Typographie

Aus GIB - Glossar der Bildphilosophie
Version vom 20. November 2013, 12:40 Uhr von Elisabeth Birk (Diskussion | Beiträge) (Engere Begriffsbestimmung)
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Unterpunkt zu: Schriftbildlichkeit


Darstellung des gr. Zusammenhangs

Typographie (griech. τύπογραφία, typographía, von τύπος, týpos – Schlag, Abdruck, Figur, Typ; und γράφειν, gráfein – malen, schreiben, ritzen) bezieht sich auf die Gestaltung reproduzierbarer Schrift und auf deren gestalterische Anwendung auf einen Text- oder Text/Bild-Zusammenhang. In der aktuellen Begriffsverwendung gewinnt neben den sprachübermittelnden, pragmatischen Zwecken zunehmend die ganzheitliche ästhetische Aufgabe der visuellen Gestaltung an Bedeutung, durch die dem Text- oder Text/Bild-Zusammenhang ein bestimmter ästhetischer Charakter verliehen wird. Die zentrale gestalterische Aufgabe der Typographie ist demnach Zweck und Inhalt eines Textwerkes zu verdeutlichen. So betrachtet eignet sich der Begriff „Typographie“ eher für die Benennung des Ordnens und Strukturierens der zu gestaltenden, weil notwendigerweise aisthetisch wahrgenommenen Fläche als für das bloße Lesbarmachen eines Textes.

Engere Begriffsbestimmung

Damit Schrift Inhalte vermitteln kann, muss sie natürlich zunächst als bedeutungsvolle Zeichenkette eingeordnet werden. Dieser Erkennungsvorgang scheint ebenso trivial wie unmaßgeblich zu sein, da er in Millisekunden und zudem unbewusst stattfindet. Er umfasst jedoch mehrstufige und kognitiv komplexe Bearbeitungsprozesse, die kognitionspsychologisch schwer bestimmbar, zugleich aber emotiv einflussreich sind (vgl. [Wamposzyc 2012a]: S. 40ff.). Durch die Typographie der jeweiligen Zeichenkette wird der Erkennungsvorgang ordnend gesteuert, konnotativ selegiert und emotiv geleitet. Dadurch durchbricht die Typographie die lineare Indifferenz der Schriftordnung durch ein Netz von hierarchisch geordneten, nichtlinearen visuellen Attraktoren.

Die typographische Wahrnehmungslenkung orientiert sich an der zeitlichen Wahrneh-mungsebene der Leserichtung. Empirische Untersuchungen zeigen, dass auf dieser diachron-linearen Grundlage die Aufmerksamkeit des Betrachters/Lesers bei der Rezeption einer typographisch gestalteten komplexen Mitteilungseinheit vom Großen zum Kleinen, vom Fetten zum Mageren sowie vom Bunten zum Schwarz-Weißen gelenkt wird (vgl. [Sammye & Prijatel 1999a]: S. 222f.). Erst im Zusammenspiel dieser Oppositionspaare entsteht eine geschlossen-synchrone Wahrneh¬mungsganzheit der Schriftbildlichkeit der Typographie. Sie richtet sich dabei nach dem übergeordneten Prinzip des visuellen Kontrastes und folglich ist der gestalterische Einsatz von Proportionen, Rhythmen und Harmonien für die spezifisch emotive Wahrnehmungssteuerung von herausragender Bedeutung. So betrachtet, übernimmt die Typographie die Aufgabe der visuellen Differenzierung der Mitteilungsgesamtheit durch den Einsatz eines komplexen Wechselspiels kontrastierender schriftbildlicher Mittel. Die basalen Gestaltungsparameter des Schrift-Bilds können dabei beschrieben werden als: (a) Schriftart, (b) Schriftgröße, (c) Schriftschnitte, (d) Schriftausrichtung, (e) Schriftfarbe, (f) Laufweite, (g) Zeilenbreite, (h) Zeilenabstand, (i) Raster.[1]

