Bildmorphologie: Unterschied zwischen den Versionen
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− | ==Einordnung der | + | ==Einordnung der Bildmor­pholo­gie== |
− | Der Ausdruck ‘Bildmorphologie’ wird im | + | Der Ausdruck ‘Bildmorphologie’ wird im allge­meinen nicht mit einer spezi­fischen, von ‘[[Bildgrammatik|Bildgram­matik]]’ oder ‘[[Komposition|Bildkom­posi­tion]]’ verschie­denen Bedeu­tung gebraucht. Ange­sprochen wird mit all diesen Termi­ni eine ana­lyti­sche Betrach­tung des [[Bildobjekt / Bildträger|Bildträ­gers]] als zusam­menge­setzt aus für die Bildfunk­tion rele­vanten, im wesent­lichen durch visu­ell wahrnehm­bare Eigen­schaften bestimm­ten Teilen, die auch in ande­ren Bildträ­gern, die sich durch die Zusam­menstel­lung der Teile unter­scheiden, Verwen­dung finden können. Es ist die Zusam­menstel­lung der Teile zu einem Ganzen, die gemein­sam mit ande­ren ([[Pragmatik, Semantik, Syntax|nicht-​syntak­tischen]]) Fakto­ren die [[Identitätskriterien für Bildträger|(Typ-) Iden­tität des Bildträ­gers]] und damit letztlich auch die mögli­chen Verwen­dungen des Bildträ­gers als Bild deter­miniert. |
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− | Allerdings legt es die | + | Allerdings legt es die Unterschei­dung von im enge­ren Sinne gramma­tischen gegen­über morpho­logi­schen Aspek­ten bei der Betrach­tung von Sprache (⊳ [[Morphologie und Syntax|Morpho­logie und Syntax]]) nahe, den Ausdruck ‘Bildmor­pholo­gie’ mit einem spezi­fische­ren Sinn aufzu­laden und ihn so von der Bildgram­matik (die eben damit zu einer ''Bildgram­matik im enge­ren Sinn'' wird) abzu­heben. Die Bildgram­matik im enge­ren Sinn versucht vor allem syntak­tische Kompo­sitio­nali­tät bei Bildern im Sinne der forma­len (Chomsky-) Gramma­tiken nachzu­weisen, die die Unter­scheidung von​ »Satz«​ und​ »Wort«​ voraus­setzen<ref>Das be­deu­tet: Die [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zei­chen die­ser Zei­chen­sys­te­me]] wer­den als aus [[Interaktion und Kommunikation|kom­mu­ni­ka­tiv]] wir­ken­den Ein­hei­ten zu­sam­men­ge­setzt ver­stan­den, de­nen zu­min­dest zum Teil selbst wie­de­rum Zei­chen­cha­rak­ter im sel­ben Sys­tem zu­kommt. Ei­ne Kom­po­si­ti­on aus kom­mu­ni­ka­ti­ven Ele­men­ten, die nicht be­reits sel­ber Zei­chen sind, wird da­bei nicht be­rück­sich­tigt.</ref> und durch ein begrenz­tes Set von Erset­zungsre­geln über einer endli­chen Menge von Satzkon­stitu­enten als Zwischen­stufen („nonter­mina­le Symbo­le“, etwa ‘Nomi­nalphra­se’) aus endlich vielen Wörtern (im ''menta­len Lexi­kon'') auf eindeu­tige Weise unend­lich viele Sätze abzu­leiten oder zu ana­lysie­ren gestat­ten (<bib id='Chomsky 1957a'></bib>; <bib id='Sachs-Hombach 1999a'>Sachs-​Hom­bach 1999a</bib>).<ref>Ge­nau ge­nom­men ist da­her die Fra­ge nach der Bild­gram­ma­tik nicht auf ein Bild­''al­pha­bet'' ge­rich­tet, son­dern eher auf ein “men­ta­les Le­xi­kon” zu ei­ner end­li­chen Men­ge von “Bild­wör­tern”.</ref> Dage­gen ist eine Bildmor­pholo­gie im hier verwen­deten Sinn an einer syntak­tischen Bildkom­posi­tiona­lität ande­rer Art inte­ressiert: Können Bildträ­ger mithil­fe allge­meiner Gruppie­rungsre­geln – etwa ana­log zu den wesent­lich “weiche­ren”, im geomet­rischen Konti­nuum wirken­den [[Gestalt|Gestalt­geset­zen]] – als aus “pikto­rialen Primi­tiven” beste­hend beschrie­ben werden, die nicht bereits als Zeichen (Wörter) gelten und aus einer mögli­cherwei­se unbe­grenzten Grundmen­ge stammen, wobei auch die Bedin­gung der Eindeu­tigkeit der Ablei­tung abge­schwächt sein könnte? In Ana­logie zu den Wortbil­dungsre­geln bei extrem [[Morphologie und Syntax#Isolierende, polysynthetische, fusionierende und agglutinierende Sprachsysteme|poly­synthe­tisch-​fusio­nieren­den]] Sprachen, ohne dabei aber schon voraus­zuset­zen, dass eine Anwen­dung der Unter­scheidung zwischen​ »Satz«​ und​ »Wort«​ auf bildhaf­te Zeichen­syste­me sinnvoll sei, müsste eine solche Bildmor­pholo­gie der charak­teris­tischen Eigen­schaft der [[Syntaktische Dichte|syntak­tischen Dichte]] von bildli­chen Zeichen­syste­men gerecht werden. |
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− | Lässt sich eine solche | + | Lässt sich eine solche morpho­logi­sche Bildkom­posi­tiona­lität ratio­nal einfüh­ren, so sind Bilder, obschon eben­falls komple­xe Zeichen­syste­me, sehr deutlich von Sprachzei­chensys­temen unter­schieden (⊳ [[Ikonische Differenz|Iko­nische Diffe­renz]]). Ihnen fehlt die Aufglie­derung der einzel­nen [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#Sprachliche Zeichen|Gesamt­zeichen­handlun­gen]] in partiell unab­hängi­ge, wenn auch im Sinne Freges mehr oder minder unge­sättig­te, d.h. immer Ergän­zungen bedür­fender Teil­''zeichen''­handlun­gen – eben den Wörtern. Insbe­sonde­re bleibt dabei offen, ob die Verwen­dungen iso­lierter syntak­tischer Ele­mente bildhaf­ter Zeichen­syste­me immer selbst bereits unge­sättig­te ''Zeichen''­handlun­gen sind. |
