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==Zeichenhandlungen und ihr Kontext== | ==Zeichenhandlungen und ihr Kontext== | ||
− | Allgemein werden als Kontext einer | + | Allgemein werden als Kontext einer Zeichen­handlung Aspek­te der Äuße­rungssi­tuati­on betrach­tet, von denen das Gelin­gen der Zeichen­handlung abhängt (<bib id='Levinson 1983a'>Levin­son 1983a</bib>). Das ist beson­ders augen­fällig bei den deikti­schen Zeichen­kompo­nenten, bei denen der Zeichen­nutzer direkt (etwa gestisch) auf Teile der Äuße­rungssi­tuati­on zeigt, oder den ana­phori­schen Zeichen­kompo­nenten, bei denen er Verwei­se auf ande­re, unmit­telbar vorher durchge­führte Zeichen­handlun­gen (eige­ne und ande­re, insbe­sonde­re an ihn gerich­tete) verwen­det. |
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− | Es wird aber auch dem Einfluss des | + | Es wird aber auch dem Einfluss des jewei­ligen Kontex­tes zuge­schrieben, wenn eigent­lich mehrdeu­tige Aus­drücke ohne entspre­chende Erläu­terung verstan­den werden: Ist etwa im Zusam­menhang mit einer Finanz­krise von einer ‘Bank’ die Rede, wird, wegen dieses Kontex­tes, niemand an ein Parkmö­bel denken. Auch bei Bildern können Inhalt und Verwen­dungswei­se von Aspek­ten der Gebrauchs­situa­tion abhän­gig sein. |
==Kontext und Sachbezug== | ==Kontext und Sachbezug== | ||
− | Darüber hinaus kann nur im | + | Darüber hinaus kann nur im Zusam­menhang mit einem zuge­höri­gen Kontext vom [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug|Sachbe­zug]] einer Zeichen­handlung die Rede sein, denn der Sachbe­zug hängt von der [[Modalität|Moda­lität]] der Zeichen­handlung ab. Das heißt, er lässt sich nur rela­tiv zu einer Situ­ation bestim­men, die man wahr­nehmen oder zu der man sich verhal­ten kann. Dies gilt insbe­sonde­re für die [[Nomination|Nomi­nation]], mit der, als einer notwen­digen Teilhand­lung jeder [[Proposition|Propo­sition]], versucht wird, einen Gegen­stand aus dem jeweils aktu­ellen Diskurs­uni­versum zu iden­tifi­zieren (vgl. <bib id='Tugendhat 1976a'>Tugend­hat 1976a</bib>). |
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− | Kontexte in diesem Sinn sind also von der | + | Kontexte in diesem Sinn sind also von der Verwen­dungssi­tuation eines Zeichens auf belie­bige Situa­tionen verall­gemei­nert. Zeichen­handlun­gen mit Sachbe­zug haben daher prinzi­piell einen doppel­ten Kontext­bezug, nämlich einer­seits hinsicht­lich ihrer Verwen­dungssi­tuation und ande­rerseits hinsicht­lich des (in der Regel davon abwei­chenden) Kontex­tes für ihren Sachbe­zug. Forma­le lingu­istisch-logi­sche Ansät­ze zu Kontex­ten finden sich etwa als ''Situ­ation Seman­tics'' (<bib id='Barwise & Perry 1984a'>Bar­wise & Perry 1984a</bib>), ''Possible World Seman­tics'' (<bib id='Kripke 1972a'></bib>), ''Mental Spaces Theory'' (<bib id='Fauconnier 1985a'>Faucon­nier 1985a</bib>) oder auch inner­halb der ''Dis­course Struc­ture Theory'' (<bib id='Kamp 1990a'>Kamp 1990a</bib>).<ref>In die­sen Zu­sam­men­hang ge­hört auch der Be­griff des ''opa­ken Kon­tex­tes'', wie er in der Sprach­phi­lo­so­phie ver­wen­det wird: vgl. et­wa [http://de.wikipedia.org/wiki/Opaker_Kontext Wi­ki­pe­dia: Opa­ker Kon­text].</ref> |
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− | Kontexte lassen sich zwar in erster | + | Kontexte lassen sich zwar in erster Annä­herung umschrei­ben als ''struktu­rierte Mengen von inten­tiona­len Gegen­ständen'', auf die man sich unter günsti­gen Bedin­gungen kommu­nika­tiv bezie­hen kann.<ref>In­ten­ti­o­na­ler Ge­gen­stand ist al­les, wo­rauf je­mand sei­ne Auf­merk­sam­keit rich­tet, un­ab­hän­gig da­von, ob es sich um ein re­a­les, fik­ti­ves, hal­lu­zi­nier­tes oder zu­künf­ti­ges ge­plan­tes Ob­jekt han­delt; vgl. ins­be­son­de­re <bib id='Brentano 1874a'>Bren­ta­no 1874a</bib>, <bib id='Meinong 1907a'>Mei­nong 1907a</bib> und <bib id='Husserl 1929a'>Hus­serl 1929a</bib>. Vgl. auch [http://de.wikipedia.org/wiki/Intentionalit%C3%A4t Wi­ki­pe­dia: In­ten­ti­o­na­li­tät].</ref> Adä­quater ist aller­dings die Festle­gung als poten­tielle ''Verhal­tenssi­tuati­onen'', auf die jemand seine Aufmerk­samkeit richtet. Denn einer­seits erfül­len Verhal­tenssi­tuati­onen intrin­sisch die Eigen­schaft der deduk­tiven Vollstän­digkeit, die über belie­bigen Gegen­standsmen­gen erst extrin­sisch erzeugt werden muss: Eine Situ­ation wird in ihrer Tota­lität stets als in sich konsis­tent voraus­gesetzt,<ref> In­kon­sis­tent sind höchs­tens In­ter­pre­ta­ti­o­nen ei­ner Si­tu­a­ti­on.</ref> was für schlichte Mengen von Gegen­ständen nicht notwen­dig gilt. Ande­rerseits sind Verhal­tenssi­tuatio­nen inter­preta­tionsof­fen: Eine Situ­ation, in der man sich befin­det, legt als solche bekannt­lich noch nicht fest, ob man sie als Konfi­gura­tion mitein­ander wechsel­wirken­der Ele­mentar­teilchen, als Ansam­mlung mitein­ander reagie­render Mole­küle, als inter­agieren­de Lebe­wesen oder als mehr oder weni­ger sachlich mitein­ander argu­mentie­rende Partei­vorsit­zende begreift. Um was für eine Art von Gegen­standsmen­ge es sich handelt, kann bei einem Kontext entspre­chend unbe­stimmt bleiben. Es sind die auf den Kontext bezo­genen Sachbe­züge von Zeichen­handlun­gen, durch deren [[Prädikation|Prädi­katio­nen]] eine Zuord­nung zu bestimm­ten Begriffs­feldern erfolgt. Speziell in der moda­len Bildthe­orie spielt der Begriff des Kontex­tes eine zentra­le Rolle (<bib id='Schirra 2001a'></bib>). |
