Kontextbildung: Unterschied zwischen den Versionen
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− | ==Der Zugang zu nicht- | + | ==Der Zugang zu nicht-gegen­wärti­gen Situ­ati­onen== |
− | Lebewesen beschäftigen sich | + | Lebewesen beschäftigen sich gemein­hin ausschließ­lich mit der ihnen direkt gege­benen Umwelt. Vergan­genes erscheint allen­falls impli­zit in gera­de akti­vierten Verhal­tenswei­sen, inso­fern diese vorgän­gig durch bestimm­te Situ­atio­nen verän­dert worden sind, Zukünf­tiges als Erfül­lungsbe­dingun­gen aktu­eller Wünsche. Demge­genüber beherrscht der Mensch die Fähig­keit, sich spontan aus dem ''Hier und Jetzt'' zu lösen und sein aktu­elles Verhal­ten auch expli­zit an nicht-gegen­wärti­gen Situ­atio­nen auszu­richten. Das zeigt sich nicht zuletzt in der Verwen­dung von [[Proposition|Propo­sitio­nen]], also von [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichen­handlun­gen]], die über einen [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug|Sachbe­zug]] verfü­gen, insbe­sonde­re den Aussa­gen. |
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− | Der spezifische [[Kontext]]bezug, der eine | + | Der spezifische [[Kontext]]­bezug, der eine zentra­le funktio­nale Voraus­setzung für Aussa­gen darstellt (⊳ [[Modalität|Moda­lität]]), wird in der Regel durch eine eige­ne Kompo­nente in der Gesamt­zeichen­handlung, die die Aussa­ge bildet, herge­stellt. Das ist die Kontext­bildung. Teilzei­chenhand­lungen, die Hinwei­se darauf geben, dass nun über eine bestimm­te vergan­gene oder zukünf­tige, hypo­theti­sche oder fikti­ve Situ­ation gespro­chen wird oder über eine Situ­ation aus der Perspek­tive eines ande­ren, sind typi­sche Formen der Kontext­bildung (dazu unten mehr). |
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− | Das, was linguistisch oft | + | Das, was linguistisch oft verall­gemei­nert das ‘Diskurs­univer­sum’ einer Gruppe mit­einan­der Kommu­nizie­render genannt wird, besteht, genau­er bese­hen, aus einer dyna­mischen Struktur von verschie­denen [[Kontext|Kontex­ten]], die auf vielfäl­tige Weise mit­einan­der verbun­den und in­einan­der geschach­telt sein können. Zum einen können [[sortale Gegenstände und Individuation|indi­vidu­elle sorta­le Objek­te]] die Kontex­te über ihre raumzeit­liche Ent­wicklung mit­einan­der verbin­den. Zum ande­ren beste­hen Einbet­tungsver­hältnis­se, wenn ein Kontext von einem ande­ren Kontext aus ''erreich­bar'' ist, d.h. aus ihm abge­leitet werden kann. Die unmit­telba­re Äuße­rungssi­tuation stellt meist den Ausgangs­punkt für Kontext­bildun­gen dar, die ande­re Kontex­te so in jene einbet­ten, dass die Kommu­nika­tionspart­ner sich nicht nur auf Objek­te in entwe­der dem aktu­ellen oder dem einge­bette­ten Kontext bezie­hen können (⊳ [[Nomination|Nomi­nation]]). Vielmehr sind sie auch in der Lage, Bezie­hungen zwischen beiden (bzw. zwischen den so verfüg­baren Erschei­nungswei­sen ein und dessel­ben Gegen­stands) herzu­stellen.<ref>Aus­sa­gen mit Iden­ti­täts­sät­zen sind ty­pi­sche Bei­spie­le für Zei­chen­hand­lun­gen mit ei­nem Sach­be­zug, der Ge­gen­stän­de in ver­schie­de­nen Ge­ge­ben­heits­wei­sen – d.h. aus un­ter­schied­li­chen Kon­tex­ten – be­trifft. Wie Fre­ges Ana­ly­se klar ge­macht hat, sind Äuße­run­gen mit Sät­zen wie ‘Der Mor­gen­stern ist (iden­tisch mit dem) der Abend­stern’ nur dann sinn­voll (sprich: in­for­ma­tiv), wenn die be­haup­te­te Iden­ti­tät nicht be­reits aus dem Ver­ste­hen der No­mi­na­ti­o­nen ana­ly­tisch folgt. In­for­ma­tiv ist dann, dass ‘Mor­gen­stern’ und ‘Abend­stern’ – als zwei in ver­schie­de­nen (Klas­sen von) Kon­tex­ten (näm­lich ein­mal nur ‘mor­gens’ und ein­mal nur ‘abends’) auf­tre­ten­de Ge­gen­stän­de – als As­pek­te des­sel­ben sor­ta­len Ge­gen­stand (‘Pla­net Ve­nus’) be­trach­tet wer­den sol­len; vgl. <bib id='Frege 1892a'>Fre­ge 1892a</bib>. </ref> |
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+ | [[Datei:Fauconnier1.jpg|thumb|Ab­bil­dung 1: ‘Or­son Wel­les ist Al­fred Hitch­cock’ – Bei­spiel für un­ei­gent­li­che Iden­ti­täts­aus­sa­gen mit zwei men­ta­len Räu­men bei Fau­con­nier]] | ||
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+ | Die Be­zeich­nung ‘Kon­text­bil­dung’ schließt an die Ter­mi­no­lo­gie von Gil­les Fau­con­nier an, der in <bib id='Fauconnier 1985a'>Fau­con­nier 1985a</bib> ei­nen lin­gu­is­ti­schen An­satz zum sprach­li­chen Sach­be­zug aus­ge­ar­bei­tet hat: Ein ‘men­tal space’ be­zeich­net dort ei­ne in­ten­ti­o­na­le Men­ge von Ge­gen­stän­den, auf die man sich sprach­lich be­zieht. Sie werden lingu­istisch durch so genann­te ‘space builder’ erzeugt und können dann komple­xe Einbet­tungsstruk­turen bilden mit verschie­denen Arten von Verbin­dungen zwischen Gegen­ständen in unter­schiedli­chen menta­len Räumen. Mit dieser Konzep­tion kann Faucon­nier eine Reihe von Schwierig­keiten, die sich unter ande­rem bei der lingu­isti­schen Ana­lyse der Refe­renzbe­ziehung für kontra­fakti­sche Aussa­gen und bei unei­gentli­chen Iden­titäts­aussa­gen (vgl. Abb. 1) stellen, auf ele­gante Weise lösen.<ref> Der Be­griff des Kon­tex­tes geht über Fau­con­niers Be­griff des men­ta­len Raums ins­be­son­de­re in der Hin­sicht hin­aus, dass Kon­tex­te auf die Ver­hal­tens­mög­lich­kei­ten des be­trach­te­ten We­sens in der kon­tex­tu­el­len Si­tu­a­ti­on be­zo­gen sind. Kon­text­bil­dung er­öff­net ent­spre­chend über den Be­griff »space buil­der« hin­aus die Per­spek­ti­ve auf ''ge­mein­schaft­lich'' er­wei­ter­te Hand­lungs­spiel­räu­me mit Be­zug auf an­de­re Si­tu­a­ti­o­nen. </ref> | ||
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− | ==Kontextbildung und | + | ==Kontextbildung und Kontext­refe­renzie­rung== |