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− | Sicherlich lassen sich die für ein Objekt in seiner Funktion ''als | + | Sicherlich lassen sich die für ein Objekt in seiner Funktion ''als Bildträ­ger'' rele­vanten physi­schen Eigen­schaften vor allem in der visu­ell wahrnehm­baren geome­trischen Anord­nung von Farbflä­chen finden. In diesem Sinn können die syntak­tischen Ele­mente, in die bei einer [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten|eigen­wertli­chen Betrach­tung der Bildsyn­tax]] der Bildträ­ger zerlegt wird, als pikto­riale morpho­logi­sche Elemente betrach­tet werden. Diese sind über ihren Eigen­wert hinaus weder notwen­diger Weise mit einer bestimm­ten Bedeu­tung – einem bestimm­ten Abbil­dungswert – aufge­laden, noch kommt ihnen unbe­dingt eine genau defi­nierte pragma­tische Funktion – ein festge­legter Darstel­lungswert – zu. |
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− | [[Datei:Arnkerrthe-Traum (Gloria Temarre Petyarre).jpg|thumb| | + | ==Visuelle Gestalten, Colo­reme und Pixe­me== |
− | Kurz | + | [[Datei:Arnkerrthe-Traum (Gloria Temarre Petyarre).jpg|thumb|Ab­bil­dung 1: Als Bei­spiel: Glo­ria Te­mar­re Pe­tyar­re: «Arn­kerrt­he​(Berg-​Teufel-​Eidechse)-​Traum»]] |
+ | Kurz ge­fasst bil­den al­so ge­nau die En­ti­tä­ten, in die der Bild­trä­ger – oder ge­nau­er: der durch [[Rahmung, Rahmen|Rah­mung]] aus­ge­zeich­ne­te Teil sei­ner Ober­flä­che – in der vi­su­el­len Wahr­neh­mung ein­ge­teilt er­scheint, das mor­pho­lo­gi­sche Re­per­toire bei Bil­dern. Psy­cho­lo­gisch wird die­se Ein­tei­lung durch die Ge­stalt­ge­set­ze be­stimmt: Sie de­ter­mi­nie­ren, wel­che Raum­stel­len als zu­sam­men­hän­gend ge­se­hen wer­den, und zwar nicht nur im Sin­ne ei­nes in sich un­ge­teil­ten, gleich­far­bi­gen und zu­sam­men­hän­gen­den Ge­biets, son­dern auch im Sin­ne von Grup­pie­run­gen hö­he­rer Ord­nung, et­wa ''Fol­gen'' von gleich­far­bi­gen Stri­chen. Dies führt bei­spiels­wei­se in Ab­bil­dung 1 da­zu, dass ne­ben den ro­ten, brau­nen, schwar­zen, gel­ben und wei­ßen Ele­men­tar­ge­bie­ten auch die Grup­pen von gelb- bzw. weiß-​ge­fass­ten, dun­kel ge­füll­ten Bö­gen und Bal­ken als zu­sam­men­ge­hö­ri­ge vi­su­el­le Ge­stal­ten wahr­ge­nom­men wer­den. | ||
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− | In ihrem einflussreichen Buch zur | + | In ihrem einflussreichen Buch zur Bildsyn­tax (<bib id='Saint-Martin 1990a'>Saint-​Martin 1990a</bib>) führt Fernan­de Saint-​Martin als morpho­logi­sche Basis­einheit die so genann­ten ‘Colo­reme’ ein: |
− | :[A coloreme] ''corresponds to that | + | :[A coloreme] ''corresponds to that aggre­gate of visual vari­ables per­ceived in the visual repre­sen­tation by the way of an ocu­lar fixa­tion, or focus of the gaze. … A col­oreme is de­fined […] as the zone of the visual linguis­tic field corre­lated to a centra­tion of the eye. It is consti­tuted by a mass of ener­getic matter present­ing a given set of visual vari­ables.'' (<bib id='Saint-Martin 1990a'>Saint-​Martin 1990a</bib>: S. 5).<ref>Vgl. hier­zu auch den Ein­trag ''Ko­lo­rem'' im [http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=2125 «Le­xi­kon der Film­be­grif­fe»].</ref> |
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− | [[Datei:Kolorem.jpg|thumb| | + | [[Datei:Kolorem.jpg|thumb|Ab­bil­dung 2: Vi­su­a­li­sie­rung ei­nes Co­lo­rems nach Saint-​Mar­tin (sche­ma­ti­sche Dar­stel­lung): Das das Co­lo­rem be­stim­men­de kreis­för­mi­ge fo­ve­a­le Zen­trie­rungs­ge­biet ist he­raus­ge­ho­ben und ver­grö­ßert, der Rest hin­ge­gen et­was ab­ge­dun­kelt dar­ge­stellt]] |
− | Saint- | + | Saint-​Mar­tins Ver­ständ­nis der Co­lo­re­me kon­zen­triert sich of­fen­sicht­lich auf mo­men­ta­ne psy­cho­phy­si­sche As­pek­te: Zu je­dem Zeit­punkt kann je­weils nur ei­ne oku­la­re Fi­xa­ti­on er­fol­gen und folg­lich nur ein Co­lo­rem wahr­ge­nom­men wer­den (vgl. Abb. 2). Al­ler­dings soll auf die­ser Ba­sis ei­ne „co­lo­re­ma­ti­sche (oder co­lo­re­mi­sche) Ana­ly­se“ auf­bau­en, die |
− | :'' | + | :''de­scribes the trans­for­ma­tions which a col­oreme un­der­goes by its in­ter­re­la­tions with the other co­loremes of its im­me­di­ate en­tourage through mac­ular cen­tra­tions. The analy­ses pro­ceeds thus at a first re­group­ing of co­loremes through the topo­logi­cal re­la­tions which es­tab­lish the first per­cep­tual con­struc­tion and struc­ture the en­er­getic ex­changes be­tween co­loremes.'' (<bib id='Saint-Martin 1990a'>Saint-​Mar­tin 1990a</bib>: S. 194). |
