Skulptur: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Skulptur als Medium gehört neben der Architektur und der [[Malerei]] zu den traditionellen Bildkünsten. Im engeren Sinne meint Skulptur “ein durch Aushauen oder als Schnitzerei aus festem Stoff entstandenes dreidimensionales körperhaftes Kunstwerk” (<bib id='Dürre 2007a'></bib>: S. 6) und wird mit der Plastik kontrastiert, die additive, bildhauerische Verfahren wie zum Beispiel das Modellieren oder Gusstechniken benennt. Diese Begriffstrennung, die sich auf die lateinischen respektive griechischen Bezeichnungen für die traditionellen Verfahren der Bildhauerei bezieht, ist mittlerweile nicht nur alltagssprachlich aufgelöst.<ref>Die Begriffstrennung geht unter anderem auf Leon Battista Albertis ''De Statua'' zurück: “Manche fügten hinzu und nahmen ebenso auch weg: genau wie diejenigen, die darauf bedacht sind, in Wachs und Ton ein geplantes Werk auszuführen, und von den Griechen ‘plastikoi’, von unsern Landsleuten ‘Bildner’ genannt werden. Andere verminderten lediglich: genau wie diejenigen, die eine gesuchte Menschengestalt, als sei sie in einen Marmorblock eingelassen und in ihm verborgen, ans Licht befördern, indem sie gleichsam das Überflüssige wegschlagen. Diese nennen wir ‘Bildhauer’ [''sculptores'', T. H./A. R.]” <bib id='Alberti 2000a'></bib>: S. 143-145.</ref> Das Aufkommen neuer dreidimensionaler Techniken, die sich nicht mehr der traditionellen subtraktiven oder additiven Verfahren bedienen, lässt die Begriffstrennung für die Kunstwissenschaft nicht mehr produktiv erscheinen.<ref>So schreibt beispielsweise Margit Rowell in der Einleitung zum Übersichtswerk ''Skulptur im 20. Jahrhundert'': “Mit der Entstehung neuer dreidimensionaler Techniken, die sich der klassischen Verfahren des Formens, Gießens oder Hauens nicht mehr bedienen müssen, ist es zweifelhaft geworden, ob eine prinzipielle Unterscheidung zwischen hinzugebenden und wegnehmenden Verfahren noch zum Verständnis eines Werkes wesentlich beiträgt” <bib id='Rowell 1986a'></bib>: S, 7. </ref> Die Plastik wird daher zunehmend unter dem Begriff »Skulptur« subsumiert, der auch das Relief und so zum Beispiel auch die Münz- und Medaillenkunst mit einschließt. Alex Potts' leicht ironische Definition der Skulptur als “something different from painting” (<bib id='Potts 2000a'></bib>: S. ix) ist charakteristisch für das Medium, welches in der Theorie lange Zeit nur in Abgrenzung, Vergleich und Wettstreit zu seiner Schwesterkunst Malerei gedacht wurde.<ref>Nach Giorgio Vasari stammen Skulptur, Malerei und Architektur vom gemeinsamen Vater Disegno, der Idee oder Vorzeichnung, ab. Vgl. <bib id='Vasari 2006a'></bib>.</ref> Wie Jens Schröter bemerkt, problematisiert die Skulptur als Bild oder Bildwerk noch heute den Planozentrismus auch aktueller Bilddefinitionen (<bib id='Schröter 2006a'></bib>: S. 237-39, vgl. auch <bib id='Dobbe 2003a'></bib>: S. 260-61).  
 
Die Skulptur als Medium gehört neben der Architektur und der [[Malerei]] zu den traditionellen Bildkünsten. Im engeren Sinne meint Skulptur “ein durch Aushauen oder als Schnitzerei aus festem Stoff entstandenes dreidimensionales körperhaftes Kunstwerk” (<bib id='Dürre 2007a'></bib>: S. 6) und wird mit der Plastik kontrastiert, die additive, bildhauerische Verfahren wie zum Beispiel das Modellieren oder Gusstechniken benennt. Diese Begriffstrennung, die sich auf die lateinischen respektive griechischen Bezeichnungen für die traditionellen Verfahren der Bildhauerei bezieht, ist mittlerweile nicht nur alltagssprachlich aufgelöst.<ref>Die Begriffstrennung geht unter anderem auf Leon Battista Albertis ''De Statua'' zurück: “Manche fügten hinzu und nahmen ebenso auch weg: genau wie diejenigen, die darauf bedacht sind, in Wachs und Ton ein geplantes Werk auszuführen, und von den Griechen ‘plastikoi’, von unsern Landsleuten ‘Bildner’ genannt werden. Andere verminderten lediglich: genau wie diejenigen, die eine gesuchte Menschengestalt, als sei sie in einen Marmorblock eingelassen und in ihm verborgen, ans Licht befördern, indem sie gleichsam das Überflüssige wegschlagen. Diese nennen wir ‘Bildhauer’ [''sculptores'', T. H./A. R.]” <bib id='Alberti 2000a'></bib>: S. 143-145.</ref> Das Aufkommen neuer dreidimensionaler Techniken, die sich nicht mehr der traditionellen subtraktiven oder additiven Verfahren bedienen, lässt die Begriffstrennung für die Kunstwissenschaft nicht mehr produktiv erscheinen.<ref>So schreibt beispielsweise Margit Rowell in der Einleitung zum Übersichtswerk ''Skulptur im 20. Jahrhundert'': “Mit der Entstehung neuer dreidimensionaler Techniken, die sich der klassischen Verfahren des Formens, Gießens oder Hauens nicht mehr bedienen müssen, ist es zweifelhaft geworden, ob eine prinzipielle Unterscheidung zwischen hinzugebenden und wegnehmenden Verfahren noch zum Verständnis eines Werkes wesentlich beiträgt” <bib id='Rowell 1986a'></bib>: S, 7. </ref> Die Plastik wird daher zunehmend unter dem Begriff »Skulptur« subsumiert, der auch das Relief und so zum Beispiel auch die Münz- und Medaillenkunst mit einschließt. Alex Potts' leicht ironische Definition der Skulptur als “something different from painting” (<bib id='Potts 2000a'></bib>: S. ix) ist charakteristisch für das Medium, welches in der Theorie lange Zeit nur in Abgrenzung, Vergleich und Wettstreit zu seiner Schwesterkunst Malerei gedacht wurde.<ref>Nach Giorgio Vasari stammen Skulptur, Malerei und Architektur vom gemeinsamen Vater Disegno, der Idee oder Vorzeichnung, ab. Vgl. <bib id='Vasari 2006a'></bib>.</ref> Wie Jens Schröter bemerkt, problematisiert die Skulptur als Bild oder Bildwerk noch heute den Planozentrismus auch aktueller Bilddefinitionen (<bib id='Schröter 2006a'></bib>: S. 237-39, vgl. auch <bib id='Dobbe 2003a'></bib>: S. 260-61).  
  