− | Der Akt der Kontextbildung umfasst, genau | + | Der Akt der Kontextbildung umfasst, genau genom­men, zwei Unter­arten. Zum einen kann durch eine (Teil-)Zeichen­handlung ein unab­hängig davon zugäng­licher Kontext ins Spiel gebracht werden: Dies heißt ''Kontext­refe­renzie­rung''. Kontext­refe­renzie­rung geschieht etwa durch expli­zite oder impli­zite Hinwei­se auf Ort und Zeit. Bereits Tempus­anga­ben können so impli­zit einen zeitlich bestimm­ten Kontext in den Fokus rücken, ihn von der Äuße­rungssi­tuation aus “zugäng­lich” machen.<ref>Da No­mi­na­ti­o­nen im­mer nur re­la­tiv zu ei­nem als be­kannt vo­r­aus­ge­setz­ten Kon­text funk­ti­o­nie­ren, kön­nen zu­min­dest Kenn­zeich­nun­gen eben­falls als im­pli­zi­te, wenn auch in der Re­gel sehr va­ge Kon­text­re­fe­ren­zie­run­gen ver­wen­det wer­den, so­fern we­der die Äu­ße­rungs­si­tu­a­ti­on noch ein an­de­rer bis­lang ein­ge­führ­ter Kon­text als Be­zug wahr­schein­lich ist (d.h. wenn kein Ge­gen­stand des ent­spre­chen­den Typs dort vor­han­den ist). Bei­spiels­wei­se könn­te im ak­tu­el­len Kon­text plötz­lich von ‘dem Kö­nig von Ku­les­tra’ die Re­de sein. In ei­nem sol­chen Fall wird – als Aus­gangs­punkt für wei­te­re in­for­ma­ti­ve Äu­ße­run­gen bzw. Äu­ße­rungs­tei­le – ein ''neu­tra­ler'', d.h. weit­ge­hend un­spe­zi­fi­scher Kon­text mit ei­nem (pro­to-)ty­pi­schen Ex­em­p­lar der an­ge­ge­be­nen Art er­öff­net, mit­samt dem für Auf­tre­ten die­ser Ge­gen­stän­de ty­pi­schen Um­feld. Die­ser Kon­text dient dann u.a. als Hin­ter­grund für Prä­sup­po­si­ti­o­nen zu und Schluss­fol­ge­run­gen über das Mit­ge­teil­te. </ref> |
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− | Zum anderen kann ein Kontext durch die (Teil-) | + | Zum anderen kann ein Kontext durch die (Teil-)Zeichen­handlung zual­lererst erzeugt werden: Es handelt sich dann um eine ''Kontext­bildung im enge­ren Sinn''. Beispiels­weise stellt eine Erzäh­lung eine (sehr komple­xe) Form der Kontext­bildung im enge­ren Sinn dar, da die Menge der darin erwähn­ten Gegen­stände, ihre Verhält­nisse zuein­ander und deren zeitli­che Entwick­lung nicht unab­hängig von der Gesamt­zeichen­handlung, die die Erzäh­lung bildet, beste­hen. Die Wahrheit einer Aussage über diese Gegen­stände kann letztlich nur anhand der Sachbe­züge der Sätze im Text der Erzäh­lung (rela­tiv zu einer ange­nomme­nen Kommu­nika­tionssi­tuation bei der Rezep­tion des Textes; ⊳ [[Bildrezeption als Kommunikationsprozess|Bildre­zeption als Kommu­nika­tionspro­zess]]) über­prüft werden. Der durch eine solche Kontext­bildung vermit­telte Kontext umfasst nicht einfach die Menge der Sachbe­züge, die im Verlauf des erzähl­ten Textes expli­zit ange­geben werden. Vielmehr handelt es sich um einen der Kontex­te, in denen unter ande­rem all jene Sachbe­züge gelten ''und'' weite­re Sachver­halte, die die Rezi­pienten als hier gültig voraus­setzen (Präsup­posi­tionen), sowie die daraus insge­samt mögli­chen Impli­katio­nen (deduk­tive Vollstän­digkeit der Situ­ation); der vermit­telte Kontext ist also zu einem gewis­sen Grad abhän­gig von den Zeichen­handeln­den und damit von der Äuße­rungssi­tuation (herme­neuti­scher Zirkel). |
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− | Ein medienverweisendes | + | Ein medienverweisendes Satz­adverb, wie etwa ‘in Uwe Johnsons Roman «Jahres­tage»’ ist damit ein auf eine solche Kontext­bildung im enge­ren Sinn verwei­sende Kontext­refe­renzie­rung. Ana­loges gilt für Verwei­se auf ande­re Medien, insbe­sonde­re Bilder und Filme: ‘in Leonar­do da Vincis Gemäl­de «Die Dame mit dem Herme­lin»’, ‘in Alfred Hitch­cocks Film «Verti­go»’. Das legt die Vermu­tung nahe, dass Kontext­bildung im enge­ren Sinn eine grundle­gende kommu­nika­tive Funktion des Bildge­brauchs darstellt (⊳ [[Modalität|moda­le Bildthe­orie]]). |
− | ===Ungesättigte oder | + | ===Ungesättigte oder gesät­tig­te Kon­text­bil­dung=== |
− | Ein augenfälliger Unterschied zwischen den oben erwähnten | + | Ein augenfälliger Unterschied zwischen den oben erwähnten Bei­spielen für Kontext­bildun­gen liegt darin, dass Tempus­anga­ben, tempo­rale und loka­le Satzad­verbien und adver­biale Ergän­zungen mit Verwei­sen auf medi­ale Werke für sich allei­ne nicht vorkom­men können: Sie sind (im Sinne Freges) unge­sättigt und bedür­fen weite­rer Teilzei­chenhand­lungen, die in der Regel eine Propo­sition rela­tiv zu dem gebil­deten Kontext vollzie­hen. Demge­genüber ergibt eine Erzäh­lung insge­samt eine gesät­tigte, d.h. für sich allei­ne stehen­de Form der Kontext­bildung. Wiede­rum lässt sich diese Abge­schlossen­heit auch für ande­re medi­ale Formen der Kontext­bildung im enge­ren Sinn (auf die, wie oben ange­geben, durch sprachli­che Kontext­refe­renzie­rungen verwie­sen werden kann) anneh­men, insbe­sonde­re Bilder. Ihre Verwen­dung entsprä­che dann einer gesät­tigten Kommu­nika­tionshand­lung mit dem Ziel, einen neuen nun gemein­sam verfüg­baren (komple­xen) Kontext im Diskurs­uni­versum der Kommu­nika­tionspar­tner einzu­führen. |
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− | Gleichwohl ist zu beachten, dass eine solche | + | Gleichwohl ist zu beachten, dass eine solche Kontext­bildung in aller Regel nicht nur zum Selbstzweck durchge­führt wird: Sie hat zunächst prinzi­piell den Sinn, die neu einge­führten Kontex­te als Basis für weite­res gemein­schaftli­ches Handeln (insbe­sonde­re auch Reden da­rüber) nutzen zu können. Die gesät­tigte Kontext­bildung steht mithin immer im Rahmen weite­rer kommu­nika­tiver Inter­akti­onen zwischen den Betei­ligten. |
− | ===Sachbezug und Wahrheit bei | + | ===Sachbezug und Wahrheit bei Kon­text­bil­dung=== |
