Bildzitat
Unterpunkt zu: Bildpragmatik
Größerer ZusammenhangWas ist ein Bildzitat? Allgemein gesprochen lässt sich darunter eine zitierende, intramedial stattfindende Referenz zwischen Bildwerken heterogener Provenienz verstehen. Es handelt sich also um ein Bild in reflexiver Verwendung. Obwohl der Begriff in der Literatur häufig gebraucht wird, ist bislang ungeklärt, welche Merkmale ein Bildzitat erfüllen muss, um als solches zu gelten, und wie es von anderen Verweistechniken wie beispielsweise Variation, Anspielung, Parodie u. ä. zu unterscheiden ist. Bildzitate treten in diversen Bildmedien (etwa in der Malerei, Fotografie, im Comic) auf und liegen – historisch betrachtet – in unterschiedlichen Epochen der Kunst, aber auch in der Werbung und Alltagskultur vor. Demzufolge sind sie in allen gesellschaftlichen Bereichen anzufinden, in denen auf ein kulturelles Reservoir an Bildern zitierend Bezug genommen wird. (Kunstgeschichte als Bildgeschichte) Die Frage nach einem Bildzitat ist eng verknüpft mit verschiedenen Themenfeldern, etwa, wie sich das Bildzitat zum Sprachzitat oder allgemeiner Bilder zur Sprache verhalten, in welchen Kategorien über Bilder reflektiert werden kann (Sprechen über Bilder) und inwiefern im Zuge eines iconic oder pictorial turns ein bildspezifischer Diskurs über Bildverweise in Abgrenzung zum sprachlichen Diskurs möglich ist (Bildwissenschaft als Sprach- und Bildkritik). Das Bildzitat ist Gegenstand dreier Kontexte, die mehr oder weniger unabhängig voneinander existieren. Eine gegenseitige Rezeption findet nicht statt.
Kunsthistorische Perspektive: Das Bildzitat im Kontext weiterer BildbezügeIn der kunsthistorischen Forschung liegt eine Fülle an Begrifflichkeiten zur Beschreibung von Bildbeziehungen vor – etwa das Bild im Bild, die Hommage, Paraphrase, Kopie u. ä. Christoph Zuschlag beklagt diese uneinheitliche Begriffsverwendung in der Literatur und verweist auf die Schwierigkeit, die Vielfalt von Bildrelationen zu erfassen und zu systematisieren. Zudem liege weder eine konsensuelle theoretische Bestimmung des Bildzitats sowie eine Abgrenzung zu anderen Formen vor noch ein einheitliches Kategoriensystem zur Beschreibung und Analyse unterschiedlicher visueller Verweistechniken. So wünschenswert ein epochen- und gattungsübergreifender Theoriebau auch wäre, so unklar wäre dabei, ob dieser dem Wandel von Diskursen über die Kunst und von Bildbegriffen im Laufe der Kunstgeschichte gerecht würde ([Zuschlag 2006a]Zuschlag, Christoph (2006).Auf dem Weg zu einer Theorie der Interikonizität. In Lesen ist wie Sehen. Intermediale Zitate in Bild und Text, 89-99. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 95 f.). Martina Sitt und Attila Horányi beispielsweise verwerfen den Begriff des Zitats, da er – ähnlich wie der Terminus des Einflusses ([Baader 2003a]Baader, Hannah (2003). Paragone. In Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen – Methoden – Begriffe, 263. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 73 ff.) – zu heterogene Phänomene in der Malerei des 19. und 20. Jahrhunderts umfassen muss und damit seine Beschreibungsprägnanz verloren hat ([Sitt & Horányi 1993a]Sitt, Martina & Horányi, Attila (1993). Kunsthistorische Suite über das Thema des Zitats in der Kunst. In Diskurse der Bilder. Photokünstlerische Reprisen kunsthistorischer Werke, 9-22. