Sehen

Aus GIB - Glossar der Bildphilosophie
Version vom 27. November 2010, 17:45 Uhr von Franziska Kurz (Diskussion | Beiträge) (Imdahls Entwicklung des Begriffes »sehendes Sehen«)
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Unterpunkt zu: Wahrnehmungstheorien: Übersicht


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»Sehendes Sehen«

Der Begriff »sehendes Sehen« wurde geprägt von Max Imdahl (1925-1988), einem deutschen Kunsthistoriker, der zeitweise auch als bildender Künstler tätig war. Für Imdahls Methode der Werkanalyse, von ihm als »Ikonik« bezeichnet, spielt der Begriff des »sehenden Sehens« im Zusammenhang mit Imdahls Auffassung eines »wiedererkennenden Sehens« eine grundlegende Rolle. Im Folgenden soll ein Überblick gegeben werden über die Aspekte: Imdahls Entwicklung des Begriffes »sehendes Sehen«, Bezug zur »Ikonik«, Imdahls Bezugnahme auf und Kritik an Autoren wie Fiedler oder Panofsky, Rezeption von Imdahls Methode, mögliche Anknüpfungspunkte für aktuelle bildwissenschaftliche Forschung.

Imdahls Entwicklung des Begriffes »sehendes Sehen«

Imdahl entwickelt und konturiert den Begriff des »sehenden Sehens« durch Bezugnahme auf sein Verständnis von einem »wiedererkennenden Sehen« ([Imdahl 1974a]Literaturangabe fehlt.
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S. 303-380). Ausgangspunkt ist für Imdahl dabei die Annahme einer »prinzipiell möglichen Unterscheidung« (Imdahl 1996: 304) zwischen den beiden Weisen zu Sehen. Für Imdahls weiterführende Überlegungen, einmal im Zusammenhang mit – für ihn immer zentralen – konkreten Bildanalysen und dann im Besonderen grundlegend zur »Ikonik«, ist ihm die genaue Bestimmung des variablen Verhältnisses zwischen den beiden Sichtweisen von besonderem Interesse. Dabei steht das »wiedererkennende Sehen« – in Bezugnahme auf das normale, »zur Gewohnheit gewordene(n) Gegenstandssehen« – für eine Haltung, die eine Einlösung des »im Sehenden schon vorgefaßte[n] Konzept[es]« (a.a.O.: 304) mit sich bringt. Im Unterschied dazu wäre dann für ein »sehendes Sehen« charakteristisch, sich bei der Bildbetrachtung eben nicht auf schon vorgegebene Konzepte zu beziehen, sondern Teile einer Bildkonstruktion als »optisch autonome, immanent geregelte« (a.a.O. 304) zu begreifen. Beispielgebend für die Darstellung eine derartigen Bildkonstruktion führt Imdahl etwa die Malerei Cézannes an, wobei hier die »Wechselbeziehung zwischen optisch autonomer Bildkonstruktion und Gegenstand bedingt [ist] in einer Abwandlung jener normalen Verbindung zwischen sehendem und wiedererkennenden Sehen«, wie sie im normalen Gegenstandsehen zu beobachten wäre, wobei hierbei die Bildkonstruktion »in eben dieser Umwertung zugleich mit dem Gegenstande verbunden« (a.a.O.) bliebe. Wie bereits erwähnt, ist es ein zentrales Anliegen Imdahls, seine Analysemethoden immer am konkreten Werk zu entwickeln und zu überprüfen. Erkennbar ist diese Haltung auch am Titel des Aufsatzes von 1974, der eben die Namen der zu besprechenden Künstler an den Beginn stellt, und nicht etwa das für die Analyse zugrundeliegende Verhältnis zwischen Bildautonomie und Gegenstandssehen. Exemplarisch für Imdahls Anwendung seiner Überlegungen, nachfolgend eine Passage zum Vergleich der Werke Cézannes und Bracques:

»Eben im Rahmen dieser grundsätzlichen Vergleichbarkeit lassen sich die Bilder Cézannes und Braques aber auch deutlich voneinander unterscheiden, ja beide Bilder repräsentieren geradezu verschiedene Grundtypen einer Malerei, die auf eine optisch autonome, um Abbildung prinzipiell unbekümmerte Bildkonstruktion abzielt und diese dennoch auf den Gegenstand bezogen hält. Im Falle Cézannes besteht – gemäß der Aussage des Malers – die Bildkonstruktion als eine optisch autonome, immanent geregelte Zusammenhangbildung von nur dem gegenstandsfreien Sehen sich zeigenden Sichtbarkeitswerten des Gegenstandes: (...) dessen Wahrnehmung ein zwar gegenständliches, aber das wiedererkennende dem sehenden Sehen unterordnendes Sehen erzwingt (...). Im Falle Braques besteht dagegen – gemäß der Aussage des Malers – die optisch autonome, immanente geregelte Bildkonstruktion als das Produkt eines vom Grund auf entwerfenden, von aller wie immer gesehenen Vorgegebenheit sich befreienden Formwillens, jedoch enthält die Bildkonstruktion solche gegenständlichen Bezeichnungswerte, die das weniger sehende als vielmehr wiedererkennende Sehen des Gegenstandes gleichermaßen beanspruchen wie auch die diesem Sehen mögliche Gegenstandserfahrung unterbieten.« (a.a.O.: 326)

»Erkennendes Sehen« und »Ikonik«, Bezüge zu und Kritik an Fiedler und Panofsky

Das »sehende Sehen« im Sinne Imdahls steht für eine Sichtweise, die sich von der Praxis, das betrachtete Objekt Begriffen unterzuordnen, grundlegend distanziert. In der Kritik an einer solchen Praxis sieht sich Imdahl den Auffassungen Konrad Fiedlers (1841-1895) nahestehend, der es scharf verurteilt, »die Anschauung als Mittel, zum Begriff zu gelangen« (a.a.O.: 312, und 55), aufzufassen. In dieser Kritik sieht Imdahl den »Ausgangspunkt der Fiedlerschen Lehre« (a.a.O.: 55). Eingefordert wäre hier, »daß die Anschauung eine von

„aller (begrifflichen) Abstraktion unabhängige Bedeutung habe, daß das Vermögen der Anschauung so gut wie das abstrakte Denkvermögen ein recht habe, zu einem geregelten und bewußten Gebrauch ausgebildet zu werden (...)“« (a.a.O.: 312).

Thematisch werden damit – aus heutiger Sicht formuliert – grundlegende Fragen zur Natur nicht-propositionaler Erkenntnisformen, in Bezug auf die Wahrnehmung von Kunstwerken. Auf dieser erkenntnistheoretischen Ebene dürften auch Anknüpfungspunkte zu aktuellen bildwissenschaftlichen Debatten zu finden sein, dazu später mehr.

Imdahl beruft sich somit auf einer erkenntnistheoretischen Ebene und in Bezug auf seine Werkauffassung explizit und wiederholt auf Fiedler (siehe etwa Imdahl 1996: 42-113, oder Imdahl 1996), aber für die Formulierung seiner »Ikonik«, distanziert er sich zu einem späteren Zeitpunkt in entscheidenden Punkten wiederum grundlegend, nämlich bezogen auf Fiedlers »Definitionen von Form und Komposition« (Imdahl 1996: 92). Seine Kritik trifft in diesen Punkten und im selben Zusammenhang auch Panofsky. Beide Autoren diskutiert Imdahl in den Passagen, die seine »ikonische Betrachtungsweise«, die »Ikonik«, begründen, im Kapitel »Ikonographie – Ikonologie – Ikonik« seines Buches über Giotto (Imdahl 1996: 84-98). Imdahls Kritik an Panofskys ikonographisch-ikonologischer Interpretationsmethode ist dabei genau genommen, bei aller diplomatischen Bezugnahme in den vorhergehenden Passagen, grundlegend, da laut Imdahl »[b]eide Interpretationen (...) jeweils einseitig, (...) die der Malerei mögliche Bildleistung [verfehlen]« (a.a.O.: 91. Ein sehr differenzierter Beitrag zum Verhältnis Imdahl/Panofsky siehe Thürlemann 2009). Diese mögliche Bildleistung sieht Imdahl gegeben im Zusammenwirken von sehendem und wiedererkennenden Sehen, dem »erkennenden Sehen«:

[Diese mögliche Bildleistung] »besteht aber dann, wenn sich die Erfahrungen eines autonomen, sehenden Sehens und eines heteronomen, wiedererkennenden Gegenstandsehens und die ihnen entsprechenden syntaktischen und semantischen Sinnebenen zu einer durch nichts anderes zu substituierenden Bildidentität ineinander vermitteln, wenn das wiedererkennende Sehen und das sehende Sehen zu den ungeahnten oder gar unvordenklichen Erfahrungen eines erkennenden Sehens zusammenwirken (...)« (a.a.O.: 92)

Erst im vermittelten Verhältnis von sehendem und wiedererkennendem Sehen sieht Imdahl also seine ikonische Betrachtungsweise realisiert:

»[D]er Ikonik wird das Bild zugänglich als ein Phänomen, in welchem gegenständliches, wiedererkennendes Sehen, und formales, sehendes Sehen sich ineinander vermitteln zur Anschauung einer höheren, die praktische Seherfahrung sowohl einschließenden als auch prinzipiell überbietenden Ordnung und Sinntotalität.« (a.a.O.: 92-93)

Rezeption von Imdahls Methodik [Skizze!!!]

Affirmativ etwa Boehm 1995 in dem von ihm herausgegebenen Band »Was ist ein Bild«, durch Abdruck des Beitrages von Imdahl »Ikonik. Bilder und ihre Anschauung« (a.a.O.: 300-324). Im selben Band auch mir direkter Bezugnahme und weiterführenden Überlegungen Waldenfels mit seinem Aufsatz »Ordnungen des Sichtbaren« (a.a.O.: 233-252), speziell der Teil »Kunsttheoretisches Vorspiel: Sehendes und wiedererkennendes Sehen« (234-237). [?Ob es legitim ist, Imdahl explizit einer phänomenologischen Position zuzuordnen, bliebe aus meiner Sicht noch zu diskutieren. So wäre etwa Imdahls eher analytischer Bezug auf syntaktische und semantische Sinnebenen im Zusammenhang mit seiner »Ikonik« der Phänomenologie doch eher fremd. Bezieht sich Imdahl irgendwo auf Phänomenologie?]. Gottfried Boehm bietet eine Einführung zum Band »Reflexion, Theorie, Methode« (Imdahl 1996: 7-41) , wobei er dort Imdahls Unterscheidung von sehendem und wiedererkennenden Sehen auf dem Weg zur Ikonik als »die wohl wichtigste, im übrigen auch die erfolgreichste Etappe« einstuft (a.a.O.: 29). Zur Kritik an Imdahls Geschichtsauffassung siehe etwa Rosenberg 2006. Kritisch und sehr differenziert zum Verhältnis Imdahl/Panofsky: Thürlemann 2009. Einmal aus analytischer Sicht, aber dann Imdahl kritisch bewertend: Steinbrenner 1997. Naheliegend aus analytischer Sicht ist dabei die Verbindung von »Ikonik« zu Goodmans Begriff der Exemplifikation.

Mögliche Anknüpfungspunkte [Skizze!!!]

Interessant wäre die erkenntnistheorethische Ebene, dann vorbildhaft Imdahls Bemühungen um die Anbindung an konkrete Werkanalysen, Imdahl denkbar beispielhaft als Bindeglied zwischen historischer und philosophischer Bildwissenschaft?, hier dann evtl. Einordnung und Weiterführung Imdahls aus zeichentheoretischer Sicht (etwa Vergleich Imdahl/Goodman).

Auswirkungen auf andere Begriffe
Anmerkungen
Literatur                             [Sammlung]

[Imdahl 1974a]:
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Hilfe: Nicht angezeigte Literaturangaben

Seitenbearbeitungen durch: Eva Schürmann [37], Joerg R.J. Schirra [26], Franziska Kurz [10], Sebastian Spanknebel [7], Nicolas Romanacci [2] und Mark A. Halawa [1] — (Hinweis)