Medialität
Unterpunkt zu: Medientheorien: Übersicht
Ausgangspunkte‘Medialität’ ist keineswegs erst mit den Entwicklungen moderner Medientechnik eine für entsprechende Diskurse grundlegende Begrifflichkeit geworden. Bereits seit der Antike wird sie als essenzielles Element des menschlichen Weltverhältnisses ebenso intensiv reflektiert, wie auch diskutiert. Paradigmatisch in dieser Hinsicht sind die Auffassungen von Platon und Aristoteles über Bilder und die Art, wie diese mit der Wirklichkeit verbunden sind. Für Aristoteles besteht die Medialität eines Bildes in einem Darstellen, einem Vermitteln einer als solchen gegeben Wirklichkeit. Dabei erschöpft sich das von ihm mit dem Begriff der Mimesis gefasste ontologische Verhältnis von Natur und Kunst nicht in einer möglichst exakten Abbildung des einen durch das andere, sondern lässt auch Abwandlungen zu. Diese erfolgen nach Aristoteles jedoch stets im Rahmen des bereits in der Natur angelegten. Die Medialität der Bilder besteht nach dem aristotelischen Verständnis somit zum einen in der Erinnerung an eine als solche gegebene Wirklichkeit, zum anderen – wenn auch mit den erwähnten Einschränkungen – in deren Variation. Ästhetik der Medialität. Zur Vermittlung von künstlerischen Welten und ästhetischen Theorien. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 11ff.). Versuch über den Menschen. Einführung in eine Philosophie der Kultur. Hamburg: Meiner. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 221) das Mediale der Kunst als „Intensivierung von Wirklichkeit“ und sieht sie als „kontinuierlichen Konkretionsprozeß“. Medialität wird somit zu einem Instrument für eine Erschließung, ein Verstehen der Welt. Ebenfalls mit Blick auf die Kunst verortet John Dewey ([Dewey 2006a]Dewey, John (2006). Kunst als Erfahrung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 97) sie in seiner Ästhetik sowohl als Zeichen als auch als konstitutives Element „für ein vereintes Kollektivleben“. In seiner technikphilosophischen Betrachtung der Medialität beschreibt Christoph Hubig (vgl. [Hubig 2006]Hubig, Christoph (2006). Technikphilosophie als Reflexion der Medialität. Bielefeld: Transcript. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 148f.) sie als oszillierend zwischen einer Bestimmung als Realisierungsoption und als (technischer) Möglichkeitsraum und sensibilisiert so dafür, dass Medialität nicht nur bestimmte Möglichkeiten eröffnen, sondern sie gleichzeitig auch einschränken oder verschließen kann.
GegenwartDie Medialität eines Mediums wird nach Knut Hickethier (vgl. [Hickethier 2010a]Hickethier, Knut (2010).Einführung in die Medienwissenschaft. Stuttgart: Metzler. Eintrag in Sammlung zeigen: 25) vor allem durch drei miteinander zusammenhängende Aspekte bestimmt:
Understanding Media. The Extensions of Man. Cambridge, Mass.: MIT Press. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 22) in den sechziger Jahren das Fernsehen als „kaltes Medium“, also als eines, das eine hohe ergänzend-interpretative Beteiligung des Nutzers erfordert, um es überhaupt verstehen zu können. Diese Einschätzung beruht im Wesentlichen auf dem damaligen Entwicklungsstand des Fernsehens, dessen auf der Kathodenstrahlröhre präsentiertes Bild relativ detailarm und oft noch schwarz-weiß war. Angesichts der anhaltenden Tendenz zu immer besseren Aufnahme- und Wiedergabetechniken wäre Fernsehen, wenn man McLuhans Unterscheidung folgt, mittlerweile vielmehr als sehr detailreiches, „heißes Medium“ zu betrachten. Einführung in die Medienwissenschaft. Stuttgart: Metzler. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 27) Einführung in die Medienwissenschaft. Stuttgart: Metzler. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 28ff; ⊳ Cyberspace) Ein vor allem für das „Web 2.0“, aber zunehmend auch für den Bereich der Unterhaltungsmedien (Video-on-Demand etc.) als charakteristisch erkanntes Merkmal ist das der Interaktivität. Die Nutzer derartiger Medienangebote emanzipieren sich durch Prozesse der Selektion und Kombination der dargebotenen Inhalte sowie auch der genutzten Technik von der Rolle bloßer Empfänger. Die insbesondere für das „Web 2.0“ konstitutive, allgegenwärtige Generierung, kreative Neuordnung und Weiterverbreitung von Inhalten lässt die Unterscheidung von Sender und Empfänger in diesem Bereich mehr und mehr obsolet werden. Vgl. [Schanze 2007a]Literaturangabe fehlt.
