Cyberspace: Unterschied zwischen den Versionen
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− | ==Ein Wort zwischen | + | ==Ein Wort zwischen techni­scher All­machts­phan­ta­sie und medi­aler Marke­tingek­stase== |
− | Erfunden wurde das Kunstwort | + | Erfunden wurde das Kunstwort ‘Cyber­space’ in der Science-fiction-Lite­ratur (<bib id='Neuhaus 2006a'>Neu­haus 2006a</bib>):<ref>Nach­dem be­reits Sta­nis­ław Lem das Kon­zept An­fang der 1960er Jah­re un­ter dem Na­men ‘Phan­to­ma­tik’ durch­ge­spielt hat­te («Sum­ma tech­no­lo­giae», 1964), be­nutzt Gib­son das Wort erst­mals le­dig­lich als un­er­läu­ter­tes Eti­kett in ei­ner No­vel­le von 1982 («Chrom brennt»), um es zwei Jah­re spä­ter als Be­zeich­nung ei­nes dra­ma­tur­gisch hoch-wirk­sa­men Kon­zepts aus­zu­bau­en («Neu­ro­man­cer»). Wei­te­re Vor­läu­fer sind u.a. bei D.F. Ga­louye («Si­mu­la­cron-3», 1964) und W.H. Fran­ke («Der Or­chi­de­en­kä­fig», 1961) zu fin­den; vgl. auch [http://de.wikipedia.org/wiki/Cyberspace Wi­ki­pe­dia: Cy­ber­space].</ref> Gemeint war damit eine fikti­ve, von Compu­tern erzeug­te Welt “neben” der Wirklich­keit mit eige­nen Gesetz­lichkei­ten – eine virtu­elle Wirklich­keit hinter den Spiegeln der Moni­tore, in die die Roman­figu­ren eintre­ten konnten, um in völlig frei wählba­ren Scheinkör­pern ihre Aben­teuer ohne kompli­zierte Anrei­se und meist auch ohne allzu häufi­ge ernsthaf­te Gefähr­dung für Leib und Leben an einer Vielzahl von exo­tischen oder grotes­ken Schauplät­zen zu konsu­mieren. |
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− | Gegenüber den durchaus | + | Gegenüber den durchaus vorhan­denen alter­nati­ven Vorschlä­gen von ‘Phanto­matik’ bis ‘virtual reali­ty’ setzte sich die Bezeich­nung ‘Cyber­space’ durch, weil sie eine breite und unspe­zifi­sche Asso­ziation zu posi­tiv besetz­ten Themen auslöst, ohne zugleich als proble­matisch erach­tete Aspek­te (wie etwas das [[Referenz|Refe­renzprob­lem]] bei ‘virtual reali­ty’) in den Aufmerk­samkeits­fokus zu bringen: Die beiden Wortbe­standtei­le verwei­sen einer­seits über die Asso­ziations­kette ‘cyber’—‘kyber­netisch’—‘infor­matisch’—‘digi­tal-’ oder ‘unter­haltungs­technisch’ auf [[digitale Medien|digi­tale Medien]] und die mit ihnen gege­bene Inte­gration verschie­dener tradi­tionel­ler Medien und ubi­quitä­re “Vernet­zung” der Nutzer; über die Asso­ziations­kette ‘space’—‘Raum’—‘Weltraum’—‘Umwelt’ verwei­sen sie ande­rerseits auf Medien im biolo­gischen Sinn: das Einge­taucht-Sein in eine spezi­fische Umge­bung, die direkt wahrge­nommen und unmit­telbar mani­puliert werden kann und durch die man sich auf je spezi­fische vom Medium bestimm­te Weise – etwa schwebend, schwimmend, hangelnd, hüpfend, kriechend, rollend oder fliegend – fortbe­wegt: Das ist der Grundge­danke der ''Immer­sion''. So erkun­den die ''Cyber­nauten'' in Lite­ratur und Film einen digi­tal vermit­telten unei­gentli­chen “Spielraum”, in den sie einge­taucht sind und dessen Inhal­te sie anschei­nend ohne medi­ale Distanz wahrneh­men und mani­pulie­ren können. ‘Weltraum’ evo­ziert zudem das große Unbe­kannte, das es zu ent­decken und zu ero­bern gilt, das Aben­teuer des ganz Ande­ren, das Uto­pia voller Wunder und Reich­tümer. |
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− | Der annähernde Gleichklang von ‘cyber’ mit der | + | Der annähernde Gleichklang von ‘cyber’ mit der engli­schen Silbe ‘hyper’ zielt zudem unter­schwellig zugleich auf eine über die Geset­ze der “norma­len” Wirklich­keit hinaus­gehen­de, beson­ders spekta­kulä­re Umge­bung (⊳ [[Realität und Hyperrealität|Reali­tät und Hyper­reali­tät]]), wie auf den instan­tanen Zugang zu verschie­densten Teilwel­ten in Ana­logie zu den Möglich­keiten der Verlin­kungen bei [[Hypermedien|Hyper­medien]], die zur selben Zeit (um 1990) ihren Einfluss auf mehr oder weni­ger alle sozi­ale Berei­che zu entfal­ten began­nen. All diese Konno­tati­onen wurden einer­seits von Technik­begeis­terten aufge­griffen und in uto­pische Phanta­sien über das angeb­lich demnächst technisch Machba­re transpo­niert, die wiede­rum zu ambi­tionier­ten, wenngleich insge­samt eher einge­schränkt erfolg­reichen Forschungs­projek­ten zur techni­schen Umset­zung virtu­eller Reali­täten führten.<ref>Mit Data­suits, Head-moun­ted 3D-Dis­plays, CAVEs, Kraft­rück­kopp­lungs­hand­schu­hen und ähn­li­chen Er­geb­nis­sen die­ser For­schung lässt sich zwar ein ver­hält­nis­mäßig ho­hes Maß an Im­mer­si­on in ei­ne vir­tu­el­le Um­ge­bung er­zeu­gen, doch ver­hin­dert der Auf­wand da­für ei­ne brei­te Nut­zung. Als Pen­dant mit um­ge­kehr­tem Vor­zei­chen er­schie­nen zu­gleich mit den Cy­ber­be­geis­ter­ten die Cy­ber­skep­ti­ker, die die bei ih­nen durch die uto­pi­schen All­machts­phan­ta­sien aus­ge­lös­ten Be­dro­hungs­emp­fin­dun­gen zum Un­ter­gang der Mensch­heit hoch­sti­li­sier­ten; vgl etwa <bib id='Lessig 1999a'>Les­sig 1999a</bib>.</ref> Ande­rerseits blieb diese Affi­nität den Marke­tingex­perten nicht verbor­gen, die ‘Cyber­space’ zu einem Mode­wort aufbläh­ten, das zumeist benutzt wurde, um Produk­te eksta­tisch mit unrea­listi­schen Verspre­chen zu bewer­ben. |
