Visual Culture / Visual Studies
Unterpunkt zu: Bildtheoretische Ansätze
Bezeichnungen: ‘visual culture’, ‘visual studies’ (und ‘visual culture studies’)Visual Culture und Visual Studies sind in vielen Hinsichten umstritten. Eine erste Hinsicht zeigt sich bereits an den zugrunde liegenden Bezeichnungen. ‘Visual culture’, ‘visual studies’ und auch ‘visual culture studies’ können einander teilweise, aber eben nur teilweise vertreten. Die am meisten verwendete, aber eine zugleich auch zweideutige Bezeichnung ist ‘visual culture’. So heißt es anlässlich des Visual Culture Questionnaire, mit dem die Kunstzeitschrift «October» 1996 erstmalig die scientific community zur allgemeinen Reflexion über das Thema einlud:
Demnach trifft auf ‘visual culture’ Ähnliches zu wie auf das deutsche ‘Kunstgeschichte’, das sowohl das Objekt als auch die Disziplin bezeichnet. Diese – in der Regel durch den Kontext disambiguierte – Zweideutigkeit ist bis in die jüngsten Schriften anzutreffen. Daneben haben sich Redeweisen etabliert, die um terminologische Eindeutigkeit bemüht sind. Douglas Crimp empfiehlt beispielsweise:
Visual Culture. An Introduction. Manchester, New York: Manchester University Press. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 1).[1] Visual Studies. A Skeptical Introduction. New York, London: Routledge. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 7), wird im Folgenden ‘visual culture’ für das Objekt der Untersuchung und ‘visual studies’ für den wissenschaftlichen Zugriff auf dieses Objekt verwendet. Disziplin, Interdisziplinarität, “Undiszipliniertheit”Ebenfalls umstritten ist, ob und inwiefern es sich bei Visual Studies um eine Disziplin handelt. Die Frage wird selten bejaht und wenn, dann ist von Disziplin in einem eher schwachen Sinn die Rede. Gemeint ist damit zumeist, dass es seit den 1990er Jahren zunächst im englischsprachigen Raum manifeste Formen der pädagogischen, wissenschaftlichen und publizistischen Institutionalisierung gibt, also Aufnahmen in universitäre Curricula, einschlägige Konferenzen und Veröffentlichungen bis hin zu spezifischen Zeitschriften.[2] Darüber hinaus lassen sich auch Vorschläge zu weitergehenden Festlegungen inhaltlicher und methodischer Art finden, etwa in Bezug auf Grundlagentexte, kanonische Autoren, bevorzugte Objekte und Interpretationsmethoden. Als theoretische Referenzen, die die Arbeit der Visual Studies grundieren, werden am häufigsten die Arbeiten von Walter Benjamin und die der Poststrukturalisten Roland Barthes, Jacques Lacan und Michel Foucault genannt.[3] Auch weil diese Vorschläge insgesamt eher diskutiert als geteilt werden, hat es sich eingebürgert, die Visual Studies statt als Disziplin eher vage als akademisches Feld anzusprechen.[4] Ferner sind die Visual Studies wie schon die älteren Cultural Studies auch als „diskursive Formation“ apostrophiert worden[5] und als nicht nur akademische, sondern auch politische – genauer: linke und marxistisch inspirierte – Bewegung (vgl. [Bal 2003a]Bal, Mieke (2003).Visual Essentialism and the Object of Visual Culture. In Journal of Visual Culture, 1, 2, 5-32. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 5f.). Visual Studies. A Skeptical Introduction. New York, London: Routledge. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 25) bis zu insgesamt 34 verschiedenen, nämlich:
Nicht zuletzt in Anbetracht der Tatsache, dass sich die Visual Studies zunehmend den Naturwissenschaften öffnen, kann jedoch auch diese Liste nicht erschöpfend sein. — Motiviert ist diese methodische Interdisziplinarität auch durch eine besondere Tendenz im Gegenstandsbereich, nämlich die wachsende Medienkonvergenz unter den Vorzeichen von technischer Entwicklung und globalem Kapitalismus:[6] Wir begegnen dem Kinofilm in der DVD, dem Fernsehen im Netz und den alten Meistern als Druck auf T-Shirt und Teetasse; und schon der Film wurde von keiner isolierten Industrie realisiert, sondern entstand an den Schnittlinien von Konsumgütern, Elektrizität, Beleuchtung, Make-Up und Mode. Bildtheorie. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 265).[7] Anders gesagt: Es ist für die Visual Studies charakteristisch, die etablierten Disziplinen in Frage zu stellen. Die Visual Studies importieren daher weder einfach ihren zentralen Gegenstand aus einer anderen Disziplin, um ihn dann nur etwas anders zu perspektivieren (das Visuelle ist nicht das – lediglich politisch perspektivierte – Bild aus der Kunstgeschichte);[8] noch akzeptieren die Visual Studies die Grenzen zwischen den Disziplinen, mit denen beispielsweise bis in die Gegenwart filmtheoretische und fernsehwissenschaftliche Analysen voneinander getrennt worden sind; noch reproduzieren sie automatisch die internen Kategorisierungen, mit denen etwa die Kunstgeschichte lange zwischen Hochkultur und Populärkultur unterschieden hat (vgl. [Jones 2003a]Jones, Amelia (2003). Introduction. Conceiving the Intersection of Feminism and Visual Culture. In The Feminism and Visual Culture Reader, 1-7. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 34). Vorgeschichte/nAuch aufgrund der Vielzahl der beteiligten Disziplinen verfügt das Feld oder die Bewegung der Visual Studies über keine verbindliche und homogene Vorgeschichte. Es lassen sich dennoch mindestens drei Vorgeschichten anführen, die für die Entwicklung der Visual Studies aussagekräftig sind: die Transgressionen der traditionellen Kunstgeschichte, die Geschichte des Begriffs »visual culture« sowie auch und vor allem die Cultural Studies. Der Bilderatlas Mnemosyne. Berlin: Akademie. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 3f.). Eine ebenfalls beträchtliche Erweiterung der Forschungsgegenstände findet sich in den Arbeiten Erwin Panofskys, der sich schon früh, nämlich in den 1930er Jahren, dem Film widmete und später das Fortleben von palladianischer Tempelfassade einerseits und ungezügelter Romantik andererseits bis zum Kühler des Rolls Royce verfolgte.[9] Anregend für den Kontext der Visual Studies ist darüber hinaus sein folgenreicher Versuch, die oft als Siegeszug einer “natürlichen” Darstellung gefeierte Zentralperspektive der Renaissance auf Konvention und Kultur zurückzuführen und als „symbolische Form“ – im Sinne des Neukantianismus von Ernst Cassirer – zu beschreiben (vgl. [Panofsky 1924a]Panofsky, Erwin (1998). Die Perspektive als symbolische Form (1924). In Erwin Panofsky, Deutschsprachige Aufsätze, Bd. 2, 664-757. Eintrag in Sammlung zeigen). Eine kritische Reflexion auf die Kunstgeschichte findet sich schließlich in den ursprünglich nicht für das Buch, sondern als Fernsehserie für die BBC konzipierten «Ways of Seeing» des marxistischen Kunstkritikers und -theoretikers John Berger. Seine Essays setzen sich gleich mit einer ganzen Reihe von für die Visual Studies einschlägigen Themenfeldern auseinander: mit dem Verhältnis von Sehen und Sprechen, dem Gesehen-Werden als Konstituens für soziale Ordnung und gender-Rollen, den Beziehungen zwischen Sehen und Besitz, der Rolle der medientechnischen Entwicklung insbesondere für die Erweiterung der Funktionsvielfalt von Bildern (vgl. ⊳ Replika, Faksimile und Kopie) oder auch mit den „publicity images“ der Werbung und ihren Beziehungen zur traditionellen Kunst (vgl. [Berger 1972a]Berger, John (1972). Ways of Seeing. London: Penguin Books. Eintrag in Sammlung zeigen). Dass sich die Visual Studies jedoch nicht ausschließlich als eine Transformation der älteren Kunstgeschichte begreifen lassen wird spätestens an der zweiten Vorgeschichte deutlich. Der Begriff »visual culture« wird zwar üblicherweise auf zwei kunsthistorische Arbeiten zurückgeführt, auf Michael Baxandalls «Painting and Experience in Fifteenth Century Italy. A Primer in the Social History of Pictorial Style» von 1972 und auf Svetlana Alpers’ «The Art of Describing. Dutch Art in the Seventeenth Century» von 1983. [10] Dies sind jedoch keineswegs die einzigen, geschweige denn die ältesten Quellen. Fakt ist, dass Baxandall den Ausdruck ‘visual culture’ nur beiläufig verwendet und dass sich erst Alpers um eine Explikation von »visual culture« als eine – für eine bestimmte Gesellschaft in einer bestimmten Epoche typische – kulturelle Strukturierung der visuellen Wahrnehmung bemüht.[11] Dazu hält sie fest:
Die magischen Kanäle. Understanding Media. Düsseldorf, Wien: Econ. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 54, 127ff., u.ö.). Noch früher lässt sich »visuelle Kultur« in der Filmtheorie nachweisen. In «Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films» von 1924 antizipiert Béla Balázs die beiden Verwendungsweisen McLuhans und sieht im (Stumm-)Film eine Stärkung der durch den Buchdruck marginalisierten visuellen Kultur gekommen (vgl. [Balázs 2001b]Balázs, Béla (2001). Der sichtbare Mensch. In Texte zur Theorie des Films, 224-233. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 224ff. und [Liebsch 2007a]Liebsch, Dimitri (2007). Pictorial Turn and Visual Culture. In Visual Culture Revisited. German and American Perspectives on Visual Culture(s), 12-26. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 16).[12] Culture and Anarchy. Cambridge: Cambridge University Press. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 70); Kultur umfasst vielmehr außer der Hochkultur einen „whole way of life“ ([Williams 1958a]Williams, Raymond (2002). Culture Is Ordinary. In The Everyday Life Reader, 91-100. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 92f.), der das Gewöhnliche und den Alltag mit einschließt. Zweitens stehen neben den Artefakten oft die Praktiken im Fokus, und zwar insbesondere die Praktiken der Bedeutungserzeugung:
Introduction. Conceiving the Intersection of Feminism and Visual Culture. In The Feminism and Visual Culture Reader, 1-7. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 35).
GegenständeEs gibt nicht den einen, klar umgrenzten Gegenstand für dieses interdisziplinäre und undisziplinierte Feld mit seiner facettenreichen Vorgeschichte. Das lässt sich auch an der eingangs gegebenen formalen Gegenstandsbestimmung, nämlich Visual Culture, verdeutlichen, wenn man ihre beiden Komponenten genauer betrachtet. Visual Culture Questionnaire. In October, 77, 25-70. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 42). Insofern wären die Visual Studies nicht auf das Bild, geschweige denn das künstlerische Bild eingeschränkt, sondern können sich ebenso auf das Fernsehen, die Menschen auf der Straße, das Urlaubspolaroid, den von „Lichtverschmutzung“ bedrohten Nachthimmel (vgl. [Ratzka 2012a]Ratzka, Thorsten (2012). Die Fenster zum Himmel. In Visualisierung und Erkenntnis. Bildverstehen und Bildverwenden in Natur- und Geisteswissenschaften, 237-264. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 260ff.), das Videospiel oder die Objekte unterm Mikroskop beziehen. Die Liste ließe sich fast beliebig verlängern – alles was gesehen werden kann, könnte demnach auch Gegenstand der Visual Studies werden. Selbst eine derart offene Auffassung der ersten Komponente ist als Gegenstandsbestimmung jedoch noch zu eng. Einerseits kann der Gegenstand der Visual Studies auch hybride sein. Dies ist der Fall, wenn das Visuelle in multimodale Komplexe eingebettet wird oder wenn es – und spätestens hier lässt sich die zweite Komponente, die Kultur, nicht mehr übersehen – mit Praktiken und ihrer Institutionalisierung verbunden ist:
Visual Culture Questionnaire. In October, 77, 25-70. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 34). Kurz, in formaler Hinsicht sind die Gegenstände der Visual Studies eher hybride als rein visuell und können sich im Extremfall auf Teile der Kultur beschränken, die nicht selbst visuell sind, sondern sich auf das Visuelle nur beziehen.[14]
