Visuelle und multimodale Metaphern
Unterpunkt zu: Bild und rhetorische Figur
Unterschiedliche Perspektiven und DisziplinenEs gibt eine Vielzahl von Theorien, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven und auch aus unterschiedlichen Disziplinen heraus der visuellen Metapher als einem der sprachlichen Metapher verwandten Phänomen anzunähern versuchen. In der Kunstwissenschaft lassen sich bereits seit Mitte des 20. Jahrhunderts Versuche ausmachen, die Figur der Metapher als Mittel zur Bildanalyse und -interpretation zu nutzen; oftmals handelt es sich dabei allerdings nicht um eigenständige Theorien, sondern vielmehr um Instrumente für spezifische Kontexte ([Gombrich 1978a], [Imdahl 1985a], [Wagner 1999a]). Hierbei werden oft einzelne Theorien zur sprachlichen Metapher herangezogen, die sich für den jeweiligen Kontext eignen; Gombrichs «Wertmetaphern in der Bildenden Kunst» von 1952 stützt sich beispielsweise auf Aristoteles «Poetik» (vgl. [Gombrich 1978a]: S. 34-64), [Hausman 1989a] auf [Black 1954a], [Wollheim 1987a] auf [Davidson 1978a]). Dennoch werden auch wichtige Grundlagen zur Annäherung an genuin bildhafte Metaphern entwickelt, wie beispielsweise die Unterscheidungen zwischen »Sehen-als« und »Sehen-in« ([Wollheim 1982a]) und die Betonung der bildhaften Simultaneität zur Erzeugung von Sinn ([Imdahl 1994a], [Boehm 1994a]). Auch wenn die Metapher als Exportgut aus der Linguistik immer wieder in den kunstwissenschaftlichen Diskurs rückt, bleibt ihre Stellung in diesem marginal und ihr Potential wenig beachtet ([Bätschmann 1984a], [Rimmele 2011a]). Seit Goodman werden in der Kunstphilosophie Formen visueller Metaphorizität diskutiert. Vor allem die verschiedenen Modi der Repräsentation-als bzw. des Sehen-als stehen im Zentrum vieler Analysen (vgl. [Goodman 1968a], [Aldrich 1983a], [Danto 1984a], [Majetschak 2005a]). Oftmals verlieren die Begriffsbestimmungen allerdings an Kontur, da die Metapher als Argument für die Wesensbestimmung der Kunst funktionalisiert wird, wie im Falle der Ausdruckstheorien von Danto und Aldrich. Besonders wichtig auf dem Wege zur theoretischen Erfassung der visuellen Metapher sind Goodmans Ausführungen zur metaphorischen Exemplifikation, anhand derer metaphorische Prozesse in Bildern deutlich von an Bilder herangetragenen metaphorischen Prädikationen unterschieden werden können (⊳ auch Strukturbild), und andererseits Carrolls Bestimmung der zentralen Aspekte visueller Metaphern – wie Carroll selbst schreibt, der „most central and least controversial core cases of visual metaphor“ ([Carroll 1994a]: S. 215), die eine strukturelle Verwandtschaft zur sprachlichen Metapher ausweisen. Aus semiotischer Perspektive wurde 2003 kritisiert, dass in der Metaphernforschung kein neuer Ansatz gesucht werde, sondern stets nur die Übertragbarkeit der sprachlichen Metapher in andere Phänomenbereiche diskutiert werde. Durch die semiotische Analyse non-verbaler Metaphern wird versucht, einen Forschungsansatz neben dem logozentristischen vorzustellen, der vielleicht auch für die Analyse sprachlicher Metaphern fruchtbar sein könnte ([Johansen & Posner 2003a]: S. 4f., [Sonesson 2003a]). Seit den 1980er Jahren bieten kognitivistische Metaphertheorien, wie sie vor allem von Lakoff und Johnson ([Lakoff & Johnson 1980a]) und später Lakoff und Turner ([Lakoff & Turner 1989a]) entwickelt wurden, eine theoretische Grundlage, die nicht schon von vorn herein eine linguistische ist. Sie tragen dem Anspruch Rechnung, die Sprache als einzigen Ausgangspunkt der Metaphernforschung zu entkräften, der bereits von Danto ([Danto 1984a]: S. 267f.) und Carroll ([Carroll 1994a]: S. 205f.) formuliert wurde. Dem Paradigma von Lakoff und Johnson folgend,