− | Da Kontextbildungen die Basis für [[Proposition]] | + | Da Kontextbildungen die Basis für [[Proposition|Propo­sitio­nen]] bilden, handelt es sich zumin­dest bei den Kontext­bildun­gen im enge­ren Sinn um Zeichen­handlun­gen, die selbst keinen [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug|Sachbe­zug]] aufwei­sen, da ansons­ten ein infi­niter Regress aufträ­te. Die Kontext­bildung im enge­ren Sinn führt den Kontext zual­lererst ein, auf den sich ein poten­tieller Sachbe­zug der Zeichen­handlung bezie­hen müsste: Die Kontext­bildung eröff­net über­haupt die Möglich­keit, eine ande­re Zei­chen(teil)hand­lung mit Sachbe­zug zu vollzie­hen. Anders gefasst: Da eine Situ­ation nicht einfach einer endli­chen Menge von zutref­fenden Sachver­halten (Tatsa­chen) entspricht, sondern inter­preta­tionsof­fen ist, d.h. prinzi­piell das Poten­tial für unend­lich viele Beschrei­bungen rela­tiv zu ganz verschie­denen Begriffs­feldern umfasst, macht es keinen Sinn, eine endgül­tige endli­che Menge von propo­sitio­nalen Beschrei­bungen anzuneh­men, die einen durch Kontext­bildung inter­subjek­tiv einge­führten Kontext vollstän­dig erfass­te und deren Sachbe­zug daher als Sachbe­zug der kontext­bilden­den Zei­chen(teil)hand­lung aufge­fasst werden könnte (⊳ auch [[Ekphrasis|Ekphra­sis]]). |
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− | In der Folge ist es auch nicht ohne | + | In der Folge ist es auch nicht ohne Weite­res sinnvoll, den Begriff der Wahrheit auf Kontext­bildun­gen anzu­wenden, wird dieser Begriff doch als Maß dafür verwen­det, ob ein rela­tiv zu einem Kontext behaup­teter Sachver­halt entwe­der deduk­tiv mit einer akzep­tierten Menge von Behaup­tungen über jene Situ­ation verträg­lich ist (Kohä­renzthe­orie der Wahrheit) oder in dem Kontext nachweis­lich (empi­risch) zutrifft (Korres­pondenz­theorie der Wahrheit). |
− | ===Selbstbezug bei | + | ===Selbstbezug bei Kon­text­bil­dung=== |
− | Infolge des fehlenden | + | Infolge des fehlenden Sachbe­zugs spielt der [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug|Selbstbe­zug]] bei kontext­bilden­den Zeichen­handlun­gen eine beson­ders wichti­ge Rolle, denn nur die Selbstdar­stellung des eine Kontext­bildung vollzie­henden Kommu­nika­tionsteil­nehmers kann die Aufga­be über­nehmen, eine inter­subjek­tiv verfüg­bare Bezugs­basis für darauf aufbau­ende Sachbe­züge zu liefern. Es ist wichtig, sich klarzu­machen, dass es zwar auch möglich (und in Bemer­kungen über Kontext­bildung sogar unum­gänglich) ist, über Situ­atio­nen/Kon­texte propo­sitio­nal zu reden und sich dabei nomi­nato­risch auf sie zu bezie­hen. Doch bedeu­tet das auch, Situ­atio­nen als ''Gegen­ständen'' gegen­über­zutre­ten, die dann ihrer­seits also wieder als Gegen­stände nur in bestimm­ten abstrak­ten Räumen (d.h. speziel­len meta­phori­schen Situ­atio­nen = Kontex­ten) vorkom­men, welche dann ihrer­seits erst durch einen Akt der Kontext­bildung verfüg­bar gemacht werden müssen. Der Akt der Kontext­bildung selbst muss daher in der damit vollzo­genen Selbstdar­stellung kulmi­nieren. In der Kombi­nation von fehlen­dem Sachbe­zug und dem Fokus auf den Selbstbe­zug gehört die Kontext­bildung zu den ''Bekun­dungen'' bzw. zum bekun­denden Anteil einer Zeichen­handlung. |
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− | Der Selbstbezug von | + | Der Selbstbezug von Kontext­bildun­gen muss ganz allge­mein offen­sichtlich in einer Selbstdar­stellung beste­hen, die man durch folgen­de Phrase umschrei­ben kann: ‘Sich darstel­len als jemand, dessen Aufmerk­samkeit sich expli­zit einer ande­ren Situ­ation zuwen­det’. Zwar gehört das osten­tative Zeigen spezi­fischer Spontan­reaktio­nen auf die gemein­te Situ­ation nur im Grenzfall zur Selbst­darstel­lung, doch zeigt dieser sich darin beson­ders deutlich. |
− | ===Logische und | + | ===Logische und empi­ri­sche Kon­text­bil­dung=== |
− | Man kann sich | + | Man kann sich natür­lich auch darstel­len als einer, der sich der ''aktu­ellen'' Situ­ation auf diese distan­zierte Weise zuwen­det. Aller­dings gibt es in diesem Fall einen deutli­chen Unter­schied zu ande­ren Kontext­bildun­gen: Nur im aktu­ellen Kontext ist es nämlich möglich, eine auf den Kontext bezo­gene konkre­te Propo­sition empi­risch zu über­prüfen. Die senso­moto­rischen Testrou­tinen, die mit der Unter­scheidungs­gewohn­heit asso­ziiert sind, die ihrer­seits durch die [[Prädikation|Prädi­kation]] der Propo­sition bestimmt wird, können auf die durch die [[Nomination|Nomi­natio­nen]] der Propo­sition im Kontext iden­tifi­zierten Gegen­stände unmit­telbar ange­wendet werden und liefern so empi­rische Erkennt­nisse. Wird etwa behaup­tet, der Apfel in der entfern­ten heimi­schen Küche sei rot­backig, ist, der Entfer­nung wegen, ein Anschau­en jenes Apfels und Beur­teilen auf Rot­backig­keit nicht ohne Weite­res möglich. Wird hinge­gen behaup­tet, der Apfel ''hier'' sei rot­backig, genügt ein Blick auf den anwe­senden Apfel: Unse­re senso­moto­rische Ausstat­tung erlaubt es, die Prädi­kation zu bestä­tigen oder ihr begrün­det zu wider­sprechen. |
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− | Die distanzierte | + | Die distanzierte Zuwen­dung zur aktu­ellen Situ­ation ist daher eine Kontext­bildung mit ''empi­rischer'' Verge­genwär­tigung: kurz empi­rische Kontext­bildung. Ihr stehen die Kontext­bildun­gen mit ledig­lich ''logi­scher'' Verge­genwär­tigung (kurz: logi­sche Kontext­bildun­gen) gegen­über: Ohne empi­rischen Zugang kann hier die Wahrheit einer Behaup­tung rela­tiv zu dem Kontext nur kohä­renzthe­oretisch über logi­sche Kompa­tibi­lität mit ande­ren Aussa­gen über den Kontext beur­teilt werden.<ref>Die Un­ter­schei­dung von lo­gi­scher und em­pi­ri­scher Kon­text­bil­dung mo­di­fi­ziert ei­nen As­pekt der Ge­gen­über­stel­lung von di­e­ge­sis und mi­me­sis aus Pla­tons «Staat» bzw. Aris­to­te­les' «Poe­tik»; ⊳ [[Mimesis|Mi­me­sis]]; ⊳ [[Kontext#Kontext_und_Diegese| Kon­text: Kon­text und Di­e­ge­se]]; vgl. [http://de.wikipedia.org/wiki/Diegesis Wi­ki­pe­dia: Di­e­ge­sis].</ref> |
