Diagramm

Aus GIB - Glossar der Bildphilosophie
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Diagramme und das Feld des Diagram­mati­schen

Es gibt eine Reihe von (im weiten Sinne) Bildern bzw. bildli­chen Darstel­lungen, denen – in den jewei­ligen Gebrauchs­kontex­ten – struktu­relle und funkti­onale Eigen­schaften zukom­men, die sie aus dem Bereich der Bilder in beson­derer Weise heraus­heben. Dazu gehö­ren etwa: Karten, geome­trische Zeichnun­gen, Flussdia­gramme, Graphen, logi­sche Diagram­me (etwa Venn-Diagram­me), Funktions­diagram­me, Pläne, aber auch Mindmaps, Listen, Tabel­len, Begriffs-Tableaus bzw. in gewisser Weise auch gene­rell alle schriftbild­lichen Darstel­lungen. Zu den entspre­chenden spezi­fischen Eigen­schaften dieser Art Bilder gehö­ren insbe­sonde­re deren beson­dere Syntak­tizi­tät und Ope­rati­vität, die sie zugleich in die Nähe ande­rer symbo­lischer Darstel­lungsme­dien, wie Sprache und Schrift rücken, zum Teil sind diese diagram­mati­sche Darstel­lungen sogar direkt mit Schriftzei­chen amal­gamiert.

In der Lite­ratur werden unter­schiedli­che Vorschlä­ge gemacht, die genann­ten speziel­len Arten von Bildern unter einen einheit­lichen Begriff zu fassen: etwa als „schema­tische Zeichnun­gen“ bzw. „Schema­ta“ ([Dirmo­ser 2004a]Dirmoser, Gerhard (2004).
Vom Nutzen schema­tischer Zeichnun­gen – Teil I..

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), als „Struktur­bilder“ ([Sachs-Hombach 2003a]Sachs-​Hom­bach, Klaus (2003).
Das Bild als kommu­nika­tives Medium. Ele­mente einer allge­meinen Bild­wissen­schaft. Köln: Halem.

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) oder eben als „Diagram­me“ bzw. als „das Diagram­mati­sche“ in einem weiten Sinne ([Krämer 2009a]Krämer, Sybille (2009).
Ope­rati­ve Bildlich­keit: Von der Gramma­tolo­gie zu einer Diagram­mato­logie? Refle­xionen über erken­nendes ‚Sehen’.
In Logik des Bild­lichen. Zur Kritik der iko­nischen Vernunft, 94-123.

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). Am stärksten durchge­setzt als Ober­begriff scheint sich dabei der Begriff des Diagramms zu haben, was sich insbe­sonde­re auch daran zeigt, dass sich ein entsprechender Begriff der Diagram­matik etab­liert hat, wobei ‘Diagram­matik’ eben eine Theorie der struktu­rellen und funkti­onalen Eigen­schaften von diagram­matisch-schema­tischen Arte­fakten in diesem weite­ren Sinne meint.

Folgt man dieser extensional ausge­weite­ten Verwen­dung des Audrucks ‘Diagramm’ bzw. des ‘Diagram­mati­schen’, setzt dies natür­lich zugleich voraus, dass man die Diffe­renz zu den Diagramm­begrif­fen im enge­ren Sinne präsent hält: Wir unter­scheiden ja normal­sprachlich zwischen beispiels­weise Karten und Tabel­len einer­seits und Diagram­men im enge­ren Sinne (als geome­trischen Darstel­lungen, als logi­schen Diagram­men, Fluss- und Funktions­diagram­men) ande­rerseits. Trotzdem scheinen eine Reihe von markan­ten struktu­rellen und funkti­onalen Eigen­schaften eben sowohl für Diagram­me im enge­ren als auch für solche im weite­ren Sinne zuzu­treffen, struktu­relle und funktio­nale Eigen­schaften, die zumin­dest fami­lienähn­lich über­lappend den Bereich der als ‘diagram­matisch’ auszu­zeichnen­den Phäno­mene konsti­tuieren.