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− | Als potentiell | + | Als potentiell inter­indi­viduell geteil­te Situ­atio­nen stehen Kontex­te mithin in den folgen­den Zusam­menhän­gen: |
− | * Sie sind das, worauf sich | + | * Sie sind das, worauf sich Aussa­gen (allge­meiner: Propo­sitio­nen) bezie­hen; |
− | * Sie sind das, was in der | + | * Sie sind das, was in der Wahrneh­mung [[Figur/Grund-Differenzierung|Figur/Grund-Unter­scheidun­gen]] unter­worfen wird; |
− | * Sie sind das, worauf man reagiert (im Sinne | + | * Sie sind das, worauf man reagiert (im Sinne Uex­külls: die jewei­lige ''Umwelt''); |
− | * Sie sind das, worin | + | * Sie sind das, worin Gegen­stände (im enge­ren Sinn, oder meta­phorisch) jeweils erschei­nen. |
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− | Da die jeweils | + | Da die jeweils aktu­elle Umwelt eines Wesens die Basis für den Kontext­begriff liefert und damit alles einschließt, was es in der Situ­ation wahrnimmt, kann man sich Kontex­te grob verein­facht als Raumzeit-Blasen vorstel­len, die das Indi­viduum umhül­len und in denen es agiert. |
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− | Abgesehen von der je | + | Abgesehen von der je aktu­ellen Verhal­tenssi­tuation eröff­net uns nur [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichen­gebrauch]] den Zugang zu ande­ren, nicht-gegen­wärti­gen Kontex­ten: Die menschli­che Aufmerk­samkeit kann auf ande­re Situ­ationen – räumlich oder zeitlich verscho­bene, abstrak­te, hypo­theti­sche, fikti­ve, etc. – nur dadurch gerich­tet werden, dass wir uns gegen­seitig (oder uns selbst in der Rolle eines ande­ren) durch eine Zeichen­handlung auf jenen Kontext aufmerk­sam machen. Eine Zeichen­handlung, die das ermög­licht, erfüllt die pragma­tische Funktion der [[Kontextbildung|Kontext­bildung]]. |
− | ==Gegenstände und | + | |
− | Der Zusammenhang zwischen | + | ==Gegenstände und Verhal­tenssi­tuatio­nen== |
+ | Der Zusammenhang zwischen konkre­ten Gegen­ständen und Verhal­tenssi­tuatio­nen ist für den Kontext­begriff von großer Rele­vanz: Konkre­te Gegen­stände kommen nie iso­liert vor, sondern begeg­nen uns stets in raumzeit­lichen Zusam­menhän­gen mit ande­ren Gegen­ständen. Die je aktu­ellen Situ­atio­nen sind daher gegen­über den Gegen­ständen primär. Als Gegen­stände (im enge­ren Sinn) erschei­nen sie nur, inso­fern sie als Teil verschie­dener Situ­atio­nen verstan­den werden – inso­fern sie uns in verschie­denen ''Gege­benheits­weisen'' begeg­nen (<bib id='Frege 1892a'></bib>). Wahrneh­mung bedeu­tet dabei insbe­sonde­re auch, dass – auf wechseln­de Weise – etwas aus der aktu­ellen Situ­ation als Figur vor den Grund der umge­benden Restsi­tuation geho­ben wird. | ||
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− | In der Tat stehen uns | + | In der Tat stehen uns konkre­te Gegen­stände empi­risch ja stets nur in ihrer gera­de beobacht­baren, daher instan­tanen (auf den aktu­ellen Verhal­tenskon­text beschränk­ten) Weise zur Verfü­gung. Denn die jedem Beobach­tungsbe­griff zugrun­de liegen­de Unter­scheidungs­praxis greift nur in der Gegen­wart. Dass ein Gegen­stand tatsäch­lich über den jewei­ligen Moment der Beobach­tung hinaus ''exis­tiert'', d.h. als ein Gegen­stand mit einer indi­vidu­ellen Bahn durch die Raumzeit für einen Beobach­ter besteht, kann dieser nur durch eine Zuord­nung der jeweils aktu­ellen Erschei­nung unter einen entspre­chenden Objekt­begriff erfas­sen. |
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− | Ein solcher Begriff eines | + | Ein solcher Begriff eines persis­tenten Gegen­stands wird zudem benö­tigt, will man das [[Dezeptiver und immersiver Modus|Phäno­men der Verwechs­lung bzw. Täuschung]] nicht nur erleben, sondern auch begrei­fen: Dass manche Gegen­stände ganz anders gear­teten Gegen­ständen (täuschend) ähnlich sehen können, kann nämlich nur erken­nen, wer momen­tane Erschei­nungswei­se und zeit­über­greifen­de Iden­tität mit­einan­der in Bezie­hung zu setzen versteht. Daher beru­hen auch anspruchs­volle Ähnlich­keitsbe­griffe auf der Fähig­keit des Urtei­lenden, mit verschie­denen Kontex­ten mit unter­schiedli­chen Gege­benheits­weisen von indi­vidu­ierten Gegen­ständen umzu­gehen (⊳ [[Gleichheit, Ähnlichkeit und Identität|Gleichheit, Ähnlich­keit und Iden­tität]]). |
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− | Im Umkehrung davon hatte Frege darauf | + | Im Umkehrung davon hatte Frege darauf hinge­wiesen, dass Iden­titäts­behaup­tungen (etwa: ‘Der Morgen­stern ist der Abend­stern’) nur dann infor­mativ sind (und also als Behaup­tungen wirken können), wenn damit (anschei­nend unver­bunde­ne) Erschei­nungen in verschie­denen Kontex­ten zu Gege­benheits­weisen dessel­ben persis­tenten, indi­vidu­ellen Gegen­stands verbun­den werden. In der Philo­sophie werden Gegen­standbe­griffe dieser Art oft ‘''sorta­le Begrif­fe''’ genannt, entspre­chende Gegen­stände daher auch ‘sorta­le Gegen­stände’ (⊳ [[sortale Gegenstände und Individuation|Sorta­le Gegen­stände und Indi­vidu­ation]]). |