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− | Nach dieser inflationären | + | Nach dieser inflationären Abnut­zung als Mode­wort wird der Ausdruck ‘Cyber­space’ gegen­wärtig in einer recht unspe­zifi­schen Weise verwen­det, um sowohl komple­xe multi­medi­ale Spielwel­ten als auch verein­facht dreidi­mensi­onal darge­stellte Visu­ali­sierun­gen der Ordner- und Datei­struktu­ren eines Rechners als Desktop­meta­pher oder aber die bloß vorge­stellten geomet­rischen wie sozi­alen Verbin­dungsstruk­turen der moder­nen digi­talen Kommu­nika­tionsnet­ze zu bezeich­nen. Vor allem für letzte­re Vari­ante hat sich dabei der defi­nite Arti­kel einge­bürgert, als ob es nur einen solchen “Weltraum” geben könne, ein eindeu­tig bestimm­tes Paral­leluni­versum, in das jeder eintritt, der etwa Zugang zum Inter­net hat. Hier wird der Ausdruck ‘Cyber­space’ zur (schrägen) Meta­pher der moder­nen Infor­mations­gesell­schaft selbst mit den ihr inhä­renten sozi­alen Abgren­zungen. Bildphi­loso­phisch ist aller­dings vor allem die erste Verwen­dungswei­se – in etwa syno­nym zu ‘virtu­al reali­ty’ – inte­ressant.<ref>Von ''dem'' Cy­ber­space sei al­so ins­be­son­de­re dann die Re­de, wenn man sich vor­stellt, auch al­le im­mer­si­ven vir­tu­el­len Räu­me wä­ren als Tei­le in ei­nem fik­ti­ven Welt­raum ver­or­tet: So­bald man sich “in” ir­gend ei­nem vir­tu­el­len Raum be­fin­det, wä­re man dann stets auch im (so ge­fass­ten) Cy­ber­space.</ref> |
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− | Die oben erwähnten | + | ==Raummetaphorik und immer­sive Bild­räume== |
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+ | Die oben erwähnten Asso­ziations­ketten lassen sich durchaus auch um den Ausdruck ‘Bildraum’ erwei­tern: Der Begriff »Cyber­space« erscheint damit ange­reichert mit der Vorstel­lung von den ima­gina­tiven [[Theorien des Bildraums|Räumen]] “hinter” den Bild­ober­flächen und Spiegeln, aber auch allge­meiner “hinter” den Tonkon­serven und sonsti­gen Daten­speichern. In diesem Sinn bezeich­net J. P. Barlow den Cyber­space als den Ort „... where you are when you are talking on the tele­phone“ (zitiert nach <bib id='Rucker et al. 1993a'></bib>: S. 78). Das ist natür­lich eine durch und durch meta­phori­sche Sprech­weise, die tatsäch­lich für jede [[Typologien der Medien|nicht-primär­media­le]] [[Interaktion und Kommunikation|Inter­aktion]] möglich ist: Da ''per defini­tionem'' nur die primär­medialen Inter­akti­onen im gleichen raumzeit­lichen [[Kontext]] stattfin­den, gibt es tatsäch­lich für sekun­där-, tertiär- oder quartär­medi­ale Inter­akti­onen keinen realen, allen Inter­aktions­partnern gemein­samen Ort, an dem die Inter­aktion stattfän­de. Doch tritt in diesen Fällen die [[Einbildungskraft|Vorstel­lungskraft]] der Betei­ligten in Aktion, die sich in gewis­sen Grenzen so verhal­ten, als wären sie an einem gemein­samen Ort mit den ande­ren, einer geteil­ten Umge­bung in einem nur vorge­stellten Raum (und zur gleichen eben­falls nur vorge­stellten Zeit; hierzu auch ⊳ [[Bildrezeption als Kommunikationsprozess|Bildre­zeption als Kommu­nika­tionspro­zess]]).<ref>In­te­r­es­san­ter Wei­se kommt die­se ganz ''re­a­le [[Virtualität|Vir­tu­a­li­tät]]'' – et­wa bei ge­le­se­nen Ge­schich­ten – weit­ge­hend oh­ne hoch­tech­ni­sier­te Hilfs­mit­tel aus: Im Ge­gen­satz zur vir­tu­el­len Re­a­li­tät des Cy­ber­space im en­ge­ren Sinn ge­nügt hier das “Ki­no im Kopf”. Im­mer­si­on ist al­so kei­nes­wegs al­lein ab­hän­gig vom tech­ni­schen Auf­wand, son­dern grün­det zu ei­nem ganz we­sent­li­chen Teil da­rin, wie sehr sich der Be­tref­fen­de auf ei­ne Fik­tion ein­läßt, sich in sie “ver­tieft”.</ref> | ||
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− | Eben dieser | + | Eben dieser Vorstellungs­kraft entspringt auch die Idee, man bewe­ge sich beim Gebrauch des Inter­netdiens­tes WWW, statt ruhig vor dem Compu­terter­minal zu sitzen und von fern über­trage­ne Zeichen­träger zu betrach­ten, selbst zu fikti­ven Orten, über die verstreut sich jene Zeichen­träger befin­den. Die abstrak­te Topo­logie der Hyper­links wird als räumli­ches Netz von Nachbar­schaftsbe­ziehun­gen gese­hen, das beschreit­bare Wege anbie­tet hin zu Infor­mations­ange­boten oder sogar dem Kontakt mit ande­ren Nutzern. In der Tat greifen wir häufig auf Vorstel­lungen von räumli­chen Rela­tionen zwischen Enti­täten zurück, wenn wir uns Abstrak­tes verge­genwär­tigen wollen. Insbe­sonde­re in der Schule der Kogni­tiven Lingu­istik (<bib id='Langacker 1991a'>Lang­acker 1991a</bib>, <bib id='Lakoff 1987a'></bib>) wird auf den zentra­len Rang hinge­wiesen, den [[sprachliche Metaphern und allgemeine Metaphorologie|Raumme­tapho­rik]] für viele Konzep­tuali­sierun­gen hat. Darü­ber hinaus bildet Raumme­tapho­rik auch die Grundla­ge des Visu­ali­sierens (⊳ [[Strukturbild|Struktur­bild]]): Nur mit ihrer Hilfe ist es möglich, Nicht-Visu­elles, wie etwa die Netzto­polo­gie des Inter­nets, und Nicht-Räumli­ches, wie beispiels­weise die logi­schen Bezie­hungen zwischen den Teilen eines Programms, in einen Bildraum zu bringen (⊳ [[Semantik logischer Bilder|Seman­tik logi­scher Bilder]]). |