  
=====Dispositive der Skulptur=====
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==Dispositive der Skulptur==
  
 
Als Ursprung der Skulptur gibt Leon Battista Alberti in ''Das Standbild/De Statua'' das Entdecken von dreidimensionalen [["natürliche" Bilder|Bildern in der Natur] an, wie zum Beispiel die [[Ähnlichkeit und wahrnehmungsnahe Zeichen|Ähnlichkeit]] eines Erdklumpens oder eines Baumstammes mit einem Menschen (<bib id='Alberti 2000a'></bib>: S. 143). Ein Bezug zur Ätiologie der Skulptur ist aber auch in einem der von Alberti angegebenen Ursprungsmythen der Malerei zu finden, der Praktik, Schattenrisse anzufertigen. Nach Plinius' ''Naturgeschichte'' zeichnete die Tochter des Töpfers Butades aus Anlass der Abreise ihres Geliebten dessen Schattenumriss auf der Wand nach. Butades soll daraufhin den zweidimensionalen Schattenriss mit Ton aufgefüllt und so ein dreidimensionales Abbild des Vermissten geschaffen haben (<bib id='Büttner 2002a'></bib>: S. 44). Der Butades-Mythos betont zum einen die Entstehung des dreidimensionalen Mediums aus dem zweidimensionalen (<bib id='Hensel & Wolf 2011a'></bib>???), zum anderen weist er auf die Funktion der Skulptur als [[Mimesis|mimetisches]] Abbild und sogar Stellvertreter der verkörperten Person hin. Diese Verknüpfung zeigt sich auch in der Verwendung von Denkmälern, Grabreliefs und [[Lateinisch: 'effigies', 'species', 'simulacrum', 'imago'|Imagines]] oder in der Praxis, Totenmasken und [[Lateinisch: 'effigies', 'species', 'simulacrum', 'imago'|Effigien]] herzustellen (<bib id='Büttner 2002a'></bib>: S. 44).   
 
Als Ursprung der Skulptur gibt Leon Battista Alberti in ''Das Standbild/De Statua'' das Entdecken von dreidimensionalen [["natürliche" Bilder|Bildern in der Natur] an, wie zum Beispiel die [[Ähnlichkeit und wahrnehmungsnahe Zeichen|Ähnlichkeit]] eines Erdklumpens oder eines Baumstammes mit einem Menschen (<bib id='Alberti 2000a'></bib>: S. 143). Ein Bezug zur Ätiologie der Skulptur ist aber auch in einem der von Alberti angegebenen Ursprungsmythen der Malerei zu finden, der Praktik, Schattenrisse anzufertigen. Nach Plinius' ''Naturgeschichte'' zeichnete die Tochter des Töpfers Butades aus Anlass der Abreise ihres Geliebten dessen Schattenumriss auf der Wand nach. Butades soll daraufhin den zweidimensionalen Schattenriss mit Ton aufgefüllt und so ein dreidimensionales Abbild des Vermissten geschaffen haben (<bib id='Büttner 2002a'></bib>: S. 44). Der Butades-Mythos betont zum einen die Entstehung des dreidimensionalen Mediums aus dem zweidimensionalen (<bib id='Hensel & Wolf 2011a'></bib>???), zum anderen weist er auf die Funktion der Skulptur als [[Mimesis|mimetisches]] Abbild und sogar Stellvertreter der verkörperten Person hin. Diese Verknüpfung zeigt sich auch in der Verwendung von Denkmälern, Grabreliefs und [[Lateinisch: 'effigies', 'species', 'simulacrum', 'imago'|Imagines]] oder in der Praxis, Totenmasken und [[Lateinisch: 'effigies', 'species', 'simulacrum', 'imago'|Effigien]] herzustellen (<bib id='Büttner 2002a'></bib>: S. 44).   
 