Bei Diagrammen im weiteren Sinne handelt es sich um mehr oder minder abstrak­te grafi­sche Darstel­lungen von Daten oder Sachver­halten, die Bezie­hungen und Verhält­nisse aufzei­gen und die im Mit- bzw. Nachvoll­zug der grafi­schen Darstel­lung zugleich Möglich­keiten der Rekon­figu­ration dieser Bezie­hungen und Verhält­nisse offen­legen. Diagram­me können so einer­seits didak­tische als auch heuris­tisch-epis­temi­sche Funkti­onen erfül­len. Sie haben abbil­denden, reprä­senta­tiven Charak­ter, der von einer Reihe von Diagramm­theore­tikern im Anschluss an Charles Sanders Peirce unter Rückgriff auf den Begriff der Iko­nizi­tät bzw. „Ähnlich­keit“ erläu­tert wird ([Stjern­felt 2007a]Stjernfelt, Frederik (2007).
Dia­gram­mato­logy. An Inves­tiga­tion on the Border­lines of Pheno­meno­logy, Onto­logy, and Semio­tics. Dord­recht: Springer.

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). Dabei wird diese Ähnlich­keit als „Struktur­ähnlich­keit“ (⊳ Iso­morphie) aufge­fasst.[1] Dage­gen vermei­det Nelson Goodman in seinen Erläu­terun­gen zum Diagramm den Bezug auf so etwas wie Ähnlich­keit ([Goodman 1968a]Goodman, Nelson (1968).
Lan­guages of Art. India­napolis: Hackett, 2. rev. Aufl. 1976.

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: S.163ff. u. S.212f.), Christian Stetter folgt ihm darin ([Stetter 2005a]Stetter, Christian (2005).
Bild, Diagramm, Schrift.
In Schrift. Kultur­technik zwischen Auge, Hand und Maschi­ne, 115-135.

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).

Diagramme bzw. diagramma­tische Darstel­lungen kommen in allen mögli­chen Lebens-, Wissens und Wissen­schaftsbe­reichen zum Einsatz - in der Mathe­matik und den Natur­wissen­schaften eben­so wie in den Kultur­wissen­schaften und selbst in der Philo­sophie. Das vorlie­gende bild­philo­sophi­sche Glossar beruht ja in seiner Struktur selbst auf einer diagram­mati­schen Begriffs­karte, die auf der Portal­seite dieses Glossars in einer (um die Unter­punkte) redu­zierten Form auch grafisch abge­bildet ist: ⊳ Glossar der Bild­philo­sophie: Portal.


Strukturmerkmale von Dia­gram­men

Die zentralen funktional rele­vanten Struktur­merkma­le von Diagram­men sollen im Folgen­den unter drei Stichwort­punkten expli­ziert und verdeut­licht werden:

a) Die spezifische Fähigkeit von Dia­gram­men zur Sichtbar­machung und Veran­schauli­chung

Diagramme referieren. Sie machen dabei empi­rische oder auch nicht-empi­rische Sachver­halte/Ver­hältnis­se sichtbar, die vorher nicht (bzw. nicht auf diese Weise) sichtbar gewe­sen sind. Auch Nicht­visu­elles kann durch sie visu­ell darge­stellt bzw. veran­schaulicht werden (⊳ Seman­tik logi­scher Bilder).

Diagrammatische Veranschau­lichungen nutzen dabei einer­seits räumli­che Struktu­ren/La­gebe­ziehun­gen auf der Schreibflä­che (wie »links« und »rechts«, »oben« und »unten«, »gegen­seiti­ge Nähe« und »Ferne«) und ande­rerseits die Poten­tiale der menschli­chen Gestalt­wahrneh­mung (etwa die Fähig­keiten zum Zusam­men- und Ausein­ander­sehen, sowie zum Über­blicken), um Sachver­halte/Re­latio­nen darzu­stellen. Diagram­me können in diesem Sinne “Über­sichten” und “Über­blickswis­sen” verschaf­fen. Zentral insbe­sonde­re für Diagram­me im enge­ren - geome­trischen - Sinne ist die Tatsa­che, dass hier mit dem Akt der zeichne­risch-räumli­chen Darstel­lung entspre­chend der jeweils vorge­gebe­nen Konstruk­tionsre­geln mehr Infor­matio­nen qua Räumlich­keit/An­schaulich­keit präsent werden, als in den vorgän­gigen Konstruk­tionsre­geln selber enthal­ten waren. Diagram­me sind aus diesem Grund nicht bloß illus­trativ, sondern haben epis­temi­sche Funktion.