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− | Im engeren Sinn ist mit | + | Im engeren Sinn ist mit ‘Cyber­space’ aller­dings nicht nur eine bloß vorge­stellte Räumlich­keit gemeint, in der man sich ima­gina­tiv bewegt, sondern eine technisch bewerk­stellig­te Immer­sion, d.h. ein schnell arbei­tendes künstli­ches Rückkopp­lungssys­tem, das Impul­se vom Bewe­gungsap­parat des Nutzers aufnimmt, verar­beitet und in verar­beite­ter Form auf seinen Wahrneh­mungsap­parat zurück­proji­ziert.<ref>In der Ter­mi­no­lo­gie der Ky­ber­ne­tik könn­te man auch von ei­ner Art kom­ple­xem, um­ge­kehr­tem Re­gel­kreis mit künst­li­cher Rück­kopp­lung der kör­per­ei­ge­nen Ef­fek­to­ren auf die (oder ei­ni­ge der) Sen­so­ren spre­chen. So­mit er­gibt sich so­gar ei­ne in­di­rek­te Mo­ti­va­ti­on der Kunst­sil­be ‘cy­ber’.</ref> Dadurch wird die natür­liche Rückkopp­lung durch “die Reali­tät”, d.h. präzi­ser: durch den aktu­ellen situ­ati­ven Kontext, über­brückt. An die Stelle der eigentlichen Umgebung tritt – zumindest im ide­alen Grenzfall – eine technisch nach bestimm­ten Regeln ablau­fende [[Simulation|Simu­lation]] einer Umge­bung.<ref>Tat­säch­lich ist beim der­zei­ti­gen Stand der Tech­nik noch viel gu­ter Wil­le nö­tig, da ins­be­son­de­re das Über­tra­gen des “nor­ma­len” Mus­kel­spiels auf ent­spre­chen­de Be­we­gun­gen nur mit re­la­tiv großem Auf­wand mög­lich ist und im We­sent­li­chen nur Seh- und Hör­sinn tat­säch­lich “be­dient” wer­den. Statt­des­sen kann man sich al­ler­dings auch da­rauf ver­las­sen, dass Men­schen recht leicht ih­re Kör­per­sche­ma­ta an tech­ni­sche Ge­rä­te an­pas­sen, was wohl je­der am Bei­spiel Fahr­rad­fah­ren selbst kennt: Die­se Ad­ap­ti­on um­fasst so­wohl die mo­to­ri­sche wie auch die per­zep­ti­ve Sei­te – kommt man doch leicht in die La­ge, die Kon­sis­tenz des Un­ter­grun­des statt mit den Füßen auch mit den Rei­fen zu spü­ren.<br/> Im üb­ri­gen ist es bei vie­len nütz­li­chen An­wen­dun­gen sinn­voll, die tat­säch­li­che Um­ge­bung nicht völ­lig ab­zu­blocken. Viel­mehr sol­len ''aug­men­ted re­a­li­ty''-Sys­te­me zu­sätz­li­che vir­tu­el­le Ele­men­te so be­reit­stel­len, dass mit ih­nen be­stimm­te Auf­ga­ben in der tat­säch­li­chen Si­tu­a­ti­on er­leich­tert wer­den: vgl. etwa [http://de.wikipedia.org/wiki/Augmented_reality Wi­ki­pe­di­a: Er­wei­ter­te Re­a­li­tät].</ref> Daher gelingt es – in gewis­sen Grenzen – bei den durch immer­sive Syste­me simu­lierten Umge­bungen durchaus, empi­rische Befun­de zu erhe­ben, was bei bloß vorge­stellten räumli­chen Situ­ati­onen nicht möglich ist: Der Cyber­space gehört damit zu den [[Ähnlichkeit und wahrnehmungsnahe Zeichen|wahrneh­mungsna­hen Zeichen­syste­men]]. |
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− | Für solche | + | Für solche Rückkopplungs­syste­me spielt die visu­elle Wahrneh­mung entspre­chend ihrem Rang für die menschli­che Wahrneh­mung allge­mein eine heraus­geho­bene Rolle. Cyber­space-Anwen­dungen beru­hen daher in hohem Maße auf einer speziel­len Form des [[interaktives Bild|inter­akti­ven Bildes]]. |
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− | ==Bilder als konstitutiver Teil des | + | ==Bilder als konstitutiver Teil des Cyber­space== |
− | Offensichtlich ist alles, was ein | + | Offensichtlich ist alles, was ein Cyber­naut in einem (vollstän­dig) immer­siven System – d.h. “im Cyper­space” – sieht, tatsäch­lich ein Bild, das von dem System gemäß bestimm­ter Regeln aus dem Verhal­ten des Nutzers und weite­ren Para­metern zur Präsen­tation ausge­wählt wurde. Aller­dings spalten sich im spezi­fischen Verwen­dungszu­sammen­hang immer­siver Syste­me eini­ge Fakto­ren ab, die für Bilder anson­sten charak­teris­tisch sind, und verschie­ben sich auf eine ande­re Inter­aktions­ebene: Der Zeichen­charak­ter und die damit verbun­dene Distanz zum [[Bildinhalt|Bildin­halt]] verschwin­det. Dem Bild tritt man dann nicht mehr als einem wahrneh­mungsna­hen ''Zeichen'' gegen­über; die Verwechs­lung mit dem Abge­bilde­ten selbst, die für den [[dezeptiver und immersiver Modus|dezep­tiven Modus]] charak­teris­tisch ist, domi­niert. Das schließt nicht aus, dass der Zeichen­charak­ter des Cyber­space insge­samt als komple­xes wahrneh­mungsna­hes Zeichen bewusst bleibt, dessen Täuschungs­poten­tial sich der Nutzer mit Absicht hingibt. |
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− | Eine solche Abspaltung des [[Darstellung]] | + | Eine solche Abspaltung des [[Darstellung|Darstel­lungscha­rakters]] ist zwar bereits für ''trompe l'oeil''-Bilder im Zusamm­enhang mit der sie umge­benden Archi­tektur typisch, wie auch für beweg­te Bilder insbe­sonde­re im Zusam­menspiel mit passend einge­spielten konser­vierten oder simu­lierten Geräu­schen und der spezi­fisch iso­lierten Rezep­tionssi­tuation im abge­dunkel­ten und damit reizar­men Projek­tionsraum (⊳ [[Kino]]). Offen­bar genügt die Inte­gration der Bilder mit wahrneh­mungsnahen Zeichen ande­rer Sinnes­moda­litä­ten zu einem koor­dinier­ten multi­moda­len wahrneh­mungsna­hen Zeichen höhe­rer Ordnung, um sie in der Rezep­tion als Bilder verschwin­den zu lassen. Doch erst der digi­taltech­nisch vermit­telte Cyber­space, der dem beweg­ten Bild oder der beweg­ten Bild-Ton-Kombi­nation auch noch die Freiheits­dimen­sion der Inter­akti­vität zuge­sellt, ermög­licht jenes Eintau­chen in die gezeig­ten Bildräu­me, das neben den perzep­tiven auch die vola­tiven Aspek­te des jewei­ligen Nutzers berück­sichtigt: Die ''direk­te Mani­pula­tion'' der gezeig­ten Situ­atio­nen bei inter­akti­ven Bildern verstärkt das multi­modale Täuschungs­poten­tial, indem nun Ähnlich­keit auch auf kausa­le Aspek­te der darge­stellten Dinge ausge­dehnt wird und damit Aspekte von deren poten­tiellem Verhal­ten auf nachprüf­bare Weise einbe­zogen sind. |
