Bildwissenschaft vs. Bildtheorie: Unterschied zwischen den Versionen
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Zum anderen ist keinesfalls auszuschließen, dass eine empirisch arbeitende ''Bildwissenschaft'' nicht auch bildbegriffliche und damit bild''theoretische'' Erkenntnisse ans Licht bringen kann. Dazu ein Beispiel: Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp hat in seinen Arbeiten über Galileo Galilei aufgezeigt, wie wichtig die persönliche Kunstfertigkeit Galileis für die Entstehung seiner bahnbrechenden astronomischen Theorien gewesen ist (<bib id='Bredekamp 2007a'></bib>). Obwohl Bredekamp in diesem Zusammenhang ausgiebig auf Skizzen, Zeichnungen und Bilder zurückgreift, um seine Thesen zu untermauern, beschränkt sich seine Forschung nicht darin, lediglich empirisch-historisches Material aufzuarbeiten und auszudeuten. Vielmehr wird anhand von konkreten Bildern demonstriert, welch bedeutenden Stellenwert bildliche Darstellungen für die Genese von wissenschaftlichem Wissen besitzen. Thematisiert werden damit nicht nur kunst- und wissenschaftshistorische Problemstellungen, sondern auch Fragen über die erkenntnisstiftende Kraft und Evidenz von Bildern - Fragen, die seit jeher auch in der Philosophie des Bildes untersucht worden sind und insofern zugleich ein bild''theoretisches'' Erkenntnisinteresse bedienen. | Zum anderen ist keinesfalls auszuschließen, dass eine empirisch arbeitende ''Bildwissenschaft'' nicht auch bildbegriffliche und damit bild''theoretische'' Erkenntnisse ans Licht bringen kann. Dazu ein Beispiel: Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp hat in seinen Arbeiten über Galileo Galilei aufgezeigt, wie wichtig die persönliche Kunstfertigkeit Galileis für die Entstehung seiner bahnbrechenden astronomischen Theorien gewesen ist (<bib id='Bredekamp 2007a'></bib>). Obwohl Bredekamp in diesem Zusammenhang ausgiebig auf Skizzen, Zeichnungen und Bilder zurückgreift, um seine Thesen zu untermauern, beschränkt sich seine Forschung nicht darin, lediglich empirisch-historisches Material aufzuarbeiten und auszudeuten. Vielmehr wird anhand von konkreten Bildern demonstriert, welch bedeutenden Stellenwert bildliche Darstellungen für die Genese von wissenschaftlichem Wissen besitzen. Thematisiert werden damit nicht nur kunst- und wissenschaftshistorische Problemstellungen, sondern auch Fragen über die erkenntnisstiftende Kraft und Evidenz von Bildern - Fragen, die seit jeher auch in der Philosophie des Bildes untersucht worden sind und insofern zugleich ein bild''theoretisches'' Erkenntnisinteresse bedienen. | ||
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− | Allen kritischen Einwänden zum Trotz bietet Wiesings Differenzierung von ''Bildtheorie'' und ''Bildwissenschaft'' in einem Punkt einen klaren Vorteil: Die Frage, was eine Bilddisziplin leisten kann und soll, lässt sich durch die von ihm vorgeschlagene Grenzziehung verhältnismäßig einfach beantworten. Wer herausfinden möchte, ob Leonardo da Vinci in seiner ''Mona Lisa'' tatsächlich eine 'empirische' Frau abgebildet hat oder nicht (und wenn ja: welche), würde nach Wiesings Definition einen bild''wissenschaftlichen'' Beitrag leisten. Wer hingegen erörtern möchte, ob bzw. inwieweit Gemälde, Skulpturen, Vorstellungsbilder oder virtuelle Bilder allesamt in gleichem Maße die wesentlichen Kriterien der Bildlichkeit erfüllen, bewegt sich auf dem Gebiet der Bild''theorie''. Die Bildtheorie ließe sich diesem Bestimmungsverhältnis zufolge schließlich als grundlagentheoretische Basis der Bildwissenschaft verstehen. | + | Allen kritischen Einwänden zum Trotz bietet Wiesings Differenzierung von ''Bildtheorie'' und ''Bildwissenschaft'' in einem Punkt einen klaren Vorteil: Die Frage, was eine Bilddisziplin leisten kann und soll, lässt sich durch die von ihm vorgeschlagene Grenzziehung verhältnismäßig einfach beantworten. Wer herausfinden möchte, ob Leonardo da Vinci in seiner ''Mona Lisa'' tatsächlich eine 'empirische' Frau abgebildet hat oder nicht (und wenn ja: welche), würde nach Wiesings Definition einen bild''wissenschaftlichen'' Beitrag leisten. Wer hingegen erörtern möchte, ob bzw. inwieweit Gemälde, Skulpturen ([[Skulptur]]), [[Vorstellungsbilder]] oder virtuelle Bilder ([[Virtuelles Bild]])allesamt in gleichem Maße die wesentlichen Kriterien der Bildlichkeit erfüllen, bewegt sich auf dem Gebiet der Bild''theorie''. Die Bildtheorie ließe sich diesem Bestimmungsverhältnis zufolge schließlich als grundlagentheoretische Basis der Bildwissenschaft verstehen, weil sie stets auf einem allgemeineren, grundsätzlicheren Niveau operiert als die ''Bildwissenschaft''. |
