Kontext: Unterschied zwischen den Versionen

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K (Bildinhalt als Kontext)
K (Kontext und Sachbezug)
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Kontexte in diesem Sinn sind also von der Verwendungssituation eines Zeichens auf beliebige Situationen verallgemeinert. Zeichenhandlungen mit Sachbezug haben daher prinzipiell einen doppelten Kontextbezug, nämlich einerseits hinsichtlich ihrer Verwendungssituation und andererseits hinsichtlich des (in der Regel davon abweichenden) Kontextes für ihren Sachbezug. Formale linguistisch-logische Ansätze zu Kontexten finden sich etwa als ''Situation Semantics'' (<bib id='Barwise & Perry 1984a'></bib>), ''Possible World Semantics'' (<bib id='Kripke 1972a'></bib>), ''Mental Spaces Theory'' (<bib id='Fauconnier 1985a'></bib>) oder auch innerhalb der ''Discourse Structure Theory'' (<bib id='Kamp 1990a'>Kamp 1990a</bib>).
 
Kontexte in diesem Sinn sind also von der Verwendungssituation eines Zeichens auf beliebige Situationen verallgemeinert. Zeichenhandlungen mit Sachbezug haben daher prinzipiell einen doppelten Kontextbezug, nämlich einerseits hinsichtlich ihrer Verwendungssituation und andererseits hinsichtlich des (in der Regel davon abweichenden) Kontextes für ihren Sachbezug. Formale linguistisch-logische Ansätze zu Kontexten finden sich etwa als ''Situation Semantics'' (<bib id='Barwise & Perry 1984a'></bib>), ''Possible World Semantics'' (<bib id='Kripke 1972a'></bib>), ''Mental Spaces Theory'' (<bib id='Fauconnier 1985a'></bib>) oder auch innerhalb der ''Discourse Structure Theory'' (<bib id='Kamp 1990a'>Kamp 1990a</bib>).
 
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Kontexte lassen sich zwar in erster Annäherung umschreiben als ''strukturierte Mengen von intentionalen Gegenständen'', auf die man sich unter günstigen Bedingungen kommunikativ beziehen kann.<ref>Intentionaler Gegenstand ist alles, worauf jemand seine Aufmerksamkeit richtet, unabhängig davon, ob es sich um ein reales, fiktives, halluziniertes oder zukünftiges geplantes Objekt handelt; vgl. insbesondere <bib id='Brentano 1874a'></bib>, <bib id='Meinong 1907a'></bib> und <bib id='Husserl 1929a'></bib>. Vgl, auch [http://de.wikipedia.org/wiki/Intentionalit%C3%A4t Wikipedia: Intentionalität].</ref> Adäquater ist allerdings die Festlegung als potentielle ''Verhaltenssituationen'', auf die jemand seine Aufmerksamkeit richtet. Denn einerseits erfüllen Verhaltenssituationen intrinsisch die Eigenschaft der deduktiven Vollständigkeit, die über beliebigen Gegenstandsmengen erst extrinsisch erzeugt werden muss: Eine Situation wird in ihrer Totalität stets als in sich konsistent vorausgesetzt,<ref> Inkonsistent sind höchstens Interpretationen einer Situation.</ref> was für schlichte Mengen von Gegenständen nicht notwendig gilt. Andererseits sind Verhaltenssituationen interpretationsoffen: Eine Situation, in der man sich befindet, legt als solche bekanntlich noch nicht fest, ob man sie als Konfiguration miteinander wechselwirkender Elementarteilchen, als Ansammlung miteinander reagierender Moleküle, als interagierende Lebewesen oder als mehr oder weniger sachlich miteinander argumentierende Parteivorsitzende begreift. Um was für eine Art von Gegenstandsmenge es sich handelt, kann bei einem Kontext entsprechend unbestimmt bleiben. Es sind die auf den Kontext bezogene Sachbezüge von Zeichenhandlungen, durch deren [[Prädikation]]en eine Zuordnung zu bestimmten Begriffsfeldern erfolgt. Speziell in der modalen Bildtheorie spielt der Begriff des Kontextes eine zentrale Rolle (<bib id='Schirra 2001a'></bib>).     
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Kontexte lassen sich zwar in erster Annäherung umschreiben als ''strukturierte Mengen von intentionalen Gegenständen'', auf die man sich unter günstigen Bedingungen kommunikativ beziehen kann.<ref>Intentionaler Gegenstand ist alles, worauf jemand seine Aufmerksamkeit richtet, unabhängig davon, ob es sich um ein reales, fiktives, halluziniertes oder zukünftiges geplantes Objekt handelt; vgl. insbesondere <bib id='Brentano 1874a'></bib>, <bib id='Meinong 1907a'></bib> und <bib id='Husserl 1929a'></bib>. Vgl. auch [http://de.wikipedia.org/wiki/Intentionalit%C3%A4t Wikipedia: Intentionalität].</ref> Adäquater ist allerdings die Festlegung als potentielle ''Verhaltenssituationen'', auf die jemand seine Aufmerksamkeit richtet. Denn einerseits erfüllen Verhaltenssituationen intrinsisch die Eigenschaft der deduktiven Vollständigkeit, die über beliebigen Gegenstandsmengen erst extrinsisch erzeugt werden muss: Eine Situation wird in ihrer Totalität stets als in sich konsistent vorausgesetzt,<ref> Inkonsistent sind höchstens Interpretationen einer Situation.</ref> was für schlichte Mengen von Gegenständen nicht notwendig gilt. Andererseits sind Verhaltenssituationen interpretationsoffen: Eine Situation, in der man sich befindet, legt als solche bekanntlich noch nicht fest, ob man sie als Konfiguration miteinander wechselwirkender Elementarteilchen, als Ansammlung miteinander reagierender Moleküle, als interagierende Lebewesen oder als mehr oder weniger sachlich miteinander argumentierende Parteivorsitzende begreift. Um was für eine Art von Gegenstandsmenge es sich handelt, kann bei einem Kontext entsprechend unbestimmt bleiben. Es sind die auf den Kontext bezogene Sachbezüge von Zeichenhandlungen, durch deren [[Prädikation]]en eine Zuordnung zu bestimmten Begriffsfeldern erfolgt. Speziell in der modalen Bildtheorie spielt der Begriff des Kontextes eine zentrale Rolle (<bib id='Schirra 2001a'></bib>).     
 