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− | In ihrer Dynamik und | + | In ihrer Dynamik und direkten Abhän­gigkeit von den psycho­physi­schen Eigen­heiten eines wahrneh­menden Indi­vidu­ums sind Colo­reme vor allem theore­tische Enti­täten. Praktisch schlägt Saint-​Martin vor, die Bildflä­che in ein regel­mäßi­ges 5*5-​Raster aufzu­teilen, das als Basis für eine ange­näher­te Beschrei­bung der mögli­chen oder wahrschein­lichen Colo­reme dient: Jedes Raster ist wiede­rum in ein 5*5-​Subras­ter aufge­teilt, das die Gliede­rung in fove­ale Zentren und maku­lare Randbe­reiche aufgreift (''ibid''.: S. 197ff). |
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− | Um nicht zu stark an die recht | + | Um nicht zu stark an die recht spezi­fische Konzep­tion Saint-​Martins gebun­den zu sein, empfiehlt es sich allge­meiner, die – letztlich auf einen hypo­theti­schen Normal­betrach­ter bezo­genen – visu­ellen Gestal­ten im bildsyn­takti­schen Zusam­menhang zunächst eher struktu­ralis­tisch zu betrach­ten und in Ana­logie zu dem lingu­isti­schen Ausdruck ‘Morphem’ als ‘Pixe­me’ zu bezeich­nen. Dabei kann in erster Nähe­rung auch von der Dyna­mik abge­sehen werden, die bei Saint-​Martin die morpho­logi­sche Beschrei­bung eines Bildträ­gers beträcht­lich erschwert.<ref>In neu­ro­phy­si­o­lo­gi­scher Per­spek­ti­ve ver­schiebt sich da­bei der Fo­kus vom Au­ge zu den so ge­nann­ten neu­ra­len Kar­ten des vi­su­el­len Kor­tex oder bes­ser der lo­gi­schen Struk­tur der dort en­ko­dier­ten vi­su­el­len Mus­ter.</ref> |
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===Pixem-Attribute=== | ===Pixem-Attribute=== | ||
− | + | Saint-Martin unterscheidet zwei Arten von Eigen­schaften der syntak­to-​morpho­logi­schen Ele­mente bildhaf­ter Zeichen, die häufig auf folgen­de Weise inter­pretiert werden (vgl. z.B. <bib id='Dölling 1999a'></bib>): ''Plasti­sche'' Eigen­schaften gehö­ren zum [[Material|Mate­rial]] des Bildträ­gers, während ande­re Eigen­schaften ''im Auge des Betrach­ters'' liegen und von eher visu­eller also wahrneh­mungsab­hängi­ger Art sind. Die geomet­rischen Formen und ihre topo­logi­schen Rela­tionen werden als typi­sche Beispie­le für den letzte­ren Eigen­schaftstyp gege­ben, während [[Farbwahrnehmung|Farben]] und [[Textur|Textu­ren]] als Exem­pel für Eigen­schaften des Mate­rials selbst betrach­tet werden. Colo­reme sind stets Kombi­nati­onen von plasti­schen und visu­ell-​perzep­tiven Eigen­schaften. | |
− | Saint-Martin unterscheidet zwei Arten von | ||
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− | Tatsächlich kann auch der | + | Tatsächlich kann auch der allge­meine­re Begriff des Pixems logisch ana­lysiert werden in eine rein [[Raum und Geometrie|geomet­rische ''Basis­struktur'']] einer­seits und ein Begriffs­feld von diese Struktu­ren sichtbar machen­den [[Farbe als bildsyntaktische Kategorie|''Marker­dimen­sionen'']] ande­rerseits, denn Raum als solcher wäre ja nicht wahrnehm­bar. Erst die Segmen­tation in zusam­menge­höri­ge – nämlich gleich markier­te – ''Gebie­te'' ergibt eine Struktu­rierung in die räumli­chen Ele­mente eines Ganzen.<ref>Auf den ers­ten Blick mag die­ser Ana­ly­se so­gar ei­ne ge­wis­se Ähn­lich­keit mit ei­ner gram­ma­ti­schen Struk­tur im en­ge­ren Sinn eig­nen, wo­bei der geo­met­ri­sche Kal­kül ge­wis­ser­ma­ßen als Gram­ma­tik fun­giert und die Re­geln zur Ab­lei­tung non-​ter­mi­na­ler “Satz”-​Tie­fen­struk­tu­ren be­reit­stellt, wäh­rend die mög­li­chen Aus­prä­gun­gen der Mar­ker­di­men­si­o­nen das pik­to­ri­a­le “Le­xi­kon” – die ter­mi­na­len Sym­bo­le – zu­fü­gen, die die bild­li­che Ober­flä­chen­struk­tur er­gibt.</ref> |
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− | Allerdings ist die Unterscheidung zwischen | + | Allerdings ist die Unterscheidung zwischen Geome­trie (d.h. Räumlich­keit) und Farbe nicht (oder jeden­falls nicht wesent­lich) abhän­gig von der Diffe­renzie­rung zwischen Eigen­schaften, die zum Mate­rial des Bildträ­gers gehö­ren – und daher als objek­tive Eigen­schaften zu betrach­ten wären – und Eigen­schaften, die vom Betrach­ter konstru­iert werden – und folglich als subjek­tive Eigen­schaften zu bewer­ten wären.<ref>Es er­scheint schon merk­wür­dig, dass aus­ge­rech­net​ »Far­be«​ – ge­mein­hin als Pa­ra­de­bei­spiel für ei­ne ''se­kun­dä­re'' Qua­li­tät an­ge­führt – bei Saint-​Mar­tin zu den ob­jek­ti­ven Ma­te­ri­al­ei­gen­schaf­ten ge­hört und nicht dem Wahr­neh­mungs­ap­pa­rat zu­ge­schla­gen wird.</ref> Vielmehr können Bildphi­loso­phen über Farben und die Bezie­hungen zwischen ihnen einer­seits und über räumli­che Enti­täten und die geomet­rischen oder topo­logi­schen Bezie­hungen zwischen ihnen ande­rerseits disku­tieren, ohne dabei die beiden Argu­menta­tionen mitein­ander vermi­schen zu müssen. Sie können als unab­hängig vonein­ander betrach­tet und als von – jeden­falls auf den ersten Blick – auto­nomen Begriffs­feldern gere­gelt behan­delt werden.<ref>Eben aus die­sem Grund ist ei­ne von Farb­the­o­ri­en un­ab­hän­gi­ge Geo­met­rie mög­lich. Zwar kom­men in Farb­the­o­ri­en oft geo­met­ri­sche Aus­drü­cke vor (‘Farb­raum’, ‘Farb­dis­tanz’, ‘Farb­kör­per’), doch sind die­se raum­me­ta­pho­risch ge­mein und be­zie­hen sich ge­ra­de nicht auf die geo­met­ri­schen Ei­gen­schaf­ten far­bi­ger Ge­gen­stän­de.</ref> Argu­menta­tionen über Pixe­me müssen hinge­gen die Logik der Farben und die Logik des Raums mitein­ander kombi­nieren, d.h. in einer begriff­lichen Synthe­se verei­nigen. |