Mit Diagrammen lassen sich Sachver­halte einer­seits verdich­tet darstel­len, ande­rerseits haben sie aber durchaus auch das gegen­läufi­ge Poten­tial: dasje­nige der Entkom­primie­rung, Entflech­tung, Diffe­renzie­rung, Auffä­cherung, Verkom­plizie­rung der Darstel­lung. Steffen Bogen und Felix Thürle­mann weisen vielleicht etwas zu einsei­tig nur auf den Verdich­tungsas­pekt bei der Produk­tion von Diagram­men hin, dem sie als gegen­läufi­gen Aspekt die „diskur­sive Expan­sion oder Entfal­tung von Diagram­men“ bei deren Rezep­tion gegen­über­stellen ([Bogen & Thürle­mann 2003a]Bogen, Steffen & Thürle­mann, Felix (2003).
Jenseits der Oppo­sition von Text und Bild.
In Die Bildwelt der Diagram­me Joachims von Fiore: Zur Media­lität reli­giös-poli­tischer Program­me im Mittel­alter, 1-22.

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: S. 8).[2] Der Verweis auf das Verdich­tungspo­tential von Diagram­men sollte insbe­sonde­re nicht mit der irri­gen Vorstel­lung verknüpft werden, diagram­mati­sche Darstel­lungen würden einsei­tig der bloßen Komple­xitäts­reduk­tion dienen. Mit Blick auf die vielfäl­tige Diagramm­praxis lässt sich vielmehr konsta­tieren: Es gibt zwar Diagram­me, deren Zweck es ist, komple­xe Sachver­halte – etwa zu didak­tischen Zwecken – verein­facht darzu­stellen, aller­dings gibt es auch solche Diagram­me, deren Aufga­be gera­de darin besteht, Sachver­halte komple­xitäts-erwei­ternd darzu­stellen. Manchmal kann eine solche komple­xe Darstel­lung dabei auch “über-komplex”, also un­über­sichtlich werden.[3] „‘Komple­xität’ ist (…) eine Funktion des Kommu­nika­tions- und Verwen­dungszwecks“, schreibt Heiner Wilharm ([Wilharm 1992a]Wilharm, Heiner (1992).
Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte.
In Diagram­matik und Philo­sophie, 121-159.

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). Komple­xitäts-erwei­ternde Darstel­lungen, können dabei u.a. der Gene­rierung von neuem Wissen dienen. Beispiels­weise können durch die Darstel­lung eines Sachver­haltes auf der Schreibflä­che plötzlich inhalt­liche Leerstel­len buchstäb­lich als weiße Flecken auf dem Papier sichtbar werden, die dann zur Bear­beitung drängen. Diagram­mati­sche Darstel­lungen ermög­lichen das sehen­de bzw. zeichnen­de Auffin­den von neuen Rela­tionen oder von „Zwischen­gliedern“ (Wittgen­stein) durch „Dazwi­schenschrei­bung“.[4]

b) Die Syntaktizität von Dia­gram­men

Im Feld diagrammatischer Phäno­mene gibt es große Unter­schiede in Bezug auf deren Syntak­tizi­tät bzw. auf die Regel­haftig­keit der Typi­sierung und des Typen­gebrauchs. Nicht alle Diagramm­theore­tiker würden in Bezug auf Diagram­me von einer Syntax reden. Christian Stetter etwa schlägt vor, den Begriff »Syntax« nur für Schriften, genauer: für Texte zu reser­vieren, nicht jedoch für Diagram­me ([Stetter 2005a]Stetter, Christian (2005).
Bild, Diagramm, Schrift.
In Schrift. Kultur­technik zwischen Auge, Hand und Maschi­ne, 115-135.