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Als potentiell interindividuell geteilte Situationen stehen Kontexte mithin in den folgenden Zusammenhängen:
 
Als potentiell interindividuell geteilte Situationen stehen Kontexte mithin in den folgenden Zusammenhängen:

Version vom 25. Juli 2013, 12:00 Uhr

Unterpunkt zu: Zeichentheorien: Übersicht


Zeichenhandlungen und ihr Kontext

Allgemein werden als Kontext einer Zeichenhandlung Aspekte der Äußerungssituation betrachtet, von denen das Gelingen der Zeichenhandlung abhängt ([Levinson 1983a]). Das ist besonders augenfällig bei den deiktischen Zeichenkomponenten, bei denen der Zeichennutzer direkt (etwa gestisch) auf Teile der Äußerungssituation zeigt, oder den anaphorischen Zeichen­komponenten, bei denen er Verweise auf andere, unmittelbar vorher durchgeführte Zeichenhandlungen (eigene und andere, insbesondere an ihn gerichtete) verwendet.

Es wird aber auch dem Einfluss des jeweiligen Kontextes zugeschrieben, wenn eigentlich mehrdeutige Ausdrücke ohne entsprechende Erläuterung verstanden werden: Ist etwa im Zusammenhang mit einer Finanzkrise von einer ‘Bank’ die Rede, wird, wegen dieses Kontextes, niemand an ein Parkmöbel denken. Auch bei Bildern können Inhalt und Verwendungsweise von Aspekten der Gebrauchssituation abhängig sein.


Kontext und Sachbezug

Darüber hinaus kann nur im Zusammenhang mit einem zugehörigen Kontext vom Sachbezug einer Zeichenhandlung die Rede sein, denn der Sachbezug hängt von der Modalität der Zeichenhandlung ab. Das heißt, er lässt sich nur relativ zu einer Situation bestimmen, die man wahrnehmen oder zu der man sich verhalten kann. Dies gilt insbesondere für die Nomination, mit der, als einer notwendigen Teilhandlung jeder Proposition, versucht wird, einen Gegenstand aus dem jeweils aktuellen Diskursuniversum zu identifizieren (vgl. [Tugendhat 1976a]).