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− | [[Datei:SecondLife.jpg|thumb| | + | [[Datei:SecondLife.jpg|thumb|Abbil­dung 1: Stand­bild ent­spre­chend der sub­jek­ti­ven An­sicht ei­nes Mit­spie­lers in ei­ner der vir­tu­el­len Um­ge­bun­gen von «Se­cond Li­fe»]] |
− | Dass die | + | Dass die Ak­ti­vi­tät ei­nes Nut­zers ein Ele­ment des Cy­ber­space ist führt letzt­lich auch da­zu, dass sich im Cyber­space me­hre­re Nut­zer mit je un­ter­schied­li­cher, von ih­rer Ge­schich­te in dem je­wei­li­gen vir­tu­el­len Raum ab­hän­gi­ger Per­spek­ti­ve tref­fen und qua­si-pri­mär­me­di­al mit­ei­nan­der in­ter­agie­ren kön­nen (vgl. Abb. 1). Da­zu brau­chen le­dig­lich die den vir­tu­el­len Raum auf­bau­en­den tech­ni­schen Sys­te­me mit­ei­nan­der ver­netzt zu sein, etwa die über das In­ter­net ver­bun­de­nen PCs von Nut­zern auf ver­schie­de­nen Kon­ti­nen­ten. Aller­dings muss dazu auch die Rolle des Nutzers (als Sender oder Emp­fänger) in dem virtu­ellen “Spielraum” als sepa­rierte Figur mani­festiert sein. Diesem Zweck dienen die so genann­ten Ava­tare: Stellver­treter für die Leiber der Nutzer in der virtu­ellen Situ­ation; d.h. letztlich ein inter­akti­ves (Teil-)Bild, das von dem jewei­ligen Nutzer (in der Regel über direk­te Mani­pula­tion eines zugrun­de liegen­den 3D-Modells) gesteu­ert und den ande­ren Nutzern präsen­tiert wird. Allein schon durch die Verwen­dung von Ava­taren erge­ben sich umfang­reiche Verschie­bungen im [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug|Selbstbe­zug]] der kommu­nika­tiven Handlun­gen, denn die Selbstdar­stellung des Nutzers in den Inter­aktio­nen mit einem ande­ren Ava­tar im virtu­ellen Raum bezieht sich nicht notwen­dig auf den Nutzer selbst, sondern auf eine Rolle, die er in der Maske des Ava­tars annimmt. |
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− | Der Cyberspace bildet daher ein | + | Der Cyberspace bildet daher ein quartä­res Medium mit beson­derer Kompli­kation: Der Nutzer kommu­niziert über das System mit sich selber bzw. mit den System­auto­ren, um eine Situ­ation aufzu­bauen, in der er (gege­benen­falls in der Rolle eines ande­ren) mit den scheinkör­perli­chen Stellver­tretern (Ava­taren) ande­rer Nutzer scheinbar primär­medial kommu­niziert und direkt inter­agiert. Dabei steuern seine Bewe­gungen die Akti­vitä­ten des eige­nen Ava­tars, wie dieser den ande­ren Nutzern erscheint. |
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− | ==Ein (eingeschränktes) Beispiel: | + | ==Ein (eingeschränktes) Beispiel: «Se­cond Life»== |
− | Ein besonders populäres Stück | + | Ein besonders populäres Stück Cyber­space im Sinne eines von vielen Benut­zern gleichzei­tig und mitei­nander “bevöl­kerten”, aber dennoch eher schwach immer­siven Raumes<ref>Da in der Re­gel nur der Com­pu­ter­bild­schirm samt Laut­spre­chern, Maus und Tasta­tur als Ein­ga­be­ge­rä­te ver­wen­det wer­den, wird kein all­zu­ho­her Im­mer­si­ons­grad im tech­ni­schen Sinn er­reicht – doch sagt das we­nig über die Tie­fe des Ein­ge­taucht­seins im Sin­ne der Ver­tie­fung in die vor­ge­stell­te Spiel­welt aus.</ref> stellte für eini­ge Zeit das so genann­te «Second Life» dar: Es handelt sich um eine große Zahl mitei­nander verbun­dener virtu­eller Räume, zu denen gleichzei­tig eine Vielzahl von Nutzern Zugang haben können. |
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− | Abbildung 1 gibt einen groben, wenn auch | + | Abbildung 1 gibt einen groben, wenn auch stati­schen Eindruck von der visu­ellen Erschei­nung, die sich in einem dieser Räume zu einem bestimm­ten Zeitpunkt und von einer bestimm­ten Stelle aus bietet: die momen­tane Perspek­tive “meines” Ava­tars. Die Räume sind, wie ersicht­lich, mit einer Menge von Gegen­ständen ausge­stattet, mit oder an denen sich jeweils bestimm­te Handlun­gen vollzie­hen lassen (»Treppen steigen«, »Türen öffnen«, »sich in Stühle setzen« etc.). Zudem sind Inter­akti­onen mit den ande­ren “Bewoh­nern” möglich.<ref>Es wa­ren, ne­ben As­pek­ten des Re­fe­renz­prob­lems, ins­be­son­de­re die sich aus die­ser Mög­lich­keit er­ge­ben­den so­zi­a­len und öko­no­mi­schen Fol­gen, die «Se­cond Life» zeit­wei­se zu ei­nem häu­fig be­han­del­ten The­ma der Bou­le­vard­pres­se wer­den ließen. Im Ge­gen­satz zu den üb­li­chen 3D-Mul­ti­user-Spie­len geht es in «Se­cond Life» nicht da­rum, mehr oder we­ni­ger aus­ge­fal­le­ne Aben­teu­er zu be­ste­hen. Viel­mehr be­ruht ein we­sent­li­cher Teil des Kon­zepts da­rauf, im vir­tu­el­len Raum das­sel­be wie im wah­ren Le­ben (nur mit ge­wechs­el­ten Rol­len) zu tun. Hier wie dort nimmt da­her viel­fach der Er­werb und die Prä­sen­ta­ti­on von ech­ten und fal­schen Sta­tus­sym­bo­len ei­nen wich­ti­gen Platz ein. Vgl. auch [http://de.wikipedia.org/wiki/Second_Life Wi­ki­pe­dia: «Se­cond Life»].</ref> |
