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Die ambivalente Grenze der doppelten Prädikation öffnet zusammenfassend eine Zone der künstlerischen und imaginativen Aushandlung. Gefragt – und gezweifelt – werden muss an fiktionalen Bildern dann stets, welche der Prädikationsmöglichkeiten des sichtbaren Bildinhalts darstellungsrelevant und somit auf die intersubjektiv und diskursiv konstruierte Diegese übertragbar sind. Dies aber lässt sich nicht einfach ''sehen'', sondern nur auf Ebene der Traditionsbildung, der Diskursivierung und der Anschlusskommunikation, also auf Ebene performativer Transkriptionspraktiken, rekonstruieren (vgl. <bib id='Jäger 2002a'></bib>). | Die ambivalente Grenze der doppelten Prädikation öffnet zusammenfassend eine Zone der künstlerischen und imaginativen Aushandlung. Gefragt – und gezweifelt – werden muss an fiktionalen Bildern dann stets, welche der Prädikationsmöglichkeiten des sichtbaren Bildinhalts darstellungsrelevant und somit auf die intersubjektiv und diskursiv konstruierte Diegese übertragbar sind. Dies aber lässt sich nicht einfach ''sehen'', sondern nur auf Ebene der Traditionsbildung, der Diskursivierung und der Anschlusskommunikation, also auf Ebene performativer Transkriptionspraktiken, rekonstruieren (vgl. <bib id='Jäger 2002a'></bib>). | ||
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Version vom 14. November 2019, 18:49 Uhr
Unterpunkt zu: Bildpragmatik
Fiktion, (Nicht-)Fiktivität und (Nicht-)FiktionalitätTheorien der Fiktion haben sich lange Zeit allein auf literarische Werke bezogen und die bildenden Künste gar nicht oder allenfalls beiläufig zur Kenntnis genommen (vgl. zur Einordnung [Klauk & Köppe 2014a]Klauk, Tobias & Köppe, Tilmann (2014).Fiktionalität. Ein interdisziplinäres Handbuch. Berlin: de Gruyter. Eintrag in Sammlung zeigen; [Enderwitz & Rajewsky 2016b]Enderwitz, Anne & Rajewsky, Irina O. (2016). Fiktion im Vergleich der Künste und Medien. Berlin, Boston: de Gruyter. Eintrag in Sammlung zeigen; [Bunia 2020a]Bunia, Remigius (2020fc). Formen der Fiktion. Theorie und Geschichte. München: Wilhelm Fink, in Vorbereitung. Eintrag in Sammlung zeigen). Dies gilt auch umgekehrt: Der Begriff der »Fiktion« spielt in bildtheoretischen Ansätzen eine zumeist eher untergeordnete, in jedem Fall aber höchst widersprüchliche Rolle. Besonders deutlich zeigt sich dies in der Diskussion des fotografischen Bildes, dem etwa von Roger Scruton eine generelle „fictional incompetence“ ([Scruton 2006a]Scruton, Roger (2006). Photography and Representation. In Philosophy of Film and Motion Pictures. An Anthology, 19-34. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 25) unterstellt worden ist. Die Vorstellung einer fotochemisch erzeugten Spur, eines indexikalisch garantierten „Es-war-so-gewesen“ (vgl. [Barthes 1981a]Barthes, Roland (1981). Camera Lucida. Reflections on Photography. New York: Hill and Wang. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 76), hält sich hartnäckig. Dabei versperrt eine Fixierung auf diesen Index nicht nur den Blick auf viele fiktionale Einsatzmöglichkeiten des fotografischen Bildes.[1] Auch viele dokumentarische Praktiken können so nicht adäquat erfasst werden: Im historical re-enactment etwa können auch nachgestellte Fotos unproblematisch nicht-fiktional eingesetzt werden (vgl. [Wilde 2019a]Wilde, Lukas R.A. (2019). 9/11, Comics, and the Threatened Orders of Pictorial Media. Non-Fictional Comics as Historical Re-enactment. In ImageTexT, 11, 1, (online). Eintrag in Sammlung zeigen). Von den technischen Eigenschaften eines Bildmediums auf dessen Einsatzmöglichkeiten für fiktionale oder nicht-fiktionale Zwecke zu schließen, ist also grundsätzlich verkürzend, wie Jens Schröter (2016a) wohl am deutlichsten herausgearbeitet hat. Bild, Darstellung, Zeichen. Philosophische Theorien bildhafter Darstellungen. Frankfurt/M.: Klostermann. Eintrag in Sammlung zeigen[11995]), Börries Blankes ([Blanke 2003a]Blanke, Börries (2003). Vom Bild zum Sinn. Das ikonische Zeichen zwischen strukturalistischer Semiotik und analytischer Philosophie. Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag. Eintrag in Sammlung zeigen), oder Klaus Sachs-Hombachs ([Sachs-Hombach 2003a]Sachs-Hombach, Klaus (2003). Das Bild als kommunikatives Medium. Elemente einer allgemeinen Bildwissenschaft. Köln: Halem. Eintrag in Sammlung zeigen) Modellen der Bildkommunikation gar nicht auf (vgl. aber etwa [Lopes 1996a]Lopes, Dominic (1996). Understanding Pictures. Oxford: Claredon Press. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 197-208). Dies scheint durchaus typisch; weiter unten sollen die Gründe dafür systematischer herausgearbeitet werden.[2] Der Begriff spielt in bildwissenschaftlichen Ansätzen eine überwiegend wahrnehmungstheoretische Rolle im Umkreis der Ähnlichkeitsdebatten. Scholz spitzte diese in seinem sogenannten „Meisterargument“ ([Scholz 1999a]Scholz, Oliver R. (1999). “Mein teurer Freund, ich rat’ Euch drum / Zuerst Collegium Syntacticum”. Das Meisterargument in der Bildtheorie. In Bildgrammatik. Interdisziplinäre Forschungen zur Syntax bildlicher Darstellungsformen, 33-45. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 33) gegen die Ähnlichkeitsthese wie folgt zu: Einem “Gegenstand”, der gar nicht existiere (wie ein Einhorn, Abb. 1), könne auch nichts ähnlich sein. Demgegenüber wurden internalisierte Ähnlichkeitsbegriffe geltend gemacht: Wir kennen Pferde und wir kennen Hörner, also können wir uns Einhörner vorstellen – und diese auch “in” Bildmedien sehen (vgl. [Sachs-Hombach 2005c]Sachs-Hombach, Klaus (2005). Über Sinn und Reichweite der Ähnlichkeitstheorie. In Symbole, Systeme, Welten. Studien zur Philosophie Nelson Goodmans, 207-226. Eintrag in Sammlung zeigen). Oder in den Worten von Dominic Lopes: „The acquisition of recognition abilities for fictive objects largely parallels the acquisition of recognition abilities for actual objects” ([Lopes 1996a]Lopes, Dominic (1996). Understanding Pictures. Oxford: Claredon Press. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 206). Löst dies in gewisser Weise ein Wahrnehmungsproblem, so lässt es doch die gewichtigere Frage unbeantwortet, wann eine ganz und gar alltägliche bildliche Darstellung nun etwas mit Fiktion zu tun hat und was mit dieser Unterscheidung für eine Kommunikations- und Zeichentheorie des Bildes auf dem Spiel steht. The Nature of Fiction. Cambridge, Ma: Cambridge UP. Eintrag in Sammlung zeigen), Kendall L. Walton ([Walton 1993a]Walton, Kendall L. (1993). Mimesis as Make-Believe. On the Foundations of the Representational Arts. Cambridge, Ma: Harvard UP. Eintrag in Sammlung zeigen) oder Frank Zipfel ([Zipfel 2001a]Zipfel, Frank (2001). Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität. Analysen zur Fiktion in der Literatur und zum Fiktionsbegriff in der Literaturwissenschaft. Berlin: Erich Schmidt. Eintrag in Sammlung zeigen). Wie aber Jan-Noël Thon ([Thon 2014c]Thon, Jan-Noël (2014). Fiktionalität in Film- und Medienwissenschaft. In Fiktionalität. Ein interdisziplinäres Handbuch, 443-466. Eintrag in Sammlung zeigen) und Jens Schröter ([Schröter 2020a]Schröter, Jens (2020fc). Fiktionalität in der Bildwissenschaft (Kunstgeschichte/Fotografie). In Grundthemen der Literaturwissenschaft: Fiktionalität, in Vorbereitung. Eintrag in Sammlung zeigen) feststellen, entsteht in solchen einerseits häufig eine Kluft zwischen den medienspezifischen Einzelstudien und dem transmedial verstandenen Überbau der Fiktion; darüber hinaus suchen sich transmediale Fiktionstheorien zumeist in irgendeiner Weise von leitenden