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− | Grundlegende Eigenschaften von | + | Grundlegende Eigenschaften von Pixe­men sind mithin genau die Attri­bute, die belie­bige gefärb­te Enti­täten der zwei­dimen­siona­len Geome­trie aufwei­sen, sowie die Rela­tionen, die sie unter­einan­der einneh­men können. Neben den charak­teris­tischen Eigen­schaften geomet­rischer Enti­täten – insbe­sonde­re topo­logi­sche, metri­sche und direk­tiona­le Rela­tionen zwischen ihren Teilen (''Form'') und zu ande­ren Gebie­ten (''Lage'') – und den etwa durch Farb­ton, Hellig­keit und Sätti­gung näher bestimm­ten Farbmar­kierun­gen im enge­ren Sinn<ref>Zu be­ach­ten ist al­ler­dings, dass die Di­men­si­o­nen​ »Farb­ton«,​ »Hel­lig­keit«​ und​ »Sät­ti­gung«​ zur Cha­rak­te­ri­sie­rung ei­nes pik­to­ri­a­len Mar­ker­werts nicht ab­so­lut ge­se­hen wer­den kön­nen, son­dern in star­ker Wei­se von ih­rer Um­ge­bung ab­hän­gen: So­wohl Be­leuch­tung (ob­jek­tiv) als auch die Far­ben der um­ge­ben­den Pi­xe­me (sub­jek­tiv) be­ein­flus­sen die Wahr­neh­mung von Far­be.</ref> können auch homo­gene Farbver­läufe oder spezi­elle Farbva­riati­onen – Textu­ren – als Attri­bute höhe­rer Ordnung rele­vant sein. Zudem treten Wechsel­wirkun­gen auf, die sich aus der räumli­chen Anord­nung verschie­dener Farben zuein­ander erge­ben, vor allem Kontrast-​Effek­te. |
+ | ===Kombinationen von Pixemen, Ma­ximal­pixem=== | ||
− | + | Da die Unterteilung in​ »Wort«​ und​ »Satz«​ für eine morpho­logi­sche Ana­lyse von Bildern irre­levant ist, können auch Zusam­menset­zungen aus mehre­ren Pixe­men ohne weite­res wieder als Pixe­me betrach­tet werden: Die Morpho­logie von Bildern besteht damit aus Teil-​Ganzes-​Ordnun­gen von Pixe­men, die sich zwischen dem Bildgan­zen – als Maxi­malpi­xem – und den als mini­mal betrach­teten Gebie­ten mit jeweils nur einer einzi­gen homo­genen Marker­bele­gung in meist mehre­ren Stufen aufspan­nen. | |
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− | Da die Unterteilung in »Wort« und »Satz« für eine | ||
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− | Pixemen höherer Ordnung kommt mithin nicht nur eine | + | Pixemen höherer Ordnung kommt mithin nicht nur eine Marker­bele­gung im oben erwähn­ten Sinn zu. Sie haben vielmehr eine quasi-​pikturale Substruk­tur. So bilden beispiels­weise in Abbil­dung 1 die mittig ange­ordne­ten bandför­migen, braun gefüllt und gelb umran­deten Pixe­me ein säulen­arti­ges komple­xes Pixem höhe­rer Ordnung. Seine geomet­rische Basis­struktur wird nicht einfach durch Farb- oder Textur­werte, sondern gera­de durch die es konsti­tuieren­den Pixe­me niede­rer Ordnung markiert. |
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− | Obwohl die Pixeme “mittlerer” Ordnung in ihrer | + | Obwohl die Pixeme “mittlerer” Ordnung in ihrer morpho­logi­schen Struktur einem Bildträ­ger gleichen, sind sie noch nicht ohne weite­res als Bildträ­ger zu verwen­den. Das liegt insbe­sonde­re an zwei zusam­menhän­genden Fakto­ren: |
− | * a) Gestalttheoretisch gesprochen bilden | + | * a) Gestalttheoretisch gesprochen bilden Pixe­me jeweils ''[[Figur/Grund-Differenzierung|Figu­ren]]'': der Hinter­grund, vor dem sie als solche unaus­weichlich betrach­tet werden, gehört entspre­chend nicht zu ihnen. Im oben erwähn­ten Beispiel sind die die gelb-​braunen Bänder um­schließen­den roten Berei­che nicht einge­schlossen. Obwohl durch die Pixem-​Segmen­tierung prinzi­piell in eine Vielfalt von Figur-​Grund-​Paaren zerleg­bar, gilt doch für den Bildträ­ger, dass er insge­samt nur in ''einer'' Hinsicht Figur ist, nämlich vor dem Rahmen. Das gilt unter allen betei­ligten Pixe­men nur für das Maxi­malpi­xem und hat dort eine beson­dere Wirkung. |
− | [[Datei:Arnkerrthe-Ausschnitt1.gif|frameless|rechts| | + | [[Datei:Arnkerrthe-Ausschnitt1.gif|frameless|rechts|Ab­bil­dung 3: Pi­xem-​Aus­schnitt als Bild]] |