Kontexte in diesem Sinn sind also von der Verwendungssituation eines Zeichens auf beliebige Situationen verallgemeinert. Zeichenhandlungen mit Sachbezug haben daher prinzipiell einen doppelten Kontextbezug, nämlich einerseits hinsichtlich ihrer Verwendungssituation und andererseits hinsichtlich des (in der Regel davon abweichenden) Kontextes für ihren Sachbezug. Formale linguistisch-logische Ansätze zu Kontexten finden sich etwa als Situation Semantics ([Barwise & Perry 1984a]), Possible World Semantics ([Kripke 1972a]), Mental Spaces Theory ([Fauconnier 1985a]) oder auch innerhalb der Discourse Structure Theory ([Kamp 1990a]).

Kontexte lassen sich zwar in erster Annäherung umschreiben als strukturierte Mengen von intentionalen Gegenständen, auf die man sich unter günstigen Bedingungen kommunikativ beziehen kann.[1] Adäquater ist allerdings die Festlegung als potentielle Verhaltenssituationen, auf die jemand seine Aufmerksamkeit richtet. Denn einerseits erfüllen Verhaltenssituationen intrinsisch die Eigenschaft der deduktiven Vollständigkeit, die über beliebigen Gegenstandsmengen erst extrinsisch erzeugt werden muss: Eine Situation wird in ihrer Totalität stets als in sich konsistent vorausgesetzt,[2] was für schlichte Mengen von Gegenständen nicht notwendig gilt. Andererseits sind Verhaltenssituationen interpretationsoffen: Eine Situation, in der man sich befindet, legt als solche bekanntlich noch nicht fest, ob man sie als Konfiguration miteinander wechselwirkender Elementarteilchen, als Ansammlung miteinander reagierender Moleküle, als interagierende Lebewesen oder als mehr oder weniger sachlich miteinander argumentierende Parteivorsitzende begreift. Um was für eine Art von Gegenstandsmenge es sich handelt, kann bei einem Kontext entsprechend unbestimmt bleiben. Es sind die auf den Kontext bezogene Sachbezüge von Zeichenhandlungen, durch deren Prädikationen eine Zuordnung zu bestimmten Begriffsfeldern erfolgt. Speziell in der modalen Bildtheorie spielt der Begriff des Kontextes eine zentrale Rolle ([Schirra 2001a]).

Als potentiell interindividuell geteilte Situationen stehen Kontexte mithin in den folgenden Zusammenhängen:

  • Sie sind das, worauf sich Aussagen (allgemeiner: Propositionen) beziehen;
  • Sie sind das, was in der Wahrnehmung Figur/Grund-Unterscheidungen unterworfen wird;
  • Sie sind das, worauf man reagiert (im Sinne Uexkülls: die jeweilige Umwelt);
  • Sie sind das, worin Gegenstände (im engeren Sinn, oder metaphorisch) jeweils erscheinen.

Da die jeweils aktuelle Umwelt eines Wesens die Basis für den Kontextbegriff liefert und damit alles einschließt, was es in der Situation wahrnimmt, kann man sich Kontexte grob vereinfacht als Raumzeit-Blasen vorstellen, die das Individuum umhüllen und in denen es agiert.

Abgesehen von der je aktuellen Verhaltenssituation eröffnet uns nur Zeichengebrauch den Zugang zu anderen, nicht-gegenwärtigen Kontexten: Die menschliche Aufmerksamkeit kann auf andere Situationen – räumlich oder zeitlich verschobene, abstrakte, hypothetische, fiktive, etc. – nur dadurch gerichtet werden, dass wir uns gegenseitig (oder uns selbst in der Rolle eines anderen) durch eine Zeichenhandlung auf jenen Kontext aufmerksam machen. Eine Zeichenhandlung, die das ermöglicht, erfüllt die pragmatische Funktion der Kontextbildung.

