Auswirkungen der Bildlichkeit

Aus GIB - Glossar der Bildphilosophie
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Hauptpunkt zu: Bildlichkeit: Bedingungen und Folgen

English Version: Effects of Pictoriality


Bildkompetenz in begriffs­gene­tischer Betrach­tung

Die Bildlichkeit eines Gegen­stands und damit die Bildkom­petenz desje­nigen, der mit jenem Teil seiner Umge­bung (dem Gegen­stand) als Bild umgeht, ist keine Eigen­schaft, die einfach als addi­tiv neben ande­re gesetzt betrach­tet werden kann. Sie steht mit ande­ren Eigen­schaften bzw. Kompe­tenzen in vielfäl­tigen Wechsel­bezie­hungen und ihre begriff­liche Konsti­tution beein­flusst folglich auch die Begrif­fe, die wir uns von jenen machen sollten. Diese Auswir­kungen stehen nun im Zentrum.

Die begriffsgenetische Betrachtung beruht darauf, das Zusam­menset­zen eines fragli­chen Begriffs­feldes aus einfa­cheren, gemein­sam bereits etab­lierten Begriffs­feldern als Vorschlag zu nutzen, um einem skepti­schen Gegen­über einen ratio­nalen Weg zur Über­nahme des fragli­chen Begriffs­feldes aufzu­zeigen: Dass nämlich die Bezugs­punkte, die wir dazu benut­zen, uns über gemein­same Gliede­rungen der Welt zu verstän­digen, sich durch bestimm­te Kombi­nationen so erwei­tern lassen, dass mit den so gewon­nenen Begrif­fen eine inte­ressan­te Gruppe von Phäno­menen überhaupt erst als syste­matische Zusam­menhän­ge begrif­fen werden können.

Eine begriffsgenetische Rekon­struktion einer Einfüh­rungssi­tuation des Bildbe­griffs mag beispiels­weise auf unter­schiedli­che Entwick­lungsstu­fen von Zeichen­verhal­ten abhe­ben, oder präzi­ser: auf eine Folge von Begriffs­feldern, die uns erlau­ben, etwas in der Welt als Wesen mit Zeichen­verhal­ten eines bestimm­ten Komple­xitäts­grades zu begrei­fen – als etwas also, das sich auf eine bestimm­te mehr oder weni­ger komple­xe Weise gleichzei­tig zu sich selbst, seinen Artge­nossen und seiner Umwelt zu verhal­ten in der Lage ist. Dabei mag es bei einem der Übergän­ge beispiels­weise eine Rolle spielen, dass Wesen der gera­de betrach­teten Stufe manchmal eine eigent­lich fehler­hafte Wahrneh­mung ihrer Umge­bung in eine ihrer Zeichen­handlun­gen einbe­ziehen. Wird ein solches Verhal­ten nicht nur als kontin­gentes Zusam­mentref­fen zweier an sich unab­hängi­ger Verhal­tensins­tanzen gese­hen, sondern als ein Anzei­chen für eine mögli­che syste­mati­sche Kombi­nation von Verhal­tenswei­sen, so ist eine Brücke für einen entspre­chend kombi­nierten Begriff eines komple­xeren Verhal­tens gebaut.

Handlungssubjekt eines solchen Verhal­tens ist dann aller­dings nicht einfach ein Wesen dersel­ben Art, wie die zuvor betrach­teten Wesen: Infol­ge der syste­mati­schen Zusam­menhän­ge der Begrif­fe in einem Begriffs­feld verän­dern sich durch eine solche begriff­liche Kombi­nation auch der Begriff der Enti­tät, die zu solchem komple­xeren Verhal­ten fähig ist ([Ros 1979a]Ros, Arno (1979).
Objektkonstitution und elementare Sprachhandlungsbegriffe. Königstein/Ts.: Hain.

