Ekphrasis: Unterschied zwischen den Versionen
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Vor allem antike literarische Ekphrasen wurden in der Frühen Neuzeit Vorlage bildkünstlerischen Schaffens, wie bspw. Tizians ''Venusfest'' (1518-19, Madrid, Prado), das Passagen aus Philostrats ''Eikónes'' bildkünstlerisch umsetzt (<bib id='Rosen 2001a'>Rosen 2001</bib>, 92ff; für weitere Bsp. <bib id='Löhr 2003a'>Löhr 2003</bib>, 78-79). | Vor allem antike literarische Ekphrasen wurden in der Frühen Neuzeit Vorlage bildkünstlerischen Schaffens, wie bspw. Tizians ''Venusfest'' (1518-19, Madrid, Prado), das Passagen aus Philostrats ''Eikónes'' bildkünstlerisch umsetzt (<bib id='Rosen 2001a'>Rosen 2001</bib>, 92ff; für weitere Bsp. <bib id='Löhr 2003a'>Löhr 2003</bib>, 78-79). | ||
− | Seit den 1990er Jahren steht ''E.'' im besonderen Interesse der literatur-, sprach- , kunst- und bildwissenschaftlichen Forschung vor allem im Hinblick auf intermediale Bezüge und Zeichenhaftigkeit, wobei immer auch definitorische Aktualisierungen und Präzisierungen unternommen werden (<bib id='Boehm & Pfotenhauer 1995a'>Boehm & Pfotenhauer 1995</bib>; Wagner 1996; <bib id='Wandhoff 2001a'>Wandhoff 2001</bib>; <bib id='Schaefer & Rentsch 2004a'>Schaefer & Rentsch 2004</bib>; <bib id='Drügh 2006a'>Drügh 2006</bib>; <bib id='Baumann 2011>Baumann 2011</bib>) oder für die ausschließliche Verwendung des Begriffs im antiken Kontext plädiert wird (<bib id='Rosenberg 2007a'>Rosenberg 2007</bib>; <bib id='Webb 2009a'>Webb 2009</bib>). | + | Seit den 1990er Jahren steht ''E.'' im besonderen Interesse der literatur-, sprach- , kunst- und bildwissenschaftlichen Forschung vor allem im Hinblick auf intermediale Bezüge und Zeichenhaftigkeit, wobei immer auch definitorische Aktualisierungen und Präzisierungen unternommen werden (<bib id='Boehm & Pfotenhauer 1995a'>Boehm & Pfotenhauer 1995</bib>; <bib id='Boehm 1995a'>Boehm 1995</bib>; <bib id='Pfotenhauer 1996a'>Pfotenhauer 1996</bib>; <bib> id='Wagner 1996'>Wagner 1996</bib>; <bib id='Wandhoff 2001a'>Wandhoff 2001</bib>; <bib id='Schaefer & Rentsch 2004a'>Schaefer & Rentsch 2004</bib>; <bib id='Drügh 2006a'>Drügh 2006</bib>; <bib id='Baumann 2011'>Baumann 2011</bib>) oder für die ausschließliche Verwendung des Begriffs im antiken Kontext plädiert wird (<bib id='Rosenberg 2007a'>Rosenberg 2007</bib>; <bib id='Webb 2009a'>Webb 2009</bib>). |
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Version vom 30. September 2011, 13:18 Uhr
Unterpunkt zu: Sprechen über Bilder
Ekphrasis – hörend und lesend sehenEkphrasis ist ein aus der Rhetorik stammender Begriff, der eine besonders anschauliche, weil wirkmächtige sprachliche Darstellung bezeichnet. Im Gegensatz zum heutigen Sprachgebrauch im Sinne von Kunstbeschreibung, bezeichnete Ekphrasis in der Antike jedwede Beschreibung von Gegenständen, darunter auch von Kunstwerken, aber ebenso von Personen, Landschaften und Bauwerken. Nikolaos von Myra definiert E. als „eine ausführliche Rede, die das zu Zeigende deutlich zu Gesicht bringt” und grenzt sie von einem Bericht ab, in dem schlicht eine Abfolge von Ereignissen geschildert wird. Durch einen fingierten medialen Wechsel vom Wort zum imaginierten Bild, soll höchstmögliche Anschaulichkeit erreicht werden. E. soll „die Hörer zu Zuschauern zu machen”.[1] Mit der Überschreitung dieser imaginären medialen Grenze wird der Sehsinn, dem nach Aristoteles der höchste Erkenntniswert beigemessen wird, gegenüber dem Hörsinn bevorzugt.