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− | [[Datei:Avatar.png|thumb| | + | [[Datei:Avatar.png|thumb|Abbil­dung 2: Skiz­ze zur Ein­bet­tung pri­mär­me­di­a­ler Kom­mu­ni­ka­ti­on in das quar­tär­me­di­a­le Set­ting des Cy­ber­space]] |
− | + | Ana­ly­siert man die kom­ple­xen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­hand­lun­gen, die ein Teil­neh­mer voll­zieht, wenn er über sein Ava­tar mit dem ei­nes an­de­ren Teil­neh­mers kom­mu­ni­ziert, er­gibt sich das fol­gen­de Bild (vgl. Abb. 2): Ei­ner­seits be­trach­ten wir In­ter­ak­ti­on und Kom­mu­ni­ka­ti­on im vir­tu­el­len Raum. Die­se er­folgt meist von An­ge­sicht zu An­ge­sicht, al­so pri­mär­me­di­al. Die deik­ti­schen Kom­po­nen­ten des [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug|Sach­be­zugs]] rich­ten sich auf den je­wei­li­gen vir­tu­el­len [[Kontext|Kon­text]]. Al­ler­dings han­delt es sich bei den Kom­mu­ni­ka­ti­ons­part­nern um wech­sel­sei­tig ima­gi­nier­te Rol­len, die durch Ava­ta­re ver­kör­pert wer­den: Die Selbst­dar­stel­lungs­kom­po­nen­te die­ser Kom­mu­ni­ka­ti­on ist al­so ent­spre­chend ver­zerrt. | |
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− | Dem steht die Kommunikation im | + | Dem steht die Kommunikation im quar­tären Medium des inter­akti­ven Systems gegen­über: Jeder Teilneh­mer von «Second Life» führt diese Kommu­nika­tion, indem er sich selbst jene Bilder, Geräusch­konser­ven etc. vorführt. Dabei nimmt er zugleich selbst die Rolle des System­autors ein, der das immer­sive System entwor­fen hat, den der Nutzer in der Regel aber gar nicht kennt, so dass diese Rollen­über­nahme ledig­lich auf seiner Vorstel­lung der Inten­tionen des Autors beruht. Erst durch diese kommu­nika­tive Ebe­ne wird der virtu­elle Kontext für die ande­re Inter­aktions­ebe­ne etab­liert. So wird auch klar, wieso die audio­visu­ellen Bilder, über die der Nutzer den virtu­ellen Raum wahrneh­men kann, inner­halb des virtu­ellen Raums nicht als wahrneh­mungsna­he Zeichen erschei­nen: Hier wirkt nur der dezep­tive Modus, während die bildty­pische Kombi­nation aus dezep­tiver und symbo­lischer Kompo­nente nur von außer­halb, also in der Kommu­nika­tion mit dem immer­siven System zum Tragen kommt. Im quartä­ren Medium sind es Bilder und Hörbil­der, im virtu­ellen Kontext hinge­gen Situ­atio­nen mit Gegen­ständen, die so und so ausse­hen und die und die Geräu­sche abge­ben. |
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− | Zwischen beiden Ebenen vermittelt | + | Zwischen beiden Ebenen vermittelt schließ­lich die Rollen­über­nahme der Nutzer, die eben­falls ein kommu­nika­tiver Akt ist: Dem Teilneh­mer von «Second Life» ist ja (im nicht-patho­logi­schen Fall) durchaus klar, dass er sein Ava­tar im virtu­ellen Raum mit dem Ava­tar eines ande­ren Benut­zers reden lässt – oder dass er mit jenem ande­ren Benut­zer in einem Modus des ''Als-ob'' redet. Er ist es ja, der sich über die komple­xe Zeichen­handlung im Cyber­space ande­ren gegen­über darstellt als eben dieser Ava­tar mit gewis­ser Vergan­genheit in einem bestimm­ten aktu­ellen Kontext und mit spezi­fischen Zukunfts­optio­nen. Und er darf durchaus davon ausge­hen, dass der ande­re dieses So-tun-als-ob ebenfalls durchschaut. Da sich die Nutzer tatsäch­lich vermut­lich noch nie begeg­net sind, handelt es sich aber – wie so oft schon bei sekun­där- oder tertiär­media­ler Kommu­nika­tion – immer um die jeweils wechsel­seiti­gen Vorstel­lungen vom Gegen­über. Das Über­nehmen der eige­nen Rolle ist dabei zugleich durch die Handha­bung des techni­schen Zugangs­systems vermit­telt. |
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− | + | Zusammengefasst kommuniziert also ein Teilneh­mer von «Second Life» und ähnli­chen virtu­ellen Räumen mit einem ande­ren Nutzer auf doppelt indi­rekte Weise, indem er sich (''i'') als jemand darstellt, der er (in der Regel) nicht ist, und der an einem Ort zu sein vorgibt, an dem er sich gar nicht befin­det; und indem er (''ii'') tatsäch­lich ganz ande­re Mittel­handlun­gen ausführt, um diese Kommu­nika­tion zu errei­chen, als er norma­lerwei­se zu einem solchen Zweck ausfüh­ren würde. Beide Diffe­renzen werden dadurch überbrückt, dass er sie als Teile einer quartär­media­len Inter­aktion ausführt, in der er sich selbst etwas in der Rolle des vorge­stellten System­autors vorführt, nämlich den virtu­ellen Raum mit seinen Möglich­keiten. | |
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Aktuelle Version vom 15. Dezember 2019, 14:19 Uhr
Unterpunkt zu: Bildmedien