Gegenstände und Verhaltenssituationen

Der Zusammenhang zwischen konkreten Gegenständen und Verhaltenssituationen ist für den Kontextbegriff von großer Relevanz: Konkrete Gegenstände kommen nie isoliert vor, sondern begegnen uns stets in raumzeitlichen Zusammenhängen mit anderen Gegenständen. Die je aktuellen Situationen sind daher gegenüber den Gegenständen primär. Als Gegenstände (im engeren Sinn) erscheinen sie nur, insofern sie als Teil verschiedener Situationen verstanden werden – insofern sie uns in verschiedenen Gegebenheitsweisen begegnen ([Frege 1892a]). Wahrnehmung bedeutet dabei insbesondere auch, dass – auf wechselnde Weise – etwas aus der aktuellen Situation als Figur vor den Grund der umgebenden Restsituation gehoben wird.

In der Tat stehen uns konkrete Gegenstände empirisch ja stets nur in ihrer gerade beobachtbaren, daher instantanen (auf den aktuellen Verhaltenskontext beschränkten) Weise zur Verfügung. Denn die jedem Beobachtungsbegriff zugrunde liegende Unterscheidungspraxis greift nur in der Gegenwart. Dass ein Gegenstand tatsächlich über den jeweiligen Moment der Beobachtung hinaus "existiert", d.h. als ein Gegenstand mit einer individuellen Bahn durch die Raumzeit für einen Beobachter besteht, kann dieser nur durch eine Zuordnung der jeweils aktuellen Erscheinung unter einen entsprechenden Objektbegriff erfassen.

Ein solcher Begriff eines persistenten Gegenstands wird zudem benötigt, will man das Phänomen der Verwechslung bzw. Täuschung nicht nur erleben, sondern auch begreifen: Dass manche Gegenstände ganz anderes gearteten Gegenständen (täuschend) ähnlich sehen können, kann nämlich nur erkennen, wer momentane Erscheinungsweise und zeitübergreifende Identität miteinander in Beziehung zu setzen versteht. Daher beruhen auch anspruchsvolle Ähnlichkeitsbegriffe auf der Fähigkeit des Urteilenden, mit verschiedenen Kontexte mit unterschiedlichen Gegebenheitsweisen von individuierten Gegenständen umzugehen (⊳ Gleichheit, Ähnlichkeit und Identität).

Im Umkehrung davon hatte Frege darauf hingewiesen, dass Identitätsbehauptungen (etwa: ‘Der Morgenstern ist der Abendstern’) nur dann informativ sind (und also als Behauptungen wirken können), wenn damit (anscheinend unverbundene) Erscheinungen in verschiedenen Kontexten zu Gegebenheitsweisen desselben persistenten, individuellen Gegenstands verbunden werden. In der Philosophie werden Gegenstandbegriffe dieser Art oft ‘sortale Begriffe’ genannt, entsprechende Gegenstände daher auch ‘sortale Gegenstände’ (⊳ sortale Gegenstände und Individuation).

Durch Raum-Metaphorik ist es zudem möglich, auch abstrakte Gegenstände in Analogie zu konkreten, individuierten Objekten als in quasi-raumzeitlichen Zusammenhängen befindlich zu situieren, so dass man (scheinbar) auf sie zeigen und sie auf entsprechende Weise in Propositionen ansprechen kann.[3] Der Schule der cognitive linguistics folgend sind derartige metaphorische Übertragungen sogar die eigentliche Basis dafür, überhaupt mit Abstrakta umgehen zu können (vgl. etwa [Lakoff & Johnson 1980a]). Der metaphorische Raum liefert den Kontext: eine imaginäre Verhaltenssituation, in der solche eigentlich nicht raumzeitlich eingeordnete Gegenstände überhaupt erscheinen können, so dass es möglich wird, über sie interindividuell mittels Zeichenhandlungen mit Sachbezug zu kommunizieren.


Bild und Kontext

Der Zusammenhang zwischen den Begriffen »Bild« und »Kontext«  besteht auf zwei Ebenen: Zum einen ist die Bildverwendung selbst kontextabhängig. Zum anderen werden Bilder oft, wenn nicht gar grundsätzlich, zur Kontextbildung verwendet.