− | * b) Die ''[[Rahmung, Rahmen| | + | * b) Die ''[[Rahmung, Rahmen|Rah­mung]]'' des Ma­xi­mal­pi­xems setzt letz­te­res näm­lich in den Ver­wen­dungs­zu­sam­men­hang, der die­se Fi­gur als Gan­ze zu ei­ner Zei­chen­mar­ke in ei­ner Zei­chen­hand­lung macht, d.h.: zu ei­nem Bild­trä­ger. Na­tür­lich ist es prin­zi­pi­ell durch­aus mög­lich, die­se ''Rah­mungs­hand­lung'' auch bei je­dem der Pi­xe­me nie­de­rer Ord­nung zu voll­zie­hen, sie al­so als se­pa­rier­te Bild­trä­ger (und da­mit als an­de­re Bil­der) zu be­trach­ten. Doch blei­ben bei ei­nem sol­chen Vor­ge­hen die prag­ma­ti­schen und se­man­ti­schen Be­zü­ge nicht er­hal­ten:<ref>Ei­ne Aus­nah­me zu die­ser Re­gel dürf­ten die­je­ni­gen Pi­xe­me bil­den, die ab­bil­dungs­wert­lich als Bild im Bild in­ter­pre­tiert wer­den. De­ren prag­ma­ti­schen und se­man­ti­schen Re­la­ti­o­nen sind dann al­ler­dings in die Sze­ne des [[Theorien des Bildraums|Bild­rau­mes]] ver­scho­ben.</ref> Schnitte man eines der gelb umran­deten, braun gefüll­ten Bänder aus dem Mittel­teil von Abbil­dung 1 aus und montier­te es allei­ne auf den Hinter­grund einer neutral gefärb­ten Fläche (oder auch freischwe­bend im Raum), so kann man das Resul­tat durchaus als ein Bild mit etwas unge­wöhnlich gewölb­tem Rand (also eine Rahmung ohne expli­ziten Rahmen) begrei­fen (Abb. 3). Verwen­dungszu­sammen­hänge und Bedeu­tungszu­schreibun­gen dieses Bildes hängen indes besten­falls sehr locker mit denen von Abbil­dung 1 zusam­men. |
+ | ===Pixem-bildende Opera­tionen=== | ||
− | + | Die Pixem-bildenden Operationen gehen letztlich auf die elemen­taren Pixem-​Attri­bute zurück. Begrün­det in den psycho­physio­logi­schen Wahrneh­mungsme­chanis­men, laufen sie in der Regel unbe­wusst ab. Dabei sind beson­ders zwei gegen­läufi­ge Aspek­te wichtig: ''Kontrast­verstär­kung'' und ''Gestalt­bildung''. | |
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− | Die Pixem-bildenden Operationen gehen letztlich auf die | ||
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− | Die Konstitution von Pixemen bei der | + | Die Konstitution von Pixemen bei der Betrach­tung eines Bildträ­gers ist – als Vari­ante der Segmen­tierung beim [[Theorien der visuellen Wahrnehmung |Sehen]] ganz allge­mein – stark kontext­sensi­tiv: So führen lokal wirksa­me kontrast­verstär­kende Kompo­nenten des Wahrneh­mungsap­para­tes zu Grenzen zwischen als einheit­lich wahrge­nomme­nen Gebie­ten. Bemerk­bar werden diese Ope­rati­onen vor allem dann, wenn sie zu Täuschun­gen, d.h. zu zusätz­lichen Pixe­men (bzw. allge­meiner: Wahrneh­mungsseg­menten<ref>Der Hin­weis auf den mög­li­chen Un­ter­schied zwi­schen vi­su­el­ler Wahr­neh­mung ganz all­ge­mein und [[Bildwahrnehmung|Bild­wahr­neh­mung]] im Be­son­de­ren ist im Zu­sam­men­hang mit “op­ti­schen” Täu­schun­gen (⊳ [[Wahrnehmungsillusion|Wahr­neh­mungs­il­lu­si­on]]) durch­aus er­wäh­nens­wert, fin­den doch die psy­cho­lo­gi­schen Tests et­wa zur Kon­trast­täu­schung wie auch die Ex­pe­ri­men­te zur vi­su­el­len Ge­stalt­bil­dung in der Re­gel mit­hil­fe von Bild­ma­te­ri­al statt, wäh­rend die Schluß­fol­ge­run­gen da­raus sich auf die vi­su­el­le Wahr­neh­mung ganz un­ab­hän­gig von Bil­dern be­zie­hen sol­len. </ref>) führen, etwa bei der Kontrast­täuschung.<ref>Ein gut prä­sen­tier­tes Bei­spiel der Kon­trast­täu­schung fin­det sich auf der fol­gen­den Sei­te: [http://www.sehtestbilder.de/optische-taeuschungen-illusionen/optische-taeuschung-rauten-helligkeit.php Kon­trast­täu­schung bei seh­test­bil­der.de].</ref> |
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− | Die Mechanismen der | + | Die Mechanismen der Kontrastver­stärkung unter­stützen ande­rerseits das Zusam­menfas­sen homo­gener Gebie­te durch [[Gestalt|Gestalt­bildung]] im Sinne der Gestalt­geset­ze. Deren unbe­wusstes Wirken bestimmt die wahrge­nomme­nen Teil-​Ganzes-​Hierar­chien der zusam­menge­setzten Pixe­me. Das Wechsel­spiel von Grenzzie­hung durch Kontrast­verstär­kung und Inte­gration gemäß der Gestalt­geset­ze führt letztlich zur Konsti­tution einer bildmor­pholo­gischen (Normal-)​Struktur zwischen Maxi­malpi­xem und ele­menta­ren Gebie­ten, die aller­dings bei der alltäg­lichen Bildwahr­nehmung bereits beim Aufbau sehr stark von seman­tischen und pragma­tischen Randbe­dingun­gen deter­miniert wird. Eben aus diesem Grund heben etwa Gestal­tungslehr­bücher stets beson­ders hervor, dass “das Auge” in der ''gestal­teri­schen Sehwei­se'' geschult werden müsse, die gera­de von solchen Einflüs­sen absieht und letztlich einen rein eigen­wertli­chen Zugang zur Bildmor­pholo­gie errei­chen will (etwa <bib id='Klee 1956a'></bib>). |
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==Anwendungen== | ==Anwendungen== | ||
− | [[Datei:BrodatzTexturErkennung.jpg|thumb| | + | [[Datei:BrodatzTexturErkennung.jpg|thumb|Ab­bil­dung 4: Er­geb­nis ei­ner au­to­ma­ti­schen Seg­men­tie­rung: Tex­tur­ba­sier­te Pi­xem­bil­dung. Rechts sind die ge­fun­de­nen Pi­xe­me farb­lich mar­kiert dar­ge­stellt.]] |