PerspektivenMedialität wird neben ihrer technischen und gesellschaftlichen Bedingtheit auch unter anderen Gesichtspunkten betrachtet. Verschiedene Beiträge befassen sich etwa mit ihren Relationen zu Realität (vgl. [Fromme et al. 2011a]Fromme, Johannes; Iske, Stefan & Marotzki, Winfried (2011).Medialität und Realität. Zur konstitutiven Kraft der Medien. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften / Springer Fachmedien. Eintrag in Sammlung zeigen) und Performativität (vgl. [Kleiner & Wilke 2013a]Kleiner, Marcus S. & Wilke, Thomas (2013). Performativität und Medialität Populärer Kulturen. Theorien, Ästhetiken, Praktiken. Wiesbaden: Springer VS.. Eintrag in Sammlung zeigen, [Krämer 2004c]Krämer, Sybille (2004). Performativität und Medialität. München: Fink. Eintrag in Sammlung zeigen), nehmen eine dezidiert ästhetische Perspektive ein (vgl. [Matzker 2008a]Matzker, Reiner (2008). Ästhetik der Medialität. Zur Vermittlung von künstlerischen Welten und ästhetischen Theorien. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt. Eintrag in Sammlung zeigen) oder untersuchen die Art, wie menschliches Sein im Allgemeinen durch sie ausgestaltet wird (vgl. [Pietraß & Funiok 2010a]Pietraß, Manuela & Funiok, Rüdiger (2010). Mensch und Medien. Philosophische und sozialwissenschaftliche Perspektiven. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwiss.. Eintrag in Sammlung zeigen). Überschneidungen sind dabei unvermeidlich, dennoch kann jeder der genannten Ansätze dem unscharfen Bild der Medialität weitere Details hinzufügen. Definitionen haben demgemäß immer nur temporäre Gültigkeit und sind als Annäherungsversuche anzusehen. Einer dieser Versuche fasst Medialität als
Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts (1830-1835). In Werke. Bd. 7.1, 1-344. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 1517) meint, wenn er jegliches Denken als medial vollzogen beschreibt. Um zu einer klaren Vorstellung von Medialität zu gelangen, müsste eben diese Vorstellung demnach bereits Teil ihrer selbst sein. Die Realität des Medialen lässt sich danach als die einer „abwesenden Anwesenheit“ ([Zahn 2011a]Zahn, Manuel (2011). mediales denken – Von Heideggers Technikdenken zu Deleuzes Filmphilosophie. In Medialität und Realität. Zur konstitutiven Kraft der Medien, 53-66. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 60) beschrieben: Anwesend, insofern sie menschliche Sinneseindrücke, Gedanken, Gefühle und Handlungen prägt; abwesend, insofern sie sich dabei einer direkten Bestimmung entzieht. Dieter Mersch ([Mersch 2009a]Mersch, Dieter (2009). Medientheorien zur Einführung. Hamburg: Junius. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 225ff.) schlägt daher vor, von einer medientheoretischen Erschließung zunächst abzusehen und stattdessen auf die Herangehensweise der Kunst zu setzen. Deren ästhetische Mittel können Medialität, sofern sie durch entsprechende Erfahrung auf ihre Bruchstellen abzielen, sicht- und begreifbar machen. Ästhetik der Medialität. Zur Vermittlung von künstlerischen Welten und ästhetischen Theorien. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 228) eine notwendige Bedingung des Versuchs einer ästhetischen Betrachtung der Medialität. Diese erkennt er als von den verwendeten Techniken, den symbolischen Modi und vom semantischen Inhalt geprägt. Eine als solche ernst zu nehmende Ästhetik der Medialität darf sich demnach nicht nur mit einem dieser Bereiche auseinandersetzen, sondern muss neben der Frage nach dem „womit“ auch die nach dem „wodurch“ und dem „worüber“ stellen. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. : S. 21) selbst. Ein nicht zuletzt unter diesem Gesichtspunkt in den letzten Jahren immer stärker in die Aufmerksamkeit gerücktes Phänomen ist das der Computerspiele, deren Handlungsraum nicht nur eine performative, sondern auch eine ästhetische Dimension aufspannt (vgl. [Wiesing 2004a]Wiesing, Lambert (2004). Pragmatismus und Performativität des Bildes. In Performativität und Medialität, 115-128. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 127). Es kommt also weniger auf den Vollzug einer Handlung an, als darauf, diesen Vollzug auch wahrzunehmen. Lambert Wiesing hält diesbezüglich fest:
ZusammenfassungDer Begriff der Medialität ist, wie dieser grobe Überblick gezeigt hat, kaum in allgemein verbindlicher Weise zu fassen. Zu weit und zu vielseitig ist das mit ihm bezeichnete Feld, zu groß die qualitativen Unterschiede innerhalb desselben. Nicht zuletzt ist diese begriffliche Unschärfe auch auf die vielen verschiedenen Verwendungsweisen und Nuancen des Medienbegriffs[3] selbst zurückzuführen. Dennoch soll an dieser Stelle zumindest eine grundsätzliche Unterscheidung expliziert und hervorgehoben werden: Medialität steht zum einen für die spezifischen Eigenschaften der technischen Zeichenvermittlung und kann damit zum Gegenstand der (vergleichenden) Untersuchung einzelner Medien werden. Zum anderen steht sie aber für das per se mittelbare (mediale) Weltverhältnis des Menschen und entzieht sich damit, da jeglicher Wahrnehmung vorausgehend, einem direkten Zugang. (vgl. [Pietraß & Funiok 2010b]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. : 13) werden, sondern sie gestaltet „die Möglichkeiten des Menschseins“ ([Pietraß & Funiok 2010b]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. : 14) auch in bestimmter Weise aus. Auch Hubig (vgl. [Hubig 2010a]Humboldt, Wilhelm (1907). Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts (1830-1835). In Werke. Bd. 7.1, 1-344. Eintrag in Sammlung zeigen: 1517) konstatiert den prägenden Einfluss der nicht nur ontologischen, sondern auch epistemischen Mittelbarkeit des menschlichen Weltzugangs für die Analyse technischer Medialität, wobei diese Mittelbarkeit selbst „einer absoluten (nicht medial bedingten) Erkenntnis oder Reflexion“ ([Hubig 2010a]Humboldt, Wilhelm (1907). Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts (1830-1835). In Werke. Bd. 7.1, 1-344. Eintrag in Sammlung zeigen: 1517) entzogen bleibt. Der Begriff der Medialität ist demnach deshalb so schwer zu fassen, weil er einen "blinden Fleck" menschlicher Erkenntnisfähigkeit bezeichnet. Wie Heinz von Foerster anmerkt, besteht die Schwierigkeit solcher blinder Flecke nicht darin, dass sie einen blind gegenüber etwas machen, sondern dass sie einen blind gegenüber dieser Blindheit selbst werden lassen: "Es ist zu betonen, daß diese lokalisierte Blindheit nicht als dunkle Wolke in unserem visuellen Feld wahrgenommen wird (eine dunkle Wolke sehen würde bedeuten, daß man "sieht"), sondern, daß diese Blindheit überhaupt nicht wahrgenommen wird, d. h. weder als etwas, das gegeben ist, noch als etwas, das fehlt: Wir sehen nicht, daß wir nicht sehen." ([Von Foerster 1993a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. : 27) |
Inhaltsverzeichnis
Anmerkungen
[Cassirer 1996a]: Cassirer, Ernst (1996). Versuch über den Menschen. Einführung in eine Philosophie der Kultur. Hamburg: Meiner.
[Dewey 2006a]: Dewey, John (2006). Kunst als Erfahrung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
[Faulstich 2004a]: Ausgabe 1: 2014 Verantwortlich: Lektorat: Seitenbearbeitungen durch: Toni Eichler [105], Joerg R.J. Schirra [26] und Tobias Schöttler [1] — (Hinweis) |