Situationsabhängigkeit der Bildverwendung

Abgesehen davon, dass ein Gegenstand nur, insofern einer ihn auf bestimmte Weise verwendet, überhaupt zum Bild wird, macht sich auch innerhalb seiner Verwendung als Bild der Einfluss des jeweiligen Verwendungskontextes unumgänglich bemerkbar. Einerseits hängt die Bildverwendung etwa direkt von den Lichtverhältnissen im jeweiligen Kontext ab: Ein Tafelbild beispielsweise in einer dämmrigen Kathedrale unter durch bunte Glasfenster eingefärbtem Licht oder bei flackerndem Kerzenschein zu sehen oder aber in einem gut und neutral ausgeleuchteten Museumssaal prägt dem jeweiligen Bilderlebnis zweifelsohne einen je eigenen Stempel auf. Dass die Bildfläche selbst gegebenenfalls durch Reflexion, Transparenz oder texturbedingten Schattenwurf indexikalische Momente aufweist, kann dabei als eine lediglich besonders ausgeprägte Form dieser eher auf syntaktische Aspekte bezogenen Art von Kontextabhängigkeit verstanden werden. Soll in dieser Hinsicht also mit Blick auf einen Bildträger von dem Bild gesprochen werden, so wird implizit eine Standardsituation für Beleuchtung und indexikalisch wirksame Umgebungseinflüsse vorausgesetzt, die keineswegs interkulturell eindeutig ist.

Andererseits konstituieren die jeweiligen Verwendungsabsichten der Beteiligten überhaupt erst die aktuell wirksamen Bildinhalte und Bildreferenzen: Ein und derselbe Bildträger mag daher tatsächlich in unterschiedlicher Absicht als verschiedene Bilder erscheinen. Der in Zeitungen publizierte Ausschnitt eines von Nick Ut aufgenommenen Photos aus dem Vietnamkrieg wurde entsprechend sowohl von Kriegsgegnern wie -befürwortern mit ganz unterschiedlichen Rollenzuweisungen der abgebildeten Figuren verwendet. Auch hier bleibt bei der Rede von dem Bild angesichts eines Bildträgers nur zu oft eine vorausgesetzte Standardsituation von Verwendungs­intentionen und benötigtem Kontextwissen implizit. Entsprechend verweisen die neueren kunsthistorischen Ansätze zurecht auf die Bedeutung der expliziten Kontextualisierung bei jeder Bildanalyse.

Des weiteren können im Umfeld vorhandene Bilder die Verwendung eines Bildträgers beeinflussen: Die Hängung in einer Ausstellung, das Zusammenstellen in einer Bilderfolge etwa im Rahmen einer Gebrauchsanweisung oder als Comic sind hierfür typische Beispiele. Zusammenstellungen mit Texten oder Zeichen in anderen Medien kommen für diese Art der Kontextabhängigkeit ebenfalls in Frage. Allerdings ist bei solchen Anordnungen – seien es nun nur Bilder oder Bilder mit anderen Medien – darauf zu achten, ob der wechselseitige kontextuelle Einfluss übergeht zu einer neuen Zeichenbildung auf höherer Ebene.[4]

Bildinhalt als Kontext

Von der Renaissance-Vorstellung von Albertis “Fenster” bis zur Konzeption von Gegenständen in “reiner Sichtbarkeit” in phänomenologischen Bildtheorien des 20. Jh.s sind die mithilfe von Bildern evozierten und interindividuell vor Augen geführten Szenen als Kontexte verstanden worden. Über sie kann man sich etwa mittels sachbezüglicher Sprechakte austauschen, auf darin enthaltene Gegenstände (oder bestimmte derer Eigenschaften) mit Zeigegesten aufmerksam machen. Sofern es sich dabei um sortale Gegenstände handelt, können die im Bild vorgeführten Erscheinungen mit Erscheinungen in anderen Kontexten identifiziert werden, etwa mithilfe von Identitätsbehauptungen.[5] Gerade auch beim bildlichen Zugang zu abstrakten “Gegenständen” in Strukturbildern werden diese an sich nicht raumzeitlich einordnenbaren Gegenstände als (mehr oder weniger) eindeutig abgrenzbare räumliche (oder raumzeitliche) Entitäten in einer Situation, einem metaphorischen Kontext präsentiert, wo sie und bestimmte ihrer Eigenschaften und Relationen untereinander in (visuelle) Erscheinen treten.[6]