− | ==Piktoriale | + | ==Piktoriale Kontext­bil­dung== |
− | Wie oben bereits erwähnt können | + | Wie oben bereits erwähnt können adver­biale Ergän­zungen, die auf ein Bild verwei­sen, als Kontext­refe­renzie­rungen verwen­det werden. So mag etwa der Ausdruck ‘in Picas­sos «Les Demoi­selles d'Avig­non»’ ganz zwanglos als Kontext­bildung etwa für die Behaup­tung, dass ‘drei Frauen eine Art afri­kanische Masken tragen’, dienen. In Abwe­senheit des Bildes bleibt die Kontext­bildung aller­dings rein logisch. Ange­sichts des Bildes aber kann jene Behaup­tung als ''empi­risch'' offen­sichtlich falsch entschie­den werden. Die Vermu­tung liegt nahe, dass die Kontext­refe­renzie­rung durch den Verweis auf das Bild tatsäch­lich sekun­där gegen­über der ursprüng­liche­ren Kontext­bildung im enge­ren Sinne durch die Präsen­tation des Bildes selbst ist. In der Tat werden mit Bildern in der Regel [[sortale Gegenstände und Individuation|indi­vidu­ierte Gegen­stände]] in einer Art gemein­samer Situ­ation darge­stellt – eine Äuße­rung, die durchaus auch für Roma­ne zutrifft, auch wenn es ansons­ten viele Unter­schiede gibt. Insbe­sonde­re handelt es sich bei der pikto­rialen Kontext­bildung im Gegen­satz zu der rein logi­schen Kontext­bildung durch einen Text um eine zumin­dest partiell empi­risch Kontext­bildung, denn die Geltung der Prädi­katio­nen von visu­ellen Merkma­len oder davon abhän­gigen ande­ren Unter­scheidun­gen können im [[Theorien des Bildraums|Bildraum]] mehr oder weni­ger unmit­telbar über­prüft werden. Die pikto­rial vermit­telten Kontex­te erschei­nen also als partiell mit der je aktu­ellen Verhal­tenssi­tuation verschmol­zen. |
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− | Dass | + | Dass ‘Bildverwen­dung grundle­gend visu­ell-empi­rische Kontext­bildung im enge­ren Sinne’ sei ist daher die Kernthe­se der moda­len Bildthe­orie. Dabei ist zu berück­sichti­gen, dass die Kontex­te für verschie­dene Bildar­ten durchaus unter­schiedlich gebil­det werden. |
− | ===Piktoriale | + | ===Piktoriale Kontext­bildung bei dar­stel­len­den Bil­dern=== |
− | Mit Hilfe von | + | Mit Hilfe von darstel­lenden Bildern werden in aller Regel vornehm­lich visu­elle Aspek­te mögli­cher Verhal­tenssi­tuati­onen als Kontex­te für gemein­sames sprachli­ches oder nicht-sprachli­ches Handeln zur Verfü­gung gestellt. Ana­log zur Inter­preta­tion der je aktu­ellen Erschei­nungswei­sen sorta­ler Gegen­stände im Wahrneh­mungsraum als persis­tente Indi­viduen werden auch in den durch pikto­riale Kontext­bildung in einer immer­währen­den Gegen­wart präsen­tierten Erschei­nungen Gege­benheits­weisen zeitlich-ausdau­ernder indi­vidu­eller Gegen­stände begrif­fen: Obwohl von abge­bilde­ten Gegen­ständen meist keine ande­re Gege­benheits­weisen vorlie­gen – also keine Begeg­nungen in ande­rem Kontext möglich sind – verste­hen wir sie als Gegen­stände mit Geschich­te, als Objek­te, denen wir zumin­dest im Prinzip auch in ande­ren Situ­atio­nen wieder (als densel­ben Objek­ten) begeg­nen könnten.<ref>Die Ver­wen­dung dar­stel­len­der Bil­der, etwa in Be­die­nungs­an­lei­tun­gen, wä­re an­sons­ten nicht nach­voll­zieh­bar.</ref> |
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− | Diese Interpretation spielt | + | Diese Interpretation spielt vor allem bei Abbil­dungen realer Gegen­stände eine zentra­le Rolle, etwa einem Fahndungs­foto. Gesucht wird ja nicht ein Mensch, der der Pigment­fläche des Bildträ­gers ähnelt, sondern diesem Menschen ''im'' Bildraum. Die Nomi­nation ‘dieser Mensch’ ist auf den Kontext bezo­gen, der mit dem Bild eröffnet wird. |
− | ===Piktoriale | + | ===Piktoriale Kontext­bil­dung bei trompe l'œils=== |
− | Die Besonderheiten der | + | Die Besonderheiten der speziel­len darstel­lenden Bilder vom Typ des trompe l'œils (oder des immer­siven Bildes) liegen nicht daran, dass bei der unre­flektier­ten Rezep­tion keine Kontext­bildung stattfin­det, da das Bild ja in dem Fall gar nicht als Bild erkannt wird. Tatsäch­lich handelt es sich vielmehr um eine ''zu gut'' gelun­gene und dadurch disfunk­tiona­le pikto­riale Kontext­bildung, die sowohl bei der Herstel­lung wie beim reflek­tierten Betrach­ten wieder als ganz norma­len visu­elle Kontext­bildung wirkt (⊳ [[Dezeptiver und immersiver Modus|Dezep­tiver und immer­siver Modus]]). |
− | ===Piktoriale | + | ===Piktoriale Kontext­bil­dung bei lo­gi­schen Bil­dern=== |
− | Da mit logischen Bildern | + | Da mit logischen Bildern wenig­stens zum Teil etwas an sich nicht visu­ell Wahrnehm­bares präsen­tiert wird, liegt [[Semantik logischer Bilder| ihrer Seman­tik]] eine [[sprachliche Metaphern und allgemeine Metaphorologie|meta­phori­sche]] Begriffs­über­tragung vom darge­stellten Bereich in den Bereich sichtba­rer und somit bildlich direkt darstell­barer Enti­täten zugrun­de. Mithin wird eine durch pikto­riale Kontext­bildung bereit­gestell­te Verhal­tenssi­tuation als ein Modell für einen mehr oder weni­ger komple­xen nicht-visu­ellen Zusam­menhang verwen­det. Die kontext­bilden­de Funktion erwei­tert sich damit auf den an sich nicht-wahrnehm­baren Phäno­menbe­reich: Insbe­sonde­re werden auf diese Weise auch belie­bige abstrak­te Zusam­menhän­ge als eine (poten­tielle) Verhal­tenssi­tuation visu­ell erfahr­bar und inter­indi­vidu­ell empi­risch zugäng­lich (⊳ [[Image Schemata|Image Schema­ta]]). |