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− | Durch Raum-[[sprachliche Metaphern und allgemeine Metaphorologie| | + | Durch Raum-[[sprachliche Metaphern und allgemeine Metaphorologie|Meta­phorik]] ist es zudem möglich, auch abstrak­te Gegen­stände in Ana­logie zu konkre­ten, indi­vidu­ierten Objek­ten als in quasi-raumzeit­lichen Zusam­menhän­gen befind­lich zu situ­ieren, so dass man (scheinbar) auf sie zeigen und sie auf entspre­chende Weise in Propo­sitio­nen anspre­chen kann.<ref>Im stren­gen Sinn ge­hö­ren auch die zeit­lich aus­ge­dehn­ten sor­ta­len In­di­vi­du­en zu den Ab­s­trak­ta. Die Ver­ge­gen­wär­ti­gung ih­rer raum­zeit­li­chen Spu­ren ist letzt­lich eben­falls ei­ne Raum­me­ta­pher der Zeit.</ref> Der Schule der «cogni­tive linguis­tics» folgend sind derar­tige meta­phori­sche Über­tragun­gen sogar die eigent­liche Basis dafür, über­haupt mit Abstrak­ta umge­hen zu können (vgl. etwa <bib id='Lakoff & Johnson 1980a'></bib>). Der meta­phori­sche [[Raum und Geometrie|Raum]] liefert den Kontext: eine ima­ginä­re Verhal­tenssi­tuation, in der solche eigent­lich nicht raumzeit­lich einge­ordne­te Gegen­stände über­haupt erschei­nen können, so dass es möglich wird, über sie inter­indi­vidu­ell mittels Zeichen­handlun­gen mit Sachbe­zug zu kommu­nizie­ren. |
==Bild und Kontext== | ==Bild und Kontext== | ||
− | Der Zusammenhang zwischen den | + | Der Zusammenhang zwischen den Begrif­fen »Bild« und »Kontext« besteht auf zwei Ebe­nen: Zum einen ist die Bildver­wendung selbst kontext­abhän­gig. Zum ande­ren werden Bilder oft, wenn nicht gar grundsätz­lich, zur Kontext­bildung verwen­det. |
− | === | + | ===Situations­abhän­gigkeit der Bild­ver­wen­dung=== |
− | Abgesehen davon, dass ein | + | Abgesehen davon, dass ein Gegen­stand nur, inso­fern einer ihn auf bestimm­te Weise verwen­det, über­haupt zum Bild wird, macht sich auch inner­halb seiner Verwen­dung als Bild der Einfluss des jewei­ligen Verwen­dungskon­textes unum­gänglich bemerk­bar. Einer­seits hängt die Bildver­wendung etwa direkt von den Lichtver­hältnis­sen im jewei­ligen Kontext ab: Ein Tafel­bild beispiels­weise in einer dämmri­gen Kathe­drale unter durch bunte Glasfens­ter einge­färbtem Licht oder bei flackern­dem Kerzen­schein zu sehen oder aber in einem gut und neutral ausge­leuchte­ten Museums­saal prägt dem jewei­ligen Bilder­lebnis zweifels­ohne einen je eige­nen Stempel auf. Dass die Bildfläche selbst gege­benen­falls durch [[Reflexion und Transparenz|Refle­xion, Transpa­renz oder textur­beding­ten Schatten­wurf]] inde­xika­lische Momen­te aufweist, kann dabei als eine ledig­lich beson­ders ausge­prägte Form dieser eher auf syntak­tische Aspek­te bezo­genen Art von Kontext­abhän­gigkeit verstan­den werden. Soll in dieser Hinsicht also mit Blick auf einen Bildträ­ger von ''dem'' Bild gespro­chen werden, so wird impli­zit eine Standard­situ­ation für Beleuch­tung und inde­xika­lisch wirksa­me Umge­bungsein­flüsse voraus­gesetzt, die keines­wegs inter­kultu­rell eindeu­tig ist. |
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− | Andererseits | + | Andererseits konsti­tuieren die jewei­ligen Verwen­dungsab­sichten der Betei­ligten über­haupt erst die aktu­ell wirksa­men [[Bildinhalt|Bildin­halte]] und [[Referenz|Bildre­feren­zen]]: Ein und dersel­be Bildträ­ger mag daher tatsäch­lich in unter­schiedli­cher Absicht als verschie­dene Bilder erschei­nen. Der in Zeitun­gen publi­zierte Ausschnitt eines von Nick Ut aufge­nomme­nen Photos aus dem Vietnam­krieg wurde entspre­chend sowohl von Kriegsgeg­nern wie -befür­wortern mit ganz unter­schiedli­chen Rollen­zuwei­sungen der abge­bilde­ten Figu­ren verwen­det. Auch hier bleibt bei der Rede von ''dem'' Bild ange­sichts eines Bildträ­gers nur zu oft eine voraus­gesetz­te Standard­situ­ation von Verwen­dungs­inten­tionen und benö­tigtem Kontext­wissen impli­zit. Entspre­chend verwei­sen die neue­ren kunsthis­tori­schen Ansät­ze zurecht auf die Bedeu­tung der expli­ziten ''Kontex­tuali­sierung'' bei jeder Bild­analy­se. |
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− | Des weiteren können im Umfeld | + | Des weiteren können im Umfeld vorhan­dene Bilder die Verwen­dung eines Bildträ­gers beein­flussen: Die Hängung in einer Ausstel­lung, das Zusam­menstel­len in einer Bilder­folge etwa im Rahmen einer Gebrauchs­anwei­sung oder als Comic sind hierfür typi­sche Beispie­le. Zusam­menstel­lungen mit Texten oder Zeichen in ande­ren Medien kommen für diese Art der Kontext­abhän­gigkeit eben­falls in Frage. Aller­dings ist bei solchen Anord­nungen – seien es nun nur Bilder oder Bilder mit ande­ren Medien – darauf zu achten, ob der wechsel­seiti­ge kontex­tuelle Einfluss über­geht zu einer neuen Zeichen­bildung auf höhe­rer Ebene.<ref>In ei­nem dann zu be­trach­ten­den kom­p­le­xen Zei­chen kön­nen die Ele­ment­zei­chen ei­nen Teil ih­rer je­wei­li­gen Cha­rak­te­ris­ti­ken ver­lie­ren: So wer­den vir­tu­el­le Räu­me in im­mer­si­ven Sys­te­men zwar mit Hil­fe von Bil­dern im Zu­sam­men­hang mit Ge­räu­schen auf­ge­baut, doch ver­lie­ren die­se Bil­der da­bei zu­min­dest ten­den­zi­ell den Bild­cha­rak­ter, nimmt man sie im im­mer­si­ven Zu­sam­men­hang doch meist nicht mehr als Bil­der wahr (⊳ [[interaktives Bild|in­ter­ak­ti­ves Bild]], [[Cyberspace|Cy­ber­space]]).</ref> |
