin 2003]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Belach & Jacobsen 1993]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Cha & Rautzenberg 2008a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Damisch 1987a]: Damisch, Hubert (1987). L'origine de la perspective. Paris: Flammarion. [Frank & Lange 2010a]: Frank, Gustav & Lange, Barbara (2010). Einführung in die Bildwissenschaft. Bilder in der visuellen Kultur. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
[Hick 1999a]: Verantwortlich: Seitenbearbeitungen durch: Yvonne Schweizer [70], Joerg R.J. Schirra [37] und Mark A. Halawa [3] — (Hinweis) |