− | ===Piktoriale | + | ===Piktoriale Kontext­bil­dung bei Bild­zita­ten und ande­ren refle­xiv verwen­deten Bil­dern=== |
− | Reflexive | + | Reflexive Zeichenverwen­dungen sind allge­mein abge­leite­te Verwen­dungswei­sen (⊳ [[Bild in reflexiver Verwendung|Bild in refle­xiver Verwen­dung]]). Das nun primä­re exemp­lari­sche Vorfüh­ren von Eigen­arten der jewei­ligen Zeichen­nutzung setzt insbe­sonde­re die eigent­liche pragma­tische Funktion des zitier­ten oder refle­xiv verwen­deten Zeichens außer Kraft. Das gilt ana­log auch für Bilder. Eine ursprüng­lich kontext­bilden­de Funktion wäre daher bei refle­xiv verwen­deten Bildern – sofern sie nicht gera­de das zu exem­plifi­zieren­de Merkmal darstellt – nicht mehr wirksam oder jeden­falls nicht mehr unmit­telbar wirksam. Gleichwohl steht dieser Verwen­dungszweck mit vielen ande­ren Aspek­ten des Bildge­brauchs in engem Zusam­menhang, so dass zwar die eigent­liche kontext­bilden­de Funktion aufge­hoben ist, da die Präsen­tation des Bildes nun einem ande­ren Zweck dient, aber einge­bettet in dieser [[Referenz, Denotation, Exemplifikation|Exemp­lifi­kation]] gleichwohl ein zentra­ler Faktor bleibt. |
− | ===Piktoriale | + | ===Piktoriale Kontext­bildung bei un­gegen­ständ­lichen Bil­dern=== |
− | Der fehlende Verweis auf | + | Der fehlende Verweis auf räumli­che Gegen­stände im übli­chen (sorta­len) Sinn setzt bei [[Semantik ungegenständlicher Bilder|un­gegen­ständli­chen Bildern]] zunächst den Mecha­nismus außer Kraft, der den Bildraum als visu­ell wahrge­nomme­ne Verhal­tenssi­tuation etab­liert. Daher erscheint es auf den ersten Blick unplau­sibel, auch bei dieser Art von Bildern von Kontext­bildung als ihrer pragma­tischen Grundfunk­tion auszu­gehen. |
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− | Allerdings können | + | Allerdings können ungegen­ständli­che Bilder sehr gut als refle­xiv genutz­te Bilder mit nega­tiver Exemp­lifika­tion begrif­fen werden, so dass ihr Verwen­dungszweck einer­seits (infol­ge der refle­xiven Verwen­dung) ohne­hin von der grundle­genden Verwen­dung von Bildern abge­setzt wäre und mehr im Exem­plifi­zieren von Aspek­ten der Bildver­wendung besteht, nicht in der Kontext­bildung. Ande­rerseits betrifft die nega­tive Exemp­lifi­kation bei ihnen gera­de auch die nicht funkti­onie­rende Kontext­bildungs­fähig­keit, die damit wiede­rum ex nega­tivo als typisch für Bilder im Normal­fall bestä­tigt wäre. |
− | ==Primäre | + | ==Primäre Kontext­bil­dung== |
− | In [[Bildanthropologie| | + | In [[Bildanthropologie|anthro­polo­gischen Bildthe­orien]] geht es vor allem darum, die Rolle der Fähig­keit, Bilder verwen­den zu können, in den Rahmen der diffe­rentiae speci­ficae philo­sophi­scher Menschen­begrif­fe einzu­ordnen. Aus Sicht der moda­len Bildthe­orie ist daher vor allem zu klären, ob und auf welche Weise die Bildkom­petenz bereits beim Über­gang zum Begriff eines Wesens mit der Fähig­keit zur Kontext­bildung – der primä­ren Kontext­bildung – eine ''syste­mati­sche'' Funktion über­nimmt. |
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Aktuelle Version vom 11. August 2023, 12:58 Uhr
Unterpunkt zu: Bildpragmatik
English Version: Context-Building Acts
Der Zugang zu nicht-gegenwärtigen SituationenLebewesen beschäftigen sich gemeinhin ausschließlich mit der ihnen direkt gegebenen Umwelt. Vergangenes erscheint allenfalls implizit in gerade aktivierten Verhaltensweisen, insofern diese vorgängig durch bestimmte Situationen verändert worden sind, Zukünftiges als Erfüllungsbedingungen aktueller Wünsche. Demgegenüber beherrscht der Mensch die Fähigkeit, sich spontan aus dem Hier und Jetzt zu lösen und sein aktuelles Verhalten auch explizit an nicht-gegenwärtigen Situationen auszurichten. Das zeigt sich nicht zuletzt in der Verwendung von Propositionen, also von Zeichenhandlungen, die über einen Sachbezug verfügen, insbesondere den Aussagen. Der spezifische Kontextbezug, der eine zentrale funktionale Voraussetzung für Aussagen darstellt (⊳ Modalität), wird in der Regel durch eine eigene Komponente in der Gesamtzeichenhandlung, die die Aussage bildet, hergestellt. Das ist die Kontextbildung. Teilzeichenhandlungen, die Hinweise darauf geben, dass nun über eine bestimmte vergangene oder zukünftige, hypothetische oder fiktive Situation gesprochen wird oder über eine Situation aus der Perspektive eines anderen, sind typische Formen der Kontextbildung (dazu unten mehr). Das, was linguistisch oft verallgemeinert das ‘Diskursuniversum’ einer Gruppe miteinander Kommunizierender genannt wird, besteht, genauer besehen, aus einer dynamischen Struktur von verschiedenen Kontexten, die auf vielfältige Weise miteinander verbunden und ineinander geschachtelt sein können. Zum einen können individuelle sortale Objekte die Kontexte über ihre raumzeitliche Entwicklung miteinander verbinden. Zum anderen bestehen Einbettungsverhältnisse, wenn ein Kontext von einem anderen Kontext aus erreichbar ist, d.h. aus ihm abgeleitet werden kann. Die unmittelbare Äußerungssituation stellt meist den Ausgangspunkt für Kontextbildungen dar, die andere Kontexte so in jene einbetten, dass die Kommunikationspartner sich nicht nur auf Objekte in entweder dem aktuellen oder dem eingebetteten Kontext beziehen können (⊳ Nomination). Vielmehr sind sie auch in der Lage, Beziehungen zwischen beiden (bzw. zwischen den so verfügbaren Erscheinungsweisen ein und desselben Gegenstands) herzustellen.[1] Die Bezeichnung ‘Kontextbildung’ schließt an die Terminologie von Gilles Fauconnier an, der in [Fauconnier 1985a]Literaturangabe fehlt.
