Die Antwort auf die Frage, welches Verhältnis zwischen Bild und Sprache besteht, ist facettenreich. Ad hoc lässt sich dieser Reichtum dadurch erklären, dass einerseits die Verhältnisbestimmungen eher spekulativ oder eher empirisch begründet und dass andererseits die Relata unterschiedlich abstrakt oder konkret gefasst werden können.
In der Anthropologie beispielsweise findet sich eine Spekulation, die dieses Verhältnis als Konkurrenz bestimmt und Bild und Sprache en bloc in Beziehung zu setzen versucht. Hierbei stehen sich zwei Traditionen gegenüber. Die ältere Tradition versteht den Menschen seit Aristoteles als „zoon logon echon“ (ζωον λόγον έχον),[1] als das Sprache (und Vernunft) habende Tier; in ihr spielt das Bild nur eine nachgeordnete Rolle. Die jüngere Tradition sieht mit Hans Jonas im Menschen vor allem den „homo pictor“, den malenden Menschen; hier gilt die Sprache als ein Abgeleitetes, das seinerseits schon die Fähigkeit zu Imagination und Darstellung voraussetzt.[2]
Aus einer damit verwandten Perspektive, die die Konkurrenz funktionalistisch fasst, stammen die – weniger spekulativen und konkreteren – Versuche, die Leistungsfähigkeit von Bild und Sprache daran zu messen, inwieweit diese jenes (völlig oder teilweise) ersetzen kann und umgekehrt. In diesem Zusammenhang ist beispielsweise die Einsicht in die notorischen Probleme von Bildern bei der Darstellung von Negationen entstanden[3] oder das Sprichwort geprägt worden, dass ein Bild mehr sage als tausend Worte. Nebenbei, die Entscheidung darüber, ob das Bild oder die Sprache in der Konkurrenz obsiegt, folgt oft auch handfesten forschungspolitischen Motiven. So wurden in den 1990er Jahren der „iconic“ oder „pictorial turn“ in Analogie zum älteren „linguistic turn“ nicht zuletzt deshalb ausgerufen, um anstelle der Sprache das Bild als neues (human-)wissenschaftliches Paradigma zu empfehlen.[4]
Ersetzt man die spekulative(re) Verhältnisbestimmung durch eine der Empirie nahe oder nähere, findet sich eine Reihe von konkreten Verknüpfungen von Bild und Sprache – vgl. dazu ausführlich und grundsätzlich das Lemma «Sprach-Bild-Bezüge» –, deren Modi sich locker mit Hilfe der semiotischen Grundbegriffe »Semantik«, »Pragmatik« und »Syntaktik« ordnen lassen.
- Beim ersten Modus steht die sprachliche Semantik im Zentrum. Er ist im laufenden Text bereits stillschweigend vorausgesetzt worden, denn schließlich gibt es sprachliche Ausdrücke, mit denen wir solche Gegenstände wie Bilder bezeichnen. ‘Bild’ ist ein derartiger Ausdruck, aber er ist im Deutschen keineswegs der einzige (⊳ Bildtermini im modernen Deutsch). Berücksichtigen wir in synchroner und diachroner Perspektive unterschiedliche Sprachen, stoßen wir erst recht auf eine Vielzahl von Ausdrücken. Dass es mehrere Ausdrücke für solche Gegenstände gibt, ist keine onomasiologische Trivialität, da die Bedeutungen dieser Ausdrücke oft in Nuancen voneinander abweichen. Der Hauptpunkt «Bildtermini anderer Sprachen» ist primär diesen Nuancen gewidmet.
- Für den zweiten Modus ist vor allem der Aspekt der Pragmatik wichtig. Bei Bildern lässt sich wie bei der Sprache eine regelhafte Einbettung in Handlungszusammenhänge nachweisen; bei einigen dieser Handlungszusammenhänge – mit Ludwig Wittgenstein kann man sie „Zeichenspiele“ nennen – spielen Bilder und Sprache gemeinsam eine Rolle (vgl. [Scholz 2004a]Scholz, Oliver R. (2004).
Bild, Darstellung, Zeichen. Philosophische Theorien bildhafter Darstellungen. Frankfurt a. M.: Klostermann, 2., vollständig überarbeitete Aufl..