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: S. 126f.).
Andere Diagramm-Theoretiker haben dem­gegen­über einen weite­ren (bzw. schwäche­ren) Syntax-Begriff. Sybil­le Krämer etwa spricht – wenn auch in Anfüh­rungszei­chen – von einer “Syntax” des Diagram­mati­schen. Für sie ist gera­de diese Syntak­tizi­tät ein zentra­les Krite­rium dafür, um bloße Bilder von diagram­mati­schen Arte­fakten (Phäno­menen „ope­rati­ver Bildlich­keit“, wie es bei Krämer heißt) unter­scheiden zu können. Anders als beim Bilder-Sehen muss man beim Sehen von Diagram­men die Fähig­keit besit­zen, wesent­liche von unwe­sentli­chen Aspek­ten der Darstel­lung unter­scheiden und entspre­chend von vielem abse­hen zu können ([Krämer 2009a]Krämer, Sybille (2009).
Ope­rati­ve Bildlich­keit: Von der Gramma­tolo­gie zu einer Diagram­mato­logie? Refle­xionen über erken­nendes ‚Sehen’.
In Logik des Bild­lichen. Zur Kritik der iko­nischen Vernunft, 94-123.

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: S. 102).[5] Eini­ge Bildthe­ore­tiker präfe­rieren aller­dings einen Syntax-Begriff, der sogar so weit (bzw. so schwach) ist, dass er auch auf Bilder ange­wandt werden kann und sich dann entspre­chend nicht zur beson­deren Kennzeich­nung von Diagram­men eignet.[6]

Jedoch gibt es auch bei diagram­mati­schen Darstel­lungen Unter­schiede, was die Strenge der Syntax angeht. Bei eini­gen Diagram­men gibt es sehr klare Regeln für deren korrek­te Erstel­lung und Lesung. Verfah­ren wie die Vorfor­matie­rung der diagram­mati­schen Inskrip­tionsflä­chen durch Koordi­naten­syste­me, in die dann Messwer­te einge­tragen werden, kreie­ren eine solche rela­tiv strenge Syntax. Für logi­sche Diagram­me (etwa die iko­nische Logik von Peirce[7]) gilt dies in noch stärke­rem Maße. Dem­gegen­über gibt es jedoch auch diagram­mati­sche Darstel­lungen, die einer weni­ger strengen Syntax folgen. Das heißt: dort exis­tieren recht freie, offe­ne, provi­sori­sche bzw. transi­tori­sche Regeln der Produk­tion und der Lektü­re dieser Diagram­me.[8] Als Labo­rato­rien epis­temi­schen Schrei­bens/Zeich­nens etwa sind diese Arten diagram­mati­scher Arte­fakte oftmals sogar gera­de darauf ange­legt, spiele­risch zu verfrem­den und dabei möglichst viele kreati­ve Asso­ziations- und Inter­preta­tionsspiel­räume zu eröf­fnen.[9]

c) Die Operativität und Pragma­tik von Dia­gram­men

Ein dritter wesent­licher Aspekt ist die „Ope­rati­vität“ der Diagram­me (bzw. des Diagram­mati­schen) und deren – insbe­sonde­re auch im Vergleich zu Bildern – beson­dere pragma­tische Dimen­sion. „Diagram­me muss man sich (…) immer auch vom Prozess der Produk­tion her verständ­lich machen. Die Geste der Setzung oder das Verfah­ren der Einschrei­bung müssen als inte­graler Bestand­teil der Reprä­senta­tion mitge­dacht werden“, schreibt Steffen Bogen ([Bogen 2005b]Bogen, Steffen (2005).
Schatten­riss und Sonnen­uhr. Über­legun­gen zu einer kunst­histo­rischen Diagram­matik. In Zeit­schrift für Kunstge­schichte, 68, 2, 153-176.

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: S. 164). Wer diagram­mati­sche Darstel­lungen begrei­fen will – so Heiner Will­harm –
vollzieht sie oder vollzieht sie nach. Er richtet sich eine Zeitlang im Raum der Darstel­lung ein ([Wilharm 1992a]Wilharm, Heiner (1992).
Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte.
In Diagram­matik und Philo­sophie, 121-159.

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: S. 151).
Sybille Krämer sieht das Diagram­mati­sche nicht nur als Anschau­ungsme­dium, sondern zugleich auch als „Werkzeug“ und „“Refle­xionsins­trument”“ ([Krämer 2009a]Krämer, Sybille (2009).
Ope­rati­ve Bildlich­keit: Von der Gramma­tolo­gie zu einer Diagram­mato­logie? Refle­xionen über erken­nendes ‚Sehen’.
In Logik des Bild­lichen. Zur Kritik der iko­nischen Vernunft, 94-123.