− | Das | + | Das al­go­rith­mi­sche Nach­bil­den pi­xem-​bil­den­der Ope­ra­ti­o­nen führt zur Mög­lich­keit bild­mor­pho­lo­gi­scher Ana­ly­sen in der Com­pu­ter­vi­su­a­lis­tik und bil­det ei­nen zen­tra­len Be­stand­teil der [[Bildverarbeitung, digitale|di­gi­ta­len Bild­ver­ar­bei­tung]]: Auf in­for­ma­ti­sche Ko­die­run­gen ([[Notation|No­ta­ti­o­nen]]) von Bild­trä­gern kön­nen ent­spre­chen­de ''Seg­men­tie­rungs­ver­fah­ren'' pro­gram­miert wer­den, die (in der ent­spre­chen­den Li­te­ra­tur oft als ‘Ob­jek­te’ be­zeich­ne­te) Pi­xe­me zu be­stim­men er­lau­ben (Abb. 4). Hier­bei wer­den vor al­lem die Ge­stalt­ge­set­ze der Nä­he, Ähn­lich­keit und Gu­ten Kon­ti­nu­i­tät über den Farb- und Tex­tur­mar­kern ope­ra­ti­o­na­li­siert. |
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− | Auf lange Sicht mag es möglich sein, der | + | Auf lange Sicht mag es möglich sein, der Bildwis­senschaft auf diese Weise ein Set von techni­schen Standard­werkzeu­gen zur morpho­logi­schen Bild­ana­lyse bereit­zustel­len. Dies ist insbe­sonde­re sinnvoll, inso­fern die Pixem-​Kompo­sition des Bildträ­gers, wie oben erwähnt, auf einen theore­tisch voraus­gesetz­ten ''Normal­betrach­ter'' bezo­gen werden muss. Zu beden­ken bleibt dabei aller­dings, dass die menschli­che Wahrneh­mung von Bildern, wie u.a. von Saint-​Martin beschrie­ben, neben den mögli­chen indi­vidu­ellen Abwei­chungen vom Normal­betrach­ter auch ''dyna­mische'' Aspek­te umfasst, die durch eine solche rein struktu­relle Ana­lyse eben­falls ausge­blendet bleiben. |
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Aktuelle Version vom 24. Juli 2023, 17:13 Uhr
Unterpunkt zu: Bildsyntax
English Version: Image Morphology
Einordnung der BildmorphologieDer Ausdruck ‘Bildmorphologie’ wird im allgemeinen nicht mit einer spezifischen, von ‘Bildgrammatik’ oder ‘Bildkomposition’ verschiedenen Bedeutung gebraucht. Angesprochen wird mit all diesen Termini eine analytische Betrachtung des Bildträgers als zusammengesetzt aus für die Bildfunktion relevanten, im wesentlichen durch visuell wahrnehmbare Eigenschaften bestimmten Teilen, die auch in anderen Bildträgern, die sich durch die Zusammenstellung der Teile unterscheiden, Verwendung finden können. Es ist die Zusammenstellung der Teile zu einem Ganzen, die gemeinsam mit anderen (nicht-syntaktischen) Faktoren die (Typ-) Identität des Bildträgers und damit letztlich auch die möglichen Verwendungen des Bildträgers als Bild determiniert. Allerdings legt es die Unterscheidung von im engeren Sinne grammatischen gegenüber morphologischen Aspekten bei der Betrachtung von Sprache (⊳ Morphologie und Syntax) nahe, den Ausdruck ‘Bildmorphologie’ mit einem spezifischeren Sinn aufzuladen und ihn so von der Bildgrammatik (die eben damit zu einer Bildgrammatik im engeren Sinn wird) abzuheben. Die Bildgrammatik im engeren Sinn versucht vor allem syntaktische Kompositionalität bei Bildern im Sinne der formalen (Chomsky-) Grammatiken nachzuweisen, die die Unterscheidung von »Satz« und »Wort« voraussetzen[1] und durch ein begrenztes Set von Ersetzungsregeln über einer endlichen Menge von Satzkonstituenten als Zwischenstufen („nonterminale Symbole“, etwa ‘Nominalphrase’) aus endlich vielen Wörtern (im mentalen Lexikon) auf eindeutige Weise unendlich viele Sätze abzuleiten oder zu analysieren gestatten ([Chomsky 1957a]Literaturangabe fehlt. Lässt sich eine solche morphologische Bildkompositionalität rational einführen, so sind Bilder, obschon ebenfalls komplexe Zeichensysteme, sehr deutlich von Sprachzeichensystemen unterschieden (⊳ Ikonische Differenz). Ihnen fehlt die Aufgliederung der einzelnen Gesamtzeichenhandlungen in partiell unabhängige, wenn auch im Sinne Freges mehr oder minder ungesättigte, d.h. immer Ergänzungen bedürfender Teilzeichenhandlungen – eben den Wörtern. Insbesondere bleibt dabei offen, ob die Verwendungen isolierter syntaktischer Elemente bildhafter Zeichensysteme immer selbst bereits ungesättigte Zeichenhandlungen sind. Sicherlich lassen sich die für ein Objekt in seiner Funktion als Bildträger relevanten physischen Eigenschaften vor allem in der visuell wahrnehmbaren geometrischen Anordnung von Farbflächen finden. In diesem Sinn können die syntaktischen Elemente, in die bei einer eigenwertlichen Betrachtung der Bildsyntax der Bildträger zerlegt wird, als piktoriale morphologische Elemente betrachtet werden. Diese sind über ihren Eigenwert hinaus weder notwendiger Weise mit einer bestimmten Bedeutung – einem bestimmten Abbildungswert – aufgeladen, noch kommt ihnen unbedingt eine genau definierte pragmatische Funktion – ein festgelegter Darstellungswert – zu.
