Bilderschrift und Piktogramm: Unterschied zwischen den Versionen
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Man spricht traditionell von „Bilderschriften“, wo Schriftzeichen erkennbar Bildern von Gegenständen ähneln, die Bezeichnung „Bilderschriften“ dient manchmal aber auch als Sammelname für Vorformen von Schrift und schriftartige Mnemotechniken. Man spricht also einerseits von einer bestimmten graphischen Gestalt und andererseits von einer bestimmten Funktionsweise, der direkten Referenz auf den Gegenstand, ohne daß notwendig eine Bindung an eine bestimmte Lautung gegeben sein muß. Oft wird auch angenommen, die Ikonizität der Gestalt bedinge eine solche Gebrauchsweise. In diesem zweiten Sinne wären Bilderschriften etwas Ähnliches wie Piktogramme, eine Art mehr oder weniger standardisierte ikonische Kurzformeln. | Man spricht traditionell von „Bilderschriften“, wo Schriftzeichen erkennbar Bildern von Gegenständen ähneln, die Bezeichnung „Bilderschriften“ dient manchmal aber auch als Sammelname für Vorformen von Schrift und schriftartige Mnemotechniken. Man spricht also einerseits von einer bestimmten graphischen Gestalt und andererseits von einer bestimmten Funktionsweise, der direkten Referenz auf den Gegenstand, ohne daß notwendig eine Bindung an eine bestimmte Lautung gegeben sein muß. Oft wird auch angenommen, die Ikonizität der Gestalt bedinge eine solche Gebrauchsweise. In diesem zweiten Sinne wären Bilderschriften etwas Ähnliches wie Piktogramme, eine Art mehr oder weniger standardisierte ikonische Kurzformeln. | ||
− | Als Prototyp einer Bilderschrift im ersten Sinn galten lange die ägyptischen Hieroglyphen. Vor ihrer Entzifferung im 19. Jahrhundert gab es v.a. in der Spätantike und im Barock Versuche, die Bedeutung der Hieroglyphen über unterschiedliche Analogiebeziehungen aus dieser Bildlichkeit abzuleiten . Der modernen Ägyptologie gilt dieser Blick auf die ägyptische Schrift schlicht als falsch: Hieroglyphen schreiben eine bestimmte Sprache bzw. Sprachstufe, sie werden gelesen, nicht bloß betrachtet. Ihre Bildlichkeit spielt für ihre primäre Funktion keine Rolle. Das zeigt sich z.B. auch daran, daß „der Normalfall der ägyptischen Schrift […] eine kursive Schreibschrift [ist]“ (<bib id=Seidlmayer 2011a'>Seidlmayer 2011a</bib>: S.XXX). Ikonische Eigenschaften können aber in bestimmten Gebrauchskontexten für semantische Effekte „ausgebeutet“ werden (vgl. <bib id='Seidlmayer 2011a'>Seidlmayer 2011a</bib>); Assmann spricht in diesem Zusammenhang nachgerade von einer „Etymographie“ (<bib id='Assmann 2011a '>Assmann 2011a</bib>: S.XXX). | + | Als Prototyp einer Bilderschrift im ersten Sinn galten lange die ägyptischen Hieroglyphen. Vor ihrer Entzifferung im 19. Jahrhundert gab es v.a. in der Spätantike und im Barock Versuche, die Bedeutung der Hieroglyphen über unterschiedliche Analogiebeziehungen aus dieser Bildlichkeit abzuleiten . Der modernen Ägyptologie gilt dieser Blick auf die ägyptische Schrift schlicht als falsch: Hieroglyphen schreiben eine bestimmte Sprache bzw. Sprachstufe, sie werden gelesen, nicht bloß betrachtet. Ihre Bildlichkeit spielt für ihre primäre Funktion keine Rolle. Das zeigt sich z.B. auch daran, daß „der Normalfall der ägyptischen Schrift […] eine kursive Schreibschrift [ist]“ (<bib id='Seidlmayer 2011a'>Seidlmayer 2011a</bib>: S.XXX). Ikonische Eigenschaften können aber in bestimmten Gebrauchskontexten für semantische Effekte „ausgebeutet“ werden (vgl. <bib id='Seidlmayer 2011a'>Seidlmayer 2011a</bib>); Assmann spricht in diesem Zusammenhang nachgerade von einer „Etymographie“ (<bib id='Assmann 2011a '>Assmann 2011a</bib>: S.XXX). |
