Bild und Wahrnehmung

Aus GIB - Glossar der Bildphilosophie
Version vom 23. Oktober 2013, 12:50 Uhr von Mark A. Halawa (Diskussion | Beiträge) (Wie nehmen wir Bilder wahr?)
Wechseln zu: Navigation, Suche

Theorieperspektive im Glossar der Bildphilosophie


Die Einheit von Bild und Wahrnehmung

Bild und Wahrnehmung bilden eine untrennbare Einheit. Wer von Bildern spricht, und sei es noch so abstrakt, spricht von Objekten, die wenigstens potenziell wahrnehmbar sind. Noch bevor Bilder komplexe Symbolwelten auffächern und kommunikative Botschaften übermitteln, bringen sie Gegenstände und Sachverhalte zur Anschauung. Bilder sind insofern zunächst Medien der Sichtbarmachung (vgl. Mersch XXXX).

Diese Begriffsbestimmung scheint einigen alltäglichen Redeweisen über das Bild zu widersprechen. Reduziert sie den Begriff des Bildes nicht auf äußere, materielle bzw. physisch greifbare Bildmedien? Geht sie nicht über die Tatsache hinweg, dass wir im Alltag für gewöhnlich auch Vorstellungen, Träume oder Gedanken als Bilder zu bezeichnen pflegen? Schon Ludwig Wittgenstein hat sich diesem denkbaren kritischen Einwurf gestellt und ihn mit folgender Aussage entkräftet: „Der Begriff des ‚inneren Bildes’ ist irreführend, denn das Vorbild für diesen Begriff ist das ‚äußere Bild’ […]“ ([Wittgenstein 1984b]: PU, S. 523).

Die durch Wittgenstein nahegelegte Unterscheidung zwischen inneren und äußeren Bildern darf freilich nicht zu weit getrieben werden. Nicht umsonst stützt sich etwa der Begriff der Imagination auf den lateinischen Ausdruck ‚imago’, wodurch die Existenz einer gewissen Wahlverwandtschaft zwischen inneren und äußeren Bildern suggeriert wird. Allerdings: Niemand würde ernsthaft behaupten wollen, dass zwischen physischen Bildern, die wahrnehmbar sind, und Vorstellungsbildern, die letztlich als ‚gedachte’ Einheiten anzusprechen sind, eine vollständige Strukturidentität besteht. Wie der Philosoph Hans Jonas hervorgehoben hat, ist die Fähigkeit zur Produktion und Rezeption eines Bildes an das Vermögen der Imagination gekoppelt. Zur ikonischen „Dar-stellung“ kann sodann nur gelangen, wer auch zur „Vor-stellung“ fähig ist ([Jonas 1961a]: S. 174). Eine reine Identität zwischen beiden Kapazitäten lässt sich aus diesem Bedingungsverhältnis indes nicht ableiten. Denn was für die Freisetzung der Bildfähigkeit unabdingbar ist (die Vorstellungskraft), kann nicht mit dem identisch sein, was durch es überhaupt erst konstituiert wird (der produktive wie rezeptive Umgang mit Bildern).

Wie nehmen wir Bilder wahr?

Wenn Bilder nun als besondere Wahrnehmungsphänomene zu begreifen sind, stellt sich natürlich die Frage, woran genau sich diese Besonderheit festmacht. Wie werden Bilder wahrgenommen? Worin unterscheidet sich die Wahrnehmung von Bildern von der Wahrnehmung nicht-bildlicher Objekte? Welchen Mustern folgt die Wahrnehmung eines Bildes? Und wäre es denkbar, dass uns die Untersuchung der spezifischen Bildwahrnehmung Einsichten über die allgemeine Struktur von Wahrnehmung insgesamt bereitstellen könnte?

Fragen wie diese werden in der bildwissenschaftlichen bzw. bildphilosophischen Forschungsdebatte bisweilen überaus kontrovers diskutiert. Im Raum stehen dabei mitunter höchst unterschiedliche Positionen. Der Phänomenologe Lambert Wiesing ist etwa davon überzeugt, dass es für eine philosophische Auseinandersetzung mit dem Problem der Bildwahrnehmung vollkommen ausreicht, sich alleine auf den Sehsinn zu konzentrieren. Bilder sind nach seinem Dafürhalten Medien, die sich ausschließlich an das visuelle Wahrnehmungsregister des Menschen wenden ([Wiesing 2005a]). Der Philosoph John Michael Krois ist demgegenüber der Meinung, dass die Fähigkeit zum produktiven wie rezeptiven Umgang von Bildern keinesfalls notwendig eine Frage des Sehens ist. So betont er, dass selbst blinde Menschen dazu in der Lage seien, Bilder wahrzunehmen (vgl. [Krois 2006a]).

Ganz egal, welcher der beiden Positionen man den Vorzug gibt: Fest steht, dass im einen wie im anderen Fall möglichst präzise geklärt werden sollte, in welchem Sinne die Einheit von Bild und Wahrnehmung zu verstehen ist. Zu diesem Zweck empfiehlt es sich, zunächst einmal einen grundlegenden Überblick über vorherrschende Wahrnehmungstheorien zu erhalten. Einen solchen Überblick verschaffen die Beiträge der Rubrik "Wahrnehmungstheorien: Übersicht". Besprochen werden hier nicht nur einzelne wahrnehmungstheoretische Positionen, sondern ebenfalls einige Grundbegriffe, die mit Blick auf das Phänomen der Bildwahrnehmung ins Spiel kommen. Die Beiträge der Rubrik "[Bildwahrnehmung]]" konzentrieren sich spezifischer auf jene perzeptiven Faktoren, die im Akt des Bildersehens zum Tragen kommen. Diskutiert werden dabei auch die kreativen bzw. transformativen Potenziale des Bildersehens, wie sie etwa in der Auseinandersetzung mit Kunstbildern zum Vorschein kommen können. Die Rubrik "Bildbewusstsein und Einbildungskraft" grenzt den Analysefokus noch weiter ein: Weitaus ausführlicher als in diesen einleitenden Darlegungen wird hier der Frage nachgegangen, in welchem Verhältnis Bild und Imagination zueinander stehen.


Anmerkungen
Literatur                             [Sammlung]

[Jonas 1961a]: Jonas, Hans (1961). Die Freiheit des Bildens – Homo pictor und die diffe­rentia des Menschen. Zeitschrift für Philo­sophische For­schung, Band: 15, S. 161–176.

[Krois 2006a]: Krois, John Michael (2006). Für Bilder braucht man keine Augen. Zur Verkör­perungs­theorie des Ikoni­schen. In: Krois, J.M. & Meuter, N. (Hg.): Kultu­relle Exis­tenz und symbo­lische Form. Philo­sophi­sche Essays zu Kultur und Medien. Berlin: Parer­ga, S. 167-189. [Wiesing 2005a]: Wiesing, Lambert (2005). Arti­fiziel­le Präsenz. Studien zur Philo­sophie des Bildes. Frank­furt/M.: Suhr­kamp. [Wittgenstein 1984b]: Wittgenstein, Ludwig (1984). Werk­ausga­be, Band 1: Tracta­tus logi­co-philo­sophi­cus, Tage­bücher 1914-​1916, Philo­sophi­sche Unter­suchun­gen. Frank­furt/M.: Suhr­kamp.


Hilfe: Nicht angezeigte Literaturangaben

Verantwortlich:

Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [23], Mark A. Halawa [5] und Eva Schürmann [1] — (Hinweis)