Massenmedien: Unterschied zwischen den Versionen
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Massenmedien, so ein weit verbrei­teter Verdacht, nehmen Einfluss auf die Massen, kontrol­lieren oder mani­pulie­ren sie.<ref>Vgl. da­zu kri­tisch <bib id='Eco 1984a'></bib>.</ref> Die Frage nach dem Einfluss von Medien auf Gesell­schaft und Indi­viduen ist mit den Massen­medien im 20. Jahrhun­dert zum Angel­punkt kultu­reller Selbstbe­schreibun­gen und ihrer Krisen­szena­rios aufge­stiegen. Zumeist wird die Konsti­tution von Massen kultur­kritisch aufge­laden und mit Mani­pula­tion, Meinungs­mache und Machtmiss­brauch asso­ziiert. Die uni­direk­tiona­le Struktur von Sender und Empfän­ger hat Bertolt Brecht schon um 1930 am Radio kriti­siert und darauf hinge­wiesen, dass dem Radio aufgrund seiner techni­schen Beson­derheit, poten­tiell auch ein Sende­gerät zu sein, als Massen­medium auch eman­zipa­tori­sche Kraft zukom­men könne <bib id='Brecht 1992a'></bib>. Diese Kraft wird heute in sozi­alen Medien veror­tet und soll noch im “ara­bischen Früh­ling” am Werk sein. Der Begriff »Massen­medien« kann dahin­gehend als Feld der Aus­einan­derset­zung um den poli­tischen Status von Medien in moder­nen Gesell­schaften gelten. Beson­ders einfluss­reich waren in dieser Hinsicht die Erklä­rungsmo­delle der Frankfur­ter Schule, die die Massen­medien als Kultur­indus­trie iden­tifi­zierten <bib id='Adorno & Horkheimer 1947a'>Ador­no & Horkhei­mer 1947a</bib>. Vor allem Günther Anders hat die Massen­medien für die Zerstö­rung der Urteils­fähig­keit und für den Kollaps der Diffe­renz zwischen Ereig­nis und Abbild verant­wortlich gemacht <bib id='Anders 2009a'></bib> – einen Kollaps, den dann Jean Baudril­lard mithil­fe der Ausdrü­cke [[Simulation, Simulakrum|‘Simu­lakrum’ und ‘Simu­lation’]] beschrie­ben hat <bib id='Baudrillard 1978a'>Baudril­lard 1978a</bib>. | Massenmedien, so ein weit verbrei­teter Verdacht, nehmen Einfluss auf die Massen, kontrol­lieren oder mani­pulie­ren sie.<ref>Vgl. da­zu kri­tisch <bib id='Eco 1984a'></bib>.</ref> Die Frage nach dem Einfluss von Medien auf Gesell­schaft und Indi­viduen ist mit den Massen­medien im 20. Jahrhun­dert zum Angel­punkt kultu­reller Selbstbe­schreibun­gen und ihrer Krisen­szena­rios aufge­stiegen. Zumeist wird die Konsti­tution von Massen kultur­kritisch aufge­laden und mit Mani­pula­tion, Meinungs­mache und Machtmiss­brauch asso­ziiert. Die uni­direk­tiona­le Struktur von Sender und Empfän­ger hat Bertolt Brecht schon um 1930 am Radio kriti­siert und darauf hinge­wiesen, dass dem Radio aufgrund seiner techni­schen Beson­derheit, poten­tiell auch ein Sende­gerät zu sein, als Massen­medium auch eman­zipa­tori­sche Kraft zukom­men könne <bib id='Brecht 1992a'></bib>. Diese Kraft wird heute in sozi­alen Medien veror­tet und soll noch im “ara­bischen Früh­ling” am Werk sein. Der Begriff »Massen­medien« kann dahin­gehend als Feld der Aus­einan­derset­zung um den poli­tischen Status von Medien in moder­nen Gesell­schaften gelten. Beson­ders einfluss­reich waren in dieser Hinsicht die Erklä­rungsmo­delle der Frankfur­ter Schule, die die Massen­medien als Kultur­indus­trie iden­tifi­zierten <bib id='Adorno & Horkheimer 1947a'>Ador­no & Horkhei­mer 1947a</bib>. Vor allem Günther Anders hat die Massen­medien für die Zerstö­rung der Urteils­fähig­keit und für den Kollaps der Diffe­renz zwischen Ereig­nis und Abbild verant­wortlich gemacht <bib id='Anders 2009a'></bib> – einen Kollaps, den dann Jean Baudril­lard mithil­fe der Ausdrü­cke [[Simulation, Simulakrum|‘Simu­lakrum’ und ‘Simu­lation’]] beschrie­ben hat <bib id='Baudrillard 1978a'>Baudril­lard 1978a</bib>. | ||