ist die Metapher maßgeblich ein Phänomen unseres Denkens (⊳ Image Schemata). Forceville greift dieses Paradigma in seinen Analysen bildhafter Metaphern auf (vgl. [Forceville 1996a], [Forceville 2005a], [Forceville 2006a]), kritisiert es aber in dem Punkte, dass trotz der Offenheit der Fokus auf sprachliche Metaphern gerichtet ist und somit das genuin visuelle Potential der Metapher weitestgehend nicht thematisiert wird ([Forceville 2006a]: S. 21f.). Forceville führt in die kognitivistisch geprägte Metaphernforschung die Unterscheidung zwischen monomodalen und multimodalen Metaphern ein. Eine monomodale Metapher habe den Quell- und Zielbereich, zwischen denen im metaphorischen Prozess die Projektion von Eigenschaften stattfindet, in der gleichen Modalität (s. Abb. 1), eine multimodale Metapher hingegen in verschiedenen Modalitäten. Multimodale Metaphern tauchen vor allem in der Werbung auf, wie Forcevilles Analysen zeigen. Eine Bildunterschrift kann beispielsweise zu einer anderen Lesart des Dargestellten auffordern, nach der der Betrachter Eigenschaften des in den Worten beschriebenen Phänomens auf das Bild projiziert. Indem die sprachliche Metapher als DIE Metapher entthront wird und als monomodale, wenn nicht als ihr Prototyp, neben die visuelle Metapher tritt, kann sich, so Forceville, die Erforschung nicht-sprachlicher Metaphern ihrer marginalen Stellung erwehren:
Visuelle und multimodale MetaphernIn der Theoriebildung zur visuellen Metapher hat sich bis zum heutigen Zeitpunkt kein Einheitsmodell etabliert, das allen Aspekten visueller Metaphorik oder den Fokusbildungen der unterschiedlichen Disziplinen vollends Rechnung tragen kann. In Forcevilles vorgestelltem Theorierahmen zur non-verbalen und multimodalen Metapher lässt sich allerdings ein erster Ansatz verorten, eine Forschungsgrundlage für Metaphern außerhalb der Sprache zu situieren, die sich der oft kritisierten einfachen Übertragung sprachwissenschaftlicher Theorien und deren eklektische Auswahl erwehren kann. Im Folgenden sollen zentrale Aspekte visueller Metaphorik und theoretische Probleme vorgestellt werden, die für die bisherige Forschung zur visuellen Metapher von zentraler Bedeutung sind und eine Grundlage zur Annäherung an das Phänomen darstellen. Zwei wesentliche Arten metaphorischer Prozesse in Bildern können unterschieden werden: einerseits die Repräsentation-als und andererseits die Überschneidung oder Überlagerung zu einer Mischform. Die Repräsentation-als bezeichnet die Darstellung eines Bildelements durch Attribute eines anderen Elements. Bereits Wollheim fixierte diesen Bildprozess mit dem Ausdruck ‘Sehen-als’ („seeing as“, [Wollheim 1982a]), der von Aldrich aufgegriffen wurde ([Aldrich 1983a]) und bei Danto ([Danto 1984a]) als ‘Repräsentation-als’ und später bei Majetschak ([Majetschak 2005a]) wieder auftaucht. Einem Beispiel von Danto folgend, kann in dem Bildnis Napoleons als römischer Kaiser eine Repräsentation-als gesehen werden, da Napoleon kein römischer Kaiser war und die Darstellung ihn als einen solchen sehen lässt. Hierbei werden Attribute eines römischen Kaisers in einem metaphorischen Prozess auf Napoleon übertragen (vgl. [Danto 1984a], Kpt. 7). Danto prägt für diesen Prozess den Begriff der »Transfiguration« ([Danto 1984a]: S. 256) anstelle von »Transformation«. Die Überschneidung als zweite wesentliche Art metaphorischer Prozesse im Bild taucht erstmals bei Carroll in einer genauen Analyse visueller Metaphern auf, die er mit der Überlagerung („superimposition“, [Carroll 1994a]: S. 196) als Kern visueller Metaphorik beschreibt. Diese Überlagerung erzeuge eine räumlich-homogene („homospatial“, [Carroll 1994a]: S.190) Einheit, in der beide Teile sowohl getrennt als auch simultan wahrgenommen werden können. Als Beispiel dafür mag Man Rays «Le Violon d'Ingres» von 1924 dienen, eine Fotografie, die einen weiblichen Rückenakt mit den F-Löchern eines Streichinstruments zeigt. Majetschak sieht diese Form der bildhaften Metaphorizität als Sonderfall der Repräsentation-als, da durch eine „visuelle Inversion“ ([Majetschak 2005a]: S. 249) unvereinbare Dinge vereint werden. Beide Autoren unterscheiden sich allerdings in dem Punkte, dass Majetschak den Wittgensteinschen Hase-Ente-Kopf als Beispiel dieser Art von metaphorischem Prozess sieht, während Carroll den H-E-Kopf deutlich ausgrenzt, da sich beide Figuren nur getrennt und nicht simultan wahrnehmen lassen (zum H-E-Kopf vgl. auch ⊳ Kippbild). Zentrale Frage in der Diskussion visueller Metaphern ist, ob im non-verbalen Bereich eine der ‘A ist B’-Form der sprachlichen Metapher strukturell ähnliche Form vorliegt. Eine visuelle Metapher in dieser Form zu verbalisieren bedeutet oftmals eine Verschiebung ihrer Bedeutung. Nicht-sprachliche Metaphern können keine propositionalen Gehalte erzeugen und daher auch nicht wahr oder falsch im logischen Sinne sein (vgl. [Danto 1984a], [Carroll 1994a], [Carroll 1996a], [Sonesson 2003a], [Forceville 1996a], [Forceville 2005a], [Forceville 2006a]). Carroll sieht in der physikalischen Unvereinbarkeit („physically noncompossible“, [Carroll 1994a]: S. 199) der Überschneidung eine der Falschheit sprachlicher Metaphern vergleichbare Möglichkeit, eine Anomalie zu erzeugen. In ähnlicher Weise nähert sich Sonesson dieser Problematik an – allerdings ohne genauere Bestimmung –, indem er von einem Verstoß gegen die „Syntax der Dinge“ ([Sonesson 2003a]: S. 32) spricht. Forceville nähert sich diesem zentralen Problem visueller Metaphorik über das Konzept des simultanen Einsetzens („simultaneous cueing“, [Forceville 2006a]: S. 31) an, durch das eine der Struktur der sprachlichen Metapher verwandte Form erreicht werden kann: „Filling a schematic slot unexpectedly“ ([Forceville 2006a]: S. 31). Theoretischer Dissens herrscht besonders bei der Frage der Direktionalität visueller Metaphern. Während Carroll einräumt, dass der metaphorische Prozess vieler seiner Beispiele symmetrisch und daher bidirektional sei ([Carroll 1994a]), argumentiert Sonesson, die Lesart einer visuellen Metapher sei kontextabhängig ([Sonesson 2003a]). Hausman geht als Folgerung aus seiner Interpretation der Interaktionstheorie der Metapher von Black ([Black 1954a]) grundlegend von einer Reversibilität visueller Metaphern aus ([Hausman 1989a]). Forceville kritisiert die Annahme der möglichen Symmetrie visueller Metaphern: Bei vielen visuellen Metaphern, vor allem in der Kunst, könne nicht genau zwischen Quell- und Zielbereich unterschieden werden. Dies hieße allerdings nicht, visuelle Metaphern seien symmetrisch, sondern lediglich, dass sich zwei verschiedene Lesarten und somit zwei verschiedene Metaphern erkennen lassen können (vgl. [Forceville 1996a], [Forceville 2006a]). Bei Repräsentationen-als und bei Überschneidungen können nicht nur visuelle Eigenschaften der zusammengebrachten Elemente im metaphorischen Prozess übertragen werden. Besonders Forceville und Sonesson betonen die Kontextabhängigkeit innerhalb des Übertragungsprozesses. Grundlegend wirke sich auch das Genre (z.B. Werbung, Science-Fiction-Film) auf die metaphorische Projektion und ferner auf die Erkennbarkeit visueller Metaphern aus ([Forceville 2006a]). Im Falle der Werke der bildenden Kunst spielen zudem ikonographische Konventionen eine starke Rolle – neben allgemeinen kulturellen Kenntnissen wie im Falle des Bildnisses Napoleons als römischer Kaiser –, weshalb Majetschak den Bedarf zur Erforschung visueller Metaphorik vor allem in einer „metapherntheoretisch orientierte(n) Ikonographie“ ([Majetschak 2005a]: S. 249) sieht.