Kontextbildung und KontextreferenzierungDer Akt der Kontextbildung umfasst, genau genommen, zwei Unterarten. Zum einen kann durch eine (Teil-)Zeichenhandlung ein unabhängig davon zugänglicher Kontext ins Spiel gebracht werden: Dies heißt Kontextreferenzierung. Kontextreferenzierung geschieht etwa durch explizite oder implizite Hinweise auf Ort und Zeit. Bereits Tempusangaben können so implizit einen zeitlich bestimmten Kontext in den Fokus rücken, ihn von der Äußerungssituation aus “zugänglich” machen.[3] Zum anderen kann ein Kontext durch die (Teil-)Zeichenhandlung zuallererst erzeugt werden: Es handelt sich dann um eine Kontextbildung im engeren Sinn. Beispielsweise stellt eine Erzählung eine (sehr komplexe) Form der Kontextbildung im engeren Sinn dar, da die Menge der darin erwähnten Gegenstände, ihre Verhältnisse zueinander und deren zeitliche Entwicklung nicht unabhängig von der Gesamtzeichenhandlung, die die Erzählung bildet, bestehen. Die Wahrheit einer Aussage über diese Gegenstände kann letztlich nur anhand der Sachbezüge der Sätze im Text der Erzählung (relativ zu einer angenommenen Kommunikationssituation bei der Rezeption des Textes; ⊳ Bildrezeption als Kommunikationsprozess) überprüft werden. Der durch eine solche Kontextbildung vermittelte Kontext umfasst nicht einfach die Menge der Sachbezüge, die im Verlauf des erzählten Textes explizit angegeben werden. Vielmehr handelt es sich um einen der Kontexte, in denen unter anderem all jene Sachbezüge gelten und weitere Sachverhalte, die die Rezipienten als hier gültig voraussetzen (Präsuppositionen), sowie die daraus insgesamt möglichen Implikationen (deduktive Vollständigkeit der Situation); der vermittelte Kontext ist also zu einem gewissen Grad abhängig von den Zeichenhandelnden und damit von der Äußerungssituation (hermeneutischer Zirkel). Ein medienverweisendes Satzadverb, wie etwa ‘in Uwe Johnsons Roman «Jahrestage»’ ist damit ein auf eine solche Kontextbildung im engeren Sinn verweisende Kontextreferenzierung. Analoges gilt für Verweise auf andere Medien, insbesondere Bilder und Filme: ‘in Leonardo da Vincis Gemälde «Die Dame mit dem Hermelin»’, ‘in Alfred Hitchcocks Film «Vertigo»’. Das legt die Vermutung nahe, dass Kontextbildung im engeren Sinn eine grundlegende kommunikative Funktion des Bildgebrauchs darstellt (⊳ modale Bildtheorie). Ungesättigte oder gesättigte KontextbildungEin augenfälliger Unterschied zwischen den oben erwähnten Beispielen für Kontextbildungen liegt darin, dass Tempusangaben, temporale und lokale Satzadverbien und adverbiale Ergänzungen mit Verweisen auf mediale Werke für sich alleine nicht vorkommen können: Sie sind (im Sinne Freges) ungesättigt und bedürfen weiterer Teilzeichenhandlungen, die in der Regel eine Proposition relativ zu dem gebildeten Kontext vollziehen. Demgegenüber ergibt eine Erzählung insgesamt eine gesättigte, d.h. für sich alleine stehende Form der Kontextbildung. Wiederum lässt sich diese Abgeschlossenheit auch für andere mediale Formen der Kontextbildung im engeren Sinn (auf die, wie oben angegeben, durch sprachliche Kontextreferenzierungen verwiesen werden kann) annehmen, insbesondere Bilder. Ihre Verwendung entspräche dann einer gesättigten Kommunikationshandlung mit dem Ziel, einen neuen nun gemeinsam verfügbaren (komplexen) Kontext im Diskursuniversum der Kommunikationspartner einzuführen. Gleichwohl ist zu beachten, dass eine solche Kontextbildung in aller Regel nicht nur zum Selbstzweck durchgeführt wird: Sie hat zunächst prinzipiell den Sinn, die neu eingeführten Kontexte als Basis für weiteres gemeinschaftliches Handeln (insbesondere auch Reden darüber) nutzen zu können. Die gesättigte Kontextbildung steht mithin immer im Rahmen weiterer kommunikativer Interaktionen zwischen den Beteiligten. Sachbezug und Wahrheit bei KontextbildungDa Kontextbildungen die Basis für Propositionen bilden, handelt es sich zumindest bei den Kontextbildungen im engeren Sinn um Zeichenhandlungen, die selbst keinen Sachbezug aufweisen, da ansonsten ein infiniter Regress aufträte. Die Kontextbildung im engeren Sinn führt den Kontext zuallererst ein, auf den sich ein potentieller Sachbezug der Zeichenhandlung beziehen müsste: Die Kontextbildung eröffnet überhaupt die Möglichkeit, eine andere Zeichen(teil)handlung mit Sachbezug zu vollziehen. Anders gefasst: Da eine Situation nicht einfach einer endlichen Menge von zutreffenden Sachverhalten (Tatsachen) entspricht, sondern interpretationsoffen ist, d.h. prinzipiell das Potential für unendlich viele Beschreibungen relativ zu ganz verschiedenen Begriffsfeldern umfasst, macht es keinen Sinn, eine endgültige endliche Menge von propositionalen Beschreibungen anzunehmen, die einen durch Kontextbildung intersubjektiv eingeführten Kontext vollständig erfasste und deren Sachbezug daher als Sachbezug der kontextbildenden Zeichen(teil)handlung aufgefasst werden könnte (⊳ auch Ekphrasis). In der Folge ist es auch nicht ohne Weiteres sinnvoll, den Begriff der Wahrheit auf Kontextbildungen anzuwenden, wird dieser Begriff doch als Maß dafür verwendet, ob ein relativ zu einem Kontext behaupteter Sachverhalt entweder deduktiv mit einer akzeptierten Menge von Behauptungen über jene Situation verträglich ist (Kohärenztheorie der Wahrheit) oder in dem Kontext nachweislich (empirisch) zutrifft (Korrespondenztheorie der Wahrheit). Selbstbezug bei KontextbildungInfolge des fehlenden Sachbezugs spielt der Selbstbezug bei kontextbildenden Zeichenhandlungen eine besonders wichtige Rolle, denn nur die Selbstdarstellung des eine Kontextbildung vollziehenden Kommunikationsteilnehmers kann die Aufgabe übernehmen, eine intersubjektiv verfügbare Bezugsbasis für darauf aufbauende Sachbezüge zu liefern. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass es zwar auch möglich (und in Bemerkungen über Kontextbildung sogar unumgänglich) ist, über Situationen/Kontexte propositional zu reden und sich dabei nominatorisch auf sie zu beziehen. Doch bedeutet das auch, Situationen als Gegenständen gegenüberzutreten, die dann ihrerseits also wieder als Gegenstände nur in bestimmten abstrakten Räumen (d.h. speziellen metaphorischen Situationen = Kontexten) vorkommen, welche dann ihrerseits erst durch einen Akt der Kontextbildung verfügbar gemacht werden müssen. Der Akt der Kontextbildung selbst muss daher in der damit vollzogenen Selbstdarstellung kulminieren. In der Kombination von fehlendem Sachbezug und dem Fokus auf den Selbstbezug gehört die Kontextbildung zu den Bekundungen bzw. zum bekundenden Anteil einer Zeichenhandlung. Der Selbstbezug von Kontextbildungen muss ganz allgemein offensichtlich in einer Selbstdarstellung bestehen, die man durch folgende Phrase umschreiben kann: ‘Sich darstellen als jemand, dessen Aufmerksamkeit sich explizit einer anderen Situation zuwendet’. Zwar gehört das ostentative Zeigen spezifischer Spontanreaktionen auf die gemeinte Situation nur im Grenzfall zur Selbstdarstellung, doch zeigt dieser sich darin besonders deutlich. Logische und empirische KontextbildungMan kann sich natürlich auch darstellen als einer, der sich der aktuellen Situation auf diese distanzierte Weise zuwendet. Allerdings gibt es in diesem Fall einen deutlichen Unterschied zu anderen Kontextbildungen: Nur im aktuellen Kontext ist es nämlich möglich, eine auf den Kontext bezogene konkrete Proposition empirisch zu überprüfen. Die sensomotorischen Testroutinen, die mit der Unterscheidungsgewohnheit assoziiert sind, die ihrerseits durch die Prädikation der Proposition bestimmt wird, können auf die durch die Nominationen der Proposition im Kontext identifizierten Gegenstände unmittelbar angewendet werden und liefern so empirische Erkenntnisse. Wird etwa behauptet, der Apfel in der entfernten heimischen Küche sei rotbackig, ist, der Entfernung wegen, ein Anschauen jenes Apfels und Beurteilen auf Rotbackigkeit nicht ohne Weiteres möglich. Wird hingegen behauptet, der Apfel hier sei rotbackig, genügt ein Blick auf den anwesenden Apfel: Unsere sensomotorische Ausstattung erlaubt es, die Prädikation zu bestätigen oder ihr begründet zu widersprechen. Die distanzierte Zuwendung zur aktuellen Situation ist daher eine Kontextbildung mit empirischer Vergegenwärtigung: kurz empirische Kontextbildung. Ihr stehen die Kontextbildungen mit lediglich logischer Vergegenwärtigung (kurz: logische Kontextbildungen) gegenüber: Ohne empirischen Zugang kann hier die Wahrheit einer Behauptung relativ zu dem Kontext nur kohärenztheoretisch über logische Kompatibilität mit anderen Aussagen über den Kontext beurteilt werden.[4]
Piktoriale KontextbildungWie oben bereits erwähnt können adverbiale Ergänzungen, die auf ein Bild verweisen, als Kontextreferenzierungen verwendet werden. So mag etwa der Ausdruck ‘in Picassos «Les Demoiselles d'Avignon»’ ganz zwanglos als Kontextbildung etwa für die Behauptung, dass ‘drei Frauen eine Art afrikanische Masken tragen’, dienen. In Abwesenheit des Bildes bleibt die Kontextbildung allerdings rein logisch. Angesichts des Bildes aber kann jene Behauptung als empirisch offensichtlich falsch entschieden werden. Die Vermutung liegt nahe, dass die Kontextreferenzierung durch den Verweis auf das Bild tatsächlich sekundär gegenüber der ursprünglicheren Kontextbildung im engeren Sinne durch die Präsentation des Bildes selbst ist. In der Tat werden mit Bildern in der Regel individuierte Gegenstände in einer Art gemeinsamer Situation dargestellt – eine Äußerung, die durchaus auch für Romane zutrifft, auch wenn es ansonsten viele Unterschiede gibt. Insbesondere handelt es sich bei der piktorialen Kontextbildung im Gegensatz zu der rein logischen Kontextbildung durch einen Text um eine zumindest partiell empirisch Kontextbildung, denn die Geltung der Prädikationen von visuellen Merkmalen oder davon abhängigen anderen Unterscheidungen können im Bildraum mehr oder weniger unmittelbar überprüft werden. Die piktorial vermittelten Kontexte erscheinen also als partiell mit der je aktuellen Verhaltenssituation verschmolzen. Dass ‘Bildverwendung grundlegend visuell-empirische Kontextbildung im engeren Sinne’ sei ist daher die Kernthese der modalen Bildtheorie. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Kontexte für verschiedene Bildarten durchaus unterschiedlich gebildet werden. Piktoriale Kontextbildung bei darstellenden BildernMit Hilfe von darstellenden Bildern werden in aller Regel vornehmlich visuelle Aspekte möglicher Verhaltenssituationen als Kontexte für gemeinsames sprachliches oder nicht-sprachliches Handeln zur Verfügung gestellt. Analog zur Interpretation der je aktuellen Erscheinungsweisen sortaler Gegenstände im Wahrnehmungsraum als persistente Individuen werden auch in den durch piktoriale Kontextbildung in einer immerwährenden Gegenwart präsentierten Erscheinungen Gegebenheitsweisen zeitlich-ausdauernder individueller Gegenstände begriffen: Obwohl von abgebildeten Gegenständen meist keine andere Gegebenheitsweisen vorliegen – also keine Begegnungen in anderem Kontext möglich sind – verstehen wir sie als Gegenstände mit Geschichte, als Objekte, denen wir zumindest im Prinzip auch in anderen Situationen wieder (als denselben Objekten) begegnen könnten.