Das Lateinische verfügt über ein breites, variantenreiches und sich oft änderndes Vokabular, um Bilder zu bezeichnen. Außer den im Weiteren aufgeführten Ausdrücken sind hier ‘signum’, ‘statua’, ‘pictura’ (abgeleitet von ‘pingere’, dem lateinischen Ausdruck für das Malen) und ‘repraesentatio’ zu nennen. In der Regel gilt, dass sich die verwendeten Ausdrücke ursprünglich auf plastische Gebilde wie Skulpturen, Plastiken, Büsten, Masken und (dann auch) Reliefs beziehen und dass sie erst später anfangen, Bilder im uns heute geläufigen Sinne – also plane, flächige Objekte – zu meinen. Das Lateinische knüpft einerseits des Öfteren, teils sogar einfach nur durch Latinisierung, an das griechische Bildvokabular an, andererseits stellt es viele Grundlagen für das moderne Bildvokabular.
Der »Eigennamen-Typus«
Wie schon im Griechischen besteht im Lateinischen die Möglichkeit, Bilder, genauer: Götterbilder, auch indirekt zu bezeichnen. Zunächst ist das insbesondere im Kontext der magischen Bildauffassung der Fall:
- Die Sprache kann mit dem bloßen Eigennamen einer Gottheit das Bild des betreffenden Gottes oder der Göttin benennen, ohne eines der üblichen bildbezeichnenden Worte wie ‘effigies’, ‘imago’, ‘signum’, ‘simulacrum’ oder ‘statua’ zu verwenden. Mit diesem Eigennamen-Typus drückte der frühere Mensch seinen Glauben an die Identität von Bild und Gottheit aus, der noch durch keine Reflexion über den künstlerisch-technischen Vorgang bei der Schöpfung des Götterbildes gebrochen war ([Daut 1975a]Literaturangabe fehlt.
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- Glossarlemma. : S. 14).
Vermutlich ist der Eigennamen-Typus – also beispielsweise ‘Venus’ sagen und (zugleich auch) ihre Skulptur meinen – im vorliterarischen Latein der eigentliche Modus, in dem über Götterbilder gesprochen wird. Gerade in Bezug auf die Laren und Penaten, die privaten Götter des Haushalts, der Orte und Familien, hält er sich bis in die römische Spätzeit. Darüber hinaus findet sich der Eigennamen-Typus in zwei weiteren Funktionen (vgl. im Folgenden [Daut 1975a]Literaturangabe fehlt.
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- Glossarlemma. : S. 21, 29). In der Terminologie der Kunstschriftsteller ist es eine beliebte Abkürzung, den Namen des dargestellten Gottes in Verbindung mit dem Genitiv des Künstlernamens anzugeben; der «Iuppiter Lysippi» etwa ist hier die von Lysipp gefertigte Jupiter-Statue. Die satirische Bilderkritik schließlich verwendet den Eigennamen-Typus, um den magischen Bilderglauben zu verspotten. Dabei konterkariert sie handelnde und redende Götterbilder mit Hinweisen auf ihren Status als Artefakt und auf ihre Materialbeschaffenheit – wie Horaz, der dem Priapus die Rede in den Mund legt, einst ein Feigenbaumstrunk gewesen zu sein («Satiren» 1,8,1-4).
‘Effigies’
Die Regel, dass sich Bildausdrücke ursprünglich nicht auf plane, flächige Objekte beziehen, zeigt sich im Fall von ‘effigies’ besonders deutlich; dieser Bildausdruck leitet sich etymologisch vom Verb ‘effingere’ ab, womit anfangs das plastische Bilden – und wahrscheinlich vor allem das Arbeiten in Ton – bezeichnet wurde. Bis in die europäische Neuzeit ist er zur Bezeichnung von Bildern und Abbildern gebräuchlich, weist aber außerdem noch zwei Besonderheiten auf, nämlich im Begräbniskult und im Recht (vgl. [Olbrich 1987a]Literaturangabe fehlt.
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- Glossarlemma. : Bd. 2, S. 265). In den Begräbniskulten von der Antike bis in die Neuzeit begegnet mit der effigies ein meist aus vergänglichen Materialien wie Wachs, Leder, Weidengeflecht, Ton oder Ähnlichem geformtes plastisches Abbild eines Verstorbenen, für dessen Gesichtsdarstellung auch die Totenmaske herangezogen werden konnte. Als Scheinleib dient die effigies bei herrschaftlichen Begräbniszeremonien vor allem dann, wenn die Anforderungen der politischen Repräsentation mit dem echten Leichnam – vor allem bei längerer Dauer der Feierlichkeit – nicht mehr zu bewältigen sind. Noch länger, mindestens bis ins 19. Jahrhundert, hält sich im Recht die Praxis, ein Urteil in effigie, also im oder am Bild zu vollstrecken. Bei einer Exekution in effigie konnte anstelle des abwesenden, flüchtigen Verurteilten beispielsweise ein Gemälde von ihm verbrannt oder eine plastische Darstellung gehängt werden.