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: S. 104). Schriften, Graphen, Karten stellen nicht nur etwas dar, „sondern eröf­fnen damit Räume, um das Darge­stellte auch zu handha­ben, zu beobac­hten, zu explo­rieren“ ([Krämer 2009a]Krämer, Sybille (2009).
Ope­rati­ve Bildlich­keit: Von der Gramma­tolo­gie zu einer Diagram­mato­logie? Refle­xionen über erken­nendes ‚Sehen’.
In Logik des Bild­lichen. Zur Kritik der iko­nischen Vernunft, 94-123.

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: S. 104). Diagram­mati­sche Darstel­lungen sind perfor­mativ. Indem man an Diagram­men graphi­sche Mani­pula­tionen vollzieht bzw. nachvoll­zieht, wird etwas sichtbar, einsich­tig und über­sichtlich, was vorher nicht sichtbar, einsich­tig bzw. über­sichtlich war. Diagram­me müssen, so könnte man Wittgen­stein adap­tierend formu­lieren, immer als “Diagramm­spiele” aufge­fasst, also aus der Praxis des Umgangs mit ihnen verständ­lich gemacht werden. Für eini­ge Diagramm-Theore­tiker beruht die Stärke der Diagram­me sogar auf deren beson­derer „pragma­tischer Potenz“:
Mehr als andere Diskurs­formen sind Diagram­me darauf­hin ange­legt, Nachfol­gehand­lungen nach sich zu ziehen. ([Wilharm 1992a]Wilharm, Heiner (1992).
Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte.
In Diagram­matik und Philo­sophie, 121-159.

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: S. 158)


Zur Materialität der Diagram­me

Abschließend noch zwei Bemer­kungen zur Mate­riali­tät der Diagram­me und damit noch einmal zur Exten­sion des Diagramm- bzw. des Diagram­matik-Begriffs:

Diagramme werden – wie Bilder – von den meisten Auto­ren des Diagram­matik-Diskur­ses primär als zwei­dimen­siona­le Arte­fakte verstan­den. Natür­lich ist auch diese Fokus­sierung eine begriff­liche Entschei­dung, deren Konse­quenzen bedacht werden müssen; genau­so wie es in Bezug auf das Phäno­men Bild eine begriff­liche Entschei­dung ist (deren Kosten-Nutzen-Bilanz man abzu­wägen hat), den Begriff des Bildes eng mit der Zwei­dimen­siona­lität der Bildflä­che zu verkop­peln und Bilder im enge­ren Sinne von den drei­dimen­siona­len Bildern – etwa Werken der Plastik inner­halb der bilden­den Kunst – abzu­grenzen. Ana­loges lässt sich auch für die Verwen­dung des Begriff »Diagramm« sagen: Eine Reihe von funktio­nalen Eigen­schaften des Diagram­mati­schen trifft durchaus auch für bestimm­te drei­dimen­siona­le Arte­fakte zu. Man denke an drei­dimen­siona­le Struktur­model­le, wie das DNS-Modell das Watson und Crick ent­wickelt – und das heißt auch: real in 3D gebas­telt – haben. Ande­rerseits spricht aber auch vieles dafür, die beson­dere Über­sichtlich­keit, die der Blick von oben auf eine zwei­dimen­siona­le Diagramm-Darstel­lungsflä­che ermög­licht, und die beson­ders einfa­chen (grafi­schen) Rekon­figu­rations­möglich­keiten von Ele­menten eines Diagramms auf der Schreib­fläche auch begriff­lich hervor­zuhe­ben.