[5] Diese Interpretation spielt vor allem bei Abbildungen realer Gegenstände eine zentrale Rolle, etwa einem Fahndungsfoto. Gesucht wird ja nicht ein Mensch, der der Pigmentfläche des Bildträgers ähnelt, sondern diesem Menschen im Bildraum. Die Nomination ‘dieser Mensch’ ist auf den Kontext bezogen, der mit dem Bild eröffnet wird. Piktoriale Kontextbildung bei trompe l'œilsDie Besonderheiten der speziellen darstellenden Bilder vom Typ des trompe l'œils (oder des immersiven Bildes) liegen nicht daran, dass bei der unreflektierten Rezeption keine Kontextbildung stattfindet, da das Bild ja in dem Fall gar nicht als Bild erkannt wird. Tatsächlich handelt es sich vielmehr um eine zu gut gelungene und dadurch disfunktionale piktoriale Kontextbildung, die sowohl bei der Herstellung wie beim reflektierten Betrachten wieder als ganz normalen visuelle Kontextbildung wirkt (⊳ Dezeptiver und immersiver Modus). Piktoriale Kontextbildung bei logischen BildernDa mit logischen Bildern wenigstens zum Teil etwas an sich nicht visuell Wahrnehmbares präsentiert wird, liegt ihrer Semantik eine metaphorische Begriffsübertragung vom dargestellten Bereich in den Bereich sichtbarer und somit bildlich direkt darstellbarer Entitäten zugrunde. Mithin wird eine durch piktoriale Kontextbildung bereitgestellte Verhaltenssituation als ein Modell für einen mehr oder weniger komplexen nicht-visuellen Zusammenhang verwendet. Die kontextbildende Funktion erweitert sich damit auf den an sich nicht-wahrnehmbaren Phänomenbereich: Insbesondere werden auf diese Weise auch beliebige abstrakte Zusammenhänge als eine (potentielle) Verhaltenssituation visuell erfahrbar und interindividuell empirisch zugänglich (⊳ Image Schemata). Piktoriale Kontextbildung bei Bildzitaten und anderen reflexiv verwendeten BildernReflexive Zeichenverwendungen sind allgemein abgeleitete Verwendungsweisen (⊳ Bild in reflexiver Verwendung). Das nun primäre exemplarische Vorführen von Eigenarten der jeweiligen Zeichennutzung setzt insbesondere die eigentliche pragmatische Funktion des zitierten oder reflexiv verwendeten Zeichens außer Kraft. Das gilt analog auch für Bilder. Eine ursprünglich kontextbildende Funktion wäre daher bei reflexiv verwendeten Bildern – sofern sie nicht gerade das zu exemplifizierende Merkmal darstellt – nicht mehr wirksam oder jedenfalls nicht mehr unmittelbar wirksam. Gleichwohl steht dieser Verwendungszweck mit vielen anderen Aspekten des Bildgebrauchs in engem Zusammenhang, so dass zwar die eigentliche kontextbildende Funktion aufgehoben ist, da die Präsentation des Bildes nun einem anderen Zweck dient, aber eingebettet in dieser Exemplifikation gleichwohl ein zentraler Faktor bleibt. Piktoriale Kontextbildung bei ungegenständlichen BildernDer fehlende Verweis auf räumliche Gegenstände im üblichen (sortalen) Sinn setzt bei ungegenständlichen Bildern zunächst den Mechanismus außer Kraft, der den Bildraum als visuell wahrgenommene Verhaltenssituation etabliert. Daher erscheint es auf den ersten Blick unplausibel, auch bei dieser Art von Bildern von Kontextbildung als ihrer pragmatischen Grundfunktion auszugehen. Allerdings können ungegenständliche Bilder sehr gut als reflexiv genutzte Bilder mit negativer Exemplifikation begriffen werden, so dass ihr Verwendungszweck einerseits (infolge der reflexiven Verwendung) ohnehin von der grundlegenden Verwendung von Bildern abgesetzt wäre und mehr im Exemplifizieren von Aspekten der Bildverwendung besteht, nicht in der Kontextbildung. Andererseits betrifft die negative Exemplifikation bei ihnen gerade auch die nicht funktionierende Kontextbildungsfähigkeit, die damit wiederum ex negativo als typisch für Bilder im Normalfall bestätigt wäre.
Primäre KontextbildungIn anthropologischen Bildtheorien geht es vor allem darum, die Rolle der Fähigkeit, Bilder verwenden zu können, in den Rahmen der differentiae specificae philosophischer Menschenbegriffe einzuordnen. Aus Sicht der modalen Bildtheorie ist daher vor allem zu klären, ob und auf welche Weise die Bildkompetenz bereits beim Übergang zum Begriff eines Wesens mit der Fähigkeit zur Kontextbildung – der primären Kontextbildung – eine systematische Funktion übernimmt. In der Tat lassen sich gute Gründe dafür anführen, dass sich eine primäre Kontextbildung nicht rational konzipieren lässt ohne die Verwendung mindestens einer Art wahrnehmungsnaher Zeichen zu berücksichtigen, die als interindividuell verfügbare Grundlage für die empirische Verankerung der Referenzfunktion propositionaler Sprache dient ([Schirra & Sachs-Hombach 2006b]Literaturangabe fehlt. Siehe auch:
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Inhaltsverzeichnis
Anmerkungen
[Fauconnier 1985a]:
Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Frege 1892a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Schirra & Sachs-Hombach 2006b]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Schirra & Sachs-Hombach 2011a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Schirra & Sachs-Hombach 2013a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. Ausgabe 1: 2013 Verantwortlich: Lektorat: Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [74], Klaus Sachs-Hombach [5] und Emilia Didier [1] — (Hinweis) Zitierhinweis: [Schirra 2013g-p]Literaturangabe fehlt. |