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Die Spannung des Verhältnisses von Darstellendem und Dargestelltem im Fall der Skulptur wird in mehrfachem Sinne anhand des Pygmalion-Mythos deutlich. Der zypriotische Bildhauer Pygmalion, prominent in Ovids ''Metamorphosen'' eingefangen, erschafft eine Frauenfigur aus Elfenbein, die so lebendig wirkt, dass er sich in sie verliebt und Venus bittet, sie zum Leben zu erwecken. Das Motiv der Verlebendigung einer Skulptur wird innerhalb der ''Metamorphosen'' mit dem der Versteinerung verknüpft (Siehe <bib id='Stoichita 2008a'></bib>: S. 9); Ovid schildert den Pygmalion-Mythos als Trauergesang des Orpheus in Reaktion auf die Versteinerung seiner Frau Euridike. Die Motive der Versteinerung und Verlebendigung exemplifizieren das Problem der [[Ikonische Differenz|ikonischen Differenz]] im Medium Plastik. Die Skulptur ist als Bild im Realraum präsent, Masse und Maße von Dargestelltem und Darstellendem können identisch sein (<bib id='Potts 2000a'></bib>: S. 35). Victor I. Stoichita liest daher die Pygmalion-Erzählung als Triumph des Bildes über das Ding, da das Bild nun existiert. Anders formuliert: Die ''imitatio naturae'' in Kombination mit der körperlichen Präsenz ist so überzeugend, dass zwischen Kunst und Wirklichkeit nicht mehr unterschieden werden kann.<ref>Die erotische Wahrnehmung einer sehr real wirkenden Skulptur wird nicht nur bei Ovid geschildert. So soll die knidische Aphrodite des Praxiteles derart lebensecht und anziehend gewesen sein, dass sich ein junger Mann nachts im Tempel einschließen ließ, um mit der Figur zu verkehren. Vgl. zum Beispiel <bib id='Stoichita 2008a'></bib>: S. 8.</ref>
 
Die Spannung des Verhältnisses von Darstellendem und Dargestelltem im Fall der Skulptur wird in mehrfachem Sinne anhand des Pygmalion-Mythos deutlich. Der zypriotische Bildhauer Pygmalion, prominent in Ovids ''Metamorphosen'' eingefangen, erschafft eine Frauenfigur aus Elfenbein, die so lebendig wirkt, dass er sich in sie verliebt und Venus bittet, sie zum Leben zu erwecken. Das Motiv der Verlebendigung einer Skulptur wird innerhalb der ''Metamorphosen'' mit dem der Versteinerung verknüpft (Siehe <bib id='Stoichita 2008a'></bib>: S. 9); Ovid schildert den Pygmalion-Mythos als Trauergesang des Orpheus in Reaktion auf die Versteinerung seiner Frau Euridike. Die Motive der Versteinerung und Verlebendigung exemplifizieren das Problem der [[Ikonische Differenz|ikonischen Differenz]] im Medium Plastik. Die Skulptur ist als Bild im Realraum präsent, Masse und Maße von Dargestelltem und Darstellendem können identisch sein (<bib id='Potts 2000a'></bib>: S. 35). Victor I. Stoichita liest daher die Pygmalion-Erzählung als Triumph des Bildes über das Ding, da das Bild nun existiert. Anders formuliert: Die ''imitatio naturae'' in Kombination mit der körperlichen Präsenz ist so überzeugend, dass zwischen Kunst und Wirklichkeit nicht mehr unterschieden werden kann.<ref>Die erotische Wahrnehmung einer sehr real wirkenden Skulptur wird nicht nur bei Ovid geschildert. So soll die knidische Aphrodite des Praxiteles derart lebensecht und anziehend gewesen sein, dass sich ein junger Mann nachts im Tempel einschließen ließ, um mit der Figur zu verkehren. Vgl. zum Beispiel <bib id='Stoichita 2008a'></bib>: S. 8.</ref>
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==Paragone==
  
 
Die Realpräsenz der Skulptur wird auch im Paragone von Malerei und Skulptur als Argument angeführt. Der Paragone entwickelte sich in der italienischen Renaissance als Folge der Etablierung der vormals als Handwerk geltenden Künste Malerei und Skulptur als ''artes liberales''. Erste Argumente im Rahmen dieses Wettstreits prägt Alberti, der die Malerei als Lehrerin aller Künste bezeichnet und so die Skulptur herabsetzt (<bib id='Alberti 2000a'></bib>: S. 237). Zugunsten der Skulptur urteilt etwa auch Gian Lorenzo Bernini: “Skulptur ist Wahrheit, das muß selbst ein Blinder zugeben. Aber Malerei ist Blendwerk, Lüge” (Gian Lorenzo Bernini zit. nach: <bib id='Trier 1992a'></bib>: S. ……….). Als Vorzüge der Skulptur werden Haltbarkeit, Dreidimensionalität und Vielansichtigkeit angeführt.<ref>Zum Paragone vgl. <bib id='Mai 2002a'></bib>, darin besonders: <bib id='Hessler 2002a'></bib>: S. ………….</ref> Demgegenüber argumentiert Leonardo da Vinci, dass die Körperlichkeit der Skulptur nicht von Wahrheit zeuge, sondern von mangelndem Genie; im Gegenzug zur Malerei erschöpfe sich selbige in ihrem Erscheinungsbild. Zudem sei bei der Skulptur das Sujet durch das Medium limitiert, da dieses weder Licht noch Farbe noch Flüchtiges wiedergeben könne. Produktionsästhetisch führt der Paragone in der Skulptur zur Betonung der Dreidimensionalität durch komplexe Torsionen und verschlungene Körper, deren Drehung die Körperlichkeit im Raum betont. Paragone-Bilder in der Malerei generieren Vielansichtigkeit durch Spiegelungen oder durch das Ausspielen des Drei-Grazien-Motivs. Auch Pygmaliondarstellungen waren beliebt, um die Starrheit der Skulptur mit der Lebendigkeit der Malerei zu konfrontieren (siehe <bib id='Mai'></bib>).  
 
