Bildzitat

Aus GIB - Glossar der Bildphilosophie
Version vom 22. Dezember 2010, 14:45 Uhr von Anna Valentine Ullrich (Diskussion | Beiträge) (Interbildlichkeit, Interpikturalität und Interikonizität)
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Unterpunkt zu: Bildpragmatik


Fragestellung

Was ist ein Bildzitat? In der Übertragung der Vorstellung eines sprachlichen Zitats ließe sich das Bildzitat grob als intramediale Referenz zwischen Bildwerken fassen. Bildzitate sind in den verschiedensten visuellen Kontexten, in der gesamten Kunstgeschichte, in unterschiedlichen medialen und materiellen Zusammenhängen (etwa Malerei oder Fotografie), aber auch in der Werbung zu finden. Kurz: in allen gesellschaftlichen Bereichen, in denen auf ein kulturelles Reservoir an Bildern zitierend Bezug genommen wird. An diesen Befund schließen sich bestimmte Fragen an: Wie ist ein Bildzitat zu definieren und lässt sich überhaupt sinnvoll von einem Zitieren im Medium des Bildes sprechen? Wie ist das Bildzitat von anderen Verweistechniken abzugrenzen?

Kunsthistorische Perspektive: Das Bildzitat im Kontext weiterer Bildbezüge

In der kunsthistorischen Forschung liegt eine Fülle an Begrifflichkeiten zur Beschreibung von Bildbeziehungen vor – etwa das Bild im Bild, die Hommage, Paraphrase, Kopie u. ä. Christoph Zuschlag beklagt diese uneinheitliche Begriffsverwendung in der Literatur und verweist auf die Schwierigkeit, die Vielfalt von Bildrelationen zu erfassen und zu systematisieren. Zudem liege weder eine konsensuelle theoretische Bestimmung des Bildzitats sowie eine Abgrenzung zu anderen Formen vor noch ein einheitliches Kategoriensystem zur Beschreibung und Analyse unterschiedlicher visueller Verweistechniken. So wünschenswert ein epochen- und gattungsübergreifender Theoriebau auch wäre, so unklar wäre dabei, ob dieser dem Wandel von Diskursen über die Kunst und von Bildbegriffen im Laufe der Kunstgeschichte gerecht würde (Zuschlag 2006: 95 f.). Martina Sitt und Attila Horányi beispielsweise verwerfen den Begriff des Zitats, da er – ähnlich wie der Terminus des Einflusses (Baader 2003: 73 ff.) – zu heterogene Phänomene in der Malerei des 19. und 20. Jahrhunderts umfassen muss und damit seine Beschreibungsprägnanz verloren hat (Sitt/Horányi 1993: 20). Analysen von Bildzitaten finden meist epochenbezogen – etwa zu Zitattechniken im 20. Jahrhundert (Belting 1998; Schmidt 2000; Zuschlag 2002) – oder bezogen auf das Werk einzelner Künstler – z. B. Bildzitate bei Vermeer (Hammer-Tugendhat 2009) – statt. Das Zitat im Medium des Bildes, speziell in der Malerei, reicht historisch von der Nachahmung zur Aneignung eines bestimmten Stiles bis zur distanzierten, thematisierenden Zitatformen in der Kunst des 20. Jahrhunderts (Zuschlag 2002: 172). Hier bieten die Reproduktionstechniken eine neue Verfügbarkeit der Vor-Bilder; gleichzeitig wird eine Lesbarkeit des zitierenden Bezugs für den Bildbetrachter vorausgesetzt oder erhofft und an seine Interpretationsleistung appelliert (Sello 1979). Bei Zuschlag wird das Bildzitat als Verweis auf konkrete Kunstwerke vom Phänomen der Metakunst ab den 1960er Jahren abgegrenzt. Metakunst referiert nicht auf ein spezifisches Bild, sondern entweder auf einen Topos, die Institution Kunst oder thematisiert auf einer selbstreflexiven Metaebene Kunst an sich (Zuschlag 2002: 176 f.).