Das Regelwerk der Typographie mit seinen Einschränkungen der gestalterischen Spielräume spornt immer wieder die typographische Kreativität an. So fordern z.B. die festgesetzten Regeln zur optischen Gliederung der Buchstaben, die der Notwendigkeit der Erkennbarkeit geschuldet sind, immer wieder dazu heraus, die mit ihnen einhergehenden Beschränkungen gestalterisch zu überwinden.[2] Die visuellen Darstellungsformen können in fast unbegrenzter Variation immer neu realisiert werden, solange die grundlegende Struktur zwischen den wahrgenommenen Elementen erhalten bleibt. In Verbindung mit den Ideen des Dekonstruktivismus und der Postmoderne führt dies vielerorts zum Bruch mit fundamentalen Konventionen in Bezug auf die Lesbarkeit des Textes.[3]


optional Beispiele

Der einzelner Buchstabe ist aus dieser Warte zuerst einmal als bloße Form, oder genauer als Kontrastbildung auf der Grundlage der Konzipierung der Auftragsfläche als einer gewissermaßen undefinierten, idealischen Negativform zu betrachten. Zentrales Anliegen der Konstruktion der Buchstaben ist es, optimale visuelle Proportionen herzustellen. Die Großbuchstaben – Versalien oder Majuskeln genannt – sind aus den geometrischen Formen des Dreiecks, des Rechtecks und des Kreises aufgebaut. Zusätzliche Spannung und Differenzierung wird durch eingefügte Asymmetrien erzeugt. Die Grundformen der Buchstaben, die deren Duktus bestimmen, entstehen aus der Differenz von vertikalen und horizontalen Strichen. Die Form bildet gemeinsam mit ihrer Negativform die Grundstruktur oder das „Skelett der Buchstaben“, das deren Ausrichtung auf der Fläche vorgibt.

Der bis heute nicht aufgefundene heilige Gral der Typographie ist zweifelsohne die einheitliche Klassifizierung der Schriftarten. Erste Ansätze hierzu sind aus der Anfangszeit der Buchdruckkunst überliefert , die aktuellsten kann man online in typographischen Diskussionsforen abrufen. Das Problem dabei ist die seit der Computerrevolution exponen¬tiell ansteigende Zunahme von Schriftformen. Die Vielfalt der heute benutzten Schriftarten erschwert nicht nur deren Klassifikation, sondern auch deren Charakterisierung sowie eine eindeutige Identifikation. Beschränkten sich die Schriftschnitte des 18. Jahrhunderts noch auf normal, kursiv und fett, so weist z.B. die Univers von Adrian Frutiger aus dem Jahr 1957 schon 21 Schnittvarianten auf, die in einer neuen, numerischen Klassifikation angeordnet wurden.


Auswirkungen auf andere Begriffe
Anmerkungen
  1. Vgl. hierzu insbesondere [Gerstner 1985a], [Wehde 2000a], des Weiteren [Stöckl 2004a 1999a].
  2. Vgl. [Hofstadter 1982a 1999a]: S. 17f. Des Weiteren siehe auch die Ambigramme des Autors [Hofstadter 1988a 1999a]: S. 286f.
  3. Der Designkritiker Rick Poynor deutet sie als eine lang fällige Gegenreaktion auf ein konservatives Beharren auf die Dogmen der typographischen Frühmoderne und stellt fest: „[...] the mainstreaming of experimental approaches to typography“ ([Poynor & Booth-Clibborn 1996a]: S. 6).
Literatur                             [Sammlung]

[Gerstner 1985a]: Gerstner, Karl (1985). Kompen­dium für Alpha­beten. Teufen: Niggli.

[Hofstadter 1982a 1999a]: Hofstadter, Douglas R. (1982). Meta­font, Meta­mathe­matics, and Meta­physics. Indi­ana: Indiana Uni­ver­sity, Techni­cal Report No.136. [Hofstadter 1988a 1999a]: Hofstadter, Douglas R. (1988). Meta­magi­cum: Fragen nach der Essenz von Geist und Struktur. Stutt­gart: Klett-​Cotta. [Poynor & Booth-Clibborn 1996a]: Poynor, Rick & Booth-​Clibborn, Ed­ward (1996). Typog­raphy Now 2 – Implo­sion. London: North Light Books. [Sammye & Prijatel 1999a]:
Literaturangabe fehlt.
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- andere Publikation,
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[Stöckl 2004a 1999a]: Stöckl, Hartmut (2004). Die Spra­che im Bild – Das Bild in der Spra­che. Zur Verknüp­fung von Spra­che und Bild im massen­media­len Text. Berlin: de Gruyter. [Wamposzyc 2012a]: Wamposzyc, Michael (2012). Das Ge­sicht der Zeit­schrift. Typo­graphie und visu­elle Darstel­lungsfor­men von Titel­blättern am Beispiel des​ «Spie­gel»​ und der​ «Poli­tyka». Pots­dam: Uni­versi­tät Pots­dam, Disser­tations­schrift. [Wehde 2000a]: Wehde, Susanne (2000). Typo­graphi­sche Kultur. Tübin­gen: Nie­meyer.


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Seitenbearbeitungen durch: Elisabeth Birk [33], Joerg R.J. Schirra [22] und Michael Wamposzyc [3] — (Hinweis)