Die Realpräsenz der Skulptur wird auch im Paragone von Malerei und Skulptur als Argument angeführt. Der Paragone entwickelte sich in der italienischen Renaissance als Folge der Etablierung der vormals als Handwerk geltenden Künste Malerei und Skulptur als ''artes liberales''. Erste Argumente im Rahmen dieses Wettstreits prägt Alberti, der die Malerei als Lehrerin aller Künste bezeichnet und so die Skulptur herabsetzt (<bib id='Alberti 2000a'></bib>: S. 237). Zugunsten der Skulptur urteilt etwa auch Gian Lorenzo Bernini: “Skulptur ist Wahrheit, das muß selbst ein Blinder zugeben. Aber Malerei ist Blendwerk, Lüge” (Gian Lorenzo Bernini zit. nach: <bib id='Trier 1992a'></bib>: S. ……….). Als Vorzüge der Skulptur werden Haltbarkeit, Dreidimensionalität und Vielansichtigkeit angeführt.<ref>Zum Paragone vgl. <bib id='Mai 2002a'></bib>, darin besonders: <bib id='Hessler 2002a'></bib>: S. ………….</ref> Demgegenüber argumentiert Leonardo da Vinci, dass die Körperlichkeit der Skulptur nicht von Wahrheit zeuge, sondern von mangelndem Genie; im Gegenzug zur Malerei erschöpfe sich selbige in ihrem Erscheinungsbild. Zudem sei bei der Skulptur das Sujet durch das Medium limitiert, da dieses weder Licht noch Farbe noch Flüchtiges wiedergeben könne. Produktionsästhetisch führt der Paragone in der Skulptur zur Betonung der Dreidimensionalität durch komplexe Torsionen und verschlungene Körper, deren Drehung die Körperlichkeit im Raum betont. Paragone-Bilder in der Malerei generieren Vielansichtigkeit durch Spiegelungen oder durch das Ausspielen des Drei-Grazien-Motivs. Auch Pygmaliondarstellungen waren beliebt, um die Starrheit der Skulptur mit der Lebendigkeit der Malerei zu konfrontieren (siehe <bib id='Mai'></bib>).  
 
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Der Vergleich der Skulptur mit anderen Künsten findet sich im 18. Jahrhundert in Lessings Schrift ''Laokoon oder über die Grenzen der Mahlerey und Poesie'' (1766) erneut prominent aufgerufen. Lessing fasst unter Malerei “die bildenden Künste überhaupt” (<bib id='Lessing 1994a'></bib>: Vorrede. S. ...) und kontrastiert diese mit der Dichtung. Ziel seiner Ausführungen ist nicht Hierarchiebildung, sondern Differenzierung der gattungseigenen Qualitäten. Anschauungsbeispiel dafür ist die Laokoon-Gruppe, an welcher Lessing die These entwickelt, dass die Skulptur weder Zeitlichkeit noch Handlungen darzustellen vermöge, im Unterschied zu Gegenständen. Zur Darstellung einer Geschichte müsse nach dem Muster der Laokoon-Gruppe ein Moment, der fruchtbare Augenblick, gewählt werden. Wenige Jahre nach Lessing verfasst Herder die Schrift ''Plastik. Einige Wahrnehmungen über Form und Gestalt aus Pygmalions Bildendem Traume'' (1778). Wie schon Bernini führt er als Referenzpunkt der Wahrnehmung von dreidimensionaler Kunst einen blinden Rezipienten an. Er kontrastiert nicht Malerei und Skulptur, sondern die Wahrnehmung mit den Augen (Gesicht) einerseits und die Wahrnehmung durch den Körper (Gefühl) andererseits – “Im Gesicht ist Traum. Im Gefühl ist Wahrheit” (<bib id='Herder 1969a'></bib>: S. 38) – und schafft so gleichsam eine erste ‘Phänomenologie der Skulptur’ (<bib id='Potts 2000a'></bib>: S. 28).
 