AspekteUm wiederum diesem weiten Feld der Gegenstände Struktur zu geben, seien fünf zentrale Aspekte (Entnaturalisierung, Weltverhältnis, Repräsentation, Identität und Macht) vorgestellt, unter denen die Visual Studies häufig ihre Gegenstände analysieren. Mythen des Alltags. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 130ff.). Das Stichwort dafür, auch die Evidenz des Visuellen in dieser Weise in Frage zu stellen, liefert bereits Benjamins «Kunstwerk»-Aufsatz aus den 1930er Jahren:
Studying Visual Culture. In The Visual Culture Reader, 14-26. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 18). Aufschluss über derartige technologische Modifikationen liefern beispielsweise Benjamins Analysen zur Medienentwicklung (zu Druck, Fotografie und Film) oder die oben im Zusammenhang mit der Geschichte von »visual culture« gegebenen Beispiele; narrativ erzeugte Modifikationen lassen sich etwa an dem Kontrast ablesen, der zwischen der heutigen Optik und mittelalterlichen, der Theologie affinen Erklärungsmodellen besteht, die die visuelle Wahrnehmung in körperliche, intellektuelle und spirituelle aufgeteilt haben (vgl. [Biernoff 2002a]Biernoff, Suzannah (2002). Sight and Embodiment in the Middle Ages. New York et al.: Palgrave Macmillan. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 3). Eine Verbindung von technischen und narrativen Aspekten thematisieren schließlich Crarys Analysen zu Geschichte des „observer“, die zwischen einer an der Optik und der Camera obscura orientierten Phase und einer sie im 19. Jahrhundert ablösenden Phase unterscheiden, für die dann die Physiologie und neben dem Stereoskop vermehrt die Apparate aus dem Kontext der Bewegungsbilder relevant werden (vgl. [Crary 1990a]Crary, Jonathan (1990). Techniques of the Observer. On Vision and Modernity in the Nineteenth Century. Cambridge, MA/London: MIT-Press. Eintrag in Sammlung zeigen). b) Weltverhältnis. Wie schon der Fall des „observer“ zeigt, bei dem Crary im 19. Jh. eine Entwicklung vom statischen und unbeteiligten zum aktiven und involvierten Betrachten feststellt, gehen Modifikationen der Wahrnehmung mit Modifikationen des Verhältnisses von Subjekt und Objekten bzw. Subjekt und Welt einher. Dieser Aspekt ist ausgehend von einer filmwissenschaftlichen Anregung in den Visual Studies häufig unter dem Titel des „skopischen Regimes“ oder „Blickregimes“ verhandelt worden. Während sich die Filmwissenschaften dabei auf ein schlichtes, durch einen konkreten Raum bestimmtes Dispositiv konzentrieren, nämlich das Kino,[15] stehen in den Visual Studies spekulativere Korrespondenzen von Praktiken des Sehens, Theorien und ihrer Materialisierung in Artefakten zur Debatte. Jay etwa benennt für die Moderne drei konkurrierende skopische Regime:
c) Repräsentation. Nicht zuletzt motiviert durch Entwicklungen in den Medientechniken zeichnen die Visual Studies eine Reihe von Tendenzen nach, die das Verhältnis der repräsentierenden Artefakte zur Welt nachhaltig ändern und diversifizieren. Zunächst einmal ist die Quantität der repräsentierenden Artefakte vom Buchdruck bis zum Handyfoto dramatisch gestiegen.[16] Im Zusammenhang mit jüngeren Bildgebungsverfahren, wie wir sie etwa aus der Medizin (über Röntgen, Ultraschall, MRT oder CT) oder auch aus der Rastertunnelmikroskopie in den Nanowissenschaften kennen, tritt dazu das Faktum, dass zusehends nicht mehr nur die sichtbare Welt sichtbar repräsentiert wird: „One of the most striking features of the new visual culture is the growing tendency to visualize things that are not in themselves visual.“[17] Aufgrund der Masse an Reproduktionen lässt sich schließlich ein dialektischer Umschlag beobachten, und zwar in der Angst, die Welt könne hinter der “Bilderflut” verschwinden. Seine noch ungebrochen kulturkritische Formulierung hat dieser Umschlag – im Anschluss an Marx’ Auseinandersetzung mit dem „Fetischcharakter der Ware“ – in Guy Debords Theorie des „Spektakels“ gefunden; das „Spektakel“ gilt hier als eine durch Bilder vermittelte Gesellschaft, in der „die sinnliche Welt durch eine über ihr schwebende Auswahl von Bildern ersetzt wird“.