===Bildinhalt als Kontext=== | ===Bildinhalt als Kontext=== | ||
− | Von der Renaissance- | + | Von der Renaissance-Vorstel­lung von ''Alber­tis “Fenster”'' bis zur Konzep­tion von Gegen­ständen in ''“reiner Sichtbar­keit”'' in [[phänomenologische Bildtheorien|phäno­meno­logi­schen Bildthe­orien]] des 20. Jh.s sind die mithil­fe von Bildern evo­zierten und inter­indi­vidu­ell vor Augen geführ­ten Szenen als Kontex­te verstan­den worden. Über sie kann man sich etwa mittels sachbe­zügli­cher Sprechak­te austau­schen, auf darin enthal­tene Gegen­stände (oder bestimm­te derer Eigen­schaften) mit Zeige­gesten aufmerk­sam machen. Sofern es sich dabei um sorta­le Gegen­stände handelt, können die im Bild vorge­führten Erschei­nungen mit Erschei­nungen in ande­ren Kontex­ten iden­tifi­ziert werden, etwa mithil­fe von Iden­titäts­behaup­tungen.<ref>Ei­nen Son­der­fall stel­len hier si­cher Bil­der dar, bei de­nen meh­re­re Er­schei­nun­gen des­sel­ben sor­ta­len In­di­vi­du­ums vor­kom­men: Al­ler­dings kön­nen sol­che Exem­pla­re auch als Bild­fol­gen mit un­kla­ren Bild­gren­zen in­ter­pre­tiert wer­den, de­ren Zweck es ins­be­son­de­re ist, Be­zie­hun­gen zwi­schen ver­schie­de­nen Kon­tex­ten her­zu­stel­len.</ref> Gera­de auch beim bildli­chen Zugang zu abstrak­ten “Gegen­ständen” in [[Semantik logischer Bilder|Struktur­bildern]] werden diese an sich nicht raumzeit­lich einord­ba­ren Gegen­stände als (mehr oder weni­ger) eindeu­tig abgrenz­bare räumli­che (oder raumzeit­liche) Enti­täten in einer Situ­ation, einem meta­phori­schen Kontext präsen­tiert, wo sie und bestimm­te ihrer Eigen­schaften und Rela­tionen unter­einan­der in (visu­elle) Erschei­nen treten.<ref>Le­dig­lich für die [[Bild in reflexiver Verwendung|re­fle­xiv ver­wen­de­ten Bil­der]] sind Aus­nah­men mög­lich; ⊳ auch [[Kontextbildung|Kontext­bildung]]. </ref> |
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− | Allerdings bleiben die oben | + | Allerdings bleiben die oben genann­ten Konzep­tionen der Spezi­fität pikto­rialer Kontex­te wichti­ge Aspek­te schuldig: Die Konzep­tion von Alber­tis Fenster igno­riert, dass mit dem Bildge­brauch ein Kontext eröff­net wird, der gemein­hin nicht mit dem Verwen­dungskon­text iden­tisch ist: Die Szene hinter einem echten Fenster bleibt hinge­gen stets einfach nur ein Teil des je aktu­ellen Kontex­tes. Die Bildflä­che wird hier als transpa­rente Glasschei­be missver­standen, wobei die scheinba­re “Transpa­renz des Mediums”, wie sie nur für trompe l'oeils typisch wäre, eine wesent­lichen Kompo­nente der Bildfunk­tion verschlei­ert: Das Heraus­treten aus dem Gege­benen des “Hier und Jetzt”. |
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− | Die Konzeption von | + | Die Konzeption von Gegen­ständen in reiner Sichtbar­keit bezieht sich im Grunde zwar gera­de auf Gegen­ständen, die unter sorta­le Begrif­fe fallen.<ref>Hier­für spre­chen die von den zu­ge­hö­ri­gen Au­to­ren an­ge­führ­ten Bei­spie­le ei­ne ein­deu­ti­ge Spra­che, geht es doch et­wa um Häu­ser; vgl. <bib id='Wiesing 2008a'>Wie­sing 2008a</bib>.</ref> Doch wird dabei außer Acht gelas­sen, dass etwa ein nur sichtba­res Haus, das also weder Gewicht hat noch Wider­stand leistet, wenn man sich daran anlehnt, und sich insge­samt also nicht nach den für (sorta­le) Häuser norma­lerwei­se gelten­den physi­kali­schen Geset­zen verhal­ten würde, über­haupt nicht unter unse­ren übli­chen Begriff eines Hauses fallen würde und somit auch gar nicht ohne Weite­res als Haus klassi­fiziert werden kann: Was aber in einem entspre­chenden Bild erscheint, wird gemein­hin durchaus als ein solches sortales Indi­viduum begrif­fen – oder genau­er: als aktu­elle Erschei­nung eines solchen, denn sorta­le Gegen­stände begeg­nen uns nie anders. Andern­falls würden alle entspre­chenden Sprechak­te, die sich mit ihrem Sachbe­zug auf den Inhalt des [[Theorien des Bildraums|Bildraums]] richten, entwe­der unver­ständlich oder stark erklä­rungsbe­dürftig, denn eine Regel für einen von der Norm abwei­chenden Sonder­gebrauch ist hier keines­wegs offen­sichtlich. So bleibt bei jenen “Gegen­ständen in reiner Sichtbar­keit” also unklar, was für Gegen­stände das eigent­lich sein sollen. |
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− | Die modale Bildtheorie versucht, diese | + | Die modale Bildtheorie versucht, diese Unzu­länglich­keiten der älte­ren Ansät­ze zu vermei­den, indem Bildge­brauch ausdrück­lich als [[Kontextbildung|kontext­bilden­de]] Nutzung von Bildträ­gern ange­setzt wird. Mit dem Bild versucht einer, eine in der Regel nicht anwe­sende Situ­ation als inter­indi­vidu­ell verfüg­baren Kontext zu etab­lieren. Auch für diesen Kontext gelten natür­lich die oben erwähn­ten vier Gebrauchs­zusam­menhän­ge, wobei hier insbe­sonde­re auch die Gestalt­bildung durch visu­elle Wahrneh­mung der Situ­ation verfüg­bar wird (''empi­rische'' Kontext­bildung). |
==Kontext und Diegese== | ==Kontext und Diegese== | ||