Der Vergleich der Skulptur mit anderen Künsten findet sich im 18. Jahrhundert in Lessings Schrift ''Laokoon oder über die Grenzen der Mahlerey und Poesie'' (1766) erneut prominent aufgerufen. Lessing fasst unter Malerei “die bildenden Künste überhaupt” (<bib id='Lessing 1994a'></bib>: Vorrede. S. ...) und kontrastiert diese mit der Dichtung. Ziel seiner Ausführungen ist nicht Hierarchiebildung, sondern Differenzierung der gattungseigenen Qualitäten. Anschauungsbeispiel dafür ist die Laokoon-Gruppe, an welcher Lessing die These entwickelt, dass die Skulptur weder Zeitlichkeit noch Handlungen darzustellen vermöge, im Unterschied zu Gegenständen. Zur Darstellung einer Geschichte müsse nach dem Muster der Laokoon-Gruppe ein Moment, der fruchtbare Augenblick, gewählt werden. Wenige Jahre nach Lessing verfasst Herder die Schrift ''Plastik. Einige Wahrnehmungen über Form und Gestalt aus Pygmalions Bildendem Traume'' (1778). Wie schon Bernini führt er als Referenzpunkt der Wahrnehmung von dreidimensionaler Kunst einen blinden Rezipienten an. Er kontrastiert nicht Malerei und Skulptur, sondern die Wahrnehmung mit den Augen (Gesicht) einerseits und die Wahrnehmung durch den Körper (Gefühl) andererseits – “Im Gesicht ist Traum. Im Gefühl ist Wahrheit” (<bib id='Herder 1969a'></bib>: S. 38) – und schafft so gleichsam eine erste ‘Phänomenologie der Skulptur’ (<bib id='Potts 2000a'></bib>: S. 28).
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=====Skulptur und (Betrachter-)Raum=====
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==Skulptur und (Betrachter-)Raum==
  
 
Das Verhältnis von Skulptur und Raum wird in Theorie und Praxis erst um 1900 reflektiert. In ''Das Problem der Form in der bildenden Kunst'' (1893) beschreibt Adolf von Hildebrand die produktions- und rezeptionsästhetische Relevanz dieses Verhältnisses, wobei die Idee des richtigen Betrachtungspunktes im Zentrum steht. Nahezu gleichzeitig wird der Raum in den Werken Auguste Rodins thematisiert. Sein Œuvre wird als Ausgangspunkt der modernen Skulptur betrachtet. Nach Rosalind Krauss hebt die moderne Skulptur die inhärente Logik des Denkmals, seine Standortgebundenheit auf. Diese neu gewonnene Autonomie zeige sich bei Rodin in der Unähnlichkeit zum Dargestellten, dem fragmentarischen und unfertigen Charakter seiner Skulpturen und in der Subvertierung der Vielansichtigkeit durch Kopien.<ref><bib id='Krauss 1990a'></bib>: vor allem S. 5-29. Zu Rodins Neuerungen in der Skulptur vgl. auch <bib id='Boehm 1977a'></bib>.</ref> Einen Bruch mit der Tradition bedeutet auch Rodins Verzicht auf hohe Postamente oder Sockel, wofür die Skulpturen-Gruppe ''Die Bürger von Calais'' berühmtestes Beispiel ist.<ref>Früher als die ''Bürger von Calais'' wurde aber Rodins ''Eva'' schon (1899) ebenerdig ausgestellt. Vgl. <bib id='Hartog 2009a'></bib>: S. 42-43.</ref> Die Reflexion des Sockels zieht sich durch die Kunst des 20. und 21. Jahrhundert (vgl. <bib id='Brunner 2009a'></bib>, <bib id='Gerstein 2007a'></bib>). Constantin Brancusi etwa baute als erster Künstler ab 1919 Sockel selbst und versah Werke mit unterschiedlichen, mitunter rotierenden Sockeln. Mit dem Verlust des Sockels sollte die Skulptur ihre Isolation vom Raum des [[Betrachter]]s hinter sich lassen und mit diesem denselben Boden zu teilen beginnen.<ref>Zur Funktion des Sockels vgl. <bib id='Brunner 2009a'></bib>: S. 9. </ref> Hand in Hand mit dieser Entwicklung vollzieht sich die Ausbreitung der Skulptur im Raum, wofür Marcel Duchamps ''Trébuchet'' (1917)<ref>Julia Otto führt dieses Werk als frühe Bodenplastik an. <bib id='Otto 2001a'></bib>: S. 9-14.</ref> und die konstruktivistischen Reliefs frühe Beispiele sind.
 
Das Verhältnis von Skulptur und Raum wird in Theorie und Praxis erst um 1900 reflektiert. In ''Das Problem der Form in der bildenden Kunst'' (1893) beschreibt Adolf von Hildebrand die produktions- und rezeptionsästhetische Relevanz dieses Verhältnisses, wobei die Idee des richtigen Betrachtungspunktes im Zentrum steht. Nahezu gleichzeitig wird der Raum in den Werken Auguste Rodins thematisiert. Sein Œuvre wird als Ausgangspunkt der modernen Skulptur betrachtet. Nach Rosalind Krauss hebt die moderne Skulptur die inhärente Logik des Denkmals, seine Standortgebundenheit auf. Diese neu gewonnene Autonomie zeige sich bei Rodin in der Unähnlichkeit zum Dargestellten, dem fragmentarischen und unfertigen Charakter seiner Skulpturen und in der Subvertierung der Vielansichtigkeit durch Kopien.<ref><bib id='Krauss 1990a'></bib>: vor allem S. 5-29. Zu Rodins Neuerungen in der Skulptur vgl. auch <bib id='Boehm 1977a'></bib>.</ref> Einen Bruch mit der Tradition bedeutet auch Rodins Verzicht auf hohe Postamente oder Sockel, wofür die Skulpturen-Gruppe ''Die Bürger von Calais'' berühmtestes Beispiel ist.<ref>Früher als die ''Bürger von Calais'' wurde aber Rodins ''Eva'' schon (1899) ebenerdig ausgestellt. Vgl. <bib id='Hartog 2009a'></bib>: S. 42-43.</ref> Die Reflexion des Sockels zieht sich durch die Kunst des 20. und 21. Jahrhundert (vgl. <bib id='Brunner 2009a'></bib>, <bib id='Gerstein 2007a'></bib>). Constantin Brancusi etwa baute als erster Künstler ab 1919 Sockel selbst und versah Werke mit unterschiedlichen, mitunter rotierenden Sockeln. Mit dem Verlust des Sockels sollte die Skulptur ihre Isolation vom Raum des [[Betrachter]]s hinter sich lassen und mit diesem denselben Boden zu teilen beginnen.<ref>Zur Funktion des Sockels vgl. <bib id='Brunner 2009a'></bib>: S. 9. </ref> Hand in Hand mit dieser Entwicklung vollzieht sich die Ausbreitung der Skulptur im Raum, wofür Marcel Duchamps ''Trébuchet'' (1917)<ref>Julia Otto führt dieses Werk als frühe Bodenplastik an. <bib id='Otto 2001a'></bib>: S. 9-14.</ref> und die konstruktivistischen Reliefs frühe Beispiele sind.
  