[18] Seine postmoderne Version zieht – darin Jean Baudrillards Theorien der Simulation und des Simulakrums folgend – den referentiellen Charakter der “Bilderflut” auch aufgrund der Möglichkeiten digitaler Bildproduktion generell in Zweifel. d) Identität. Konstitutiv für Identität – sei es für die von Subjekten oder die von Gruppen – sind den Visual Studies zufolge einerseits das Gesehen-Werden, der Blick der anderen und jene Dispositive und Artefakte, die im wörtlichen oder übertragenen Sinne Spiegelungen ermöglichen.[19] Vor diesem Hintergrund lässt sich beispielsweise in Bezug auf weibliche Identität geltend machen, dass sie von patriarchalen, hegemonialen Erwartungen abhängig ist, durch Bilder, Fotos, Filme usw. konditioniert wird[20] und eine Spaltung des weiblichen Blicks mit sich bringt; jeder weibliche Blick in den Spiegel ist zugleich ein internalisierter hegemonialer Blick, der das Spiegelbild auf seine Konformität mit der etablierten Erwartung prüft (vgl. [Silverman 1996a]Silverman, Kaja (1996).The Threshold of the Visible World. London, New York: Routledge. Eintrag in Sammlung zeigen). Konstitutiv für Identität ist andererseits, dass sie – wie fragil und vorübergehend auch immer – im visuellen Feld über „negative differentiation“ erzeugt wird:
In diesem Sinne fungieren die Wahrnehmung und die Darstellung des (vermeintlich) Anderen zugleich immer auch als Stabilisierungen des eigenen Selbst. e) Macht. Für Fragen der Macht setzen die Visual Studies die Arbeiten Foucaults fort, der Institutionen wie Klinik, Schule, Fabrik oder Gefängnis als Orte entschlüsselt hat, in denen Kontrolle und/oder Herrschaft mit Hilfe visueller Beobachtung installiert wird. Sowohl diese Arbeiten als auch jüngere Analysen zu Closed Circuit Television (Formen der Überwachung, die über Kamera, Monitor und ggf. Mittel zur Speicherung der Aufnahmen verfügen) kommen darin überein, dass oftmals gar keine aktuelle visuelle Überwachung mehr stattfindet, sondern dass sie nur noch erwartet werden muss: Bereits die Internalisierung des hegemonialen Blicks, die Erwartung, überwacht zu werden, erzeugt demnach einen Ordnungs- oder Normierungseffekt.[21] Macht artikuliert sich darüber hinaus auch allgemein in visuellen Artefakten. Ihrem Selbstverständnis als politische Bewegung entsprechend verfolgen die Visual Studies daher
Die fünf Aspekte sind keineswegs isoliert, sondern weitgehend miteinander kombinierbar. Über die Internalisierung ist Identität beispielsweise mit Macht verknüpft; diese beeinflusst, was überhaupt und – wenn ja – wie es repräsentiert wird; für die drei gerade genannten Aspekte gilt ebenso wie für das Weltverhältnis, dass sie nicht schlicht gegeben, sondern gesellschaftlicher Herkunft sind und daher nur im Modus der Entnaturalisierung erklärt werden können usw. |
Anmerkungen
[Arnold 1869a]: Arnold, Matthew (1932). Culture and Anarchy. Cambridge: Cambridge University Press.
[Bal 2003a]: Bal, Mieke (2003). Visual Essentialism and the Object of Visual Culture. Journal of Visual Culture, Band: 1, Nummer: 2, S. 5-32. [Balázs 2001b]: Balázs, Béla (2001). Der sichtbare Mensch. In: Albersmeier, F.-J. (Hg.): Texte zur Theorie des Films. Stuttgart: Philip Reclam jun., S. 224-233. [Barthes 1957a]: Barthes, Roland (1996). Mythen des Alltags. Frankfurt/M.: Suhrkamp. [Baxandall 1972a]: Baxandall, Michael (1972). Painting and Experience in Fifteenth Century Italy. A Primer in the Social History of Pictorial Style. Oxford: Clarendon Press. [Benjamin 1974a]: Tiedemann, R. & Schweppenhäuser, H. (Hg.) (1974). Walter Benjamin – Gesammelte Schriften. Bd. I.2. Frankfurt/M.: Suhrkamp. [Berger 1972a]: Berger, John (1972). Ways of Seeing. London: Penguin Books. [Biernoff 2002a]: Biernoff, Suzannah (2002). Sight and Embodiment in the Middle Ages. New York et al.: Palgrave Macmillan. [Cartwright 2002a]: Cartwright, Lisa (2006). Film and the Digital in Visual Studies. 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In: Schirra, J.R.J.; Halawa, M. & Liebsch, D. (Hg.): Glossar der Bildphilosophie. (2012-2024). |