Interbildlichkeit, Interpikturalität und Interikonizität

Zur Darstellung von Bildbeziehungen wird häufig auf den literaturwissenschaftlichen Ansatz der Intertextualität zurückgegriffen, den Julia Kristeva in den 1970er Jahren zur Beschreibung von Textbeziehungen in Anlehnung an Michail Bachtins Konzept der Dialogizität entwickelte. Der Begriff der Intertextualität wird in kunstwissenschaftlichen Arbeiten zum Teil direkt auf das Medium Bild übertragen, da entweder explizit textähnliche Strukturen von Bild-Bild-Bezügen – etwa die intertextuelle Metamalerei (Stoichita 1998) – untersucht werden oder sich bildspezifischere Begrifflichkeiten noch nicht großflächig in der Forschung durchgesetzt haben (Rose 2006: 60). Mieke Bal verwendet für Bildzitate den Ausdruck quotation als Sprach- und Bildmedium übergreifender Terminus. Nach Bals Definition benennt quotation die „intersection of iconography and intertextuality“ (Bal 1999: 8), bei der sich Zitiertes und Zitierendes semantisch-diskursiv beeinflussen und überlagern. Darüber hinaus finden sich verschiedene Termini in der Literatur, die intertextuelle Taxonomien und Herangehensweisen adaptieren: - Interbildlichkeit (Rose 2006) bezeichnet einerseits Bildbeziehungen und Bildreflektionen im Medium Bild und andererseits eine literarische Interbildlichkeit, die durch eine im übertragenen Sinne vorhandene Bildlichkeit der Sprache im Text charakterisiert ist, z. B. die Verknüpfungen von Sprachbildern. - Interpikturalität (zusammenfassend Rosen 2003), auch in der Schreibweise Interpiktoralität: Hierbei handelt es sich um Beziehungen zwischen Bildern, die in der Übernahme von Termini aus der Sprach- und Literaturwissenschaft als Zitat oder Allusion gekennzeichnet werden. Analog zu Text-Text-Beziehungen stellt sich die Frage, wie Markierungen von Bildbezügen aussehen könnten oder wie verschiedene Deutlichkeitsgrade von Referenzen auseinander zu halten sind. Wie bei der Erforschung von Textrelationen sind Phänomen und Beschreibung von Bildkontakten in der gesamten Kunstgeschichte zu finden. Die traditionelle Quellenforschung der Kunstgeschichte unterscheidet sich jedoch insofern von dem neueren Interpikturalitätsdiskurs, als in ersterer versucht wird, Einflüsse nachzuvollziehen und Beziehungslinien abzubilden. Letztere indes nimmt die sinnproduzierenden und konstitutiven Funktionen von Bildbezügen in Kunstwerken in den Blick. - Interikonizität (Zuschlag 2006; Gamer 2007): Zuschlag strebt unter diesem Terminus ein mehrdimensionales Modell an, das sowohl eine Typologie der interikonischen Bezugnahmen nach formalen und inhaltlichen Einteilungen, als auch die funktionalen und historischen Bedingungen und Kontexte sowie produktions- und rezeptionsästhetische Sichtweisen berücksichtigt. Diese Vorgehensweise soll eine differenzierte Beschreibung der einzelnen Bezugnahmen und der Rolle des Rezipienten ermöglichen. In der Übertragung vom Medium des Textes auf Objekte der Kunst müssten folgende Aspekte diskutiert werden: die Frage eines engen oder weiten Interikonizitätsbegriffs, Fragen von Autorschaft und Intentionalität, des Wechselverhältnisses von bildlichem Prätext und Posttext sowie des Nutzen von Kategorien wie Einzeltextreferenz, System- oder Gattungsreferenz. Eine Anwendung des interikonischen Konzepts liegt bisher nur in Ansätzen vor. Zuschlag weist auf die Notwendigkeit hin, bei der Übernahme textbasierter Kategorien die spezifischen Charakteristika des Mediums Bild zu berücksichtigen. Gerade in diesem Punkt bestehen noch keine Lösungsvorschläge. Wagner kritisiert an Zuschlags Begriff der Interikonizität, dass dieser auf rein bildliche Relationen fokussiert ist. Sie bedürfen jedoch stets sprachlicher Vermittlung und Bedeutungsstiftung, so dass Interikonizität auf sprachliche Intertextualität angewiesen ist. (Wagner 2006: 221). - Vereinzelt sind Arbeiten zu Bildzitaten in verschiedenen visuellen Formaten (Malerei, Fotografie, Film) (Böhn 1999), zu zitierenden Bezügen zwischen filmischen Stills und Werken des kunstgeschichtlichen Kanons (Keitz 1994) sowie zu Zitaten in intermedialen Relationen zwischen Texten und Bildern (Horstkotte/Leonhard 2006; zum Ikonotext Horstkotte 2009) zu finden. Sie stützen sich weitestgehend auch auf eine literaturwissenschaftlich orientierte Herangehensweise. Mit diesen Begrifflichkeiten wird versucht, dem Bildtransfer nachzugehen, intermediale und interkulturelle Bildbeziehungen und damit verschiedenen Medien, Zeitschichten und Diskurse zu berücksichtigen (Schulz 2010: 322 f.).

Analytische Philosophie: Vom Bildzitat bis zum Musikzitat
Das Bildzitat als juristischer Gegenstand
Anmerkungen
Literatur                            [Sammlung]

Keine Literaturangaben


Hilfe: Nicht angezeigte Literaturangaben

Seitenbearbeitungen durch: Anna Valentine Ullrich [45], Joerg R.J. Schirra [38] und Dimitri Liebsch [6] — (Hinweis)