Diesen Zusammenhang hatte im Prinzip auch bereits Wilhelm v. Humboldt erkannt, der in seiner Akademierede von 1824 „Über die Buchstabenschrift und ihren Zusammenhang mit dem Sprachbau“ (<bib id='Humboldt 1988a'>Humboldt 1988a</bib>: S.86ff.) zunächst zwischen „Bilderschriften“ (die wie die ägyptischen Hieroglyphen ikonische Zeichen verwenden), „Figurenschriften“, „welche Begriffe bezeichne[n]“ (<bib id='Humboldt 1988a'>Humboldt 1988a</bib>: S.87) (wie die chinesischen Zeichen) und „Buchstabenschriften“ (Alphabetschriften) unterscheidet, um dann aber klarzumachen, daß die Verhältnisse komplizierter sind. Humboldt stand in Briefkontakt mit Champollion und kannte dessen kurz zuvor (1822) erschienene Lettre à M. Dacier. Er wußte, daß „die Aegyptier Bilder- und Buchstabenschrift in einander übergehen liessen" (<bib id='Humboldt 1988a'>Humboldt 1988a</bib>: S.83), mit anderen Worten die Hieroglyphen einen alphabetischen Anteil haben. | Diesen Zusammenhang hatte im Prinzip auch bereits Wilhelm v. Humboldt erkannt, der in seiner Akademierede von 1824 „Über die Buchstabenschrift und ihren Zusammenhang mit dem Sprachbau“ (<bib id='Humboldt 1988a'>Humboldt 1988a</bib>: S.86ff.) zunächst zwischen „Bilderschriften“ (die wie die ägyptischen Hieroglyphen ikonische Zeichen verwenden), „Figurenschriften“, „welche Begriffe bezeichne[n]“ (<bib id='Humboldt 1988a'>Humboldt 1988a</bib>: S.87) (wie die chinesischen Zeichen) und „Buchstabenschriften“ (Alphabetschriften) unterscheidet, um dann aber klarzumachen, daß die Verhältnisse komplizierter sind. Humboldt stand in Briefkontakt mit Champollion und kannte dessen kurz zuvor (1822) erschienene Lettre à M. Dacier. Er wußte, daß „die Aegyptier Bilder- und Buchstabenschrift in einander übergehen liessen" (<bib id='Humboldt 1988a'>Humboldt 1988a</bib>: S.83), mit anderen Worten die Hieroglyphen einen alphabetischen Anteil haben. | ||
„Bilderschriften“ können als „Buchstabenschriften“ fungieren. Unterschied Humboldt bereits zwischen den Aspekten Zeichengestalt und Funktion, so sah er in der Schriftbildlichkeit der Hieroglyphen jedoch kein Reservoir für etymographische Lesungen oder ein schriftspielerisches Potential. Vielmehr sah er in der Bildlichkeit der Zeichen eine Ablenkung: Während Buchstabenschriften vor Augen führen, was den Sprachlaut als solchen auszeichnet (nämlich, daß er ein artikulierter Laut ist (<bib id='Humboldt 1988a'>Humboldt 1988a</bib>: S.93), lenken Bilderschriften durch die zusätzliche Referenz auf den Gegenstand der Rede von dieser selbst ab (<bib id='Humboldt 1988a'>Humboldt 1988a</bib>: S.86). | „Bilderschriften“ können als „Buchstabenschriften“ fungieren. Unterschied Humboldt bereits zwischen den Aspekten Zeichengestalt und Funktion, so sah er in der Schriftbildlichkeit der Hieroglyphen jedoch kein Reservoir für etymographische Lesungen oder ein schriftspielerisches Potential. Vielmehr sah er in der Bildlichkeit der Zeichen eine Ablenkung: Während Buchstabenschriften vor Augen führen, was den Sprachlaut als solchen auszeichnet (nämlich, daß er ein artikulierter Laut ist (<bib id='Humboldt 1988a'>Humboldt 1988a</bib>: S.93), lenken Bilderschriften durch die zusätzliche Referenz auf den Gegenstand der Rede von dieser selbst ab (<bib id='Humboldt 1988a'>Humboldt 1988a</bib>: S.86). |
Version vom 1. September 2011, 21:28 Uhr
Unterpunkt zu: Schriftbildlichkeit
Darstellung des gr. ZusammenhangsWenn man die Schriften natürlicher Sprachen in historischer oder systematischer Perspektive kategorisieren, also eine Schriftgeschichte oder –typologie entwerfen möchte, muß man zwei grundsätzliche Fragen beantworten: die Frage nach den „Außengrenzen“ des Bereichs der Schrift (was gilt noch als Schrift, was als historische Vorstufe zu voll entwickelten Schriften, was schon als Bild?) und die Frage nach den Funktionsprinzipien unterschiedlicher Schrifttypen (gibt es ein gemeinsames Funktionsprinzip oder mehrere unterschiedliche?). Ein wichtiges Problem in diesem Zusammenhang ist die Beschreibung und die Definition von Bilderschriften, da sich u.a. an diesem Problem die Grenze zwischen Schrift und Bild [1] verhandelt.
