Interaktion und Kommunikation
Unterpunkt zu: Zeichentheorien: Übersicht
Was gehört zu einer Zeichenhandlung?Kein Gegenstand ist von sich aus bereits ein Zeichen. Zum Zeichen wird etwas nur, weil es in einer bestimmten Weise – in einem gewissen sozialen Handlungskontext – verwendet wird: nämlich dem einer kommunikativen Interaktion. Das gilt entsprechend auch für Bilder, wenn diese als Zeichen betrachtet werden. Kommunikation und Interaktion liefern, mit anderen Worten, wichtige Randbedingungen für den Gebrauch von Bildern. Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, Original: Mind, Self, and Society. Hg. v. Charles W. Morris. Chicago, 1934. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 81f.). Diese Interaktionen fügen sich gewissermaßen zu einer Art Choreographie zusammen, welche Zug-basierten Spielen ähnelt: Auf jeden “Zug” des einen gibt es eine meist eng begrenzte Menge richtiger Folgezüge des anderen, mit denen das “Spiel” weitergehen oder regulär beendet werden kann (‘Sprachspiel’; ⊳ Illokution; vgl. [Austin 1972a]Austin, John L. (1972). Zur Theorie der Sprechakte. Stuttgart: Reclam, orig.: How to do things with Words, 1962. Eintrag in Sammlung zeigen und [Wittgenstein 1971a]Wittgenstein, Ludwig (1971). Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Eintrag in Sammlung zeigen). Verhält sich einer der Interaktionspartner nicht entsprechend, muss er mit Sanktionen rechnen, was im Kontext kommunikativer Handlungszusammenhänge bedeuten kann: er muss damit rechnen, nicht verstanden zu werden, Widerspruch zu ernten oder um weitere Präzisierungen seiner Aussagen gebeten zu werden. Generell zeichnen sich Handlungen dadurch aus, dass sie zweckmäßig sind.[2] Kommunikationshandlungen haben, sehr allgemein gefasst, den herausgehobenen Zweck, das weitere Handeln der beteiligten Handelnden miteinander zu koordinieren. Das gilt offensichtlich nicht schon für eine Angriffs- oder Verteidigungshandlung. Wenn ein Hund dem anderen an die Gurgel zu springen bzw. dieser jenem auszuweichen versucht, lässt sich das nicht (jedenfalls nicht notwendig) dem Zweck unterordnen, das weitere Handeln der beiden zu koordinieren. Etwas anders sieht es allerdings bei der Unterwerfungshandlung aus (die entsprechend auch als Unterwerfungsgeste bezeichnet wird):[3] Dieses ‹Auf-den-Rücken-Legen-und-die-schutzlose-Kehle-Präsentieren› ist unmittelbar darauf gerichtet, dem anderen Hund klarzumachen, dass weitere Angriffe unnötig sind, da selbst keine Angriffe mehr unternommen werden. Die (erfolgreiche) Unterwerfungsgeste koordiniert also das weitere gegenseitige Verhalten der Hunde.
Direkte, sachbezügliche und kommunikative InteraktionenAn dem Beispiel der kämpfenden Hunde wird auch klar, dass nicht alle Interaktionen bereits kommunikativ sind. Insbesondere ist zu unterscheiden zwischen den folgenden drei Fällen (vgl. [Ros 2005a]Ros, Arno (2005).Materie und Geist. Eine philosophische Untersuchung. Paderborn: Mentis. Eintrag in Sammlung zeigen):
Während es mit einer sachbezüglichen Interaktion nur möglich ist, dem jeweiligen Gegenüber Einsicht in solche Sachverhalte zu vermitteln, die dieses selbst wahrnehmen kann, können mithilfe kommunikativer Interaktionen Einsichten auch in Sachverhalte vermittelt werden, die vom Gegenüber nicht selber unmittelbar wahrgenommen werden: sofern sich nämlich der Sender gegenüber dem Empfänger darstellen kann als jemand, der sich mit jenem Sachverhalt konfrontiert sieht. Das klingt zunächst etwas kompliziert, erfasst aber beispielsweise genau die Situation, in der von bestimmten Primaten spezifische Warnrufe beim Wahrnehmen von Schlangen oder Greifvögeln eingesetzt werden. Dabei wird der Schrei nur ausgestoßen, wenn auch Artgenossen in der Nähe sind, ihn zu hören. Im Schrei stellt sich der Schreiende den anderen gegenüber dar als jemand, der mit der Gegenwart einer Schlange (bzw. einem Greifvogel) konfrontiert ist. Die Reaktion auf das Erscheinen eines solchen Feindes muss jeweils unterschiedlich sein (bei Schlangen: nicht ins unübersichtliche Gebüsch laufen; bei Greifvögeln: ins Gebüsch in Deckung gehen). Sie