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Arten von Auswirkungen der Begriffs­synthese

Neben dem hier zentralen Begriff – dem Begriff der Bildkom­petenz – deter­miniert eine begriffs­gene­tische Konsti­tution also unter Umstän­den auch eine ganze Reihe ande­rer Begrif­fe, die zunächst nicht ohne Weite­res mit jenem in Zusam­menhang zu stehen scheinen, aber trotz­dem zum gleichen Begriffs­feld gehö­ren. Doch sind das nicht die einzigen Auswir­kungen.

Weitere Begriffe desselben Begriffs­feldes

Diese “Nebenwirkungen” der Begriffs­synthe­se betref­fen neben dem eigent­lichen Träger der Bildkom­petenz, der hier unter der Überschrift ‘homo pictor’ verhan­delt wird, vor allem die Begrif­fe der Ähnlich­keit und der sachbe­zoge­nen Sprache, die hier unter der Bezeich­nung ‘dezep­tiver und immer­siver Modus’ betrach­tet werden.

Betroffen ist aber auch der Begriff der Gegen­stände im enge­ren Sinn, die zumin­dest für eine wichti­ge Teilklas­se von Bildern genau den Bildin­halt liefern, sowie der Fähig­keit, sich aus dem jewei­ligen Hier und Jetzt zu befrei­en und damit in ein (mit Pless­ners Worten) exzen­trisches Verhält­nis zu sich selbst und seiner Umwelt treten zu können ([Pless­ner 1928a]Plessner, Helmuth (1928).
Die Stufen des Organischen und der Mensch. Berlin: W. de Gruyter, 31975.

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). Oft treten diese Begrif­fe als der eine Ast einer Diffe­renzie­rung einer bereits bei nicht-bildfä­higen Wesen vorhan­denen Kompe­tenz zuta­ge. Eine solche Ausdif­feren­zierung von Grundbe­griffen betrifft insbe­sonde­re das Verhält­nis von Gleich­heit, Ähnlich­keit und Iden­tität.

Elementare Bildbegriffe und Bildbe­griffe höhe­rer Ordnung

Eine weitere Folge einer begriffs­gene­tischen Betrach­tung der als Bildkom­petenz verstan­denen Bildlich­keit besteht darin, dass auf dem so gewon­nenen ele­menta­ren Bildbe­griff weite­re, komple­xere Stufen (über fortge­setzte begriffs­gene­tische Rekon­struktio­nen) aufge­baut werden können. Zwischen welchen Stufen des Bildhaf­ten wäre also zu diffe­renzie­ren? Kandi­daten für höher­stufi­ge Bildbe­griffe sind etwa der des Struktur­bildes, des refle­xiv verwen­deten Bildes, aber auch des beweg­ten oder inter­akti­ven Bildes. Gibt es über­haupt eine einzi­ge ele­menta­re Bildfunk­tion?

Die Antwort auf die Frage nach der eigent­lichen ele­menta­ren Bildfunk­tion, die jedem einzel­nen Bildge­brauch letzt­lich zugrun­de liegt (siehe hierzu vor allem unter Prädi­kation, Nomi­nation, Propo­sition und Kontext­bildung), kann dabei über die begriffs­gene­tischen Rela­tionen moti­viert werden: Die Verwen­dungswei­sen, die gemäß dem am einfach­sten begriffs­gene­tisch zu rekon­struie­renden Begriffs­feld für Wesen, denen zurecht Bildkom­petenz zuge­schrieben wird, möglich sind, werden in mehr oder weniger ausdif­feren­zierter Form auch allen höher­stufi­gen Bildbe­griffen zugrun­de liegen.

Partielle Strukturübertragung auf andere Begriffs­felder

Ob Begriffe wie der der Anschau­ung, der des Vorstel­lungsbil­des oder der der Bildvor­stellung eben­falls als höher­stufi­ge Bildbe­griffe zu verste­hen sind, sei hier dahin­gestellt. Sehr gut möglich wäre auch, dass es sich dabei um eine Folge der Begriffs­synthe­se des Bildbe­griffs ganz ande­rer Art handelt: einer partiel­len Struktur­über­tragung nämlich auf Begriffs­felder für ganz ande­re Phäno­menbe­reiche, d.h.: eine Meta­pher im Sinn der Kogni­tiven Lingu­istik ([Lakoff 1987a]Lakoff, George (1987).
Women, fire, and dangerous things – What categories reveal about the mind. Chicago: Chicago University Press.

