Bildtermini anderer Sprachen: Unterschied zwischen den Versionen
Zeile 12: | Zeile 12: | ||
Die Annahme, dass gegen Ende des 20. Jahrhunderts nicht nur in den Kulturwissenschaften eine Hinwendung, ein ''turn'' hin zu den Bildern stattgefunden habe, gehört zum Commonsense. Vor diesem Hintergrund bedarf eine Rückwendung zur Sprache – und selbst wenn es sich dabei um eine Wendung zu den Bildtermini anderer Sprachen handelt – zumindest einer Erläuterung. Welche Gründe gibt es also, sich mit derartigen Bildtermini auseinanderzusetzen? | Die Annahme, dass gegen Ende des 20. Jahrhunderts nicht nur in den Kulturwissenschaften eine Hinwendung, ein ''turn'' hin zu den Bildern stattgefunden habe, gehört zum Commonsense. Vor diesem Hintergrund bedarf eine Rückwendung zur Sprache – und selbst wenn es sich dabei um eine Wendung zu den Bildtermini anderer Sprachen handelt – zumindest einer Erläuterung. Welche Gründe gibt es also, sich mit derartigen Bildtermini auseinanderzusetzen? | ||
− | Obwohl offenbar gegen Ende des 20. Jahrhunderts eine Hinwendung zum Thema Bild stattgefunden hat, ist damit keineswegs das gängige wissenschaftliche Prozedere – um auf dieser allgemeinsten Ebene noch nicht von Methode zu sprechen – außer Kurs gesetzt worden: In der Regel reden oder schreiben wir in den Wissenschaften immer noch über die für uns relevanten Themen. Wir haben nicht begonnen, (über) sie stattdessen zu malen oder zu zeichnen. Um über sie reden oder schreiben zu können, müssen wir naheliegender Weise auch Ausdrücke verwenden, mit denen wir uns auf sie beziehen. Sich mit Bildtermini auseinanderzusetzen bedeutet daher, sich über die Instrumente Aufschluss zu geben, mit denen wir uns (auch in den Wissenschaften) auf Bilder beziehen. | + | Obwohl offenbar gegen Ende des 20. Jahrhunderts eine Hinwendung zum ''Thema'' Bild stattgefunden hat, ist damit keineswegs das gängige wissenschaftliche ''Prozedere'' – um auf dieser allgemeinsten Ebene noch nicht von ''Methode'' zu sprechen – außer Kurs gesetzt worden: In der Regel reden oder schreiben wir in den Wissenschaften immer noch über die für uns relevanten Themen. Wir haben nicht begonnen, (über) sie stattdessen zu malen oder zu zeichnen. Um über sie reden oder schreiben zu können, müssen wir naheliegender Weise auch Ausdrücke verwenden, mit denen wir uns auf sie beziehen. Sich mit Bildtermini auseinanderzusetzen bedeutet daher, sich über die Instrumente Aufschluss zu geben, mit denen wir uns (auch in den Wissenschaften) auf Bilder beziehen. (Nebenbei, auch vor dem letzten Wort des vorhergehenden Satzes finden sich bezeichnenderweise keine Bilder, vor ihm steht lediglich der Ausdruck ‘Bilder’.) |
− | Berücksichtigt man mehrere Sprachen und diese dann auch in ihrer historischen Entwicklung kann man feststellen, dass es erstens eine Vielzahl von derartigen Termini gegeben hat und immer noch gibt und dass es sich zweitens bei dieser Vielzahl nicht um eine onomasiologische Trivialität handelt. Die Onomasiologie fragt bekanntlich nach den verschiedenen Bezeichnungen, die eine Sache haben kann. Bei den uns interessierenden Termini handelt es sich jedoch nicht schlicht um verschiedene Termini für ein und dieselbe Sache, sondern welche Sache es tatsächlich ist, kann nach Maßgabe der Termini durchaus variieren. Wir stoßen bei ihnen also auf Bedeutungsnuancen. Die französische Alltagssprache kennt beispielsweise sowohl die Rede vom tableau als auch die von der image; gemäß der unterschiedlichen Logik der beiden Begriffe, der konkreteren Ausrichtung des ersten und der abstrakteren Ausrichtung des zweiten, können wir von einem tableau sagen, dass wir es an die Wand hängen, bei einer image ist dies jedoch unmöglich.<ref>Entsprechendes trifft auch auf das Englische und die Unterscheidung zwischen picture und image zu.