Pragmatik, Semantik, Syntax

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English Version: Pragmatics, Semantics, Syntax


Ein ‘Divide et impera’-Vorschlag für die Semiotik

Um die Komplexität der Untersuchungen von Zeichen auf ein besser hand­hab­bares Maß herunter­zubrechen,[1] führte Charles W. Morris ([Morris 1938a]Morris, Charles W. (1938).
Foundations of the Theory of Signs. Chicago: Uni­versity of Chicago Press.

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, [Morris 1946a]Morris, Charles W. (1946).
Signs, Language, and Behavior. New York: Prentice-Hall.

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) eine Unter­teilung der Semiotik in drei Bereiche ein, die er ‘Syntak­tik’, ‘Seman­tik’ und ‘Pragma­tik’ nannte.[2] Dabei sollten die Frage­stellungen in einem Bereich jeweils weit­gehend unab­hängig von den anderen Bereichen bearbeitet werden können: nämlich Aspekte der Zeichen­träger, der Zeichen­bedeutung bzw. der Zeichen­verwendung betreffend. Diese Annahme der Unab­hängig­keit konnte aller­dings nicht bestätigt werden. Weder lassen sich (von Sonder­fällen abge­sehen) Bedeu­tungs­bezie­hungen im allge­meinen unab­hängig von Aspekten der Zeichen­verwen­dung formulieren noch ist etwa die Identität von Zeichen­trägern ohne Kenntnis ihrer Bedeutungen sinnvoll zu bestimmen.

Gleichwohl hat Morris’ Vorschlag zur Ein­teilung semio­tischer Unter­suchungs­ebenen nicht nur – wenn auch in verän­derter Form – über­lebt, er dominiert viel­mehr sogar in der einen oder anderen modifi­zierten Gestalt die aktuellen semio­tischen Unter­nehmungen. Der Ausdruck ‘Syntak­tik’ ist dabei aller­dings meist (und im Anschluss an Ferdinand de Saussure) durch ‘Syntax’ ersetzt.

In handlungstheoretisch angelegten Zeichen­theorien versteht man die drei Bereiche nun als unter­schiedlich weit gespannte Frage­stellungen zu Aspekten von Zeichen(systemen), die in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen. Am um­fassendsten angelegt, beschäftigt sich eine pragmatische Unter­suchung mit dem Komplex aus Kommuni­kations- und damit zusammen­hängenden anderen Handlungen, d.h. der Einbettung der Zeichen­handlung in die Lebens­praxis der Zeichen­verwender. Restrik­tiver in ihrem Gegen­stands­bereich, bringt die Semantik die für die Zeichen­verwendung relevanten Bezie­hungen zwischen Zeichen­träger und dem Darge­stellten zur Sprache, ohne dabei die Zeichen­handlung insgesamt zu betrachten – sofern das möglich ist. Syntak­tische Unter­suchungen beschäftigen sich, streng genommen, nur noch mit den Bezie­hungen, die zwischen den Zeichen­trägern eines Zeichen­­systems bestehen, also mit Relationen zwischen und Eigenschaften von (physischen) Gegenständen, die als Zeichen in Verwendung gebracht werden (können). Der Unter­su­chungs­bereich, die Menge der Gegen­stände, die als Zeichen­träger eines Systems in Frage kommen, kann gleich­wohl nur pragmatisch – mit Blick auf das gesamte System der Zeichen­handlungen – ange­geben werden.


Beispielhafte Fragestellungen in den drei Bereichen

Pragmatik

Die innerhalb der Pragmatik untersuchten Frage­stellungen lassen sich fol­gender­maßen exem­plifi­zieren:[3] Welche anderen Hand­lungen stehen mit der betrach­teten Zeichen­handlung in systema­tischem Zusammen­hang – welche können oder müssen voraus­gegangen sein, welche können oder müssen folgen? Dass beispiels­weise die Äußerung einer Behaup­tung ent­weder direkt beant­wortet werden kann, indem der Kommuni­kations­partner sie (aus­drücklich oder still­schweigend) akzeptiert oder aber mit einer Bezweif­lungs­hand­lung kommuni­kativ zurück­weist (und damit Begrün­dungs­hand­lungen seines Gegen­übers ein­fordert), oder auch weniger direkt, indem er zunächst mit­hilfe seiner senso­motorischen Aus­stattung eine passende referen­tielle Ver­ankerung der Behaup­tung durch­führt und damit eine empi­rische Über­prüfung des Behaup­teten bewerk­stelligt, all das gehört zu diesem Sprach­spiel des Behauptens. Es sind also sowohl andere Zeichen­hand­lungen (oder allge­meiner: kommuni­kative Inter­aktionen) als auch nicht-kommuni­kative Hand­lungen – insbe­sondere das senso­motorische Um­gehen mit dem jeweils Bezeich­neten –, die hier berück­sichtigt werden müssen.

Eine zentrale Rolle für pragmatische Betrach­tungen spielt die situa­tive Ein­bettung der Zeichen­handlung: ihr Verwen­dungs­kontext. Dieser ist insbe­sondere für alle deiktischen Zeichen­elemente[4] von großer Wichtig­keit, bei denen in der Regel auch die Körper­lichkeit der Zeichen­verwender auf beson­dere Weise zum Zuge kommt.