  
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Version vom 21. Oktober 2013, 20:52 Uhr

Unterpunkt zu: Bildmedien


Einleitung/Definition

Die Skulptur als Medium gehört neben der Architektur und der Malerei zu den traditionellen Bildkünsten. Im engeren Sinne meint Skulptur “ein durch Aushauen oder als Schnitzerei aus festem Stoff entstandenes dreidimensionales körperhaftes Kunstwerk” ([Dürre 2007a]: S. 6) und wird mit der Plastik kontrastiert, die additive, bildhauerische Verfahren wie zum Beispiel das Modellieren oder Gusstechniken benennt. Diese Begriffstrennung, die sich auf die lateinischen respektive griechischen Bezeichnungen für die traditionellen Verfahren der Bildhauerei bezieht, ist mittlerweile nicht nur alltagssprachlich aufgelöst.[1] Das Aufkommen neuer dreidimensionaler Techniken, die sich nicht mehr der traditionellen subtraktiven oder additiven Verfahren bedienen, lässt die Begriffstrennung für die Kunstwissenschaft nicht mehr produktiv erscheinen.[2] Die Plastik wird daher zunehmend unter dem Begriff »Skulptur« subsumiert, der auch das Relief und so zum Beispiel auch die Münz- und Medaillenkunst mit einschließt. Alex Potts' leicht ironische Definition der Skulptur als “something different from painting” ([Potts 2000a]: S. ix) ist charakteristisch für das Medium, welches in der Theorie lange Zeit nur in Abgrenzung, Vergleich und Wettstreit zu seiner Schwesterkunst Malerei gedacht wurde.[3] Wie Jens Schröter bemerkt, problematisiert die Skulptur als Bild oder Bildwerk noch heute den Planozentrismus auch aktueller Bilddefinitionen ([Schröter 2006a]: S. 237-39, vgl. auch [Dobbe 2003a]: S. 260-61).


Dispositive der Skulptur

Als Ursprung der Skulptur gibt Leon Battista Alberti in Das Standbild/De Statua das Entdecken von dreidimensionalen [["natürliche" Bilder|Bildern in der Natur] an, wie zum Beispiel die Ähnlichkeit eines Erdklumpens oder eines Baumstammes mit einem Menschen ([Alberti 2000a]: S. 143). Ein Bezug zur Ätiologie der Skulptur ist aber auch in einem der von Alberti angegebenen Ursprungsmythen der Malerei zu finden, der Praktik, Schattenrisse anzufertigen. Nach Plinius' Naturgeschichte zeichnete die Tochter des Töpfers Butades aus Anlass der Abreise ihres Geliebten dessen Schattenumriss auf der Wand nach. Butades soll daraufhin den zweidimensionalen Schattenriss mit Ton aufgefüllt und so ein dreidimensionales Abbild des Vermissten geschaffen haben ([Büttner 2002a]: S. 44). Der Butades-Mythos betont zum einen die Entstehung des dreidimensionalen Mediums aus dem zweidimensionalen ([Hensel & Wolf 2011a]???), zum anderen weist er auf die Funktion der Skulptur als mimetisches Abbild und sogar Stellvertreter der verkörperten Person hin. Diese Verknüpfung zeigt sich auch in der Verwendung von Denkmälern, Grabreliefs und Imagines oder in der Praxis, Totenmasken und Effigien herzustellen ([Büttner 2002a]: S. 44).

Die Spannung des Verhältnisses von Darstellendem und Dargestelltem im Fall der Skulptur wird in mehrfachem Sinne anhand des Pygmalion-Mythos deutlich. Der zypriotische Bildhauer Pygmalion, prominent in Ovids Metamorphosen eingefangen, erschafft eine Frauenfigur aus Elfenbein, die so lebendig wirkt, dass er sich in sie verliebt und Venus bittet, sie zum Leben zu erwecken. Das Motiv der Verlebendigung einer Skulptur wird innerhalb der Metamorphosen mit dem der Versteinerung verknüpft (Siehe [Stoichita 2008a]: S. 9); Ovid schildert den Pygmalion-Mythos als Trauergesang des Orpheus in Reaktion auf die Versteinerung seiner Frau Euridike. Die Motive der Versteinerung und Verlebendigung exemplifizieren das Problem der ikonischen Differenz im Medium Plastik. Die Skulptur ist als Bild im Realraum präsent, Masse und Maße von Dargestelltem und Darstellendem können identisch sein ([Potts 2000a]: S. 35). Victor I. Stoichita liest daher die Pygmalion-Erzählung als Triumph des Bildes über das Ding, da das Bild nun existiert. Anders formuliert: Die imitatio naturae in Kombination mit der körperlichen Präsenz ist so überzeugend, dass zwischen Kunst und Wirklichkeit nicht mehr unterschieden werden kann.[4]