[2] Durch die Verwendung von Metaphern, lautmalerischen Wendungen und Synästesien wird ein mentales Vor-Augen-stellen erreicht, wobei der „Modus der Erzählung” nicht unterbrochen, sondern um eine allegorische Ebene erweitert werde ([Löhr 2003], 76). Das griechische Wort ἔκ-φρασις (ek: aus, hervor; phrazéin: sagen, Aussprechen oder das Aussprechende; im Plural Ekphraseis oder Ekphrasen) bezeichnet eine besonders anschauliche Beschreibung oder eine mit allen Sinnen vergegenwärtigende Darstellung eines Geschehens in einer Rede. Das Äquivalent in der lateinischen Rhetorik ist descriptio, wobei sich der griechische Terminus durchsetzte, da E. überwiegend in griechischen Rhetoriklehrbüchern, den sog. progymnasmata,[3] behandelt wird. In der neuzeitlichen und modernen Bildbeschreibung bezeichnet E. die charakterisierende Beschreibung eines meist real existierenden Kunstwerks, was auch in einer neueren Definition von E. Ausdruck findet: „ekphrasis is the verbal representation of visual representation” ([Heffernan 1999], XX).[4] Ziel und Funktion der EkphrasisDie visuelle Qualität der Sprache soll genutzt werden, um die abwesenden Bilder wie anwesend erscheinen zu lassen. Dabei ist die faktische Existenz des beschriebenen Objekts keine notwendige Bedingung. Nach Giuliani stellt „die Abwesenheit der Bilder eine notwendige Bedingung des ästhetischen Spiels” dar ([Giuliani 2006], 94). Dies erfolgt immer mit Konzentration auf die Bewegung der Emotionen der Zuhörer (vgl. [Webb 1999], 13). In der Rhetorikausbildung sollte durch E. die affektive Wirkung der Beschreibung auf die Zuhörer eingeübt werden. Durch E. soll ein maximaler Anschaulichkeitseffekt (enargeia/ evidentia) erzielt werden. Nach Quintilian ist enargeia die Eigenschaft der Rede, Vergangenes oder allgemein nicht Gegenwärtiges vor dem inneren Auge sichtbar zu machen und dabei durch die Kraft des Wortes und die emotionale Bewegtheit des Rhetors den Wortcharakter des Textes aufzuheben,[5] was in der Formel „an die äußere tritt die innere Schau” programmatisch zusammengefasst werden kann ([Graf 1995], 145-146). Männlein-Robert stellt den besonderen Anteil des Lesers/ Betrachters an der Konstitution des imaginierten Bildes heraus, denn die Beschreibung der Kunstwerke v.a. in der hellenistischen Dichtung, sei in der Regel „ausschnitthaft und auf Wesentliches konzentriert” ([Männlein-Robert 2007], 2). Ekphrasis und KunstbeschreibungAus E. als rhetorischer Form entwickelt sich in der Spätantike eine selbstständige literarische Textgattung der Bild- bzw. Kunstbeschreibung.[6] Die um 200 n. Chr. entstandenen Eikónes des Philostrat gelten als ihr frühestes Beispiel ([Giuliani 2006], Graf 1995). In der einleitenden Vorrede wird der vermeintliche Entstehungskontext des Werkes erläutert – angeblich eine Demonstration der Redekunst des Autors vor jugendlichen Rhetorikschülern. Die folgenden 65 Beschreibungen von Kunstwerken weisen aber eine ganz eigene Narrativität auf, die über die bloße Beschreibung eines Bildes hinaus gehen und einen eigenen narrativen Fiktionsraum schaffen. Mit seinem Text lobt Philostrat die Bildkunst und stellt zugleich die Überlegenheit (seiner) Wortkunst unter Beweis (vgl. [Giuliani 2006], 95). Mit der Entwicklung der Kunsttheorie in der Frühen Neuzeit verändert sich auch die Form der Kunstbeschreibungen, die nicht mehr "nur" Teil eines literarischen Werks sind wie bspw. in den zahlreichen Künstlerviten. Die Vergegenwärtigung eines spezifischen Bildes durch eine detailgenaue Beschreibung rückt in den Mittelpunkt und es werden, u.a. von Giorgio Vasari, Gian Pietro Bellori, André Félibien und später auch von Denis Diderot, systematische Kriterien entwickelt -- wie die Beachtung der Komposition, der Stilidiome, der Ikonographie --, die eine Beschreibung im Hinblick auf Wiedererkennbarkeit des einzelnen Kunstwerks zum Ziel haben ([Rosenberg 1995], 306). Bildbeschreibungen sind ein zentrales Element in Kunstkritik und Kunstwissenschaft, die aus den rhetorischen Kriterien eigene Maßstäbe für die Bewertung von Kunstwerken entwickelten ([Rosenberg 2007], 271).