Es gibt eine Reihe von Autoren, die zum Teil mit expli­zitem Bezug auf Peirces Konzept des „diagram­matic reason­ing“ dafür plädie­ren, den Begriff des Diagramms, des Diagram­mati­schen bzw. den Begriff der Diagram­matik in stark entgren­zender Weise – zum Teil bis ins Imma­teriel­le des Geistes hinein – auszu­weiten. Diagram­mati­sche Struktu­ren und Ope­rati­onen werden dann nicht nur in jegli­cher Art von symbo­lischen Darstel­lungen – in Texten ([Reichert 2011a]Reichert, André (2011).
Dia­gram­matik als Prä­philo­sophie und Meta­physik. Von einer schrift­bildli­chen Perspek­tive zu einer Perspek­tivie­rung von Schrift­bildlich­keit.
In Schrift­bildlich­keit, 37-45, Sprache und Lite­ratur, Themen­heft, 107/2011.

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), Filmen, Bildern, Sounds – aufzu­finden versucht, sondern z.B. auch in der menschli­chen Kogni­tion selber verortet ([Bauer & Ernst 2010a]Bauer, Matthias & Ernst, Christoph (2010).
Dia­gram­matik. Einfüh­rung in ein kultur- und medien­wissen­schaftli­ches Forschungs­feld. Biele­feld: trans­cript.

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, [Stjern­felt 2007a]Stjernfelt, Frederik (2007).
Dia­gram­mato­logy. An Inves­tiga­tion on the Border­lines of Pheno­meno­logy, Onto­logy, and Semio­tics. Dord­recht: Springer.

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; vgl. auch Image Schema­ta). Auch hier gilt es jedoch, die Kosten und den Nutzen dieser Auswei­tung bzw. dieser stärker meta­phori­schen Verwen­dung des Begriffs abwä­gend im Auge zu behal­ten ([Birk 2012b]Birk, Elisa­beth (2012).
Review to: Frede­rik Stjern­felt: Dia­gramma­tolo­gy: An Inves­tiga­tion on the Border­lines of Pheno­meno­logy, Onto­logy, and Semio­tics, New York 2007..

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).
Anmerkungen
  1. Vgl. hier­zu auch Peirces Aus­füh­run­gen: „Many di­a­grams re­sem­ble their ob­jects not at all in looks; it is only in re­spect to the re­la­tions of their parts that their like­ness con­sists“ ([Peirce 1998a]Peirce, Charles S. (1998).
    Col­lected Papers, Vol. 2: Ele­ments of Logic. Bristol: Thoemmes.

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    : 2.282).
  2. Auf die Pro­b­le­me, die mit der dia­gram­ma­ti­schen Ver­dich­tung ein­her ge­hen kön­nen, macht Stef­fen Sie­gel auf­merk­sam ([Sie­gel 2009a]Siegel, Steffen (2009).
    TABU­LA. Figu­ren der Ordnung um 1600. Berlin: Aka­demie.

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    : S. 27).
  3. Ei­ni­ge der von Ger­hard Dir­mo­ser ent­wor­fe­nen qua­drat­me­ter­gro­ßen Dia­gram­me wie das Dia­gramm «Ein Dia­gramm ist (k)ein Bild» ([Dirmo­ser 2006a]Dirmoser, Gerhard (2006).
    Ein Diagramm ist (k)ein Bild..

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    ) ber­gen schlicht auf­grund ih­rer Grö­ße die Ge­fahr in sich, für den Be­trach­ter ins Un­über­sicht­li­che zu kip­pen.
  4. Der Aus­druck ‘Da­zwi­schen­schrei­bung’ stammt von Pet­ra Geh­ring ([Geh­ring 1992a]Gehring, Petra (1992).
    Para­digma einer Metho­de. Der Begriff des Diagramms im Struktur­denken von M. Foucault und M. Serres.
    In Diagram­matik und Philo­sophie, 86-105.

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    ).
  5. Vgl. hier­zu auch Stet­ter: „Die­ses Dia­gram­ma­ti­sche, mit dem die Lo­gik das Pik­tu­ra­le zu un­ter­wan­dern be­ginnt, ist Re­sul­tat von Til­gungs­ope­ra­ti­o­nen (…)“ ([Stet­ter 2005a]Stetter, Christian (2005).
    Bild, Diagramm, Schrift.
    In Schrift. Kultur­technik zwischen Auge, Hand und Maschi­ne, 115-135.