Paragone

Die Realpräsenz der Skulptur wird auch im Paragone von Malerei und Skulptur als Argument angeführt. Der Paragone entwickelte sich in der italienischen Renaissance als Folge der Etablierung der vormals als Handwerk geltenden Künste Malerei und Skulptur als artes liberales. Erste Argumente im Rahmen dieses Wettstreits prägt Alberti, der die Malerei als Lehrerin aller Künste bezeichnet und so die Skulptur herabsetzt ([Alberti 2000a]: S. 237). Zugunsten der Skulptur urteilt etwa auch Gian Lorenzo Bernini: “Skulptur ist Wahrheit, das muß selbst ein Blinder zugeben. Aber Malerei ist Blendwerk, Lüge” (Gian Lorenzo Bernini zit. nach: [Trier 1992a]: S. ……….). Als Vorzüge der Skulptur werden Haltbarkeit, Dreidimensionalität und Vielansichtigkeit angeführt.[5] Demgegenüber argumentiert Leonardo da Vinci, dass die Körperlichkeit der Skulptur nicht von Wahrheit zeuge, sondern von mangelndem Genie; im Gegenzug zur Malerei erschöpfe sich selbige in ihrem Erscheinungsbild. Zudem sei bei der Skulptur das Sujet durch das Medium limitiert, da dieses weder Licht noch Farbe noch Flüchtiges wiedergeben könne. Produktionsästhetisch führt der Paragone in der Skulptur zur Betonung der Dreidimensionalität durch komplexe Torsionen und verschlungene Körper, deren Drehung die Körperlichkeit im Raum betont. Paragone-Bilder in der Malerei generieren Vielansichtigkeit durch Spiegelungen oder durch das Ausspielen des Drei-Grazien-Motivs. Auch Pygmaliondarstellungen waren beliebt, um die Starrheit der Skulptur mit der Lebendigkeit der Malerei zu konfrontieren (siehe [Mai]).

Der Vergleich der Skulptur mit anderen Künsten findet sich im 18. Jahrhundert in Lessings Schrift Laokoon oder über die Grenzen der Mahlerey und Poesie (1766) erneut prominent aufgerufen. Lessing fasst unter Malerei “die bildenden Künste überhaupt” ([Lessing 1994a]: Vorrede. S. ...) und kontrastiert diese mit der Dichtung. Ziel seiner Ausführungen ist nicht Hierarchiebildung, sondern Differenzierung der gattungseigenen Qualitäten. Anschauungsbeispiel dafür ist die Laokoon-Gruppe, an welcher Lessing die These entwickelt, dass die Skulptur weder Zeitlichkeit noch Handlungen darzustellen vermöge, im Unterschied zu Gegenständen. Zur Darstellung einer Geschichte müsse nach dem Muster der Laokoon-Gruppe ein Moment, der fruchtbare Augenblick, gewählt werden. Wenige Jahre nach Lessing verfasst Herder die Schrift Plastik. Einige Wahrnehmungen über Form und Gestalt aus Pygmalions Bildendem Traume (1778). Wie schon Bernini führt er als Referenzpunkt der Wahrnehmung von dreidimensionaler Kunst einen blinden Rezipienten an. Er kontrastiert nicht Malerei und Skulptur, sondern die Wahrnehmung mit den Augen (Gesicht) einerseits und die Wahrnehmung durch den Körper (Gefühl) andererseits – “Im Gesicht ist Traum. Im Gefühl ist Wahrheit” ([Herder 1969a]: S. 38) – und schafft so gleichsam eine erste ‘Phänomenologie der Skulptur’ ([Potts 2000a]: S. 28).


Skulptur und (Betrachter-)Raum

Das Verhältnis von Skulptur und Raum wird in Theorie und Praxis erst um 1900 reflektiert. In Das Problem der Form in der bildenden Kunst (1893) beschreibt Adolf von Hildebrand die produktions- und rezeptionsästhetische Relevanz dieses Verhältnisses, wobei die Idee des richtigen Betrachtungspunktes im Zentrum steht. Nahezu gleichzeitig wird der Raum in den Werken Auguste Rodins thematisiert. Sein Œuvre wird als Ausgangspunkt der modernen Skulptur betrachtet. Nach Rosalind Krauss hebt die moderne Skulptur die inhärente Logik des Denkmals, seine Standortgebundenheit auf. Diese neu gewonnene Autonomie zeige sich bei Rodin in der Unähnlichkeit zum Dargestellten, dem fragmentarischen und unfertigen Charakter seiner Skulpturen und in der Subvertierung der Vielansichtigkeit durch Kopien.[6] Einen Bruch mit der Tradition bedeutet auch Rodins Verzicht auf hohe Postamente oder Sockel, wofür die Skulpturen-Gruppe Die Bürger von Calais berühmtestes Beispiel ist.[7] Die Reflexion des Sockels zieht sich durch die Kunst des 20. und 21. Jahrhundert (vgl. [Brunner 2009a], [Gerstein 2007a]). Constantin Brancusi etwa baute als erster Künstler ab 1919 Sockel selbst und versah Werke mit unterschiedlichen, mitunter rotierenden Sockeln. Mit dem Verlust des Sockels sollte die Skulptur ihre Isolation vom Raum des Betrachters hinter sich lassen und mit diesem denselben Boden zu teilen beginnen.[8] Hand in Hand mit dieser Entwicklung vollzieht sich die Ausbreitung der Skulptur im Raum, wofür Marcel Duchamps Trébuchet (1917)[9] und die konstruktivistischen Reliefs frühe Beispiele sind.