Allerdings bleiben die oben genannten Konzeptionen der Spezifität piktorialer Kontexte wichtige Aspekte schuldig: Die Konzeption von Albertis Fenster ignoriert, dass mit dem Bildgebrauch ein Kontext eröffnet wird, der gemeinhin nicht mit dem Verwendungskontext identisch ist: Die Szene hinter einem echten Fenster bleibt hingegen stets einfach nur ein Teil des je aktuellen Kontextes. Die Bildfläche wird hier als transparente Glasscheibe missverstanden, wobei die scheinbare “Transparenz des Mediums”, wie sie nur für trompe l'oeils typisch wäre, eine wesentlichen Komponente der Bildfunktion verschleiert: Das Heraustreten aus dem Gegebenen des “Hier und Jetzt”.

Die Konzeption von Gegenständen in reiner Sichtbarkeit bezieht sich im Grunde zwar gerade auf Gegenständen, die unter sortale Begriffe fallen.[7] Doch wird dabei außer Acht gelassen, dass etwa ein nur sichtbares Haus, das also weder Gewicht hat noch Widerstand leistet, wenn man sich daran anlehnt und sich insgesamt also nicht nach den für (sortale) Häuser normalerweise geltenden physikalischen Gesetzen verhalten würde, überhaupt nicht unter unseren üblichen Begriff eines Hauses fallen würde und somit auch gar nicht ohne Weiteres als Haus klassifiziert werden kann: Was aber in einem entsprechenden Bild erscheint, wird gemeinhin durchaus als ein solches sortales Individuum begriffen – oder genauer: als aktuelle Erscheinung eines solchen, denn sortale Gegenstände begegnen uns nie anders. Andernfalls würden alle entsprechenden Sprechakte, die sich mit ihrem Sachbezug auf den Inhalt des Bildraums richten, entweder unverständlich oder stark erklärungsbedürftig, denn eine Regel für einen von der Norm abweichenden Sondergebrauch ist hier keineswegs offensichtlich. So bleibt bei jenen “Gegenständen in reiner Sichtbarkeit” also unklar, was für Gegenstände das eigentlich sein sollen.

Die modale Bildtheorie versucht, diese Unzulänglichkeiten der älteren Ansätze zu vermeiden, indem Bildgebrauch ausdrücklich als kontextbildende Nutzung von Bildträgern angesetzt wird. Mit dem Bild versucht einer, eine in der Regel nicht anwesenden Situation als interindividuell verfügbaren Kontext zu etablieren. Auch für diesen Kontext gelten natürlich die oben erwähnten vier Gebrauchszusammenhänge, wobei hier insbesondere auch die Gestaltbildung durch visuelle Wahrnehmung der Situation verfügbar wird (empirische Kontextbildung).

Kontext und Diegese

Der Kontextbegriff der modalen Bildtheorie ist eng verwandt mit der film- und literaturwissenschaftlichen Verwendung des Ausdrucks ‘Diegese’.[8] Nach [Wulff 2007a] „hat sich die Bezeichnung Diegese für die Weltvorstellung, die eine Fiktion anbietet, seit Etienne Souriau eingebürgert“ (S. 40; vgl. [Souriau 1951a]; [Souriau 1953a]). Für Souriau ist „alles, was man als vom Film dargestellt betrachtet und was zur Wirklichkeit, die er in seiner Bedeutung voraussetzt, gehört“ Teil der ‘diégèse’ ([Souriau 1951a]: (dt.) S. 151). Ganz entsprechend begreift auch Dominique Chateau die Diegese eines Films als eine durch diverse Vorgaben vorstrukturierte Menge von Verhaltenssituationen, die wechselseitig zugänglich sind ([Chateau 1976a]: S. 215). Dabei werden die jeweiligen Zugänge insbesondere durch film-narrative Elemente etabliert. Von seiner filmwissenschaftlichen Einführung in den 50er Jahren des 20. Jahrhundert ist der Diegesebegriff insbesondere in Frankreich in den 1970er und 1980er-Jahren in die Literaturwissenschaft übernommen worden (etwa [Genette 1972a]).[9]

