Arabisch: 'sûra', 'timthal', 'wathan' und 'sanam'

Aus GIB - Glossar der Bildphilosophie
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Unterpunkt zu: Bildtermini anderer Sprachen


Von großer Tragweite für das ara­bische Bildvo­kabu­lar ist der Islam. Will man jenes erschlie­ßen, ist es sinnvoll, sich neben dem «Koran» auch den später verfass­ten «Hadithen» zuzu­wenden. (In der sunni­tischen Tradi­tion sind dies die Sammlun­gen der Worte des Prophe­ten, in der schiiti­schen werden auch die der frühen Ima­me berück­sichtigt.) Der «Koran» pole­misiert, in seiner Bilder­feindlich­keit (⊳ Ido­latrie und Iko­noklas­mus) dem «Alten Testa­ment» ähnlich, gegen die in kleinen Statuen oder auch in schlichten, unbe­arbei­teten Steinen verkör­perten Gotthei­ten der voris­lami­schen ara­bischen Kulte. Dabei handelt es sich u.a. um timthal (تمثال – Bild, Abbild, bildli­che Darstel­lung, Standbild und Statue), wathan (وثن – Götzen­bild), nasb (نصب – aufge­richte­ter Stein) und sanam (صنم – ein zumeist aus Metall gefer­tigtes Götzen­bild) (vgl. [Naef 2007a]Naef, Silvia (2007).
Bilder und Bilderverbot im Islam. München: C. H. Beck.

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: S. 12).[1] Schärfer ist die Pole­mik in den «Hadi­then», denen zufol­ge ein Herstel­ler von Bildern, selbst wenn seine Bilder keine derar­tigen Gotthei­ten zeigen, am Tag der Aufer­stehung die schlimmsten Qualen soll erdul­den müssen.[2] Wieso steht das Verfer­tigen von Bildern unter einer derar­tigen Strafe?
Die Antwort auf diese Frage führt wieder zum Bildvo­kabu­lar des «Korans» zurück. Eine grundsätz­liche und ausführ­liche Ausein­ander­setzung mit Bildern im enge­ren Sinne sucht man hier verständ­licher­weise verge­bens, da diese in den voris­lami­schen Kulten Arabiens kein Rolle gespielt haben. ‘Sûra’ (صورة), das ara­bische Substan­tiv für das Bild schlechthin, aber auch die Bezeich­nung für Form und Gestalt, findet sich nur ein einzi­ges Mal; und das dem Substan­tiv zugrun­de liegen­de Verb ‘sawwara’ (صور), das soviel bedeu­tet wie ›etwas auf diese oder jene Art machen‹, ›bilden‹, ›ihm eine Form geben‹, ›schaffen‹, wird auch nur viermal verwen­det (vgl. [Naef 2007a]Naef, Silvia (2007).
Bilder und Bilderverbot im Islam. München: C. H. Beck.

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: S. 12f.). Bezeich­nender­weise aber dienen Substan­tiv und Verb im «Koran» nicht zur Beschrei­bung von menschli­chen Hervor­bringun­gen oder Tätig­keiten, sondern zur Beschrei­bung von göttli­chen: ‘Sûra’ ist in Sure 82,8 die Gestalt des von Gott geschaf­fenen Menschen, und ‘sawwara’ meint in den erwähn­ten Partien nichts anderes als das göttli­che Schaffen (vgl. [Naef 2007a]Naef, Silvia (2007).
Bilder und Bilderverbot im Islam. München: C. H. Beck.

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: S. 19f.). Erschwe­rend kommt hinzu, dass es sich bei dem von diesem Verb abge­leite­ten Titel ‘al-mussawir’ (المصور – Gestal­ter, Schöpfer), der dem Maler und in jüngerer Zeit auch dem Foto­grafen ver­liehen wird, eben­falls um einen der neunund­neunzig Namen Allahs handelt.
Anders als etwa im «Alten Testament» ( ⊳ Hebrä­isch: ‘päsäl’, ‘säläm’ und ‘demut’) besteht also im Islam schon aufgrund der Begriff­lichkeit eine Konkur­renz zwischen Gott und Maler. Wie in den «Hadithen» ausge­führt, wird diese Konkur­renz vor allem beim Hervor­bringen von Lebe­wesen viru­lent. Menschen und Tiere zu malen ist Hybris.[3] Die Strafe am Tag der Aufer­stehung besteht für den Maler darin, dass er quasi beim Wort genom­men wird und seinen gemal­ten Lebe­wesen Leben einhau­chen muss – und daran wird er qua Mensch wieder und wieder scheitern (vgl. [Paret 1960a]Paret, Rudi (1960).
Textbelege zum islamischen Bilderverbot.
In Das Werk des Künstlers. Studien zur Ikonographie und Formgeschichte, 36-48.

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: S. 43ff. und [Paret 1968a]Paret, Rudi (1968).
Das islamische Bilderverbot und die Schia.
In Festschrift Werner Caskel. Zum siebzigsten Geburtstag 5. März 1966 gewidmet von Freunden und Schülern, 242-232.

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: S. 230).