Eintrag in Sammlung zeigen: S. 158f). Der Hauptpunkt «Sprechen über Bilder» befasst sich vor allem mit methodischen Weisen des Sprechens oder (um die Metapher aufzulösen) auch des Schreibens über Bilder: Wie werden Bilder beschrieben, verstanden oder interpretiert?[5]
- Der dritte Modus lässt sich als ein Sonderfall des zweiten begreifen. Auch hier steht wieder die Pragmatik im Fokus. Ähnlich wie beim horazischen Credo des Ut pictura poesis oder wie bei der Entstehung der modernen Ästhetik[6] geht es hier darum, Bilder in einer besonderen Weise analog zur Sprache zu beschreiben, zu interpretieren usw.: Der Hauptpunkt «Bild und rhetorische Figur» thematisiert, inwiefern und welche Kategorien der rhetorischen elocutio sich auf Bilder anwenden lassen.
- Der Kern des vierten Modus liegt in einem Problem der Syntaktik. Die an der Pragmatik orientierten Modi thematisieren, wie man sich über ein – aus pikturalen Zeichen – bestehendes Artefakt mit Hilfe von andersartigen Zeichen, nämlich sprachlichen bzw. schriftlichen, äußert. Der vierte Modus, Sprach-Bild-Bezüge, hat es hingegen primär mit Artefakten oder zusammengesetzten Gebilden zu tun, die an sich schon über eine hybride Syntaktik verfügen – eine Syntaktik, in der zwei distinkte Arten von Zeichen zu finden sind. Dazu zählen beispielsweise Embleme oder jene uns aus jedem Museum, jedem Kunstkatalog so vertrauten Gebilde aus Bild und Bildtitel.
- Beim fünften Modus begegnen wir abermals einem Problem der Syntaktik. Ihm ist es jedoch nicht um die Kombination zwei distinkter Arten von Zeichen zu tun. Für den Hauptpunkt «Schriftbildlichkeit» ist vielmehr die Überlegung entscheidend, dass schriftliche Zeichen insofern schon an sich hybride sind, als sie generell pikturale Qualitäten besitzen. Geklärt wird dabei, in welchem Maße das jeweils der Fall ist.
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Anmerkungen
- ↑ Vgl. dazu Aristoteles’ «Politik» (1253a, 7-10).
- ↑ Zur differentia specifica des Menschen führt Jonas aus: „Die Stufe des Menschen ist die Stufe der Möglichkeiten, die angezeigt (nicht definiert und gewiß nicht gesichert) sind durch das Bildvermögen: die Stufe einer nichtanimalischen Mittelbarkeit der Objektbeziehung und eines Abstands von der Wirklichkeit, der durch jene Mittelbarkeit zugleich unterhalten und überbrückt wird“ [Jonas 1973a]Jonas, Hans (1973).
Homo pictor. Von der Freiheit des Bildens. In Organismus und Freiheit. Ansätze zu einer philosophischen Biologie, 226-257.
Eintrag in Sammlung zeigen: S. 246.
- ↑ Dabei handelt es sich allerdings nur um ein Problem statischer Bilder; bei bewegten Bildern ist der Stopptrick, bei dem man erst die Kamera anhält, dann einen beliebigen Gegenstand aus dem Bildfeld entfernt und darauf hin die Kamera weiterlaufen lässt, eine schon seit dem 19. Jahrhundert bewährte Form der Negation.
- ↑ Vgl. [Mitchell 2008b]Literaturangabe fehlt.
Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. : S.: 104; zu einer Kritik an der Vergleichbarkeit dieser beiden „turns“ vgl. [Liebsch 2012a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. : S.: 75ff. Auch ⊳ Linguistic turn, pictorial turn, medial turn.
- ↑ Wie beispielsweise Lawrence Sternes selbstreferentieller Roman «Tristram Shandy» (1759-1766) zeigt, ist es möglich, das Prozedere umzukehren und sich mit Bildern über Sprache zu äußern: Er stellt die hanebüchenen Abschweifungen in der vorhergehenden Narration durch Linien dar, die Arabesken gleichen; vgl. dazu «Tristram Shandy», Buch 6, Kap. 40.
- ↑ Alexander Gottlieb Baumgartens «Aesthetica» (1750) verdankt sich einer Übertragung der Einsichten, die Baumgarten zuvor anhand der Literatur (genauer: des Gedichts) gewonnen hatte, auf die anderen Künste; vgl. dazu [Strube 2000a]Literaturangabe fehlt.
Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. .
[Jonas 1973a]: Jonas, Hans (1973). Homo pictor. Von der Freiheit des Bildens. In: Jonas, Hans (Hg.): Organismus und Freiheit. Ansätze zu einer philosophischen Biologie. Göttingen: ???, S. 226-257.
[Liebsch 2012a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Mitchell 2008b]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Scholz 2004a]: Scholz, Oliver R. (2004). Bild, Darstellung, Zeichen. Philosophische Theorien bildhafter Darstellungen. Frankfurt a. M.: Klostermann, 2., vollständig überarbeitete Aufl..
[Strube 2000a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma.
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