‘Species’
Keine Beschränkung auf einzelne Bildarten ist mit dem Ausdruck ‘species’ gegeben. Seine Grundbedeutung lautet ›Erscheinung‹, was ihn auch zur Übersetzung des griechischen ‘phantasma’ qualifiziert. Er wird schon früh auch auf Gemälde angewendet (vgl. [Daut 1975a]Literaturangabe fehlt.
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- Glossarlemma. : S. 40f.). Neben die vielseitige Verwendung im Bereich der materialen, sichtbaren Bilder tritt im Mittelalter auch der Bezug auf Bilder im übertragenen, mentalen Sinne, denn die mittelalterliche Erkenntnistheorie diskutiert ausführlich den Status von species sensibilis und species intelligibilis. Deren Aufgabe ist es, im Erkenntnisprozeß zwischen Körper und Geist, zwischen Sinneswahrnehmung und diskursivem Denken zu vermitteln: Die species sensibiles repräsentieren dabei – ähnlich wie die Aristotelischen phantasmata – die von den Sinnen wahrgenommenen Objekte, während es sich bei den species intelligibiles um Abstraktionen handelt, die der Verstand auf dieser Grundlage vornimmt (vgl. [Spruit 1994a]Literaturangabe fehlt.
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- Glossarlemma. : S. 22). Die neuzeitliche Erkenntnistheorie wird sich von ihnen distanzieren und wiederholt kritisieren, dass der Erkenntnisprozeß nicht in Analogie zur Verfertigung materialer Bilder erklärt werden könne. René Descartes verspottet die species daher als kleine, von den Objekten durch die Luft hin zum Geist fliegende Bilder, als „petits images voltigeantes“ ([Descartes 1965a]Literaturangabe fehlt.
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- Glossarlemma. : S. 85; vgl. auch Griechisch: ‘agalma’, ‘phantasma’, ‘eidolon’, ‘typos’, ‘eikon’, Abschnitt ‘Eidolon’).
‘Simulacrum’
Vom Verb ‘simulare’, das in erster Linie ›ähnlich machen‹ bedeutet, leitet sich ‘simulacrum’ ab. Wenngleich damit ganz allgemein das Ebenbild, Abbild oder Bildnis bezeichnet werden kann, wird in der Antike darunter zumeist das kultisch verehrte Götterbild verstanden (vgl. [Georges 1998a]Literaturangabe fehlt.
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- Glossarlemma. : Bd. 2, S. 2678, [Pearcy 1975a]Literaturangabe fehlt.
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- Glossarlemma. : S. 122). Da es sich dabei um eine plastische und ganzfigurige Darstellung handelt (vgl. [Daut 1975a]Literaturangabe fehlt.
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- Glossarlemma. : S. 34), bietet es sich an, ‘simulacrum’ in diesem Sinne als materiales Bild zu begreifen. In Anbetracht des kultischen Zusammenhangs und des für ihn ausschlaggebenden magischen Bildverständnisses ist diese Kategorisierung allerdings mit einer gewissen Vorsicht zu verwenden. Neben dieser Bedeutung findet sich ‘simulacrum’ auch, um Schatten-, Spiegel-, Traum- und Phantasiebilder zu bezeichnen oder Schattenbilder der Verstorbenen und auch Gespenster (vgl. [Georges 1998a]Literaturangabe fehlt.
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- Glossarlemma. : Bd. 2, S. 2678); in diesen Hinsichten eignet sich ‘simulacrum’ als Übersetzung des griechischen ‘eidolon’. Auch und gerade im Zusammenhang mit den letztgenannten Bedeutungen etabliert sich eine negative Konnotation, nämlich die des Trugs und der Täuschung. Dieser eher bedenkliche Aspekt von ‘simulacrum’ verstärkt sich im christlichen Latein nicht zuletzt deswegen, weil die paganen Götterbilder nun als Götzenbilder dem Verdikt der Unwahrheit ausgesetzt werden. Wirkmächtig ist hier die große Enzyklopädie mittelalterlichen Wissens, Isidor von Sevillas «Etymologiae», die in Buch VIII, 11 auch eine neue Komponente bei der etymologischen Ableitung des Wortes ins Spiel bringt: „Daher (werden) sie ‘simulacra’ (genannt), entweder weil sie ähnlich (‘similia’) sind oder weil sie unecht (‘simulata’) sind und erfunden (‘conficta’), weshalb sie auch falsch sind“ ([Isidor von Sevilla 2008a]Literaturangabe fehlt.
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- Glossarlemma. : S. 309).