[7] Vor allem antike literarische Ekphrasen wurden in der Frühen Neuzeit Vorlage bildkünstlerischen Schaffens, wie bspw. Tizians Venusfest (1518-19, Madrid, Prado), das Passagen aus Philostrats Eikónes bildkünstlerisch umsetzt ([Rosen 2001], 92ff; für weitere Bsp. [Löhr 2003], 78-79). Seit den 1990er Jahren steht E. im besonderen Interesse der literatur-, sprach- , kunst- und bildwissenschaftlichen Forschung vor allem im Hinblick auf intermediale Bezüge und Zeichenhaftigkeit, wobei immer auch definitorische Aktualisierungen und Präzisierungen unternommen werden ([Boehm & Pfotenhauer 1995]; [Boehm 1995]; [Pfotenhauer 1996]; [ id='Wagner 1996'>Wagner 1996]; [Wandhoff 2001]; [Schaefer & Rentsch 2004]; [Drügh 2006]; [Baumann 2011]) oder für die ausschließliche Verwendung des Begriffs im antiken Kontext plädiert wird ([Rosenberg 2007]; [Webb 2009]). BeispieleAls der "Urtext" der literarischen E. gilt die Beschreibung des Schildes des Achill in der Ilias des Homer (18. Gesang, 478-608, Hampe 1979). Die besondere narrative Qualität des Textes lässt Hörer bzw. Leser dem Entstehungsprozess des Schildes in der Schmiede des Hephaistos beiwohnen. Die Anschaulichkeit wird sukzessive aufgebaut und hat Vergegenwärtigung durch Imagination zum Ziel (ausführlich dazu: [Moog-Grünewald 2001]).[8]
Drauf zwei Städt' auch schuf er der vielfach redenden Menschen,
Weitere Beispiele literarischer E. sind zahlreich.[9] Eine besondere Rolle kommt der E. in der Lyrik, im sog. Bildgedicht zu ([Kranz 1976]; Hollander 1995; [Frangenberg 2003]). Ekphrasis im KontextSchon qua definitionem ist E. eine Form der Intermedialität, da es um die Übertragung eines bildkünstlerischen Mediums in Sprachkunst geht ([Reulecke 2002]). In diesem Kontext wird natürlich auch der Topos des paragone, des Wettstreits der Künste, aufgerufen und damit die auf Horaz zurückgehende Formel Ut pictura poiesis in dem das Verhältnis von Malerei und Dichtung thematisiert wird. Im Kontext von E. steht auch immer die Frage nach der Narration bzw. nach dem Verhältnis von Beschreibung und Erzählung, von histoire und discours ([Fowler 1991]). Hollander stellt einen Bezug zu Emblemen (imprese) her und weist auf die Beziehung von Bild und Text hin. Der bildbegleitende Text sei eine „reductive ecphrasis” (Hollander 1995). Problemstellungen in der Semiotik führen zu der Frage, wie denn Wörter bildhaften, in gewisser Weise abbildhaften, gegenständlichen Charakter annehmen können, wenn sie doch selber nur Abstrakta sind – und berühren damit den Kern der E. ([Krieger 1992] und [Krieger 1995]).
[Cheeke 2008] [Hempfer 2000] [Mitchell 1992]
[Ratkowitsch 2006] [Rosand 1990] [Sager Eidt 2008]
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Anmerkungen
[ id='Wagner 1996'>Wagner 1996]: Ch'en, Chih-Mai (1966a). Chinese Calligraphers and their Art. Carlton: Melbourne University Press.
[Baumann 2011]: Verantwortlich: Seitenbearbeitungen durch: Barbara Thönnes [51], Joerg R.J. Schirra [23] und Dimitri Liebsch [21] — (Hinweis) |