− | Der Kontextbegriff der modalen | + | Der Kontextbegriff der modalen Bildthe­orie ist eng verwandt mit der film- und lite­ratur­wissen­schaftli­chen Verwen­dung des Ausdrucks ‘Diege­se’.<ref>Vgl. [http://de.wikipedia.org/wiki/Diegese Wi­ki­pe­dia: Di­e­ge­se].</ref> Nach <bib id='Wulff 2007a'></bib> „hat sich die Bezeich­nung Diege­se für die Weltvor­stellung, die eine [[Fiktion]] anbie­tet, seit Etienne Souriau einge­bürgert“ (S. 40; vgl. <bib id='Souriau 1951a'></bib>; <bib id='Souriau 1953a'></bib>). Für Souriau ist „alles, was man als vom Film darge­stellt betrach­tet und was zur Wirklich­keit, die er in seiner Bedeu­tung voraus­setzt, gehört“ Teil der ‘diégèse’ (<bib id='Souriau 1951a'></bib>: (dt.) S. 151). Ganz entspre­chend begreift auch Domi­nique Chateau die Diege­se eines [[Film]]s als eine durch diver­se Vorga­ben vorstruk­turier­te Menge von Verhal­tenssi­tuatio­nen, die wechsel­seitig zugäng­lich sind (<bib id='Chateau 1976a'></bib>: S. 215). Dabei werden die jewei­ligen Zugän­ge vor allem durch film-narra­tive Ele­mente etab­liert. Von seiner filmwis­senschaft­lichen Einfüh­rung in den 50er Jahren des 20. Jahrhun­derts ist der Diege­sebe­griff beson­ders in Frankreich in den 1970er und 1980er-Jahren in die Lite­ratur­wissen­schaft über­nommen worden (etwa <bib id='Genette 1972a'>Genet­te 1972a</bib>).<ref>Man be­ach­te den Be­deu­tungs­wan­del ge­gen­über dem äl­te­ren, di­rek­ter auf die an­ti­ke Phi­lo­so­phie zu­rück­ge­hen­den Di­e­ge­sis-Be­griff in der Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft (vgl. [http://de.wikipedia.org/wiki/Diegesis Wi­ki­pe­dia: Di­e­ge­sis]): Di­e­ge­sis be­zeich­net ei­nen be­stimm­ten Mo­dus der po­e­ti­schen ''Hand­lung'', der im Ge­gen­satz zur [[Mimesis|Mi­me­sis]] steht. Nicht durch Nach­ah­mung son­dern durch Be­richt wird ein Teil der Welt mo­del­liert. Der mo­der­ne Di­e­ge­se-Be­griff ver­weist hin­ge­gen auf die (als lo­gisch ab­ge­schlos­sen be­grif­fe­ne) Welt­struk­tur, die durch ei­ne po­e­ti­sche Hand­lung “zu­gäng­lich” wird. Da­mit steht Di­e­ge­se dem Kon­text­be­griff na­he, Di­e­ge­sis dem Be­griff der [[Kontextbildung|Kon­text­bil­dung]].</ref> |
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− | Wulff verweist in dem bereits | + | Wulff verweist in dem bereits erwähn­ten Arti­kel unter ande­rem darauf, dass das Diege­tische eines Films in der Regel als ausge­sprochen komple­xe, raumzeit­liche, zudem auf mehre­re Ebe­nen verteil­te Struktur von Situ­atio­nen zu verste­hen ist, in denen die Akteu­re handeln, die von ihnen (und bei Filmen in Grenzen eben auch von den Zuschau­ern) wahrge­nommen werden können – und schließlich: über die (propo­sitio­nal) gespro­chen werden kann. Es handelt sich also, anders gesagt, um eine Vielzahl von mit­einan­der verbun­denen Verhal­tenssi­tuatio­nen – Kontex­ten im oben ausge­führten Sinn. |
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− | Im Gegensatz zum | + | Im Gegensatz zum Kontext­begriff der moda­len Bildthe­orie mit ihren über Einzel­analy­sen weit hinaus­reichen­den Bezü­gen zur logi­schen Propä­deutik, Sprachphi­loso­phie und [[Bildanthropologie|Bildanth­ropo­logie]] wird der Begriff der Diege­se bislang hauptsäch­lich dazu einge­setzt, die Struktu­ren eines Werkes zu ana­lysie­ren.<ref> Vgl. aber auch den Über­sichts­ar­ti­kel zur For­ma­li­sie­rung di­e­ge­ti­scher Be­trach­tun­gen durch mo­dal­lo­gi­sche An­sät­ze in <bib id='Kaczmarek 2007a'>Kacz­ma­rek 2007a</bib>.</ref> |
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* [[Dezeptiver und immersiver Modus]] | * [[Dezeptiver und immersiver Modus]] | ||
* [[Figur/Grund-Differenzierung]] | * [[Figur/Grund-Differenzierung]] | ||
+ | * [[Fiktion]] | ||
* [[Film]] | * [[Film]] | ||
* [[Gleichheit, Ähnlichkeit und Identität]] | * [[Gleichheit, Ähnlichkeit und Identität]] | ||
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+ | ''Ausgabe 1: 2013'' | ||
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− | * [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Jörg R.J. | + | * [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, Jörg R.J. ]] |
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+ | ''Lektorat:'' | ||
+ | * [[Benutzer:Klaus Sachs-Hombach|Sachs-Hombach, Klaus]] | ||
+ | {{GlosTab5}} | ||
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Aktuelle Version vom 10. August 2023, 16:11 Uhr
Unterpunkt zu: Zeichentheorien: Übersicht
English Version: Context
Zeichenhandlungen und ihr KontextAllgemein werden als Kontext einer Zeichenhandlung Aspekte der Äußerungssituation betrachtet, von denen das Gelingen der Zeichenhandlung abhängt ([Levinson 1983a]Levinson, Stephen C. (1983).Pragmatics. Cambridge: Univ. Press. Eintrag in Sammlung zeigen). Das ist besonders augenfällig bei den deiktischen Zeichenkomponenten, bei denen der Zeichennutzer direkt (etwa gestisch) auf Teile der Äußerungssituation zeigt, oder den anaphorischen Zeichenkomponenten, bei denen er Verweise auf andere, unmittelbar vorher durchgeführte Zeichenhandlungen (eigene und andere, insbesondere an ihn gerichtete) verwendet. Es wird aber auch dem Einfluss des jeweiligen Kontextes zugeschrieben, wenn eigentlich mehrdeutige Ausdrücke ohne entsprechende Erläuterung verstanden werden: Ist etwa im Zusammenhang mit einer Finanzkrise von einer ‘Bank’ die Rede, wird, wegen dieses Kontextes, niemand an ein Parkmöbel denken. Auch bei Bildern können Inhalt und Verwendungsweise von Aspekten der Gebrauchssituation abhängig sein.