Anschlußprobleme: Exemplifikation, Multimedialität, tote MetaphernNeben der Frage nach metaphorischen Prozessen in Bildern lässt sich auch die Frage stellen, ob Bilder als Ganzes eine Metapher sein können. Zu sagen, ein Bild sei eine Metapher für Traurigkeit, lässt sich verkürzen zur Annahme, ein Bild sei traurig. Goodman bezeichnet derartige Fälle als metaphorische Exemplifikation, denn ein Bild könne Traurigkeit nicht buchstäblich, sondern nur metaphorisch exemplifizieren ([Goodman 1968a], vgl. auch [Aldrich 1983a], [Danto 1984a] und resümierend [Carroll 1999a]). Zur Erforschung non-verbaler und multimodaler Metaphern orientiert Forceville sich außer an der »conceptual metaphor theory« von Lakoff und Turner an der neueren Multimedialitätsdebatte ( ⊳ Sprach-Bild-Bezüge). Die Annahme, auch visuelle Metaphern können wie sprachliche Metaphern “absterben” und durch häufigen Gebrauch konventionalisiert werden, zieht sich wie ein roten Faden durch die verschiedenen Ansätze und bietet einen Ausgangspunkt, um Übergänge und Unterschiede zwischen visuellen Metaphern und Symbolen herauszuarbeiten. |
Anmerkungen
[Aldrich 1983a]: Aldrich, Virgil C. (1983). Visuelle Metapher. In: Haverkamp, A. (Hg.): Theorie der Metapher. Darmstadt: WBG.
[Black 1954a]: Black, Max (1983). Die Metapher(1954). In: Haverkamp, A. (Hg.): Theorie der Metapher. Darmstadt: WBG.
[Boehm 1994a]: Boehm, Gottfried (1994). Die Wiederkehr der Bilder. In: Boehm, G. (Hg.): Was ist ein Bild?. München: Fink, S. 11-38.
[Bätschmann 1984a]: Bätschmann, Oskar (1984). Einführung in die kunstgeschichtliche Hermeneutik. Darmstadt: WBG.
[Carroll 1994a]: Carroll, Noel (1994). Visual Metaphor. In: Hintikka, J. (Hg.): Aspects of Metaphor. Boston: Kluwer.
[Carroll 1996a]: Carroll, Noel (1996). A Note on Film Metaphor. In: Carrol, N. (Hg.): Theorizing the Moving Image. Cambrigde: Cambridge University Press.
[Carroll 1999a]: Carroll, Noel (1999). Philosophy of Art. New York: Routledge.
[Danto 1984a]: Danto, Arthur C. (1984). Die Verklärung des Gewöhnlichen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
[Davidson 1978a]: Davidson, Donald (1984). What Metaphors Mean(1978). In: Davidson, D. (Hg.): Inquiries into Truth and Interpretation. Oxford: Clarendon Press.
[Forceville 1996a]: Forceville, Charles (1996). Pictorial Metaphor in Advertising. London: Routledge.
[Forceville 2005a]: Forceville, Charles (2005). Cognitive Linguistics and Multimodal Metaphor. In: Sachs-Hombach, K. (Hg.): Bildwissenschaft – Zwischen Reflexion und Anwendung. Köln: Halem.
[Forceville 2006a]: Forceville, Charles (2009). Non-verbal and Multimodal Metaphor in a Cognitivist Framework: Agendas for Research(2006). In: Forceville, C. & Urios-Aparisi, E. (Hg.): Multimodal Metaphor. Berlin: De Gruyter.
[Gombrich 1978a]: Gombrich, Ernst H. (1978). Meditationen über ein Steckenpferd. Von den Wurzeln und Grenzen der Kunst. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
[Goodman 1968a]: Goodman, Nelson (1968, 2. rev. Aufl. 1976). Languages of Art. Indianapolis: Hackett, dt.: Sprachen der Kunst. Suhrkamp 1998.
[Hausman 1989a]: Hausman, Carl R. (1989). Metaphor and Art. Cambridge: Cambridge University Press.
[Imdahl 1985a]: Imdahl, Max (1985). Picassos Guernica. Frankfurt a.M.: Insel.
[Imdahl 1994a]: Imdahl, Max (1994). Ikonik: Bilder und ihre Anschauung. In: Böhm, G. (Hg.): Was ist ein Bild?. München: Fink.
[Johansen & Posner 2003a]: Ausgabe 1: 2013 Verantwortlich: Lektorat: Seitenbearbeitungen durch: Dimitri Liebsch [27], Joerg R.J. Schirra [26], Till-Julian Huss [9] und Christoph Martin [5] — (Hinweis) Zitierhinweis: [Huss 2013g-a]
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