Engere BegriffsbestimmungMan spricht traditionell von „Bilderschriften“, wo Schriftzeichen erkennbar Bildern von Gegenständen ähneln, die Bezeichnung „Bilderschriften“ dient manchmal aber auch als Sammelname für Vorformen von Schrift und schriftartige Mnemotechniken. Man spricht also einerseits von einer bestimmten graphischen Gestalt und andererseits von einer bestimmten Funktionsweise, der direkten Referenz auf den Gegenstand, ohne daß notwendig eine Bindung an eine bestimmte Lautung gegeben sein muß. Oft wird auch angenommen, die Ikonizität der Gestalt bedinge eine solche Gebrauchsweise. In diesem zweiten Sinne wären Bilderschriften etwas Ähnliches wie Piktogramme, eine Art mehr oder weniger standardisierte ikonische Kurzformeln.
Als Prototyp einer Bilderschrift im ersten Sinn galten lange die ägyptischen Hieroglyphen. Vor ihrer Entzifferung im 19. Jahrhundert gab es v.a. in der Spätantike und im Barock Versuche, die Bedeutung der Hieroglyphen über unterschiedliche Analogiebeziehungen aus dieser Bildlichkeit abzuleiten . Der modernen Ägyptologie gilt dieser Blick auf die ägyptische Schrift schlicht als falsch: Hieroglyphen schreiben eine bestimmte Sprache bzw. Sprachstufe, sie werden gelesen, nicht bloß betrachtet. Ihre Bildlichkeit spielt für ihre primäre Funktion keine Rolle. Das zeigt sich z.B. auch daran, daß „der Normalfall der ägyptischen Schrift […] eine kursive Schreibschrift [ist]“ ([Seidlmayer 2011a]Literaturangabe fehlt.
optional BeispieleAuswirkungen auf andere BegriffeDie Frage nach dem Sinn einer Kategorie „Bilderschrift“ hängt so mit der Beantwortung einer Reihe weiterer Fragen zusammen: Sollen Piktogramme und ähnliche Systeme, die (im linguistischen Sinn) keine Syntax aufweisen, aber eine Referenz, als Schriften gelten oder vielleicht eher als Pseudoschriften [2]? Gibt es Schriftzeichen, die wie Piktogramme funktionieren, indem sie als Ideogramme [3] Bedeutungen direkt, ohne Bezugnahme auf die gesprochene Sprache wiedergeben (ohne jedoch wie Piktogramme notwendig ikonisch zu sein)? Gibt es logographische oder morphographische Schriftsysteme[1] oder ist nur der Bezug auf die Lautebene der Sprache typologisch relevant (wie bei Sproat oder DeFrancis)? Allgemein ist die Debatte auch von deutlich unterschiedlichen Erkenntnisinteressen geprägt: Wer in historischer Perspektive die Konstitutionsprinzipien von Schriften untersucht, wird hier andere Entscheidungen treffen als jemand der Schriften ausschließlich in ihrer Funktion als Notationssysteme für gesprochene Sprachen im Blick hat, und wieder andere Unterscheidungen werden sich ergeben, wenn man die Funktionsprinzipien von Schriften in der Systematik zeichentheoretischer Überlegungen betrachtet. [2]
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Anmerkungen
[Assmann 2011a]:
Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Coulmas 1999a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [DeFrancis 1989a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Elkins 1999a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Humboldt 1988a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Sampson 1985a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Seidlmayer 2011a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Sproat 2010b]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Stetter 1999a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. Verantwortlich: Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [18] und Elisabeth Birk [13] — (Hinweis) |