Kontext und SachbezugDarüber hinaus kann nur im Zusammenhang mit einem zugehörigen Kontext vom Sachbezug einer Zeichenhandlung die Rede sein, denn der Sachbezug hängt von der Modalität der Zeichenhandlung ab. Das heißt, er lässt sich nur relativ zu einer Situation bestimmen, die man wahrnehmen oder zu der man sich verhalten kann. Dies gilt insbesondere für die Nomination, mit der, als einer notwendigen Teilhandlung jeder Proposition, versucht wird, einen Gegenstand aus dem jeweils aktuellen Diskursuniversum zu identifizieren (vgl. [Tugendhat 1976a]Tugendhat, Ernst (1976).Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Eintrag in Sammlung zeigen). Situations and Attitudes. Cambridge, MA: MIT Press. Eintrag in Sammlung zeigen), Possible World Semantics ([Kripke 1972a]Kripke, Saul A. (1972). Naming and Necessity. In Semantics of Natural Language, 253-355, 763-769. Eintrag in Sammlung zeigen), Mental Spaces Theory ([Fauconnier 1985a]Gilles Fauconnier (1985). Mental Spaces - Aspects of Meaning Construction in Natural Language. Cambridge, MA: MIT Press. Eintrag in Sammlung zeigen) oder auch innerhalb der Discourse Structure Theory ([Kamp 1990a]Hans Kamp (1990). On the Representation and Transmission of Information: Sketch of a Theory of Verbal Communication Based On Discourse Representation Theory. In Natural Language and Speech, 135-158. Eintrag in Sammlung zeigen).[1] Bilder —— Kontextbilder. In Bildhandeln – Interdisziplinäre Forschungen zur Pragmatik bildhafter Darstellungsformen, 77-100. Eintrag in Sammlung zeigen). Als potentiell interindividuell geteilte Situationen stehen Kontexte mithin in den folgenden Zusammenhängen:
Da die jeweils aktuelle Umwelt eines Wesens die Basis für den Kontextbegriff liefert und damit alles einschließt, was es in der Situation wahrnimmt, kann man sich Kontexte grob vereinfacht als Raumzeit-Blasen vorstellen, die das Individuum umhüllen und in denen es agiert. Abgesehen von der je aktuellen Verhaltenssituation eröffnet uns nur Zeichengebrauch den Zugang zu anderen, nicht-gegenwärtigen Kontexten: Die menschliche Aufmerksamkeit kann auf andere Situationen – räumlich oder zeitlich verschobene, abstrakte, hypothetische, fiktive, etc. – nur dadurch gerichtet werden, dass wir uns gegenseitig (oder uns selbst in der Rolle eines anderen) durch eine Zeichenhandlung auf jenen Kontext aufmerksam machen. Eine Zeichenhandlung, die das ermöglicht, erfüllt die pragmatische Funktion der Kontextbildung.
Gegenstände und VerhaltenssituationenDer Zusammenhang zwischen konkreten Gegenständen und Verhaltenssituationen ist für den Kontextbegriff von großer Relevanz: Konkrete Gegenstände kommen nie isoliert vor, sondern begegnen uns stets in raumzeitlichen Zusammenhängen mit anderen Gegenständen. Die je aktuellen Situationen sind daher gegenüber den Gegenständen primär. Als Gegenstände (im engeren Sinn) erscheinen sie nur, insofern sie als Teil verschiedener Situationen verstanden werden – insofern sie uns in verschiedenen Gegebenheitsweisen begegnen ([Frege 1892a]Gottlob Frege (1892).Über Sinn und Bedeutung. In Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, 100, 25-50. Eintrag in Sammlung zeigen). Wahrnehmung bedeutet dabei insbesondere auch, dass – auf wechselnde Weise – etwas aus der aktuellen Situation als Figur vor den Grund der umgebenden Restsituation gehoben wird. In der Tat stehen uns konkrete Gegenstände empirisch ja stets nur in ihrer gerade beobachtbaren, daher instantanen (auf den aktuellen Verhaltenskontext beschränkten) Weise zur Verfügung. Denn die jedem Beobachtungsbegriff zugrunde liegende Unterscheidungspraxis greift nur in der Gegenwart. Dass ein Gegenstand tatsächlich über den jeweiligen Moment der Beobachtung hinaus existiert, d.h. als ein Gegenstand mit einer individuellen Bahn durch die Raumzeit für einen Beobachter besteht, kann dieser nur durch eine Zuordnung der jeweils aktuellen Erscheinung unter einen entsprechenden Objektbegriff erfassen. Ein solcher Begriff eines persistenten Gegenstands wird zudem benötigt, will man das Phänomen der Verwechslung bzw. Täuschung nicht nur erleben, sondern auch begreifen: Dass manche Gegenstände ganz anders gearteten Gegenständen (täuschend) ähnlich sehen können, kann nämlich nur erkennen, wer momentane Erscheinungsweise und zeitübergreifende Identität miteinander in Beziehung zu setzen versteht. Daher beruhen auch anspruchsvolle Ähnlichkeitsbegriffe auf der Fähigkeit des Urteilenden, mit verschiedenen Kontexten mit unterschiedlichen Gegebenheitsweisen von individuierten Gegenständen umzugehen (⊳ Gleichheit, Ähnlichkeit und Identität). Im Umkehrung davon hatte Frege darauf hingewiesen, dass Identitätsbehauptungen (etwa: ‘Der Morgenstern ist der Abendstern’) nur dann informativ sind (und also als Behauptungen wirken können), wenn damit (anscheinend unverbundene) Erscheinungen in verschiedenen Kontexten zu Gegebenheitsweisen desselben persistenten, individuellen Gegenstands verbunden werden. In der Philosophie werden Gegenstandbegriffe dieser Art oft ‘sortale Begriffe’ genannt, entsprechende Gegenstände daher auch ‘sortale Gegenstände’ (⊳ Sortale Gegenstände und Individuation). Metaphors We Live By. Chicago & London: Univ. of Chicago. Eintrag in Sammlung zeigen). Der metaphorische Raum liefert den Kontext: eine imaginäre Verhaltenssituation, in der solche eigentlich nicht raumzeitlich eingeordnete Gegenstände überhaupt erscheinen können, so dass es möglich wird, über sie interindividuell mittels Zeichenhandlungen mit Sachbezug zu kommunizieren.
