Fernsehen

Aus GIB - Glossar der Bildphilosophie
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Unterpunkt zu: Bildverwendungstypen


Etymologie und Wortbedeutung

Der Ausdruck ‘Fernsehen’ leitet sich vom Kompo­situm ‘Tele­vision’ ab. Das altgrie­chische Wort ‘tele’ (τηλε: weit­hin, weit weg, fern) und das latei­nische Substan­tiv ‘visio’ (vīsiō: An­blick, Schau, Sehen) erge­ben die etab­lierte Bedeu­tung der Fern-Sicht als Mittel zur Wahr­nehmung eines nicht unmit­telbar gege­benen Ereig­nisses (vgl. [Gemoll & Vretska 2006a]: S. 791; vgl. [Stowasser et al. 1998a]: S. 554). In der medi­alen Perspek­tive ist der Fern­seher die techni­sche Appa­ratur, die gewis­serma­ßen wie ein Fern­rohr die Wahr­nehmung nicht aktuell gege­bener Ereig­nisse ermög­licht. Fern­sehen meint weiter­hin die akti­ve Tätig­keit der fern-sehen­den Rezep­tion des Nutzers und eben­falls das orga­nisa­tori­sche Gefü­ge von priva­ten und öffent­lich-recht­lichen Sende­anstal­ten.


Wahrnehmungsdispositiv Fernsehen

Fernsehen ist als eigenständiges Dispo­sitiv anzu­sehen, es baut auf den appa­rativen Konstel­latio­nen des Kinos auf und hat sich – wenn auch später erfun­den – paral­lel zu diesem ent­wickelt und tut es noch. Fern­sehen konsti­tuiert aller­dings ein infor­matio­nelles elek­troni­sches Bild (vgl. [Paech 2006a]: S. 105) im Gegen­satz zum ana­logen kine­mato­graphi­schen Bewe­gungs­bild (siehe auch ⊳ Kino). Fern­sehen besitzt zwar eine mit dem Kino vergleich­bare Mensch-Ma­schine-Anord­nung und Blick-Konstel­lation. Im Gegen­satz zum Kino ist die Abdunk­lung des Raumes nicht not­wendig, zudem exis­tiert im allge­meinen keine Projek­tionsrich­tung (dies ändert sich jedoch zuneh­mend, da Projek­toren für den Heim­bedarf immer er­schwing­licher werden). Auch ist der Zu­schauer nicht notwen­diger­weise direkt vor dem Bild­schirm plat­ziert, sondern frei in seinen Bewe­gungen und Hand­lungen. Der letzte Punkt verweist auf den Ver­zicht einer Diszip­linie­rung der Wahr­nehmung des Zuschauers durch eine appa­rativ beding­te Fixie­rung, wie sie im Kino zu finden ist (vgl. [Hickethier 1995a]: S. 65). Dies hängt mit der techno­logischen Tradi­tion des Fern­sehens zusam­men, die es eng an die Entwick­lung des Radios bindet.

Eine weitere wesentliche Differenz zum Kino ist die Möglich­keit der Live-Über­tragung über das Fern­sehen, das eine aktu­elle Teil­habe an einem ent­fernten Ereig­nis ermög­licht (die muss zwar mit Ein­schränkun­gen betrachtet werden, da das Kino eben­falls begon­nen hat, Live-Über­tragun­gen zu zeigen, den­noch gehör­ten diese nicht zur Essenz des Kinos in seinen An­fängen, während der Live-Charak­ter beim Fern­sehen eben den funktio­nalen Kern bilde­te). Hier zeigt sich wiede­rum die direk­te und unaus­lösch­liche Verbin­dung des Mediums Fern­sehen als Emp­fänger mit der Sende­station eines Fernseh­senders – ohne diesen käme die Fernseh­kommu­nika­tion nicht zustan­de. Dies wird auch durch die Mög­lich­keit der Programm­wahl verdeut­lich, die mit Hilfe bestimm­ter Sende­logos inner­halb des Fernseh­bildes doku­mentiert wird. Das Programm kann als Innen­seite des Dispo­sitivs Fernse­hen verstan­den werden, als dieje­nige Ebe­ne, auf der das Subjekt und das Fern­sehen als insti­tutio­neller Appa­rat zusam­mentref­fen (vgl. [Hickethier 1995a]: S. 76). Das Programm bildet somit die Schnitt­stelle der Mensch-Ma­schine-An­ordnung und unter­scheidet das Dispo­sitiv Fern­sehen von anderen Bild­medien, wie z.B. dem Com­puter. Durch die impli­zite Mög­lich­keit der Programm­wahl durch den Rezi­pienten wird der Zu­schauer als Subjekt — anders als im Kino — ein mitbe­stimmen­der Faktor inner­halb des Dispo­sitivs.

Wulff unterteilt das Fernsehen als Wahr­nehmungs­dispo­sitiv in sechs Ebenen:

(1) Umgebungsraum
ENTHÄLT
(2) Fernsehapparat
ENTHÄLT
(3) Glasfläche [als Teil des Fernseh­apparats]
IST BILDTRÄGER VON
(4) Schriftfläche
UND
(5) Fernsehbild
UND
(6) Fernseh-Raum

Das Fernsehbild (5) hinter der Glas­fläche (3) ist dabei die Kern­zone des Rezi­pienten­inte­resses, den­noch bleibt die Glas­fläche – auch wenn sie während der gewöhn­lichen Rezep­tion in den Hinter­grund der Wahr­nehmung tritt – die Bedin­gung dafür, dass eine Sendung wahr­genom­men werden kann. Und obwohl sich Fehler auf der Glas­fläche auf das Bild aus­wirken können, werden sie für gewöhnl­ich nicht dem Bild zuge­rechnet – folg­lich können Glas­fläche und Bild klar von einan­der getrennt werden. Im Kino gibt es die Glas­fläche (3) als Bild­träger oder Konsti­tutiv einer Fernseh­bildräum­lichkeit nicht, die Lein­wand wird nur in selten­sten Fällen in der Wahr­nehmung thema­tisch (z.B. wenn sie Löcher oder Risse enthält), während die Glas­fläche des Fernseh­gerä­tes die Wahr­nehmung immer wieder thema­tisiert (etwa bei Kratzern oder Refle­xionen in der Glas­fläche, ⊳ Syntak­tisch unkor­rekte Bilder).

Anmerkungen
Literatur                             [Sammlung]

[Gemoll & Vretska 2006a]: Gemoll, Wilhelm; Vretska, Karl (2006a). Gemoll. Griechisch-deutsches Schulwörterbuch und Handwörterbuch. München: Oldenbourg Schulbuchverlag.

[Hickethier 1995a]: Hickethier, Knut (1995). Dispositiv Fernsehen – Skizze eines Modells. Montage/av, Band: 4, Nummer: 1, S. 63-83. [Paech 2006a]: Paech, Joachim (2006a). Was ist ein kinematographisches Bewegungsbild?. In: Koebner, Thomas & Meder, Thomas (Hg.): Bildtheorie und Film. München: Edition Text + Kritik, S. 92-108. [Stowasser et al. 1998a]:
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Ausgabe 1: 2013

Lektorat:

Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [17], Lars Grabbe [14], Patrick Kruse [14], Dimitri Liebsch [8] und Franziska Kurz [2] — (Hinweis)