=====Bilderwissenschaft vs. Bildwissenschaft===== | =====Bilderwissenschaft vs. Bildwissenschaft===== |
Version vom 6. April 2011, 12:56 Uhr
Unterpunkt zu: Bildphilosophische Abgrenzungen
Darstellung des gr. ZusammenhangsDie bildwissenschaftliche Forschungsdebatte ist durch ein hohes Maß an Heterogenität charakterisiert. Nicht nur gibt es eine kontroverse Diskussion über die Frage, welche Disziplin(en) und Methode(n) den Ausgangspunkt einer allgemeinen Bildwissenschaft zu bilden haben; auch herrscht große Uneinigkeit darüber, mit welchem Oberbegriff die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen des Bildes versehen werden sollte. In der Tat werden die verschiedensten Ansätze und Methoden häufig einheitlich als »Bildwissenschaft« bezeichnet. Diese Vorgehensweise stößt bei einigen Bildwissenschaftlern auf Kritik. Ihrer Meinung nach werden die Differenzen, die zwischen höchst unterschiedlich aufgebauten bildwissenschaftlichen Konzeptionen bestehen, durch eine mangelnde terminologische Trennschärfe nur schwer ersichtlich oder sogar unkenntlich gemacht. Aus diesem Grund fordern sie dazu auf, vorhandene programmatische Differenzen terminologisch klar zu kennzeichnen. Bildwissenschaft vs. BildtheorieDer vielleicht einfachste Vorschlag zur terminologischen Differenzierung von höchst unterschiedlich aufgebauten bildwissenschaftlichen Konzeptionen stammt von dem Philosophen Lambert Wiesing. Um den programmatischen und methodischen Unterschieden zwischen empirisch-historisch und theoretisch-begrifflich ausgerichteten bildwissenschaftlichen Forschungsansätzen bereits terminologisch Rechnung zu tragen, schlägt Wiesing vor, eine bildwissenschaftliche und eine bildtheoretische Untersuchungsebene voneinander zu differenzieren. Dabei zählt er zur Bildwissenschaft solche Disziplinen, die Bilder als "konkrete Dinge" ([Wiesing 2008a]: S. IV) zur Grundlage haben. Bilder werden hier als "reale Gegenstände in ihrer Entstehung, in ihren psychologischen Wirkungen, in ihren medialen Voraussetzungen, in ihrer inhaltlich und sozialen Bedeutung, in ihren historischen Zusammenhängen und noch zahlreichen anderen empirischen Aspekten erforscht [...]." ([Wiesing 2008a]: ebd.) Eine Kunsthistorikerin, die zum Beispiel über die sozialen und politischen Ursachen und Auswirkungen des byzantinischen oder reformatorischen Bilderstreits forscht, würde dieser Erklärung zufolge bildwissenschaftliche Studien betreiben. Im Zentrum ihrer Analysen stehen eine Reihe von konkreten Bildwerken, die unter anderem im Hinblick auf ihre Urheberschaft, ihre materielle Beschaffenheit oder ihren ursprünglichen Aufstellungsort untersucht werden. Das Ziel solchen Forschens kann es etwa sein, einzelne Bildwerke oder sogar einen geschlossenen Korpus von Bildern in Bezug auf Stil, Epoche, Authentizität, soziale bzw. politische Funktion usw. zu kategorisieren.
Bilderwissenschaft vs. Bildwissenschaft |
Anmerkungen
[Bredekamp 2007a]: Bredekamp, Horst (2007). Galilei der Künstler. Der Mond. Die Sonne. Die Hand. Berlin: Akademie.
[Mitchell 2008a]: Mitchell, William J. Thomas (2008). Bildtheorie. Frankfurt/M.: Suhrkamp. [Wiesing 2005a]: Wiesing, Lambert (2005). Artifizielle Präsenz. Studien zur Philosophie des Bildes. Frankfurt/M.: Suhrkamp. [Wiesing 2008a]: Wiesing, Lambert (2008). Die Sichtbarkeit des Bildes. Geschichte und Perspektiven der formalen Ästhetik. Frankfurt/M. & New York: Campus. Verantwortlich: Seitenbearbeitungen durch: Mark A. Halawa [64] und Joerg R.J. Schirra [18] — (Hinweis) |