Bild und KontextDer Zusammenhang zwischen den Begriffen »Bild« und »Kontext« besteht auf zwei Ebenen: Zum einen ist die Bildverwendung selbst kontextabhängig. Zum anderen werden Bilder oft, wenn nicht gar grundsätzlich, zur Kontextbildung verwendet. Situationsabhängigkeit der BildverwendungAbgesehen davon, dass ein Gegenstand nur, insofern einer ihn auf bestimmte Weise verwendet, überhaupt zum Bild wird, macht sich auch innerhalb seiner Verwendung als Bild der Einfluss des jeweiligen Verwendungskontextes unumgänglich bemerkbar. Einerseits hängt die Bildverwendung etwa direkt von den Lichtverhältnissen im jeweiligen Kontext ab: Ein Tafelbild beispielsweise in einer dämmrigen Kathedrale unter durch bunte Glasfenster eingefärbtem Licht oder bei flackerndem Kerzenschein zu sehen oder aber in einem gut und neutral ausgeleuchteten Museumssaal prägt dem jeweiligen Bilderlebnis zweifelsohne einen je eigenen Stempel auf. Dass die Bildfläche selbst gegebenenfalls durch Reflexion, Transparenz oder texturbedingten Schattenwurf indexikalische Momente aufweist, kann dabei als eine lediglich besonders ausgeprägte Form dieser eher auf syntaktische Aspekte bezogenen Art von Kontextabhängigkeit verstanden werden. Soll in dieser Hinsicht also mit Blick auf einen Bildträger von dem Bild gesprochen werden, so wird implizit eine Standardsituation für Beleuchtung und indexikalisch wirksame Umgebungseinflüsse vorausgesetzt, die keineswegs interkulturell eindeutig ist. Andererseits konstituieren die jeweiligen Verwendungsabsichten der Beteiligten überhaupt erst die aktuell wirksamen Bildinhalte und Bildreferenzen: Ein und derselbe Bildträger mag daher tatsächlich in unterschiedlicher Absicht als verschiedene Bilder erscheinen. Der in Zeitungen publizierte Ausschnitt eines von Nick Ut aufgenommenen Photos aus dem Vietnamkrieg wurde entsprechend sowohl von Kriegsgegnern wie -befürwortern mit ganz unterschiedlichen Rollenzuweisungen der abgebildeten Figuren verwendet. Auch hier bleibt bei der Rede von dem Bild angesichts eines Bildträgers nur zu oft eine vorausgesetzte Standardsituation von Verwendungsintentionen und benötigtem Kontextwissen implizit. Entsprechend verweisen die neueren kunsthistorischen Ansätze zurecht auf die Bedeutung der expliziten Kontextualisierung bei jeder Bildanalyse. Des weiteren können im Umfeld vorhandene Bilder die Verwendung eines Bildträgers beeinflussen: Die Hängung in einer Ausstellung, das Zusammenstellen in einer Bilderfolge etwa im Rahmen einer Gebrauchsanweisung oder als Comic sind hierfür typische Beispiele. Zusammenstellungen mit Texten oder Zeichen in anderen Medien kommen für diese Art der Kontextabhängigkeit ebenfalls in Frage. Allerdings ist bei solchen Anordnungen – seien es nun nur Bilder oder Bilder mit anderen Medien – darauf zu achten, ob der wechselseitige kontextuelle Einfluss übergeht zu einer neuen Zeichenbildung auf höherer Ebene.[5] Bildinhalt als KontextVon der Renaissance-Vorstellung von Albertis “Fenster” bis zur Konzeption von Gegenständen in “reiner Sichtbarkeit” in phänomenologischen Bildtheorien des 20. Jh.s sind die mithilfe von Bildern evozierten und interindividuell vor Augen geführten Szenen als Kontexte verstanden worden. Über sie kann man sich etwa mittels sachbezüglicher Sprechakte austauschen, auf darin enthaltene Gegenstände (oder bestimmte derer Eigenschaften) mit Zeigegesten aufmerksam machen. Sofern es sich dabei um sortale Gegenstände handelt, können die im Bild vorgeführten Erscheinungen mit Erscheinungen in anderen Kontexten identifiziert werden, etwa mithilfe von Identitätsbehauptungen.[6] Gerade auch beim bildlichen Zugang zu abstrakten “Gegenständen” in Strukturbildern werden diese an sich nicht raumzeitlich einordbaren Gegenstände als (mehr oder weniger) eindeutig abgrenzbare räumliche (oder raumzeitliche) Entitäten in einer Situation, einem metaphorischen Kontext präsentiert, wo sie und bestimmte ihrer Eigenschaften und Relationen untereinander in (visuelle) Erscheinen treten.[7] Allerdings bleiben die oben genannten Konzeptionen der Spezifität piktorialer Kontexte wichtige Aspekte schuldig: Die Konzeption von Albertis Fenster ignoriert, dass mit dem Bildgebrauch ein Kontext eröffnet wird, der gemeinhin nicht mit dem Verwendungskontext identisch ist: Die Szene hinter einem echten Fenster bleibt hingegen stets einfach nur ein Teil des je aktuellen Kontextes. Die Bildfläche wird hier als transparente Glasscheibe missverstanden, wobei die scheinbare “Transparenz des Mediums”, wie sie nur für trompe l'oeils typisch wäre, eine wesentlichen Komponente der Bildfunktion verschleiert: Das Heraustreten aus dem Gegebenen des “Hier und Jetzt”. Die Konzeption von Gegenständen in reiner Sichtbarkeit bezieht sich im Grunde zwar gerade auf Gegenständen, die unter sortale Begriffe fallen.