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 20). Analysen von Bildzitaten finden meist epochenbezogen – etwa zu Zitattechniken im 20. Jahrhundert ([Belting 1998a]Belting, Hans (1998a). Das unsichtbare Meisterwerk. Die modernen Mythen der Kunst. München: C.H. Beck. Eintrag in Sammlung zeigen; [Schmidt 2000a]Schmidt, Ulrike Kristin (2000). Kunstzitat und Provokation im 20. Jahrhundert. Weimar: VDG. Eintrag in Sammlung zeigen; [Zuschlag 2002a]Zuschlag, Christoph (2002). Vom Kunstzitat zur Metakunst. Kunst über Kunst im 20. Jahrhundert. In Wettstreit der Künste. Malerei und Skulptur von Dürer bis Daumier, 171-189. Eintrag in Sammlung zeigen) – oder bezogen auf das Werk einzelner Künstler – z. B. Bildzitate bei Vermeer ([Hammer-Tugendhat 2009a]Hammer-Tugendhat, Daniela (2009). Das Sichtbare und das Unsichtbare. Zur holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Köln: Böhlau. Eintrag in Sammlung zeigen) – statt. Das Zitat im Medium des Bildes, speziell in der Malerei, reicht historisch von der Nachahmung zur Aneignung eines bestimmten Stiles bis zur distanzierten, thematisierenden Zitatformen in der Kunst des 20. Jahrhunderts ([Zuschlag 2002a]Zuschlag, Christoph (2002). Vom Kunstzitat zur Metakunst. Kunst über Kunst im 20. Jahrhundert. In Wettstreit der Künste. Malerei und Skulptur von Dürer bis Daumier, 171-189. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 172). Hier bieten die Reproduktionstechniken eine neue Verfügbarkeit der Vor-Bilder; gleichzeitig wird eine Lesbarkeit des zitierenden Bezugs für den Bildbetrachter vorausgesetzt oder erhofft und an seine Interpretationsleistung appelliert ([Sello 1979a]Sello, Katrin (1979). Vom Nutzen und Nachteil des Zitierens für die Kunst. In Vom Nutzen und Nachteil des Zitierens für die Kunst, 9-15. Eintrag in Sammlung zeigen). Bei Zuschlag wird das Bildzitat als Verweis auf konkrete Kunstwerke vom Phänomen der Metakunst ab den 1960er Jahren abgegrenzt. Metakunst referiert nicht auf ein spezifisches Bild, sondern entweder auf einen Topos, die Institution Kunst oder thematisiert auf einer selbstreflexiven Metaebene Kunst an sich ([Zuschlag 2002a]Zuschlag, Christoph (2002). Vom Kunstzitat zur Metakunst. Kunst über Kunst im 20. Jahrhundert. In Wettstreit der Künste. Malerei und Skulptur von Dürer bis Daumier, 171-189. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 176 f.).
Interbildlichkeit, Interpikturalität und InterikonizitätZur Darstellung von Bildbeziehungen wird häufig auf den literaturwissenschaftlichen Ansatz der Intertextualität zurückgegriffen, den Julia Kristeva in den 1970er Jahren zur Beschreibung von Textbeziehungen in Anlehnung an Michail Bachtins Konzept der Dialogizität entwickelte. Der Begriff der Intertextualität wird in kunstwissenschaftlichen Arbeiten zum Teil direkt auf das Medium Bild übertragen, da entweder explizit textähnliche Strukturen von Bild-Bild-Bezügen – etwa die intertextuelle Metamalerei (Stoichita 1998) – untersucht werden oder sich bildspezifischere Begrifflichkeiten noch nicht großflächig in der Forschung durchgesetzt haben ([Rose 2006a]Rose, Margaret A. (2006).Parodie, Intertextualität, Interbildlichkeit. Bielefeld: Aisthesis. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 60). Mieke Bal verwendet für Bildzitate den Ausdruck quotation als Sprach- und Bildmedium übergreifender Terminus. Nach Bals Definition benennt quotation die „intersection of iconography and intertextuality“ ([Bal 1999a]Bal, Mieke (1999). Quoting Caravaggio. Contemporary Art, Preposterous History. Chicago: The University of Chicago Press. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 8), bei der sich Zitiertes und Zitierendes semantisch-diskursiv beeinflussen und überlagern. Darüber hinaus finden sich verschiedene Termini in der Literatur, die intertextuelle Taxonomien und Herangehensweisen adaptieren:
Intermediale Form- und Stilzitate in Photographie und Film bei Godard, Greenaway und Cindy Sherman. In Formzitate, Gattungsparodien, ironische Formverwendung: Gattungsformen jenseits von Gattungsgrenzen, 175-198. Eintrag in Sammlung zeigen), zu zitierenden Bezügen zwischen filmischen Stills und Werken des kunstgeschichtlichen Kanons ([Keitz 1994a]Keitz, Ursula von (1994). Dialogizität der Bilder. Bemerkungen zum Verhältnis von Bildender Kunst und Film aus semiotischer Sicht. In Film, Fernsehen, Video. Strategien der Intermedialität, 28-39. Eintrag in Sammlung zeigen) sowie zu Zitaten in intermedialen Relationen zwischen Texten und Bildern ([Horstkotte & Leonhard 2006a]Horstkotte, Silke & Leonhard, Karin (2006). Lesen ist wie Sehen. Intermediale Zitate in Bild und Text. Köln: Böhlau. Eintrag in Sammlung zeigen; zum Ikonotext [Horstkotte 2009a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. ) zu finden. Sie stützen sich weitestgehend auch auf eine literaturwissenschaftlich orientierte Herangehensweise. Mit diesen Begrifflichkeiten wird versucht, dem Bildtransfer nachzugehen, intermediale und interkulturelle Bildbeziehungen und damit verschiedenen Medien, Zeitschichten und Diskurse zu berücksichtigen ([Schulz 2010a]Schulz, Martin (2010). Das interchrone Bild der Landschaft. Raumfahrt und Zeitreise bei Pieter Bruegel dem Älteren. In Im Namen des Anderen. Die Ethik des Zitierens, 307-332. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 322 f.). Analytische Philosophie: Vom Bildzitat bis zum MusikzitatDas Bildzitat als juristischer Gegenstand |
Anmerkungen
[Baader 2003a]: Baader, Hannah (2003). Paragone. In: Pfisterer, U. (Hg.): Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen – Methoden – Begriffe. Stuttgart, Weimar: J.B. Metzler, S. 263.
[Bal 1999a]: Bal, Mieke (1999). Quoting Caravaggio. Contemporary Art, Preposterous History. Chicago: The University of Chicago Press.
[Belting 1998a]: Belting, Hans (1998a). Das unsichtbare Meisterwerk. Die modernen Mythen der Kunst. München: C.H. Beck.
[Böhn 1999a]: Böhn, Andreas (1999). Intermediale Form- und Stilzitate in Photographie und Film bei Godard, Greenaway und Cindy Sherman. In: Böhn, A. (Hg.): Formzitate, Gattungsparodien, ironische Formverwendung: Gattungsformen jenseits von Gattungsgrenzen. St. Ingbert: Röhrig, S. 175-198.
[Gamer 2007a]: Gamer, Elisabeth-Christine (2007). Überlegungen zur Interikonizität. Malewitsch, Duchamp, Warhol und die Mona Lisa. In: Herrmann, K. & Hübenthal, S. (Hg.): Intertextualität. Perspektiven auf ein interdiziplinäres Arbeitsfeld. Aachen: Shaker, S. 127-148.
[Hammer-Tugendhat 2009a]: Hammer-Tugendhat, Daniela (2009). Das Sichtbare und das Unsichtbare. Zur holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Köln: Böhlau.
[Horstkotte & Leonhard 2006a]: Horstkotte, Silke & Leonhard, Karin (Hg.) (2006). Lesen ist wie Sehen. Intermediale Zitate in Bild und Text. Köln: Böhlau.
[Horstkotte 2009a]: Verantwortlich: Seitenbearbeitungen durch: Anna Valentine Ullrich [45], Joerg R.J. Schirra [38] und Dimitri Liebsch [6] — (Hinweis) |