Pseudoschriften

Aus GIB - Glossar der Bildphilosophie
Version vom 30. August 2011, 19:48 Uhr von Elisabeth Birk (Diskussion | Beiträge) (Auswirkungen auf andere Begriffe)
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Unterpunkt zu: Schriftbildlichkeit


Darstellung des gr. Zusammenhangs

In „The Domain of Images“ versucht J. Elkins innerhalb des von der Begriffstrias Bild – Diagramm – Schrift [1] abgesteckten Bereichs weitere Unterscheidungen zu treffen. In diesem Zusammenhang führt er u.a. den Begriff „Pseudoschrift“ („Pseudowriting“) (vgl. [Elkins 1999a]: Kap. 9).


Engere Begriffsbestimmung

Der Begriff „Pseudoschrift“ ist kein feststehender Terminus in der Bildwissenschaft oder in der Schrifttheorie. Elkins verwendet die Bezeichnung „Pseudowriting“, für schriftartige Darstellungen, die aber entweder keine vollständigen Schriften sind (in dem Sinne, daß sie nicht dazu verwendet werden können, um natürliche Sprachen vollständig zu schreiben) oder keine (oder zumindest keine konventionell festgelegt oder bekannte) Referenz haben. Gemeint sind Namensmarkierungen von Handwerkern, magische Zeichen, mnemonische Zeichen, historische Vorformen von Schriften, schriftartige Markierungen in der Kunst etc. Pseudoschriften weisen laut Elkins [Elkins 1999a]: S. 146) in unterschiedlichem Maße die folgenden Merkmale auf, die sie Schrift ähnlich machen: Die Zeichen sind diskret; zwischen den Zeichen und Zeichenelementen sind evtl. Abstände zu erkennen; es besteht ein mehr oder weniger deutlicher Unterschied zwischen Text und Ornamentierung; die Zeichen sind mehr oder weniger gleich groß; sie sind mehr oder weniger einfach; Instantiierungen desselben Zeichens sind einander ungefähr ähnlich; es gibt unterschiedliche Zeichen; und man kann eine lineare Anordnung erkennen – sie weisen also insgesamt in der Formatierung Ähnlichkeit mit Schriften auf.



optional Beispiele

Elkins‘ Einteilung macht deutlich, wie reichhaltig der Phänomenbereich ist, der hier zu betrachten ist. „Pseudoschrift“ im genannten Sinn ist eine Sammelkategorie, die sehr unterschiedliche Phänomene umfaßt. Schon was mit „schriftähnlich“ gemeint ist, müßte man spezifizieren. Die sorgfältige Herstellung von Markierungen, die einem bestimmten Schriftsystem nachgebildet sind, diesem aber nicht existieren (wie z.B. Arbeiten Xu Bings) unterscheidet sich deutlich von solchen Markierungen, die lediglich diskrete Elemente und mehr oder weniger lineare Anordnung aufweisen, ohne den Anschein der Reproduzierbarkeit oder einer bestimmten Schrift zu erwecken (wie z.B. manche Arbeiten von Henri Michaux). Der Übergang zu Formen, die keine diskreten Elemente aufweisen (evtl. noch Schreibschriften ähneln) oder keine lineare Anordnung mehr suggerieren, ist fließend. Alle diese Phänomene findet man gelegentich auch als „asemische Schriften“ („asemic writing“) bezeichnet. Vor ganz anderen Problemen steht man, wenn für ein System fraglich ist, ob es sich um eine Schrift oder nur um schriftähnliche Markierungen handelt, wie bei „Kandidaten“ für nicht entzifferte Schriftsysteme. Zwar kann man mit statistischen Mitteln Hinweise dafür gewinnen, daß ein System vermutlich keine Schrift ist (vgl. [Sproat 2010a]: S.1). Umgekehrt läßt sich festhalten: „Whether an unknown system is writing or not is a difficult question to answer. It can only be answered definitively in the affirmative if one can develop a verifiable decipherment into some language or languages.” ([Sproat 2010a]: S.1) „Schriftähnlich“ hieße in diesem Zusammenhang z.B., daß die Häufigkeit der jeweiligen Zeichen bestimmte statistische Eigenschaften aufweisen, die mit denen bekannter Schriften übereinstimmen. In noch einem anderen Sinne „schriftähnlich” sind die konstruierten Schriften, mit denen konstruierte Sprachen oder „Conlangs“ geschrieben werden, wie etwa Klingonisch, das nach einem alphabetischen Prinzip mit konstruierten Schriftzeichen geschrieben wird. Die von Elkins ebenfalls zu den Pseudoschriften gezählten Einzelmarkierungen, die mehr oder weniger festgelegte Referenzen haben, aber eben keine vollständige Sprache, werden im Artikel Piktogramme [1] behandelt.


Auswirkungen auf andere Begriffe

Neben „Pseudowriting“ führt Elkins eine ganze Reihe weiterer Kategorien ein: „Allography“ (die typographischer oder kalligraphische Dimension an Schriften), „Semasiography“ (Schriften, die zumindest z.T. über den Bildcharakter ihrer Zeichen funktionieren), „Subgraphemic signs“ (Darstellungen, die diskrete Elemente beinhalten, aber ohne klare lineare Anordnung), „Hypographemic images“ (Darstellungen weitgehend ohne diskrete Elemente), „Emblems“ (Text-Bild-Kombinationen) und „Schemata“ (Text-Bild-Kombinationen, die auf geometrischen Darstellungen beruhen wie Kurven, Tabellen etc.) ([Elkins 1999a]: S.90f.). Er erhebt nicht den Anspruch eine definitive Taxonomie vorzulegen, sondern lediglich eine mögliche Einteilung, die diesen weiten Bereich von Darstellungsformen erst einmal handhabbar macht. Die Kategorien sind auch nicht trennscharf, insbesondere trennt, wie er hervorhebt ([Elkins 1999a]: S.160ff.), „Pseudowriting“ und „Subgraphemics“ nur die Annahme des Rezipienten, daß bestimmte Markierungen eine bestimmte lineare Folge aufweisen.


Anmerkungen
  1. Elkins selbst [Elkins 1999a]: S. 85ff.) spricht von „writing“, „picture“ und „notation“ als den drei Polen, „notation“ ist hier aber eher im Sinne eines weit gefaßten Diagrammbegriffs gebraucht.
Literatur                             [Sammlung]

[Elkins 1999a]: Elkins, James (1999). The Domain of Images. London: Cornell University Press.

[Sproat 2010a]: Sproat, Richard (2010). Ancient symbols, computational linguistics, and the reviewing practices of the general science journals.
http://www.cslu.ogi.edu/~sproatr/newindex/lastwords.pdf, besucht am 30.9.2011..


Hilfe: Nicht angezeigte Literaturangaben

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Elisabeth Birk

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