[8] Doch wird dabei außer Acht gelassen, dass etwa ein nur sichtbares Haus, das also weder Gewicht hat noch Widerstand leistet, wenn man sich daran anlehnt, und sich insgesamt also nicht nach den für (sortale) Häuser normalerweise geltenden physikalischen Gesetzen verhalten würde, überhaupt nicht unter unseren üblichen Begriff eines Hauses fallen würde und somit auch gar nicht ohne Weiteres als Haus klassifiziert werden kann: Was aber in einem entsprechenden Bild erscheint, wird gemeinhin durchaus als ein solches sortales Individuum begriffen – oder genauer: als aktuelle Erscheinung eines solchen, denn sortale Gegenstände begegnen uns nie anders. Andernfalls würden alle entsprechenden Sprechakte, die sich mit ihrem Sachbezug auf den Inhalt des Bildraums richten, entweder unverständlich oder stark erklärungsbedürftig, denn eine Regel für einen von der Norm abweichenden Sondergebrauch ist hier keineswegs offensichtlich. So bleibt bei jenen “Gegenständen in reiner Sichtbarkeit” also unklar, was für Gegenstände das eigentlich sein sollen. Die modale Bildtheorie versucht, diese Unzulänglichkeiten der älteren Ansätze zu vermeiden, indem Bildgebrauch ausdrücklich als kontextbildende Nutzung von Bildträgern angesetzt wird. Mit dem Bild versucht einer, eine in der Regel nicht anwesende Situation als interindividuell verfügbaren Kontext zu etablieren. Auch für diesen Kontext gelten natürlich die oben erwähnten vier Gebrauchszusammenhänge, wobei hier insbesondere auch die Gestaltbildung durch visuelle Wahrnehmung der Situation verfügbar wird (empirische Kontextbildung).
Kontext und DiegeseDer Kontextbegriff der modalen Bildtheorie ist eng verwandt mit der film- und literaturwissenschaftlichen Verwendung des Ausdrucks ‘Diegese’.[9] Nach [Wulff 2007a]Wulff, Hans J. (2007).Schichtenbau und Prozesshaftigkeit des Diegetischen: Zwei Anmerkungen. In montage AV - Zeitschrift für Theorie & Geschichte audiovisueller Kommunikation, 16, 2: Thema Diegese, 39-51. Eintrag in Sammlung zeigen „hat sich die Bezeichnung Diegese für die Weltvorstellung, die eine Fiktion anbietet, seit Etienne Souriau eingebürgert“ (S. 40; vgl. [Souriau 1951a]Souriau, Etienne (1951). La structure de l’univers filmique et le vocabulaire de la filmologie. In Revue de Filmologie, 7, 8, 231–240, Dt.: Die Struktur des filmischen Universums und das Vokabular der Filmologie. In: Montage AV 6,2, 1997, S. 140–157. Eintrag in Sammlung zeigen; [Souriau 1953a]Souriau, Etienne (1953). L’Univers filmique. Paris: Flammarion. Eintrag in Sammlung zeigen). Für Souriau ist „alles, was man als vom Film dargestellt betrachtet und was zur Wirklichkeit, die er in seiner Bedeutung voraussetzt, gehört“ Teil der ‘diégèse’ ([Souriau 1951a]Souriau, Etienne (1951). La structure de l’univers filmique et le vocabulaire de la filmologie. In Revue de Filmologie, 7, 8, 231–240, Dt.: Die Struktur des filmischen Universums und das Vokabular der Filmologie. In: Montage AV 6,2, 1997, S. 140–157. Eintrag in Sammlung zeigen: (dt.) S. 151). Ganz entsprechend begreift auch Dominique Chateau die Diegese eines Films als eine durch diverse Vorgaben vorstrukturierte Menge von Verhaltenssituationen, die wechselseitig zugänglich sind ([Chateau 1976a]Chateau, Dominique (1976). La sémantique du récit. In Semiotica, 18, 201-216. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 215). Dabei werden die jeweiligen Zugänge vor allem durch film-narrative Elemente etabliert. Von seiner filmwissenschaftlichen Einführung in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts ist der Diegesebegriff besonders in Frankreich in den 1970er und 1980er-Jahren in die Literaturwissenschaft übernommen worden (etwa [Genette 1972a]Genette, Gérard (1972). Figures III. Paris: Seuil. Eintrag in Sammlung zeigen).[10] Wulff verweist in dem bereits erwähnten Artikel unter anderem darauf, dass das Diegetische eines Films in der Regel als ausgesprochen komplexe, raumzeitliche, zudem auf mehrere Ebenen verteilte Struktur von Situationen zu verstehen ist, in denen die Akteure handeln, die von ihnen (und bei Filmen in Grenzen eben auch von den Zuschauern) wahrgenommen werden können – und schließlich: über die (propositional) gesprochen werden kann. Es handelt sich also, anders gesagt, um eine Vielzahl von miteinander verbundenen Verhaltenssituationen – Kontexten im oben ausgeführten Sinn. Im Gegensatz zum Kontextbegriff der modalen Bildtheorie mit ihren über Einzelanalysen weit hinausreichenden Bezügen zur logischen Propädeutik, Sprachphilosophie und Bildanthropologie wird der Begriff der Diegese bislang hauptsächlich dazu eingesetzt, die Strukturen eines Werkes zu analysieren.[11] Siehe auch:
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Anmerkungen
[Barwise & Perry 1984a]: Jon Barwise & John Perry (1984). Situations and Attitudes. Cambridge, MA: MIT Press.
[Brentano 1874a]: Ausgabe 1: 2013 Verantwortlich: Lektorat: Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [31], Klaus Sachs-Hombach [3] und Emilia Didier [1] — (Hinweis) Zitierhinweis: [Schirra 2013g-o]Literaturangabe fehlt. |