Ein Wort zwischen technischer Allmachtsphantasie und medialer MarketingekstaseErfunden wurde das Kunstwort ‘Cyberspace’ in der Science-fiction-Literatur ([Neuhaus 2006a]Neuhaus, Wolfgang (2006).Als William Gibson den Cyberspace erfand ... - Die Faszination für ein Vielzweck-Symbol aus der Science Fiction-Literatur. In Telepolis. Eintrag in Sammlung zeigen):[1] Gemeint war damit eine fiktive, von Computern erzeugte Welt “neben” der Wirklichkeit mit eigenen Gesetzlichkeiten – eine virtuelle Wirklichkeit hinter den Spiegeln der Monitore, in die die Romanfiguren eintreten konnten, um in völlig frei wählbaren Scheinkörpern ihre Abenteuer ohne komplizierte Anreise und meist auch ohne allzu häufige ernsthafte Gefährdung für Leib und Leben an einer Vielzahl von exotischen oder grotesken Schauplätzen zu konsumieren. Gegenüber den durchaus vorhandenen alternativen Vorschlägen von ‘Phantomatik’ bis ‘virtual reality’ setzte sich die Bezeichnung ‘Cyberspace’ durch, weil sie eine breite und unspezifische Assoziation zu positiv besetzten Themen auslöst, ohne zugleich als problematisch erachtete Aspekte (wie etwas das Referenzproblem bei ‘virtual reality’) in den Aufmerksamkeitsfokus zu bringen: Die beiden Wortbestandteile verweisen einerseits über die Assoziationskette ‘cyber’—‘kybernetisch’—‘informatisch’—‘digital-’ oder ‘unterhaltungstechnisch’ auf digitale Medien und die mit ihnen gegebene Integration verschiedener traditioneller Medien und ubiquitäre “Vernetzung” der Nutzer; über die Assoziationskette ‘space’—‘Raum’—‘Weltraum’—‘Umwelt’ verweisen sie andererseits auf Medien im biologischen Sinn: das Eingetaucht-Sein in eine spezifische Umgebung, die direkt wahrgenommen und unmittelbar manipuliert werden kann und durch die man sich auf je spezifische vom Medium bestimmte Weise – etwa schwebend, schwimmend, hangelnd, hüpfend, kriechend, rollend oder fliegend – fortbewegt: Das ist der Grundgedanke der Immersion. So erkunden die Cybernauten in Literatur und Film einen digital vermittelten uneigentlichen “Spielraum”, in den sie eingetaucht sind und dessen Inhalte sie anscheinend ohne mediale Distanz wahrnehmen und manipulieren können. ‘Weltraum’ evoziert zudem das große Unbekannte, das es zu entdecken und zu erobern gilt, das Abenteuer des ganz Anderen, das Utopia voller Wunder und Reichtümer. Der annähernde Gleichklang von ‘cyber’ mit der englischen Silbe ‘hyper’ zielt zudem unterschwellig zugleich auf eine über die Gesetze der “normalen” Wirklichkeit hinausgehende, besonders spektakuläre Umgebung (⊳ Realität und Hyperrealität), wie auf den instantanen Zugang zu verschiedensten Teilwelten in Analogie zu den Möglichkeiten der Verlinkungen bei Hypermedien, die zur selben Zeit (um 1990) ihren Einfluss auf mehr oder weniger alle soziale Bereiche zu entfalten begannen. All diese Konnotationen wurden einerseits von Technikbegeisterten aufgegriffen und in utopische Phantasien über das angeblich demnächst technisch Machbare transponiert, die wiederum zu ambitionierten, wenngleich insgesamt eher eingeschränkt erfolgreichen Forschungsprojekten zur technischen Umsetzung virtueller Realitäten führten.[2] Andererseits blieb diese Affinität den Marketingexperten nicht verborgen, die ‘Cyberspace’ zu einem Modewort aufblähten, das zumeist benutzt wurde, um Produkte ekstatisch mit unrealistischen Versprechen zu bewerben. Nach dieser inflationären Abnutzung als Modewort wird der Ausdruck ‘Cyberspace’ gegenwärtig in einer recht unspezifischen Weise verwendet, um sowohl komplexe multimediale Spielwelten als auch vereinfacht dreidimensional dargestellte Visualisierungen der Ordner- und Dateistrukturen eines Rechners als Desktopmetapher oder aber die bloß vorgestellten geometrischen wie sozialen Verbindungsstrukturen der modernen digitalen Kommunikationsnetze zu bezeichnen. Vor allem für letztere Variante hat sich dabei der definite Artikel eingebürgert, als ob es nur einen solchen “Weltraum” geben könne, ein eindeutig bestimmtes Paralleluniversum, in das jeder eintritt, der etwa Zugang zum Internet hat. Hier wird der Ausdruck ‘Cyberspace’ zur (schrägen) Metapher der modernen Informationsgesellschaft selbst mit den ihr inhärenten sozialen Abgrenzungen. Bildphilosophisch ist allerdings vor allem die erste Verwendungsweise – in etwa synonym zu ‘virtual reality’ – interessant.[3]
Raummetaphorik und immersive BildräumeDie oben erwähnten Assoziationsketten lassen sich durchaus auch um den Ausdruck ‘Bildraum’ erweitern: Der Begriff »Cyberspace« erscheint damit angereichert mit der Vorstellung von den imaginativen Räumen “hinter” den Bildoberflächen und Spiegeln, aber auch allgemeiner “hinter” den Tonkonserven und sonstigen Datenspeichern. In diesem Sinn bezeichnet J. P. Barlow den Cyberspace als den Ort „... where you are when you are talking on the telephone“ (zitiert nach [Rucker et al. 1993a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. , [Lakoff 1987a]Lakoff, George (1987). Women, Fire, and Dangerous Things – What Categories Reveal about the Mind. Chicago: Chicago University Press. Eintrag in Sammlung zeigen) wird auf den zentralen Rang hingewiesen, den Raummetaphorik für viele Konzeptualisierungen hat. Darüber hinaus bildet Raummetaphorik auch die Grundlage des Visualisierens (⊳ Strukturbild): Nur mit ihrer Hilfe ist es möglich, Nicht-Visuelles, wie etwa die Netztopologie des Internets, und Nicht-Räumliches, wie beispielsweise die logischen Beziehungen zwischen den Teilen eines Programms, in einen Bildraum zu bringen (⊳ Semantik logischer Bilder). Im engeren Sinn ist mit ‘Cyberspace’ allerdings nicht nur eine bloß vorgestellte Räumlichkeit gemeint, in der man sich imaginativ bewegt, sondern eine technisch bewerkstelligte Immersion, d.h. ein schnell arbeitendes künstliches Rückkopplungssystem, das Impulse vom Bewegungsapparat des Nutzers aufnimmt, verarbeitet und in verarbeiteter Form auf seinen Wahrnehmungsapparat zurückprojiziert.