Einen bemerkenswerten Aufschwung erfährt ‘simulacrum’ in der wissenschaftlichen Terminologie des 20. Jahrhunderts. Hier erweist sich gerade der bedenkliche Aspekt von ‘simulacrum’, nämlich gerade
kein verlässliches oder treues Abbild von etwas anderem zu sein, als relevant und anschlussfähig. Um zwei Beispiele aus dieser Entwicklung zu nennen: In der poststrukturalistischen Medientheorie gelten Bilder verstärkt als nicht mehr auf Realität verweisende, als referenzlose
Simulakren (vgl.
[Baudrillard 1978a]Baudrillard, Jean (1978).
Agonie des Realen. Berlin: Merve.
Eintrag in Sammlung zeigen: S. 10-16). Und der jüngeren Wissenschaftstheorie zufolge lassen sich Wahrheit und Falschheit physikalischer Gesetze nicht direkt an der Realität erproben, vielmehr bedarf es dazu der Bildung von Modellen, in denen von der Realität abweichende Simulakren die realen Objekte vertreten (
[Cartwright 1983a]Literaturangabe fehlt.
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- Glossarlemma. : S. 3f.).
‘Imago’
Bei ‘imago’ handelt es sich nicht allein um den am weitesten verbreiteten Ausdruck aus dem lateinischen Bildvokabular, sondern auch um den facettenreichsten. Er ist mit ‘imitari’ (›nachmachen‹) und ‘imaginari’ (›sich vorstellen‹) verwandt und bezeichnet zunächst vor allem das römische Ahnenbild ([Asmuth 1998a]Literaturangabe fehlt.
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- Glossarlemma. : S. 228).[1] Beim Ahnenbild handelt es sich um die Büste eines verstorbenen Menschen, ursprünglich vermutlich um seine Totenmaske, die im Totenkult auf verschiedene Weise eingesetzt werden konnte. Wenn eine römische Adelsfamilie das Recht auf bildliche Darstellung, das ius imaginis, besaß, durfte sie die Ahnenbilder im Tempelschrein des Atriums aufbewahren und bei Begräbnissen die Bilder des Verstorbenen und der Ahnen (auch ‘imagines maiorum’ genannt) in der feierlichen Prozession mitführen. Im Zusammenhang mit dieser Praxis bürgert es sich ein, imago als ein Bild oder Porträt eines Menschen zu begreifen, das der „Vorstellung abbildhafter, veristischer Ähnlichkeit“ zu entsprechen hat (vgl. [Daut 1975a]Literaturangabe fehlt.
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- Glossarlemma. : S. 54).
Noch vor der Zeitenwende wird jedoch ‘imago’ auch in allgemeinerer Bedeutung verwendet. Der Ausdruck ist nun weder zwangsläufig auf den genannten kultischen Zusammenhang noch auf die Darstellung eines einzelnen Menschen bezogen, sondern kann verwendet werden, um die Darstellung von Tieren, Naturgegenständen (wie das Meer), Göttern und Szenen mit mehreren Menschen (also Handlungen) sowie auch Feldzeichen (die in der Schlacht das Bild des Kaisers trugen) zu bezeichnen. Damit wird »imago« zum Oberbegriff, unter den jedes künstlerisch bzw. handwerklich gefertigte Bild fallen kann (vgl. [Daut 1975a]Literaturangabe fehlt.
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- Glossarlemma. : S. 141-145).
Wie sich teils schon der Etyomologie von ‘imago’ entnehmen lässt, kann der Ausdruck auch zur Bezeichnung von Schatten-, Traum- und Vorstellungsbildern dienen (vgl. [Georges 1998a]Literaturangabe fehlt.
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- Glossarlemma. : Bd. 2, S. 59). Zwei besondere Funktionen kommen den imagines als Vorstellungsbildern in der Rhetorik zu. Bilder abwesender Gegenstände dem Publikum möglichst eindringlich vor Augen zu stellen ist das Mittel der Wahl, um bei den Hörern Gefühlswirkungen hervorzurufen (vgl. [Quintilian 1995a]Literaturangabe fehlt.
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- Glossarlemma. : S. 709f.). Eine verwandte Funktion übernehmen imagines in der Mnemotechnik; hier soll das Verknüpfen mit auffälligen Vorstellungsbildern dazu dienen, sich Sachverhalte einzuprägen. Im späteren, christlichen Latein schließlich werden imagines ubiquitär. Nicht nur wird Gottesebenbildlichkeit als ‘imago dei’ wiedergegeben – in der Allegorik des Mittelalters ist jedes Geschöpf, jeder Teil der Schöpfung eine imago Gottes (vgl. [Bauch 1994a]Literaturangabe fehlt.
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- Glossarlemma. : S. 276f.). Die Psychoanalyse des 20. Jahrhunderts schließlich kennt im Anschluss an Carl Gustav Jung die Imago als „Unbewußtes Vorbild von Personen, das elektiv die Art und Weise bestimmt, wie das Subjekt den anderen erfaßt“ (vgl. [Laplanche & Pontalis 1973b]Literaturangabe fehlt.
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- Glossarlemma. : S. 229).