Wulff verweist in dem bereits erwähnten Artikel insbesondere darauf, dass das Diegetische eines Films in der Regel als ausgesprochen komplexe, raumzeitliche, zudem auf mehrere Ebenen verteilte Struktur von Situationen zu verstehen ist, in denen die Akteure handeln, die von ihnen (und bei Filmen in Grenzen eben auch von den Zuschauern) wahrgenommen werden können – und schließlich: über die (propositional) gesprochen werden kann. Es handelt sich also, anders gesagt, um eine Vielzahl von miteinander verbundenen Verhaltenssituationen – Kontexten im oben ausgeführten Sinn.

Im Gegensatz zum Kontextbegriff der modalen Bildtheorie mit ihren über Einzelanalysen weit hinausreichenden Bezügen zur logischen Propädeutik, Sprachphilosophie und Bildanthropologie wird der Begriff der Diegese bislang hauptsächlich dazu eingesetzt, die Strukturen eines Werkes zu analysieren.[10]

Anmerkungen
  1. Intentionaler Gegenstand ist alles, worauf jemand seine Aufmerksamkeit richtet, unabhängig davon, ob es sich um ein reales, fiktives, halluziniertes oder zukünftiges geplantes Objekt handelt; vgl. insbesondere [Brentano 1874a], [Meinong 1907a] und [Husserl 1929a]. Vgl. auch Wikipedia: Intentionalität.
  2. Inkonsistent sind höchstens Interpretationen einer Situation.
  3. Im strengen Sinn gehören auch die zeitlich ausgedehnten sortalen Individuen zu den Abstrakta. Die Vergegenwärtigung ihrer raumzeitlichen Spuren ist letztlich ebenfalls eine Raummetapher der Zeit.
  4. In einem dann zu betrachtenden komplexen Zeichen können die Elementzeichen einen Teil ihrer jeweiligen Charakteristiken verlieren: So werden virtuelle Räume in immersiven Systemen zwar mit Hilfe von Bildern im Zusammenhang mit Geräuschen aufgebaut, doch verlieren diese Bilder dabei zumindest tendenziell den Bildcharakter, nimmt man sie im immersiven Zusammenhang doch meist nicht mehr als Bilder wahr (⊳ interaktives Bild, Cyberspace).
  5. Einen Sonderfall stellen hier sicher Bilder dar, bei denen mehrere Erscheinungen desselben sortalen Individuums vorkommen: Allerdings können solche Exemplare auch als Bildfolgen mit unklaren Bildgrenzen interpretiert werden, deren Zweck es insbesondere ist, Beziehungen zwischen verschiedenen Kontexten herzustellen (LIT).
  6. Lediglich für die reflexiv verwendeten Bilder sind Ausnahmen möglich; ⊳ auch Kontextbildung.
  7. Hierfür sprechen die von den zugehörigen Autoren angeführten Beispiele eine eindeutige Sprache, geht es doch etwa um Häuser; vgl. [Wiesing 2008a].
  8. vgl. Wikipedia: Diegese.
  9. Man beachte den Bedeutungswandel gegenüber dem älteren, direkter auf die antike Philosophie zurückgehenden Diegesis-Begriff in der Literaturwissenschaft (vgl. Wikipedia:Diegesis): Diegesis bezeichnet einen bestimmten Modus der poetischen Handlung, der im Gegensatz zur Mimesis steht. Nicht durch Nachahmung sondern durch Bericht wird ein Teil der Welt modelliert. Der moderne Diegese-Begriff verweist hingegen auf die (als logisch abgeschlossen begriffene) Weltstruktur, die durch eine poetische Handlung “zugänglich” wird. Damit steht Diegese dem Kontextbegriff nahe, Diegesis dem Begriff der Kontextbildung.
  10. Vgl. aber auch den Übersichtsartikel zur Formalisierung diegetischer Betrachtungen durch modallogische Ansätze in [Kaczmarek 2007a].
Literatur                             [Sammlung]

[Barwise & Perry 1984a]: Barwise, Jon & Perry, John (1984). Situations and Attitudes. Cam­bridge, MA: MIT Press.