Trotz der Verur­teilung durch die Geistlich­keit hat es aller­dings während der gesam­ten Geschich­te des Islams immer wieder Bilder mit figür­lichen Darstel­lungen gege­ben.[4] Die Bilder werden dabei teils den reli­giösen Vorga­ben ange­passt – so kann der Maler dem Vorwurf der Hybris entge­hen, wenn die Lebe­wesen auf seiner sûra (durch Abtren­nen der Köpfe oder Durchlö­chern der Körper) deutlich als nicht lebens­fähig gekenn­zeichnet sind.[5] Teils lässt das isla­mische Recht gele­gentlich Ausnah­men zu, wenn etwa Fotos wie im Fall von Ausweis­papie­ren für darûra (ضرورة), d.h. für notwen­dig, erklärt werden.

Anmerkungen
  1. Hier und im Fol­gen­den schul­den wir Ha­na­ne Sai­di Dank für die Ein­rich­tung des Ara­bi­schen.
  2. Und dies so­wohl ge­mäß der sun­ni­ti­schen als auch der schi­i­ti­schen Auf­fas­sung; vgl da­zu [Pa­ret 1960a]Paret, Rudi (1960).
    Textbelege zum islamischen Bilderverbot.
    In Das Werk des Künstlers. Studien zur Ikonographie und Formgeschichte, 36-48.

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    : S. 39f. und [Pa­ret 1968a]Paret, Rudi (1968).
    Das islamische Bilderverbot und die Schia.
    In Festschrift Werner Caskel. Zum siebzigsten Geburtstag 5. März 1966 gewidmet von Freunden und Schülern, 242-232.

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    : S. 230.
  3. Ne­ben der Hy­bris des Ma­lers mo­nie­ren die «Ha­di­the» auch die Un­rein­heit der Bil­der, wo­durch ein Ge­bet in ih­rer Nä­he un­mög­lich wer­de, und die Ge­fahr, dass sie zu po­ly­the­is­ti­schen Kul­ten ver­lei­ten könn­ten (vgl. da­zu aus­führ­lich [van Ree­nen 1990a]van Reenen, Daan (1990).
    The 'Bilderverbot'. A new survey. In Der Islam. Zeitschrift für Geschichte und Kultur des islamischen Orients, 67, 1, 27-77.

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    ).
  4. Vgl. [Naef 2007a]Naef, Silvia (2007).
    Bilder und Bilderverbot im Islam. München: C. H. Beck.

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    : S. 68. – Üb­ri­gens auch mit Dar­stel­lun­gen Mo­ham­meds: Die äl­tes­te heu­te noch er­hal­te­ne stammt aus dem 13. Jahr­hun­dert, von noch äl­te­ren gibt es li­te­ra­ri­sche Zeug­nis­se; vgl. [Gra­bar & Na­tif 2003a]Grabar, Oleg & Natif, Mika (2003).
    The Story of Portraits of the Prophet Muhammad. In Studia Islamica, 96, 19-37.

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    .
  5. Ei­ne ver­gleich­ba­re An­pas­sung greift auch bei den bei­den an­de­ren Mo­ni­ta der «Ha­di­the». Der Un­rein­heit der Bil­der soll durch ih­re Ver­ban­nung aus den sa­kra­len Be­rei­chen be­geg­net wer­den; und die Ver­füh­rung zum Po­ly­the­is­mus las­se sich durch ei­ne be­son­de­re Plat­zie­rung der Bil­der un­ter­lau­fen – denn das, wo­rauf man sit­ze oder ste­he, Kis­sen oder Tep­pi­che al­so, be­te man nicht an (vgl. [Naef 2007a]Naef, Silvia (2007).
    Bilder und Bilderverbot im Islam. München: C. H. Beck.

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    : S. 21).
Literatur                             [Sammlung]

[Gra­bar & Na­tif 2003a]: Grabar, Oleg & Natif, Mika (2003). The Story of Portraits of the Prophet Muhammad. Studia Islamica, Band: 96, S. 19-37.

[Naef 2007a]: Naef, Silvia (2007). Bilder und Bilderverbot im Islam. München: C. H. Beck. [Pa­ret 1960a]: Paret, Rudi (1960). Textbelege zum islamischen Bilderverbot. In: Fegers, H. (Hg.): Das Werk des Künstlers. Studien zur Ikonographie und Formgeschichte. Stutt­gart: Kohlhammer, S. 36-48. [Pa­ret 1968a]: Paret, Rudi (1968). Das islamische Bilderverbot und die Schia. In: Gräf, E. (Hg.): Festschrift Werner Caskel. Zum siebzigsten Geburtstag 5. März 1966 gewidmet von Freunden und Schülern. Leiden: Brill, S. 242-232. [van Ree­nen 1990a]: van Reenen, Daan (1990). The 'Bilderverbot'. A new survey. Der Islam. Zeitschrift für Geschichte und Kultur des islamischen Orients, Band: 67, Nummer: 1, S. 27-77.


Hilfe: Nicht angezeigte Literaturangaben

Ausgabe 1: 2013

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Lektorat:

Seitenbearbeitungen durch: Dimitri Liebsch [41] und Joerg R.J. Schirra [15] — (Hinweis)

Zitierhinweis:

[Liebsch 2013g-a]Vergleiche vollständigen Eintrag
in Literatursammlung
.

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Liebsch, Dimitri (2013). Arabisch: 'sûra', 'timthal', 'wathan' und 'sanam'. (Ausg. 1). In: Schirra, J.R.J.; Halawa, M. & Liebsch, D. (Hg.): Glossar der Bildphilosophie. (2012-2024).
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