Visuelle Gestalten, Coloreme und PixemeKurz gefasst bilden also genau die Entitäten, in die der Bildträger – oder genauer: der durch Rahmung ausgezeichnete Teil seiner Oberfläche – in der visuellen Wahrnehmung eingeteilt erscheint, das morphologische Repertoire bei Bildern. Psychologisch wird diese Einteilung durch die Gestaltgesetze bestimmt: Sie determinieren, welche Raumstellen als zusammenhängend gesehen werden, und zwar nicht nur im Sinne eines in sich ungeteilten, gleichfarbigen und zusammenhängenden Gebiets, sondern auch im Sinne von Gruppierungen höherer Ordnung, etwa Folgen von gleichfarbigen Strichen. Dies führt beispielsweise in Abbildung 1 dazu, dass neben den roten, braunen, schwarzen, gelben und weißen Elementargebieten auch die Gruppen von gelb- bzw. weiß-gefassten, dunkel gefüllten Bögen und Balken als zusammengehörige visuelle Gestalten wahrgenommen werden. In ihrem einflussreichen Buch zur Bildsyntax ([Saint-Martin 1990a]Literaturangabe fehlt.
Saint-Martins Verständnis der Coloreme konzentriert sich offensichtlich auf momentane psychophysische Aspekte: Zu jedem Zeitpunkt kann jeweils nur eine okulare Fixation erfolgen und folglich nur ein Colorem wahrgenommen werden (vgl. Abb. 2). Allerdings soll auf dieser Basis eine „colorematische (oder coloremische) Analyse“ aufbauen, die
In ihrer Dynamik und direkten Abhängigkeit von den psychophysischen Eigenheiten eines wahrnehmenden Individuums sind Coloreme vor allem theoretische Entitäten. Praktisch schlägt Saint-Martin vor, die Bildfläche in ein regelmäßiges 5*5-Raster aufzuteilen, das als Basis für eine angenäherte Beschreibung der möglichen oder wahrscheinlichen Coloreme dient: Jedes Raster ist wiederum in ein 5*5-Subraster aufgeteilt, das die Gliederung in foveale Zentren und makulare Randbereiche aufgreift (ibid.: S. 197ff). Um nicht zu stark an die recht spezifische Konzeption Saint-Martins gebunden zu sein, empfiehlt es sich allgemeiner, die – letztlich auf einen hypothetischen Normalbetrachter bezogenen – visuellen Gestalten im bildsyntaktischen Zusammenhang zunächst eher strukturalistisch zu betrachten und in Analogie zu dem linguistischen Ausdruck ‘Morphem’ als ‘Pixeme’ zu bezeichnen. Dabei kann in erster Näherung auch von der Dynamik abgesehen werden, die bei Saint-Martin die morphologische Beschreibung eines Bildträgers beträchtlich erschwert.[4] Pixem-AttributeSaint-Martin unterscheidet zwei Arten von Eigenschaften der syntakto-morphologischen Elemente bildhafter Zeichen, die häufig auf folgende Weise interpretiert werden (vgl. z.B. [Dölling 1999a]Literaturangabe fehlt. Tatsächlich kann auch der allgemeinere Begriff des Pixems logisch analysiert werden in eine rein geometrische Basisstruktur einerseits und ein Begriffsfeld von diese Strukturen sichtbar machenden Markerdimensionen andererseits, denn Raum als solcher wäre ja nicht wahrnehmbar. Erst die Segmentation in zusammengehörige – nämlich gleich markierte – Gebiete ergibt eine Strukturierung in die räumlichen Elemente eines Ganzen.[5] Allerdings ist die Unterscheidung zwischen Geometrie (d.h. Räumlichkeit) und Farbe nicht (oder jedenfalls nicht wesentlich) abhängig von der Differenzierung zwischen Eigenschaften, die zum Material des Bildträgers gehören – und daher als objektive Eigenschaften zu betrachten wären – und Eigenschaften, die vom Betrachter konstruiert werden – und folglich als subjektive Eigenschaften zu bewerten wären.[6] Vielmehr können Bildphilosophen über Farben und die Beziehungen zwischen ihnen einerseits und über räumliche Entitäten und die geometrischen oder topologischen Beziehungen zwischen ihnen andererseits diskutieren, ohne dabei die beiden Argumentationen miteinander vermischen zu müssen. Sie können als unabhängig voneinander betrachtet und als von – jedenfalls auf den ersten Blick – autonomen Begriffsfeldern geregelt behandelt werden.[7] Argumentationen über Pixeme müssen hingegen die Logik der Farben und die Logik des Raums miteinander kombinieren, d.h. in einer begrifflichen Synthese vereinigen. Grundlegende Eigenschaften von Pixemen sind mithin genau die Attribute, die beliebige gefärbte Entitäten der zweidimensionalen Geometrie aufweisen, sowie die Relationen, die sie untereinander einnehmen können. Neben den charakteristischen Eigenschaften geometrischer Entitäten – insbesondere topologische, metrische und direktionale Relationen zwischen ihren Teilen (Form) und zu anderen Gebieten (Lage) – und den etwa durch Farbton, Helligkeit und Sättigung näher bestimmten Farbmarkierungen im engeren Sinn[8] können auch homogene Farbverläufe oder spezielle Farbvariationen – Texturen – als Attribute höherer Ordnung relevant sein. Zudem treten Wechselwirkungen auf, die sich aus der räumlichen Anordnung verschiedener Farben zueinander ergeben, vor allem Kontrast-Effekte. Kombinationen von Pixemen, MaximalpixemDa die Unterteilung in »Wort« und »Satz« für eine morphologische Analyse von Bildern irrelevant ist, können auch Zusammensetzungen aus mehreren Pixemen ohne weiteres wieder als Pixeme