[5] Dadurch wird die natürliche Rückkopplung durch “die Realität”, d.h. präziser: durch den aktuellen situativen Kontext, überbrückt. An die Stelle der eigentlichen Umgebung tritt – zumindest im idealen Grenzfall – eine technisch nach bestimmten Regeln ablaufende Simulation einer Umgebung.[6] Daher gelingt es – in gewissen Grenzen – bei den durch immersive Systeme simulierten Umgebungen durchaus, empirische Befunde zu erheben, was bei bloß vorgestellten räumlichen Situationen nicht möglich ist: Der Cyberspace gehört damit zu den wahrnehmungsnahen Zeichensystemen. Für solche Rückkopplungssysteme spielt die visuelle Wahrnehmung entsprechend ihrem Rang für die menschliche Wahrnehmung allgemein eine herausgehobene Rolle. Cyberspace-Anwendungen beruhen daher in hohem Maße auf einer speziellen Form des interaktiven Bildes.
Bilder als konstitutiver Teil des CyberspaceOffensichtlich ist alles, was ein Cybernaut in einem (vollständig) immersiven System – d.h. “im Cyperspace” – sieht, tatsächlich ein Bild, das von dem System gemäß bestimmter Regeln aus dem Verhalten des Nutzers und weiteren Parametern zur Präsentation ausgewählt wurde. Allerdings spalten sich im spezifischen Verwendungszusammenhang immersiver Systeme einige Faktoren ab, die für Bilder ansonsten charakteristisch sind, und verschieben sich auf eine andere Interaktionsebene: Der Zeichencharakter und die damit verbundene Distanz zum Bildinhalt verschwindet. Dem Bild tritt man dann nicht mehr als einem wahrnehmungsnahen Zeichen gegenüber; die Verwechslung mit dem Abgebildeten selbst, die für den dezeptiven Modus charakteristisch ist, dominiert. Das schließt nicht aus, dass der Zeichencharakter des Cyberspace insgesamt als komplexes wahrnehmungsnahes Zeichen bewusst bleibt, dessen Täuschungspotential sich der Nutzer mit Absicht hingibt. Eine solche Abspaltung des Darstellungscharakters ist zwar bereits für trompe l'oeil-Bilder im Zusammenhang mit der sie umgebenden Architektur typisch, wie auch für bewegte Bilder insbesondere im Zusammenspiel mit passend eingespielten konservierten oder simulierten Geräuschen und der spezifisch isolierten Rezeptionssituation im abgedunkelten und damit reizarmen Projektionsraum (⊳ Kino). Offenbar genügt die Integration der Bilder mit wahrnehmungsnahen Zeichen anderer Sinnesmodalitäten zu einem koordinierten multimodalen wahrnehmungsnahen Zeichen höherer Ordnung, um sie in der Rezeption als Bilder verschwinden zu lassen. Doch erst der digitaltechnisch vermittelte Cyberspace, der dem bewegten Bild oder der bewegten Bild-Ton-Kombination auch noch die Freiheitsdimension der Interaktivität zugesellt, ermöglicht jenes Eintauchen in die gezeigten Bildräume, das neben den perzeptiven auch die volativen Aspekte des jeweiligen Nutzers berücksichtigt: Die direkte Manipulation der gezeigten Situationen bei interaktiven Bildern verstärkt das multimodale Täuschungspotential, indem nun Ähnlichkeit auch auf kausale Aspekte der dargestellten Dinge ausgedehnt wird und damit Aspekte von deren potentiellem Verhalten auf nachprüfbare Weise einbezogen sind. Dass die Aktivität eines Nutzers ein Element des Cyberspace ist führt letztlich auch dazu, dass sich im Cyberspace mehrere Nutzer mit je unterschiedlicher, von ihrer Geschichte in dem jeweiligen virtuellen Raum abhängiger Perspektive treffen und quasi-primärmedial miteinander interagieren können (vgl. Abb. 1). Dazu brauchen lediglich die den virtuellen Raum aufbauenden technischen Systeme miteinander vernetzt zu sein, etwa die über das Internet verbundenen PCs von Nutzern auf verschiedenen Kontinenten. Allerdings muss dazu auch die Rolle des Nutzers (als Sender oder Empfänger) in dem virtuellen “Spielraum” als separierte Figur manifestiert sein. Diesem Zweck dienen die so genannten Avatare: Stellvertreter für die Leiber der Nutzer in der virtuellen Situation; d.h. letztlich ein interaktives (Teil-)Bild, das von dem jeweiligen Nutzer (in der Regel über direkte Manipulation eines zugrunde liegenden 3D-Modells) gesteuert und den anderen Nutzern präsentiert wird. Allein schon durch die Verwendung von Avataren ergeben sich umfangreiche Verschiebungen im Selbstbezug der kommunikativen Handlungen, denn die Selbstdarstellung des Nutzers in den Interaktionen mit einem anderen Avatar im virtuellen Raum bezieht sich nicht notwendig auf den Nutzer selbst, sondern auf eine Rolle, die er in der Maske des Avatars annimmt. Der Cyberspace bildet daher ein quartäres Medium mit besonderer Komplikation: Der Nutzer kommuniziert über das System mit sich selber bzw. mit den Systemautoren, um eine Situation aufzubauen, in der er (gegebenenfalls in der Rolle eines anderen) mit den scheinkörperlichen Stellvertretern (Avataren) anderer Nutzer scheinbar primärmedial kommuniziert und direkt interagiert. Dabei steuern seine Bewegungen die Aktivitäten des eigenen Avatars, wie dieser den anderen Nutzern erscheint.