Skulptur im erweiterten Feld

Datei:Ron Mueck1.jpg
Abbildung Ron Mueck

Die Problematisierung der Beziehung von Skulptur und Raum begegnet ab den 1960er Jahren erneut in der Land Art, der Minimal Art und der Installationskunst. Die Vielzahl neuer künstlerischer Strategien führt zu einer Ausweitung der genutzten Materialien und auch des Skulpturbegriffs. Neben Alltagsgegenständen wird innerhalb von Body Art und Performance-Kunst auch der Körper der Künstler zur Skulptur, was sich in der auf die Inszenierungen von Gilbert & George gemünzten Bezeichnung “living sculptures” verbal manifestiert. Der Langlebigkeit der traditionellen Materialien Stein, Marmor oder Bronze werden nicht nur die Kurzlebigkeit der Performance, sondern auch das Verwenden flüchtiger Materialien wie Wasser, Luft und Licht entgegengesetzt.[10] Der Herausforderung einer “Skulptur im erweiterten Feld”[11] suchten Theoretiker gestalterisch zu begegnen, so zum Beispiel Donald Judd mit seiner Idee einer dritten Kategorie neben Skulptur und Malerei, dem Objekt (vgl. [Judd 1986a]). Trotz der mannigfaltigen Diversifikationen der Skulptur im 20. Jahrhundert ist das Unbehagen gegenüber dem dreidimensionalen Medium[12] geblieben – die der Skulptur innewohnende Herausforderung, Artefakt von Fakt unterscheiden lernen zu müssen, verunsichert noch immer [Abb. Ron Mueck].


Anmerkungen
  1. Die Begriffstrennung geht unter anderem auf Leon Battista Albertis De Statua zurück: “Manche fügten hinzu und nahmen ebenso auch weg: genau wie diejenigen, die darauf bedacht sind, in Wachs und Ton ein geplantes Werk auszuführen, und von den Griechen ‘plastikoi’, von unsern Landsleuten ‘Bildner’ genannt werden. Andere verminderten lediglich: genau wie diejenigen, die eine gesuchte Menschengestalt, als sei sie in einen Marmorblock eingelassen und in ihm verborgen, ans Licht befördern, indem sie gleichsam das Überflüssige wegschlagen. Diese nennen wir ‘Bildhauer’ [sculptores, T. H./A. R.]” [Alberti 2000a]: S. 143-145.
  2. So schreibt beispielsweise Margit Rowell in der Einleitung zum Übersichtswerk Skulptur im 20. Jahrhundert: “Mit der Entstehung neuer dreidimensionaler Techniken, die sich der klassischen Verfahren des Formens, Gießens oder Hauens nicht mehr bedienen müssen, ist es zweifelhaft geworden, ob eine prinzipielle Unterscheidung zwischen hinzugebenden und wegnehmenden Verfahren noch zum Verständnis eines Werkes wesentlich beiträgt” [Rowell 1986a]: S, 7.
  3. Nach Giorgio Vasari stammen Skulptur, Malerei und Architektur vom gemeinsamen Vater Disegno, der Idee oder Vorzeichnung, ab. Vgl. [Vasari 2006a].
  4. Die erotische Wahrnehmung einer sehr real wirkenden Skulptur wird nicht nur bei Ovid geschildert. So soll die knidische Aphrodite des Praxiteles derart lebensecht und anziehend gewesen sein, dass sich ein junger Mann nachts im Tempel einschließen ließ, um mit der Figur zu verkehren. Vgl. zum Beispiel [Stoichita 2008a]: S. 8.
  5. Zum Paragone vgl. [Mai 2002a], darin besonders: [Hessler 2002a]: S. ………….
  6. [Krauss 1990a]: vor allem S. 5-29. Zu Rodins Neuerungen in der Skulptur vgl. auch [Boehm 1977a].
  7. Früher als die Bürger von Calais wurde aber Rodins Eva schon (1899) ebenerdig ausgestellt. Vgl. [Hartog 2009a]: S. 42-43.
  8. Zur Funktion des Sockels vgl. [Brunner 2009a]: S. 9.
  9. Julia Otto führt dieses Werk als frühe Bodenplastik an. [Otto 2001a]: S. 9-14.
  10. Zur Entmaterialisierung des Kunstwerks in den 1960er Jahren vgl. [Lippard 1997a]: …, [Wagner]: …….
  11. Rosalind Krauss' gleichnamiger Aufsatz wirbt dafür, Skulptur nicht als umbrella term, sondern als eine Position auf dem erweiterten Feld der dreidimensionalen künstlerischen Strategien der Postmoderne anzusehen. Vgl. [Krauss 2000b].
  12. Vgl. Alex Potts: „Sculpture has long been a focus for anxieties generated by this tension because of its mythic status as an art of stable embodiment and because of the gap between its public and monumentalising functions and its role as the paradigmatic autonomous object of aesthetic contemplation.“ [Potts 2000a]: S. 23.
Literatur                             [Sammlung]

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