</ref> Die deutsche Alltagssprache hingegen verschleift diesen Unterschied und nennt beides | + | Berücksichtigt man mehrere Sprachen und diese dann auch in ihrer historischen Entwicklung kann man feststellen, dass es erstens eine Vielzahl von derartigen Termini gegeben hat und immer noch gibt und dass es sich zweitens bei dieser Vielzahl nicht um eine onomasiologische Trivialität handelt. Die Onomasiologie fragt bekanntlich nach den verschiedenen Bezeichnungen, die eine Sache haben kann. Bei den uns interessierenden Termini handelt es sich jedoch nicht schlicht um verschiedene Termini für ein und dieselbe Sache, sondern welche Sache es tatsächlich ist, kann nach Maßgabe der Termini durchaus variieren. Wir stoßen bei ihnen also auf Bedeutungsnuancen. Die französische Alltagssprache kennt beispielsweise sowohl die Rede vom ''tableau'' als auch die von der ''image''; gemäß der unterschiedlichen Logik der beiden Begriffe, der konkreteren Ausrichtung des ersten und der abstrakteren Ausrichtung des zweiten, können wir von einem tableau sagen, dass wir es an die Wand hängen, bei einer image ist dies jedoch unmöglich.<ref>Entsprechendes trifft auch auf das Englische und die Unterscheidung zwischen ''picture'' und ''image'' zu.</ref> Die deutsche Alltagssprache hingegen verschleift diesen Unterschied und nennt beides ‘Bild’.<ref>Im Deutschen wird dieser Unterschied erst durch eine Verbindung des Bildterminus mit einem Adjektiv oder durch eine andere Erweiterung eingeholt. Beispiele in der deutschen Wissenschaftssprache dafür finden sich bei Edmund Husserl, der das „physische Bild, das Bild aus Leinwand, aus Marmor usw.“ vom „repräsentierenden Bild“ oder „Bildobjekt“ abgrenzt (<bib id='Husserl 1980a'></bib>: S. 19) oder in der Bezeichnung [[Bildträger|‘Bildträger’]].</ref> Neben diesen Bedeutungsnuancen, die sich in der synchronen Perspektive erschließen, finden sich auch Unterschiede, wenn man wie die Begriffsgeschichte oder die historische Semantik Termini in der diachronen Perspektive verfolgt. <Für die Philosophie vgl. dazu <bib id='Ritter 1967a'></bib>, für die Historiographie <bib id='Koselleck 1979a'></bib> und für die Soziologie <bib id='Luhmann 1980a'></bib>.</ref>Beispielsweise fiel unter ‘imago’, der Wurzel für das französische oder englische ‘image’, keineswegs immer nur etwas Abstrakte(re)s, sondern zu Beginn der rekonstruierbaren Begriffsgeschichte ganz handgreiflich die römische Totenmaske #vgl.<ref>Um ein weiteres Beispiel zu nennen: Noch Husserls Erklärungen zum physischen Bild verraten ansatzweise, dass es früher im Gegensatz zu heute üblich war, unter ,Bild’ vor allem plastische und nicht plane Gegenstände zu fassen.</ref> |
Version vom 16. Dezember 2013, 20:15 Uhr
Hauptpunkt zu: Bild und Sprache
Die Annahme, dass gegen Ende des 20. Jahrhunderts nicht nur in den Kulturwissenschaften eine Hinwendung, ein turn hin zu den Bildern stattgefunden habe, gehört zum Commonsense. Vor diesem Hintergrund bedarf eine Rückwendung zur Sprache – und selbst wenn es sich dabei um eine Wendung zu den Bildtermini anderer Sprachen handelt – zumindest einer Erläuterung. Welche Gründe gibt es also, sich mit derartigen Bildtermini auseinanderzusetzen? Obwohl offenbar gegen Ende des 20. Jahrhunderts eine Hinwendung zum Thema Bild stattgefunden hat, ist damit keineswegs das gängige wissenschaftliche Prozedere – um auf dieser allgemeinsten Ebene noch nicht von Methode zu sprechen – außer Kurs gesetzt worden: In der Regel reden oder schreiben wir in den Wissenschaften immer noch über die für uns relevanten Themen. Wir haben nicht begonnen, (über) sie stattdessen zu malen oder zu zeichnen. Um über sie reden oder schreiben zu können, müssen wir naheliegender Weise auch Ausdrücke verwenden, mit denen wir uns auf sie beziehen. Sich mit Bildtermini auseinanderzusetzen bedeutet daher, sich über die Instrumente Aufschluss zu geben, mit denen wir uns (auch in den Wissenschaften) auf Bilder beziehen. (Nebenbei, auch vor dem letzten Wort des vorhergehenden Satzes finden sich bezeichnenderweise keine Bilder, vor ihm steht lediglich der Ausdruck ‘Bilder’.) Berücksichtigt man mehrere Sprachen und diese dann auch in ihrer historischen Entwicklung kann man feststellen, dass es erstens eine Vielzahl von derartigen Termini gegeben hat und immer noch gibt und dass es sich zweitens bei dieser Vielzahl nicht um eine onomasiologische Trivialität handelt. Die Onomasiologie fragt bekanntlich nach den verschiedenen Bezeichnungen, die eine Sache haben kann. Bei den uns interessierenden Termini handelt es sich jedoch nicht schlicht um verschiedene Termini für ein und dieselbe Sache, sondern welche Sache es tatsächlich ist, kann nach Maßgabe der Termini durchaus variieren. Wir stoßen bei ihnen also auf Bedeutungsnuancen. Die französische Alltagssprache kennt beispielsweise sowohl die Rede vom tableau als auch die von der image; gemäß der unterschiedlichen Logik der beiden Begriffe, der konkreteren Ausrichtung des ersten und der abstrakteren Ausrichtung des zweiten, können wir von einem tableau sagen, dass wir es an die Wand hängen, bei einer image ist dies jedoch unmöglich.