Handlungstheoretisch als Aspekte von Hand­lungen gedeutet, gehören auch die mit den Zeichen­hand­lungen direkt assoziierten kogni­tiven und inten­tionalen Momente der Zeichen­verwender[5] in den Auf­merk­sam­keits­fokus der Prag­matik: Das betrifft insbe­sondere die mit einem Zeichen­gebrauch verbun­denen Voran­nahmen (‹Prä­sup­posi­tionen›) und mit ihm indu­zierte Schluß­folge­rungen (‹Impli­katuren›).[6]

Auch das Geflecht von Handlungen, die in einem syste­matischen Zusammen­hang mit der Präsen­tation eines (als Zeichen aufge­fassten) Bildes auf­treten, kann ganz ent­sprechend unter­sucht werden (⊳ Bildpragmatik).

Semantik

Lange Zeit stand die Semantik im Zentrum der Semi­otik, stellten doch Bedeu­tungs­phäno­mene deren wichtig­sten Unter­suchungs­gegen­stand bereit.[7] Unter der Annahme, dass Bedeu­tungs­rela­tionen primär, ihre kommuni­kative Verwen­dung hin­gegen sekundär seien, blieben pragma­tische Betrach­tungen der Seman­tik nach­geordnet.

Die pragmatische Wende des lingu­istic turn hat dieses Domi­nanz­verhält­nis umge­kehrt: Hier gilt, dass Bedeu­tungs­phäno­mene sich über­haupt nur inner­halb eines kommuni­kativen Rahmens (im weiten Sinn) betrachten lassen. Sie bleiben dabei immer auf Ver­haltens­weisen der ent­sprechend Kommu­ni­zie­renden bezogen, sodass die Verbindung zwischen Zeichen­träger und Bezeich­netem insbe­sondere über die Handlungen der Zeichen­verwender unter­einander relativ zu dem Bezeich­neten bestimmt werden können.[8]

Typische semantische Fragestellungen betreffen das Wesen mög­licher Bedeu­tungs­bezie­hungen. Neben der im voran­gegangenen Abschnitt erwähnten beha­vioristi­schen Auf­fassung werden vor allem menta­listische und rea­listische Bedeu­tungs­theorien unter­schieden – je nachdem ob Bedeutung aus dem Ver­halten oder aus mentalen Phäno­menen konsti­tuiert wird oder sich aus einer direk­ten rein physischen (wenn nicht meta­physischen) Bezie­hung zwischen Zeichen­träger und Bezeich­netem ergeben soll. Die beiden zuletzt genannten tendieren dabei zu Semi­otik­konzep­tionen, bei der die Seman­tik die pragma­tischen Aspekte beherrscht.

Unabhängig davon, welche der drei genann­ten Seman­tik­auf­fassungen ver­folgt wird, sollte zwischen einer exten­siona­listi­schen – d.h. auf den refe­rentiel­len Um­fang bezo­genen – und einer inten­siona­listi­schen – auf inhal­tliche Charak­teri­sierungen bezo­genen – Perspek­tive unter­schieden werden: Exten­sionale Aspekte werden in refe­renz­seman­tischen Ansätzen verfolgt.

Auch die Peircesche Dreiteilung von Index, Ikon und Symbol, die die Relation zwischen Zeichen­träger und Bezeich­netem nach Kausa­lität, Ähn­lich­keit und Kon­ven­tio­nali­tät auf­gliedert, ist wesent­lich seman­tisch.[9] Obwohl Ikoni­zität besonders eng mit der Bedeu­tungs­bezie­hung bei Bildern verbunden ist, spielen auch die anderen Aspekte eine nicht zu vernach­lässigende Rolle (⊳ Bildsemantik).

Syntaktik / Syntax

Da sowohl von Aspekten der Verwendung wie der Bedeu­tung von Zeichen­trägern abge­sehen werden soll, bleiben syntak­tische Frage­stellungen auf die Struktur von Zeichen­trägern und den Rela­tionen zwischen ihnen beschränkt.[10] Da Zeichen­träger (und damit auch Bild­träger) im Wesent­lichen durch ihre physi­kalischen Eigen­heiten charak­teri­siert werden, stehen (Gruppie­rungen von) physi­kalische(n) Eigen­schaften und deren Rela­tionen unter­einander im Fokus des Inte­resses. Syntak­tische Über­legungen betref­fen vor allem die Iden­tität, Ab­grenz­bar­keit, Unter­scheid­bar­keit, Kom­posi­tiona­lität und Wohl­geformt­heit der Zeichen­träger.

Werden Bilder als Zeichen betrachtet, ergeben sich analog die bild­syntak­tischen Fragen nach der Iden­tität, Ab­grenz­bar­keit, Unter­scheid­bar­keit, Kom­posi­tiona­lität und Wohl­geformt­heit der Bild­trägern (⊳ Bildsyntax).