Ein (eingeschränktes) Beispiel: «Second Life»Ein besonders populäres Stück Cyberspace im Sinne eines von vielen Benutzern gleichzeitig und miteinander “bevölkerten”, aber dennoch eher schwach immersiven Raumes[7] stellte für einige Zeit das so genannte «Second Life» dar: Es handelt sich um eine große Zahl miteinander verbundener virtueller Räume, zu denen gleichzeitig eine Vielzahl von Nutzern Zugang haben können. Abbildung 1 gibt einen groben, wenn auch statischen Eindruck von der visuellen Erscheinung, die sich in einem dieser Räume zu einem bestimmten Zeitpunkt und von einer bestimmten Stelle aus bietet: die momentane Perspektive “meines” Avatars. Die Räume sind, wie ersichtlich, mit einer Menge von Gegenständen ausgestattet, mit oder an denen sich jeweils bestimmte Handlungen vollziehen lassen (»Treppen steigen«, »Türen öffnen«, »sich in Stühle setzen« etc.). Zudem sind Interaktionen mit den anderen “Bewohnern” möglich.[8] Analysiert man die komplexen Kommunikationshandlungen, die ein Teilnehmer vollzieht, wenn er über sein Avatar mit dem eines anderen Teilnehmers kommuniziert, ergibt sich das folgende Bild (vgl. Abb. 2): Einerseits betrachten wir Interaktion und Kommunikation im virtuellen Raum. Diese erfolgt meist von Angesicht zu Angesicht, also primärmedial. Die deiktischen Komponenten des Sachbezugs richten sich auf den jeweiligen virtuellen Kontext. Allerdings handelt es sich bei den Kommunikationspartnern um wechselseitig imaginierte Rollen, die durch Avatare verkörpert werden: Die Selbstdarstellungskomponente dieser Kommunikation ist also entsprechend verzerrt. Dem steht die Kommunikation im quartären Medium des interaktiven Systems gegenüber: Jeder Teilnehmer von «Second Life» führt diese Kommunikation, indem er sich selbst jene Bilder, Geräuschkonserven etc. vorführt. Dabei nimmt er zugleich selbst die Rolle des Systemautors ein, der das immersive System entworfen hat, den der Nutzer in der Regel aber gar nicht kennt, so dass diese Rollenübernahme lediglich auf seiner Vorstellung der Intentionen des Autors beruht. Erst durch diese kommunikative Ebene wird der virtuelle Kontext für die andere Interaktionsebene etabliert. So wird auch klar, wieso die audiovisuellen Bilder, über die der Nutzer den virtuellen Raum wahrnehmen kann, innerhalb des virtuellen Raums nicht als wahrnehmungsnahe Zeichen erscheinen: Hier wirkt nur der dezeptive Modus, während die bildtypische Kombination aus dezeptiver und symbolischer Komponente nur von außerhalb, also in der Kommunikation mit dem immersiven System zum Tragen kommt. Im quartären Medium sind es Bilder und Hörbilder, im virtuellen Kontext hingegen Situationen mit Gegenständen, die so und so aussehen und die und die Geräusche abgeben. Zwischen beiden Ebenen vermittelt schließlich die Rollenübernahme der Nutzer, die ebenfalls ein kommunikativer Akt ist: Dem Teilnehmer von «Second Life» ist ja (im nicht-pathologischen Fall) durchaus klar, dass er sein Avatar im virtuellen Raum mit dem Avatar eines anderen Benutzers reden lässt – oder dass er mit jenem anderen Benutzer in einem Modus des Als-ob redet. Er ist es ja, der sich über die komplexe Zeichenhandlung im Cyberspace anderen gegenüber darstellt als eben dieser Avatar mit gewisser Vergangenheit in einem bestimmten aktuellen Kontext und mit spezifischen Zukunftsoptionen. Und er darf durchaus davon ausgehen, dass der andere dieses So-tun-als-ob ebenfalls durchschaut. Da sich die Nutzer tatsächlich vermutlich noch nie begegnet sind, handelt es sich aber – wie so oft schon bei sekundär- oder tertiärmedialer Kommunikation – immer um die jeweils wechselseitigen Vorstellungen vom Gegenüber. Das Übernehmen der eigenen Rolle ist dabei zugleich durch die Handhabung des technischen Zugangssystems vermittelt. Zusammengefasst kommuniziert also ein Teilnehmer von «Second Life» und ähnlichen virtuellen Räumen mit einem anderen Nutzer auf doppelt indirekte Weise, indem er sich (i) als jemand darstellt, der er (in der Regel) nicht ist, und der an einem Ort zu sein vorgibt, an dem er sich gar nicht befindet; und indem er (ii) tatsächlich ganz andere Mittelhandlungen ausführt, um diese Kommunikation zu erreichen, als er normalerweise zu einem solchen Zweck ausführen würde. Beide Differenzen werden dadurch überbrückt, dass er sie als Teile einer quartärmedialen Interaktion ausführt, in der er sich selbst etwas in der Rolle des vorgestellten Systemautors vorführt, nämlich den virtuellen Raum mit seinen Möglichkeiten. Siehe auch:
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Anmerkungen
[Lakoff 1987a]: Lakoff, George (1987). Women, Fire, and Dangerous Things – What Categories Reveal about the Mind. Chicago: Chicago University Press.
[Langacker 1991a]: Ausgabe 1: 2013 Verantwortlich: Lektorat: Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [39], Klaus Sachs-Hombach [4] und Dimitri Liebsch [2] — (Hinweis) Zitierhinweis: [Schirra 2013g-h]Literaturangabe fehlt. |