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− | Ganz anders haben die englisch­sprachigen «Cultu­ral Studies» seit den 1960er Jahren Massen­medien und vor allem das Fernse­hen beschrie­ben <bib id='Fiske 2003a'></bib>. Ihnen geht es weni­ger um Verblen­dung und Mani­pula­tion als um Produk­tivi­tät und Kreati­vität, aber auch um die hege­monia­le Struktur von [[Kontext|Rezep­tionskon­texten]]im alltäg­lichen Gebrauch, ohne in Hoch- und Popkul­tur zu unter­scheiden. Massen­medien geben demnach ihren Rezep­tionskon­text nicht vor und ihre Verwen­dung ist offen und unvor­herseh­bar. | + | Ganz anders haben die englisch­sprachigen «Cultu­ral Studies» seit den 1960er Jahren Massen­medien und vor allem das Fernse­hen beschrie­ben <bib id='Fiske 2003a'></bib>. Ihnen geht es weni­ger um Verblen­dung und Mani­pula­tion als um Produk­tivi­tät und Kreati­vität, aber auch um die hege­monia­le Struktur von [[Kontext|Rezep­tionskon­texten]] im alltäg­lichen Gebrauch, ohne in Hoch- und Popkul­tur zu unter­scheiden. Massen­medien geben demnach ihren Rezep­tionskon­text nicht vor und ihre Verwen­dung ist offen und unvor­herseh­bar. |
Version vom 9. Juni 2015, 16:19 Uhr
Unterpunkt zu: Medientheorien: Übersicht
Der «iconic turn» und «pictorial turn» der 1990er Jahre artikulierten ein Beschreibungsdefizit angesichts der von den sogenannten Massenmedien erzeugten ‘Bilderschwemme’. Die Dringlichkeit, mit der eine Hinwendung zu den Bildern gefordert wurde, speiste sich aus einer Reihe von Beobachtungen, die die zunehmend invasive Bedeutung von Bildern, die Ersetzung von Schrift durch Bild und eine neue Art der Verteilung von Bildern durch das Internet zum Gegenstand hatten – Beobachtungen, denen überlieferte theoretische Ansätze nur ungenügend begegnen konnten. Ohne Berücksichtigung der Massenmedien, so der Tenor, würde man Bildproduktion und Bildpraktiken zukünftig kaum beschreiben können.
Massenmedien, «iconic turn» und «pictorial turn»Ein wesentliches Moment bildwissenschaftlicher Betätigung bezieht sich damit auf Medien, die der Kunstgeschichte lange Zeit als minderwertig und als zu vernachlässigen galten: den Massenmedien, einem äußert unscharfen, ambivalenten und kulturpessimistisch besetzten Gegenstand. Als Massenmedien werden gemeinhin technische Medien bezeichnet, die ihre Inhalte nicht nur wie etwa ein Brief zwischen einem Sender und einem Empfänger vermitteln, sondern eine große Menge von – zumeist anonymen – Empfängern zugleich erreichen. Sinnfällig wird das an der Bezeichnung ‘Broadcasting’, die mit dem Massenmedium Radio eingeführt und auch für das Fernsehen beibehalten wird; sie stammt aus dem Ackerbau und bezeichnet dort das breitwürfige Säen, also ein Verfahren, bei dem aus einer Hand heraus eine große oder größtmögliche Streuung erreicht werden soll. Die paradigmatischen Massenmedien sind Radio und Fernsehen, die sich etwa vom Internet mit seiner Netzstruktur (die durchaus bestimmte massenmediale Aspekte beinhaltet) dadurch unterscheiden, dass sie sich nicht nur an viele Empfänger wenden, sondern an viele Empfänger im gleichen Moment mit dem gleichen Inhalt, wenn auch nicht auf die gleiche Weise. Parallel zur technischen Verringerung der Übertragungsgeschwindigkeit durch beständig neue technische Entwicklungen stieg die Anzahl der Empfänger ins potentiell Unendliche; ein Prozess, der seit Ende des 19. Jahrhunderts alle Bereiche der Kultur grundlegend verändert hat und darin kulminiert, dass Kultur heute ohne Massenmedien kaum noch denkbar erscheint. Er lässt sich jedoch weniger auf einzelne Techniken zurückführen, sondern ist Bestandteil einer grundlegenden Transformation zur Massenkultur, in der industrielle Produktions-, Reproduktions- und Distributionsweisen[1] zusammen mit neuen Medien (Fotografie seit 1826, Telegrafie seit 1837, Film seit 1895), Transportmitteln, Urbanisierung