tritt auch bei den Individuen, die nur den Warnruf hören, entsprechend ein, ganz ohne dass sie selbst die Schlange bzw. den Greifvogel wahrgenommen haben müssen. Kommunikation ist demnach, im Unterschied zur sachbezogenen Interaktion, immer mit einer Selbstpräsentation des Senders verbunden, der also nicht nur eine Beziehung zu dem Empfänger aufbauen, sondern auch in eine bestimmte Relation sich selbst und seinem Körper gegenüber eintreten muss (⊳ Interaktions-, Selbst- und Sachbezug). Von Zeichenhandlungen soll schließlich genau dann die Rede sein, wenn ein Gegenstand (auch Körperteil) aus Einsicht in die Besonderheiten seiner kommunikativen Verwendungssituation eingesetzt wird, und zwar zu dem vom Handelnden selbst erkannten Zweck der Kommunikation. Die Zweckmäßigkeit der Interaktion, in der das Zeichen verwendet wird, ist also nicht einfach durch stammesgeschichtliche Entwicklungsprozesse oder individualgeschichtliche Lernprozesse bestimmt, sondern zum Zweck für den Kommunizierenden selbst geworden.[4]
Bildgebrauch als Interaktion und als KommunikationAnhand eines trompe l'œils mag es zunächst erscheinen, als könnten Bilder auch lediglich als sachbezügliche Interaktionen wirken (siehe Abb. 2): Denn der Maler des abgebildeten trompe l'œils ermöglicht es mit der bemalten Fläche ja offenbar, dass seine Adressaten bestimmte Sachverhalte selbst sehen können: Er zeigt ihnen (im Sinne von Indikation) einen Raum, in dem unter vielem anderen zwei Bistro-Tische stehen, von denen einer einer jungen, dunkelhaarigen, schwarz gekleideten Frau, die ganz in sich versunken liest, als Armstütze dient. Die visuelle Erfahrung scheint ganz unmittelbar gegeben (⊳ auch Evidenz, visuelle/ikonische). Doch vernachlässigt eine solche Betrachtungsweise den Zeichencharakter des Bildes, da dann einfach eine Verwechslung vorliegt, das Bild also für das Abgebildete genommen wird. Genau das aber tun Bildnutzer in der Regel beim Bildgebrauch nicht. Vielmehr ist ihnen der Unterschied zwischen Bildträger und Dargestelltem jeweils (zumindest bis zu einem gewissen Grade) bewusst (⊳ dezeptiver und immersiver Modus). Auch der Zweck, den sie damit verbinden, das Bild jemandem zu präsentieren, ist ihnen in der Regel selbst bewusst. Versteht man den Bildgebrauch als kommunikative Interaktion, ergibt sich unmittelbar die folgende Frage: Wie stellt sich der Bildnutzer qua Bildgebrauch dem Kommunikationspartner gegenüber dar (⊳ Interaktions-, Selbst- und Sachbezug) und wer ist im Zweifelsfall der Kommunikationspartner, wenn etwa einer allein ein Bild betrachtet (⊳ Bildrezeption als Kommunikationsprozess)?
Auswirkungen auf andere BegriffeDie Handlungsaspekte des Bildgebrauchs werden im Rahmen der Bildpragmatik verhandelt. Dort finden sich auch weitere Gesichtspunkte des Bildhandelns. Dazu zählen insbesondere die Beziehung zwischen Affekt und Kommunikation und das Verständnis von Bildrezeption als Kommunikationsprozess. Die enge Beziehung von Zeichen- und Medienbegriff spiegelt sich zudem im Schlagwort Kommunikationsmedien wider.[5] Siehe auch: |
Anmerkungen
[Austin 1972a]: Austin, John L. (1972). Zur Theorie der Sprechakte. Stuttgart: Reclam, orig.: How to do things with Words, 1962.
[Bühler 2000a]: Bühler, Karl (2000). Die Krise der Psychologie. Weilerswist: Velbrück, hrsg. von Achim Eschbach und Jens Kapitzky. [Kamlah & Lorenzen 1973a]: Kamlah, Wilhelm & Lorenzen, Paul (1973). Logische Propädeutik - Vorschule des vernünftigen Redens. München: BI Wissenschaftsverlag, 2. Aufl. (11967, 31996). [Mead 1968a]: Mead, George Herbert (1968). Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, Original: Mind, Self, and Society. Hg. v. Charles W. Morris. Chicago, 1934. [Ros 2005a]: Ros, Arno (2005). Materie und Geist. Eine philosophische Untersuchung. Paderborn: Mentis. [Wittgenstein 1971a]: Wittgenstein, Ludwig (1971). Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Ausgabe 1: 2013 Verantwortlich: Lektorat: Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [42], Dimitri Liebsch [1] und Emilia Didier [1] — (Hinweis) Zitierhinweis: [Schirra 2013g-l]Literaturangabe fehlt. |