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    : S. 121).
  6. Klaus Sachs-Hom­bach et­wa ge­steht Bil­dern ins­ge­samt ei­ne „mor­pho­lo­gi­sche Syn­tax“ zu ([Sachs-Hom­bach 2003a]Sachs-​Hom­bach, Klaus (2003).
    Das Bild als kommu­nika­tives Medium. Ele­mente einer allge­meinen Bild­wissen­schaft. Köln: Halem.

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    : S. 105-119). Vgl. auch [Schir­ra 2007b]Schirra, Jörg R.J. (2007).
    Com­puta­tional Visual­istics and Picture Morphol­ogy. An Intro­duction.
    In Com­puta­tional Visual­istics and Picture Morphol­ogy, Sect. 1.

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    .
  7. Vgl. hier­zu die Dar­stel­lung von Sun-Joo Shin: [Shin 2002a]Shin, Sun-Joo (2002).
    The Iconic Logic of Peirce’s Graphs. Cam­bridge, Ma.: MIT Press, Bradford.

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    .
  8. „Folg­lich ist bzw. wird die “Spra­che” der dia­gram­ma­ti­schen Re­prä­sen­ta­ti­on nur vor­über­ge­hend und pro­vi­so­risch fi­xiert. Es reicht, dass ge­sagt bzw. ge­zeigt wer­den kann, was man sa­gen bzw. zei­gen will.“ ([Wil­harm 1992a]Wilharm, Heiner (1992).
    Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte.
    In Diagram­matik und Philo­sophie, 121-159.

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    : S. 138).
  9. Dia­gram­ma­ti­sche Dar­stel­lun­gen „ge­ben uns die Chan­ce, die Mo­del­le zu wech­seln, um neu­e An­sich­ten aus­zu­pro­bie­ren.“ ([Wil­harm 1992a]Wilharm, Heiner (1992).
    Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte.
    In Diagram­matik und Philo­sophie, 121-159.

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    : S. 141).
Literatur                             [Sammlung]

[Bauer & Ernst 2010a]: Bauer, Matthias & Ernst, Christoph (2010). Dia­gram­matik. Einfüh­rung in ein kultur- und medien­wissen­schaftli­ches Forschungs­feld. Biele­feld: trans­cript.

[Birk 2012b]: Birk, Elisa­beth (2012). Review to: Frede­rik Stjern­felt: Dia­gramma­tolo­gy: An Inves­tiga­tion on the Border­lines of Pheno­meno­logy, Onto­logy, and Semio­tics, New York 2007.
link: linguistlist.org/pubs/reviews/get-review.cfm?SubID=197848.
[Bogen & Thürle­mann 2003a]: Bogen, Steffen & Thürle­mann, Felix (2003). Jenseits der Oppo­sition von Text und Bild. In: Patschov­sky, A. (Hg.): Die Bildwelt der Diagram­me Joachims von Fiore: Zur Media­lität reli­giös-poli­tischer Program­me im Mittel­alter. Ost­fildern: Jan Thor­becke, S. 1-22. [Bogen 2005b]: Bogen, Steffen (2005). Schatten­riss und Sonnen­uhr. Über­legun­gen zu einer kunst­histo­rischen Diagram­matik. Zeit­schrift für Kunstge­schichte, Band: 68, Nummer: 2, S. 153-176. [Dirmo­ser 2004a]: Dirmoser, Gerhard (2004). Vom Nutzen schema­tischer Zeichnun­gen – Teil I.
link: servus.at/kontext/diagramm/01_Schematanutzen.htm.
[Dirmo­ser 2006a]: Dirmoser, Gerhard (2006). Ein Diagramm ist (k)ein Bild.
link: servus.at/kontext/diagramm/Diagrammbild_3_0_D.pdf.
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Hilfe: Nicht angezeigte Literaturangaben

Ausgabe 1: 2013

Verantwortlich:

Lektorat:

Seitenbearbeitungen durch: Rainer Totzke [54], Joerg R.J. Schirra [32], Dimitri Liebsch [30] und Christoph Martin [2] — (Hinweis)

Zitierhinweis:

[Totzke 2013g-a]Vergleiche vollständigen Eintrag
in Literatursammlung
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Totzke, Rainer (2013). Diagramm. (Ausg. 1). In: Schirra, J.R.J.; Halawa, M. & Liebsch, D. (Hg.): Glossar der Bildphilosophie. (2012-2024).
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