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).[1]

Wer eine Metapher als ein Sprach­“bild” bezeich­net wird meist doch zuge­stehen, dass damit keines­wegs ein Bild im übli­chen Sinn gemeint ist: vielmehr wird der Ausdruck gemein­hin selbst als ein “Sprach­bild” verstan­den. Aller­dings ist die Bezeich­nung dabei auch nicht rein zufäl­lig äqui­vok, wie es etwa bei ‘Bank’ als Garten­möbel und als Finanz­insti­tut der Fall ist. Vielmehr ist die Ähnlich­keit des Ausdrucks durch bestimm­te Ähnlich­keiten in der Erschei­nungswei­se der beiden betrach­teten Phäno­menbe­reiche – bzw. genau­er: unse­rer Argu­menta­tionen zu den Berei­chen moti­viert. Dass ein Teil der begriff­lichen Struktur, also der Argu­mente stiften­den Zusam­menhän­ge zwischen eng verbun­denen Begrif­fen eines unse­rer Begriffs­felder, in einer mehr oder weni­ger weiten, aber stets unvoll­ständi­gen Isom­orphie-Bezie­hung mit der begriff­lichen Struktur eines ganz ande­ren von uns verwen­deten Begriffs­feldes steht ermög­licht uns, über die Phäno­mene, die unter erste­res fallen, in gewis­sen Grenzen so zu reden und so zu argu­mentie­ren, als würde es um Phäno­mene unter dem zweiten Begriffs­feld gehen.

Es handelt sich also um Phäno­mene, die wir als unei­gentli­che Bilder auffas­sen können, sofern nur der Bildbe­griff verfüg­bar ist. So kann beispiels­weise von ‘Lebens­form’ als ‘Weltbild’ nur dann die Rede sein, wenn der Begriff der Lebens­form als partiell struktur­gleich zu dem des betrachteten Bildbe­griffs verstan­den wird: Man kann aber auch ganz ohne Verwen­dung des Bildbe­griffs über dassel­be Phäno­men reden, sofern nicht behaup­tet werden soll, es würde sich dabei tatsäch­lich um eine echte Art von Bild handeln.

Ob und in welchem Sinn schließlich mit dem Ausdruck ‘menta­les Bild’ eine Meta­pher arti­kuliert wird ist Thema des Unter­punkts logi­sche Kontext­bildung und menta­le Bilder, der zugleich zur Diskus­sion der Auswir­kungen der begriffs­gene­tischen Betrach­tungen der Bildlich­keit auf die Begrif­fe der Ähnlich­keit und der Sprache zurück­verweist.

Anmerkungen
  1. Zu die­sem The­ma exis­tiert ein ei­ge­nes Lem­ma (⊳ sprach­li­che Me­ta­phern und all­ge­mei­ne Me­ta­pho­ro­lo­gie), so dass an die­ser Stel­le auf sei­ne aus­führ­li­che Dis­kus­si­on ver­zich­tet wer­den kann.
Literatur                             [Sammlung]

[Lakoff 1987a]: Lakoff, George (1987). Women, fire, and dangerous things – What categories reveal about the mind. Chicago: Chicago University Press.

[Pless­ner 1928a]: Plessner, Helmuth (1928). Die Stufen des Organischen und der Mensch. Berlin: W. de Gruyter, 31975. [Ros 1979a]: Ros, Arno (1979). Objektkonstitution und elementare Sprachhandlungsbegriffe. Königstein/Ts.: Hain.


Hilfe: Nicht angezeigte Literaturangaben

Ausgabe 1: 2013

Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [33], Klaus Sachs-Hombach [1] und Emilia Didier [1] — (Hinweis)