und dem modernen Pressewesen zusammentreten. Dabei werden soziale, politische und ökonomische Ordnungen grundlegend umgestaltet. Ein Resultat dieser Prozesse ist um 1900 das Auftauchen eines neuen sozialen Phänomens: der gestaltlosen, indifferenten, affektiven Masse, wie sie etwa Gustave Le Bon oder Gabriel Tarde beschreiben [Gamper 2007a]Literaturangabe fehlt. Massenmedien stehen damit im Gegensatz zu einer Kommunikation face to face, die sich nur an die begrenzte Zahl der Anwesenden richten kann. Die Kommunikation face to face gilt seit der Schriftkritik in Platons «Phaidros» als Modell der “guten”, unvermittelten Kommunikation. Auf diesen Topos rekurrierte die Medienkritik stets dann, wenn neue Medien das Gefüge alter Medien in Unordnung brachten [Sprenger 2010a]Literaturangabe fehlt.
Massenmedien und GesellschaftMassenmedien, so ein weit verbreiteter Verdacht, nehmen Einfluss auf die Massen, kontrollieren oder manipulieren sie.[2] Die Frage nach dem Einfluss von Medien auf Gesellschaft und Individuen ist mit den Massenmedien im 20. Jahrhundert zum Angelpunkt kultureller Selbstbeschreibungen und ihrer Krisenszenarios aufgestiegen. Zumeist wird die Konstitution von Massen kulturkritisch aufgeladen und mit Manipulation, Meinungsmache und Machtmissbrauch assoziiert. Die unidirektionale Struktur von Sender und Empfänger hat Bertolt Brecht schon um 1930 am Radio kritisiert und darauf hingewiesen, dass dem Radio aufgrund seiner technischen Besonderheit, potentiell auch ein Sendegerät zu sein, als Massenmedium auch emanzipatorische Kraft zukommen könne [Brecht 1992a]Literaturangabe fehlt. Ganz anders haben die englischsprachigen «Cultural Studies» seit den 1960er Jahren Massenmedien und vor allem das Fernsehen beschrieben [Fiske 2003a]Literaturangabe fehlt.
Genealogie der MassenmedienforschungDer Begriff »Massenmedien« ist in den letzten Jahren zunehmend einer kritischen Historisierung unterzogen worden und hat dabei viel von dem vormaligen Kredit eingebüßt, der ihn vor allem in der Publizistik zum Grundbegriff werden ließ und der dazu führte, dass er sogar mit »Medien« allgemein in eins gesetzt wurde. Zur gegenwärtigen Neuorientierung haben zwei Tendenzen beigetragen: Erstens haben eine Reihe historischer Untersuchungen gezeigt, wie die Bezeichnung ‘mass media’ in den 1950er und 1960er Jahren in den USA in bestimmten Interessenskontexten geprägt und politisch ausgerichtet wurde [Hagen 2003a]Literaturangabe fehlt. John Durham Peters hat jüngst drei Kriterien identifiziert, anhand derer sich Massenmedien historisch untersuchen lassen, ohne bestimmte Medien zu privilegieren [Peters 2011a]Literaturangabe fehlt. |
Anmerkungen
[Adorno & Horkheimer 1947a]:
Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Anders 2009a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Baudrillard 1978a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Beniger 1986a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Brecht 1992a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Canetti 2011a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Eco 1984a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Fiske 2003a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Gamper 2007a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Hagen 2003a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Peters 2011a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Schüttpelz 2002a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Sprenger 2010a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Vehlken 2012a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. Ausgabe 1: 2013 Verantwortlich: Lektorat: Seitenbearbeitungen durch: Dimitri Liebsch [49], Florian Sprenger [27] und Joerg R.J. Schirra [14] — (Hinweis) |