[Brentano 1874a]: Brenta­no, Franz (1874). Psycho­logie vom empi­rischen Standpunkt. Leipzig: Duncker & Humblot. [Chateau 1976a]: Chateau, Dominique (1976). La sémantique du récit. Semiotica, Band: 18, S. 201-216. [Fauconnier 1985a]: Faucon­nier, Gilles (1985). Mental Spaces. Aspects of Meaning Con­struc­tion in Natural Lan­guage. Cam­bridge, MA: MIT Press. [Frege 1892a]: Frege, Gottlob (1892). Über Sinn und Bedeu­tung. Zeitschrift für Philo­sophie und philo­sophi­sche Kritik, Band: 100, S. 25-50. [Genette 1972a]: Genette, Gérard (1972). Figures III. Paris: Seuil. [Husserl 1929a]: Husserl, Edmund (1929). Forma­le und Transzen­denta­le Logik. Halle (Saale): Nie­meyer. [Kaczmarek 2007a]: Kacz­marek, Ludger (2007). Ally­fying Leibniz. Eini­ge Aspek­te von Kompos­sibi­lität und Diege­se in filmi­schen Texten. monta­ge AV - Zeit­schrift für Theorie & Geschich­te audio­visu­eller Kommu­nika­tion, Band: 12, Nummer: 2, S. 131-145. [Kamp 1990a]: Kamp, Hans (1990). On the Repre­senta­tion and Transmis­sion of Infor­mation: Sketch of a Theory of Verbal Commu­nica­tion Based On Dis­course Re­presen­tation Theory. In: Klein, E. & Veltman, F. (Hg.): Natural Language and Speech. Berlin: Springer, S. 135-158. [Kripke 1972a]: Kripke, Saul A. (1972). Naming and Neces­sity. In: David­son, D. & Harman, G. (Hg.): Seman­tics of Natu­ral Lan­guage. Dordrecht: Reidel, S. 253-355, 763-769. [Lakoff & Johnson 1980a]: Lakoff, George & Johnson, Mark (1980). Meta­phors We Live By. Chica­go & London: Uni­versity of Chica­go Press. [Levinson 1983a]: Levin­son, Stephen C. (1983). Prag­matics. Cam­bridge: Cam­bridge Uni­versity Press. [Meinong 1907a]: Meinong, Alexius (1907). Über die Stellung der Gegenstandstheorie im System der Wissenschaften. Leipzig: Voigtländer. [Schirra 2001a]: Schirra, Jörg R.J. (2001). Bilder   ——   Kontext­bilder. In: Sachs-Hom­bach, K. (Hg.): Bildhan­deln. Inter­diszi­plinä­re Forschun­gen zur Pragma­tik bildhaf­ter Darstel­lungs­for­men. Magde­burg: Skriptum, S. 77-100. [Souriau 1951a]: Souriau, Etienne (1951). La structure de l’univers filmique et le vocabulaire de la filmologie. Revue de Filmologie, Band: 7, Nummer: 8, S. 231–240, Dt.: Die Struktur des filmischen Universums und das Vokabular der Filmologie. In: Montage AV 6,2, 1997, S. 140–157. [Souriau 1953a]: Souriau, Etienne (1953). L’Univers filmique. Paris: Flammarion. [Tugendhat 1976a]: Tugend­hat, Ernst (1976). Vorle­sungen zur Einfüh­rung in die sprach­ana­lyti­sche Philo­sophie. Frank­furt/M.: Suhr­kamp. [Wiesing 2008a]: Wiesing, Lambert (2008). Die Sichtbar­keit des Bildes. Geschich­te und Perspek­tiven der forma­len Ästhe­tik. Frank­furt/M. & New York: Campus. [Wulff 2007a]: Wulff, Hans J. (2007). Schichten­bau und Prozess­haftig­keit des Diege­tischen: Zwei Anmer­kungen. monta­ge AV - Zeit­schrift für Theorie & Geschich­te audio­visu­eller Kommu­nika­tion, Band: 16, Nummer: 2: Thema Diege­se, S. 39-51.


Hilfe: Nicht angezeigte Literaturangaben

Verantwortlich:

Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [31], Klaus Sachs-Hombach [3] und Emilia Didier [1] — (Hinweis)