betrachtet werden: Die Morphologie von Bildern besteht damit aus Teil-Ganzes-Ordnungen von Pixemen, die sich zwischen dem Bildganzen – als Maximalpixem – und den als minimal betrachteten Gebieten mit jeweils nur einer einzigen homogenen Markerbelegung in meist mehreren Stufen aufspannen. Pixemen höherer Ordnung kommt mithin nicht nur eine Markerbelegung im oben erwähnten Sinn zu. Sie haben vielmehr eine quasi-pikturale Substruktur. So bilden beispielsweise in Abbildung 1 die mittig angeordneten bandförmigen, braun gefüllt und gelb umrandeten Pixeme ein säulenartiges komplexes Pixem höherer Ordnung. Seine geometrische Basisstruktur wird nicht einfach durch Farb- oder Texturwerte, sondern gerade durch die es konstituierenden Pixeme niederer Ordnung markiert. Obwohl die Pixeme “mittlerer” Ordnung in ihrer morphologischen Struktur einem Bildträger gleichen, sind sie noch nicht ohne weiteres als Bildträger zu verwenden. Das liegt insbesondere an zwei zusammenhängenden Faktoren:
Pixem-bildende OperationenDie Pixem-bildenden Operationen gehen letztlich auf die elementaren Pixem-Attribute zurück. Begründet in den psychophysiologischen Wahrnehmungsmechanismen, laufen sie in der Regel unbewusst ab. Dabei sind besonders zwei gegenläufige Aspekte wichtig: Kontrastverstärkung und Gestaltbildung. Die Konstitution von Pixemen bei der Betrachtung eines Bildträgers ist – als Variante der Segmentierung beim Sehen ganz allgemein – stark kontextsensitiv: So führen lokal wirksame kontrastverstärkende Komponenten des Wahrnehmungsapparates zu Grenzen zwischen als einheitlich wahrgenommenen Gebieten. Bemerkbar werden diese Operationen vor allem dann, wenn sie zu Täuschungen, d.h. zu zusätzlichen Pixemen (bzw. allgemeiner: Wahrnehmungssegmenten[10]) führen, etwa bei der Kontrasttäuschung.[11] Die Mechanismen der Kontrastverstärkung unterstützen andererseits das Zusammenfassen homogener Gebiete durch Gestaltbildung im Sinne der Gestaltgesetze. Deren unbewusstes Wirken bestimmt die wahrgenommenen Teil-Ganzes-Hierarchien der zusammengesetzten Pixeme. Das Wechselspiel von Grenzziehung durch Kontrastverstärkung und Integration gemäß der Gestaltgesetze führt letztlich zur Konstitution einer bildmorphologischen (Normal-)Struktur zwischen Maximalpixem und elementaren Gebieten, die allerdings bei der alltäglichen Bildwahrnehmung bereits beim Aufbau sehr stark von semantischen und pragmatischen Randbedingungen determiniert wird. Eben aus diesem Grund heben etwa Gestaltungslehrbücher stets besonders hervor, dass “das Auge” in der gestalterischen Sehweise geschult werden müsse, die gerade von solchen Einflüssen absieht und letztlich einen rein eigenwertlichen Zugang zur Bildmorphologie erreichen will (etwa [Klee 1956a]Literaturangabe fehlt.
AnwendungenDas algorithmische Nachbilden pixem-bildender Operationen führt zur Möglichkeit bildmorphologischer Analysen in der Computervisualistik und bildet einen zentralen Bestandteil der digitalen Bildverarbeitung: Auf informatische Kodierungen (Notationen) von Bildträgern können entsprechende Segmentierungsverfahren programmiert werden, die (in der entsprechenden Literatur oft als ‘Objekte’ bezeichnete) Pixeme zu bestimmen erlauben (Abb. 4). Hierbei werden vor allem die Gestaltgesetze der Nähe, Ähnlichkeit und Guten Kontinuität über den Farb- und Texturmarkern operationalisiert. Auf lange Sicht mag es möglich sein, der Bildwissenschaft auf diese Weise ein Set von technischen Standardwerkzeugen zur morphologischen Bildanalyse bereitzustellen. Dies ist insbesondere sinnvoll, insofern die Pixem-Komposition des Bildträgers, wie oben erwähnt, auf einen theoretisch vorausgesetzten Normalbetrachter bezogen werden muss. Zu bedenken bleibt dabei allerdings, dass die menschliche Wahrnehmung von Bildern, wie u.a. von Saint-Martin beschrieben, neben den möglichen individuellen Abweichungen vom Normalbetrachter auch dynamische Aspekte umfasst, die durch eine solche rein strukturelle Analyse ebenfalls ausgeblendet bleiben. Auf begrifflicher Ebene erlaubt die Synthese der bildlichen Morphosyntax aus geometrischem Basiskalkül und dem Begriffsfeld der farblichen Markerwerte schließlich, eine lang gehegte Vermutung zu widerlegen: dass nämlich der Begriff der syntaktischen (Nicht-)Wohlgeformtheit auf Bilder überhaupt nicht anzuwenden wäre (vgl. [Plümacher 1999a]Literaturangabe fehlt. Siehe auch:
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Anmerkungen
[Chomsky 1957a]:
Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Dölling 1999a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Klee 1956a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Plümacher 1999a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Sachs-Hombach 1999a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Saint-Martin 1990a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. Ausgabe 1: 2013 Verantwortlich: Lektorat: Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [48] und Klaus Sachs-Hombach [10] — (Hinweis) Zitierhinweis: [Schirra 2013g-f]Literaturangabe fehlt. |