[1] Die deutsche Alltagssprache hingegen verschleift diesen Unterschied und nennt beides ‘Bild’.[2] Neben diesen Bedeutungsnuancen, die sich in der synchronen Perspektive erschließen, finden sich auch Unterschiede, wenn man wie die Begriffsgeschichte oder die historische Semantik Termini in der diachronen Perspektive verfolgt. <Für die Philosophie vgl. dazu [Ritter 1967a]Ritter, Joachim (1967).Leitgedanken und Grundsätze des Historischen Wörterbuchs der Philosophie. In Archiv für Begriffsgeschichte, 11, 75-80. Eintrag in Sammlung zeigen, für die Historiographie [Koselleck 1979a]Koselleck, Reinhart (1979). Historische Semantik und Begriffsgeschichte. Stuttgart: Klett-Cotta. Eintrag in Sammlung zeigen und für die Soziologie [Luhmann 1980a]Luhmann, Niklas (1980). Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Bd. 1. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Eintrag in Sammlung zeigen.</ref>Beispielsweise fiel unter ‘imago’, der Wurzel für das französische oder englische ‘image’, keineswegs immer nur etwas Abstrakte(re)s, sondern zu Beginn der rekonstruierbaren Begriffsgeschichte ganz handgreiflich die römische Totenmaske #vgl.[3]
FragestellungIm ersten Kapitel seines einflussreichen Buches «Iconology» unterscheidet W.J.T. Mitchell mehrere Zweige in der Familie der „images“, darunter den graphischen, optischen, mentalen und verbalen (vgl. [Mitchell 1986a]Mitchell, William J.T. (1986).Iconology. Image, Text, Ideology. Chicago, London: University of Chicago Press. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 10). Das ist auf den ersten Blick einleuchtend. Es entspricht weitgehend unserem Sprachverständnis, dass wir Gemälde, Spiegelungen, Vorstellungen und auch bestimmte rhetorische Figuren – wie etwa die eben verwendete Metapher des Zweigs – ‘Bilder’ nennen (⊳ Bild und rhetorische Figur). Image. In Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 4, 215-217. Eintrag in Sammlung zeigen). Wir müssen also vermuten, dass sich unser gegenwärtiges Sprachverständnis nicht ohne Verzerrungen einfach in die Vergangenheit projizieren lässt. In den hier zusammengestellten Beiträgen wird es darum gehen, genau diese Skrupel zu berücksichtigen und vor allem danach zu fragen, was sich in älteren und fremdsprachigen Texten tatsächlich findet, wenn in der deutschen Übersetzung zumeist nur ‘Bild’ zu lesen ist. Es wird sich also um Beiträge zur Begriffsgeschichte oder zur historischen Semantik von ‘Bild’ und seinen Übersetzungen handeln.[4] |
Unterpunkte
Anmerkungen
[Brachfeld 1976a]: Brachfeld, Otto (1976). Image. In: Ritter, J. et al. (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 4. Basel: Schwabe, S. 215-217.
[Husserl 1980a]: Husserl, Edmund (1980). Phantasie, Bildbewusstsein, Erinnerung. Zur Phänomenologie der anschaulichen Vergegenwärtigungen. Texte aus dem Nachlass (1898-1925) (Husserliana XXIII). Den Haag, Boston, Dordrecht: Nijhoff. [Koselleck 1979a]: Koselleck, Reinhart (Hg.) (1979). Historische Semantik und Begriffsgeschichte. Stuttgart: Klett-Cotta. [Luhmann 1980a]: Luhmann, Niklas (1980). Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Bd. 1. Frankfurt/M.: Suhrkamp. [Mitchell 1986a]: Mitchell, William J.T. (1986). Iconology. Image, Text, Ideology. Chicago, London: University of Chicago Press. [Ritter 1967a]: Ritter, Joachim (1967). Leitgedanken und Grundsätze des Historischen Wörterbuchs der Philosophie. Archiv für Begriffsgeschichte, Band: 11, S. 75-80. Verantwortlich: Seitenbearbeitungen durch: Dimitri Liebsch [66], Joerg R.J. Schirra [63] und Zsuzsanna Kondor [1] — (Hinweis) |