Anmerkungen
  1. vgl. etwa Wikipedia: Divide et impera.
  2. vgl. Wikipedia: Charles W. Morris: Die Ein­teilung der Semio­tik in Syntak­tik - Seman­tik - Pragma­tik.
  3. Vgl. auch Wikipedia: Pragma­tik (Lingu­istik) oder [Levinson 1983a]Levin­son, Stephen C. (1983).
    Prag­matics. Cam­bridge: Cam­bridge Uni­versity Press.

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    .
  4. Vgl. Wikipedia: Deixis oder [Sennholz 1985a]Sennholz, Klaus (1985).
    Grundzüge der Deixis. Bochum: Brockmeyer.

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    .
  5. Diese hand­lungs­theo­retische Um­deutung mentaler Phäno­mene wird etwa in [Ros 1979a]Ros, Arno (1979).
    Objekt­konsti­tution und ele­menta­re Sprachhand­lungsbe­griffe. König­stein/Ts.: Hain.

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    aus­führ­licher behandelt.
  6. Vgl. Wikipedia: Prä­sup­posi­tion und [Kempson 1975a]Kempson, Ruth (1975).
    Presupposition and the Delimitation of Semantics. Cam­bridge: Cam­bridge Uni­versity Press.

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    sowie Wikipedia: Impli­katur und [Grice 1970a]Grice, Herbert Paul (1970).
    Logic and Conversation. Cam­bridge: Har­vard Uni­versity Press.

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    .
  7. Vgl. auch Wikipedia: Seman­tik sowie die spezi­fische­ren Dis­kussionen unter Wikipedia: Inter­pretative Seman­tik (auch: [Katz & Fodor 1963a]Katz, Jerrold J. & Fodor, Jerry A. (1963).
    The Structure of a Semantic Theory. In Language, 39, 2, 170-210.

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    ) und Genera­tive Seman­tik (auch [Lakoff 1972a]Lakoff , George (1972).
    On Generative Semantics.
    In Semantics, 305-359.

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    ).
  8. Vgl. etwa Wikipedia; Linguistik Turn und Sprech­akt­theorie sowie [Davidson 2001a]Davidson, Donald (2001).
    Subjective, Intersubjective, Objective. Ox­ford: Claren­don.

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    .
  9. Da Peirce zugleich aber das Zeichen immer triadisch denkt und er die Klassifizierung eines Zeichens als Ikon, Index oder Smybol von einem entsprechenden Interpretationsvorgang abhängig sein lässt, befinden sich die drei Zeichenklassen immer schon in einem pragmatischen Bezugsrahmen ([Peirce 1983a]Peirce, Charles S. (1983).
    Phänomen und Logik der Zeichen. Frank­furt/M.: Suhr­kamp.

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    ).
  10. Vgl. auch Wikipedia: Syntak­tik bzw. Wikipedia: Syntax sowie Wikipedia: Morphosyntax und [Dürscheid 2010a]Dürscheid, Christa (2010).
    Syntax. Grundlagen und Theorien. Göttin­gen: Vanden­hoeck & Rup­recht.

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    .
Literatur                             [Sammlung]

[Davidson 2001a]: Davidson, Donald (2001). Subjective, Intersubjective, Objective. Ox­ford: Claren­don.

[Dürscheid 2010a]: Dürscheid, Christa (2010). Syntax. Grundlagen und Theorien. Göttin­gen: Vanden­hoeck & Rup­recht. [Grice 1970a]: Grice, Herbert Paul (1970). Logic and Conversation. Cam­bridge: Har­vard Uni­versity Press. [Katz & Fodor 1963a]: Katz, Jerrold J. & Fodor, Jerry A. (1963). The Structure of a Semantic Theory. Language, Band: 39, Nummer: 2, S. 170-210. [Kempson 1975a]: Kempson, Ruth (1975). Presupposition and the Delimitation of Semantics. Cam­bridge: Cam­bridge Uni­versity Press. [Lakoff 1972a]: Lakoff , George (1972). On Generative Semantics. In: Steinberg, D. D. & Jakobovits, L. A. (Hg.): Semantics. Cam­bridge: Cam­bridge Uni­versity Press, S. 305-359. [Levinson 1983a]: Levin­son, Stephen C. (1983). Prag­matics. Cam­bridge: Cam­bridge Uni­versity Press. [Morris 1938a]: Morris, Charles W. (1938). Foundations of the Theory of Signs. Chicago: Uni­versity of Chicago Press. [Morris 1946a]: Morris, Charles W. (1946). Signs, Language, and Behavior. New York: Prentice-Hall. [Peirce 1983a]: Peirce, Charles S. (1983). Phänomen und Logik der Zeichen. Frank­furt/M.: Suhr­kamp. [Ros 1979a]: Ros, Arno (1979). Objekt­konsti­tution und ele­menta­re Sprachhand­lungsbe­griffe. König­stein/Ts.: Hain. [Sennholz 1985a]: Sennholz, Klaus (1985). Grundzüge der Deixis. Bochum: Brockmeyer.


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Ausgabe 1: 2013

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Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [48] — (Hinweis)

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[Schirra 2013g-w]Literaturangabe fehlt.
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[Schirra 2013g-w]:
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