Paradigmen der Literaturwissenschaft abzuwenden, wodurch die medienwissenschaftlich relevanten Spezifika bestimmter anderer Einzelmedien oft unthematisiert bleiben. Auch aus diesen Gründen bleibt ein überzeugender integrativer Entwurf bildlicher Fiktionstheorien immer noch ein schmerzliches Desiderat. Gibt es eine Nullstufe der Fiktion? Praktiken der semiotischen Konstruktion des Fiktionalen und Faktualen. In Formen der Fiktion. Theorie und Geschichte, in Vorbereitung. Eintrag in Sammlung zeigen: in Vorb.). Negativ gewendet leistet ein fiktionaler Text so andererseits aber auch weniger, „weil er zum Beispiel Verpflichtungen und Konsequenzen nicht akzeptiert, die faktuale Texte mit sich bringen“ ([Packard 2020a]Packard, Stephan (2020fc). Gibt es eine Nullstufe der Fiktion? Praktiken der semiotischen Konstruktion des Fiktionalen und Faktualen. In Formen der Fiktion. Theorie und Geschichte, in Vorbereitung. Eintrag in Sammlung zeigen: in Vorb.). Disziplinübergreifend hat es sich bewährt, beide Ansätze nicht gegeneinander auszuspielen, da sie ganz verschiedene Probleme behandeln. Die Unterscheidung »fiktiv« vs. »nicht-fiktiv« bezieht sich demnach auf die Ebene des Dargestellten, die Unterscheidung »fiktional« vs. »nicht-fiktional« auf die Ebene der Darstellung:
Bilder erfinden. Fiktion als Reduktion und Redifferenzierung in graphischen Erzählungen. In Fiktion im Vergleich der Künste und Medien, 125-143. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 125). Wir haben es also mit Fiktion zu tun, wenn Fiktionalität und Fiktivität zugleich vorliegen. Zunächst sollten beide Bereiche aber getrennt voneinander betrachtet werden, um sie jeweils auf ihre Schnittstellen – und Spannungen – zur Bildtheorie hin zu befragen.
(Nicht-)Fiktivität als Frage der SemantikBetrachtet man das Problem der Fiktivität genauer, so stellt man fest, dass es keinesfalls unstrittig ist, ob auf Fiktives überhaupt Bezug genommen – also referenzialisiert – werden kann. Auch lassen sich anhand des sogenannten „Napoleon-Problems“ (vgl. [Zipfel 2001a]Zipfel, Frank (2001).Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität. Analysen zur Fiktion in der Literatur und zum Fiktionsbegriff in der Literaturwissenschaft. Berlin: Erich Schmidt. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 90–103) sehr unterschiedliche Positionen beziehen, inwiefern die Darstellung einer graduell fiktionalisierten realen Person (in einem historischen Roman wie Lew Tolstois «Krieg und Frieden», 1869) als kategorial andere Operation angesehen werden muss wie die wahrheitsgemäße Beschreibung einer Person gleichen Namens in einer Reportage.[3] In jedem Fall aber scheint das Problem der Fiktivität immer in irgendeiner Weise an das Problem der Referenzialität gebunden. Dorrit Cohn bezeichnete fiktionale Texte beispielsweise stets als „non-referential“ ([Cohn 1999a]Cohn, Dorrit (1999). The Distinction of Fiction. Baltimore: Johns Hopkins UP. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 9). Insbesondere in analytisch-philosophischen Ansätzen überwiegt die Ansicht, dass fiktive Gegenstände (ebenso wie fiktive Welten oder Figuren) schlicht gar nicht existieren (vgl. etwa [Künne 1983a]Künne, Wolfgang (1983). Abstrakte Gegenstände. Semantik und Ontologie. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Eintrag in Sammlung zeigen oder [Sainsbury 2010a]Sainsbury, Richard M. (2010). Fiction and Fictionalism. London: Routledge. Eintrag in Sammlung zeigen). Die Unterscheidung zwischen »Fiktivität« und »Nicht-Fiktivität« würde demnach zugleich mit der Klärung der Bezugnahme getroffen. Ein Bild von Napoleon hätte als Bezugsgegenstand eben die reale Person Napoleon; ein Bild eines fiktiven Gegenstands hingegen wäre in dieser Hinsicht “leer” und würde eine „Null-Denotation“ aufweisen (vgl. [Goodman 1969a]Goodman, Nelson (1969). Languages of Art. An Approach to a Theory of Symbols. London: Oxford UP. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 21; [Scholz 2004a]Scholz, Oliver R. (2004). Bild, Darstellung, Zeichen. Philosophische Theorien bildhafter Darstellungen. Frankfurt/M.: Klostermann. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 30-34). In den Worten von Lopes könnte man zusammenfassen: „A fictive picture is one whose subject does not exist” ([Lopes 1996a]Lopes, Dominic (1996). Understanding Pictures. Oxford: Claredon Press. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 197). Gleichzeitig gesteht Scholz fiktionalen Bildern aber selbstredend doch „wiedererkennbare Themen oder Sujets“ zu ([Scholz 2004a]Scholz, Oliver R. (2004). Bild, Darstellung, Zeichen. Philosophische Theorien bildhafter Darstellungen. Frankfurt/M.: Klostermann. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 30), auf die in irgendeiner Weise dennoch ein Bezug hergestellt werden muss (vgl. [Wilde 2018a]Wilde, Lukas R.A. (2018). Im Reich der Figuren. Meta-narrative Kommunikationsfiguren und die “Mangaisierung” des japanischen Alltags. Köln: Herbert von Halem. Eintrag in Sammlung zeigen, S. 164-213). Fiktion, Kognition und nichtverbale Medien. In ‚Es ist, als ob‘. Fiktionalität in Philosophie Film- und Medienwissenschaft, 69-86. Eintrag in Sammlung zeigen); dessen aber ungeachtet, steht eine jede referenzielle Herangehensweise vor dem Problem, immer an bereits semantisch interpretierten Bildverwendungsweisen ansetzen zu müssen, in denen die pragmatische erschlossene Referenzialität als geklärt gelten kann. Damit kommt »Fiktivität« (oder »Nicht-Fiktionalität«) zwangsläufig ein kontingenter Status zu, der nicht unbedingt Teil eines ersten Verstehens- und Interpretationsprozesses sein kann oder muss. Häufig kann dieser Status wohl auch gar nicht entschieden werden, wenn piktoriale Bezugnahmen vom jeweiligen Verwendungskontext des entsprechenden Artefakts abhängen. Im Verstehen einer dargestellten Situation macht es demgegenüber zunächst keinen Unterschied, ob sich später herausstellen sollte, dass diese auch zur Bezugnahme auf eine reale Situation verwendet werden kann oder soll. Was noch entscheidender ist: Um solche begleitenden Urteile überhaupt fällen zu können, muss ein Verstehen der dargestellten Situation in den meisten Fällen bereits vorausgesetzt werden können. Thon betont daher mit Bezug auf den Filmwissenschaftler Edward Branigan, was in der kognitiven Narratologie lange eine „standart position“ ([Thon 2016a]Thon, Jan-Noël (2016). Transmedial Narratology and Contemporary Media Culture. Lincoln: U of Nebraska P. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 67) darstelle: „[O]ur ability to understand a narrative […] is distinct from our beliefs as to its truth, appropriateness, plausibility, rightness, or realism“ ([Branigana 1992]Branigan, Edward (1992). Narrative Comprehension and Film. London: Routledge. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 192; Herv. im Orig.). Inwiefern etwa monoszenische Einzelbilder überhaupt narrativ sein können, bleibt zwar weiterhin umstritten, doch dürfte die vorige Feststellung auch für nicht-narrative piktoriale Darstellungen gelten (etwa rein topologische Darstellungen). Sagen, Referieren, Implizieren. Das Beispiel definiter Kennzeichnungen. In Kommunikatives Verstehen, 165-182. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 167; vgl. für Bilder ausführlicher [Schirra 2005a]Schirra, Jörg R.J. (2005). Foundation of Computational Visualistics. Wiesbaden: DUV. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 48-53). Das Gleiche gilt wohl auch für piktoriale Darstellungen wie in Abbildung 3, deren Fiktionalitätsgrad für sich genommen nicht beantwortet werden kann. Um erneut mit Marie-Laure Ryan zu sprechen:
The Logical Status of Fictional Discourse. In New Literary History, 6, 2, 318-332. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 327). In einigen sprachlichen Gattungen (wie lyrischer Dichtung) können solche lektüreleitenden Fiktionalitätssignale gänzlich fehlen (vgl. [Ryan 2009a]Ryan, Marie-Laure (2009). Fiktion, Kognition und nichtverbale Medien. In ‚Es ist, als ob‘. Fiktionalität in Philosophie Film- und Medienwissenschaft, 69-86. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 83). Ryan argumentiert zutreffend, dass dies in noch viel stärkerem Maße für Bildmedien gelte: „Eine große Zahl von Menschenhand gemachter Bilder gehört in dieses Niemandsland zwischen Fiktion und Nicht-Fiktion“ (S. 82). Die besonders komplizierte Frage, ob es sich bei vielen Bildern wie Abb. 3 daher zunächst um weder fiktionale noch nicht-fiktionale, sondern um fiktional unmarkierte Artefakte handeln könnte (vgl. [Wilde 2018a]Wilde, Lukas R.A. (2018). Im Reich der Figuren. Meta-narrative Kommunikationsfiguren und die “Mangaisierung” des japanischen Alltags. Köln: Herbert von Halem. Eintrag in Sammlung zeigen, S. 214-269), führt unmittelbar zu unserem zweiten Begriffspaar, nämlich »Fiktionalität« vs. »Nicht-Fiktionalität«.
(Nicht-)Fiktionalität als Frage der PragmatikFiktionalität bezeichnet nach Werner Wolf „im Gegensatz zur Fiktivität nicht zunächst eine ontologische oder referentielle Qualität, sondern […] einen kognitiven Rahmen, der bestimmte Erwartungen und Einstellungen bei der Rezeption eines Artefakts vorprogrammiert“ ([Wolf 2016a]Wolf, Werner (2016).Fiktion. Eine relevante Kategorie der Metareferenz in Literatur und anderen Medien?. In Fiktion im Vergleich der Künste und Medien, 227-244. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 231). Die kommunikative Absicht einer fiktionalen Rede (auf die etwa anhand meta-kommunikativer und kontextueller Signale geschlossen werden kann), ist demnach nicht, den Adressaten von etwas zu überzeugen, sondern ihn zu einem Als-ob-Spiel, einem Imaginations- bzw. Vorstellungsspiel, einzuladen, wie Gregory Currie herausgearbeitet hat:
Was sind Figuren? Ein Beitrag zur interdisziplinären Fiktionstheorie. Paderborn: Mentis. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 34f.; Herv. im Orig.). Die kommunikative Haltung der Kommunikator*in gegenüber dem Darstellungsinhalt, hier also dem Bildinhalt, wird mit Searles Sprechakttheorie als ‘Illokution’ bezeichnet (vgl. [Searle 1986a]Searle, John R. (1986). Meaning, Communication, and Representation. In Philosophical Grounds of Rationality. Intentions, Categories, Ends, 209-226. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 213). Die ersten umfassenden Versuche, eine Bildakttheorie nach Vorbild der Sprechakttheorie zu entwickeln, kamen von Søren Kjørup ([Kjörup 1974a]Kjørup, Søren (1974). George Inness and the Battle at Hastings, or Doing Things with Pictures. In The Monist, 58, 2, 216-235. Eintrag in Sammlung zeigen) und David Novitz ([Novitz 1977a]Novitz, David (1977). Pictures and their Use in Communication. A Philosphical Essay. Den Haag: Nijhoff. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 67-85; vgl. auch [Schirra & Sachs-Hombach 2006a]Schirra, Jörg R. J. & Sachs-Hombach, Klaus (2006). Bild und Wort. Ein Vergleich aus bildwissenschaftlicher Sicht. In ELiSe: Essener Linguistische Skripte – elektronisch, 6, 1, 51-72. Eintrag in Sammlung zeigen). Zur Markierung eines bestimmten Typs von Illokutionen scheint es aber wiederum keine genuin bildlichen Mittel zu geben. Für Scholz macht das Erfassen der illokutionären Funktion eines Bildes daher erst die achte Stufe seiner Verstehensebenen aus („modales Verstehen“, [Scholz 2004a]Scholz, Oliver R. (2004). Bild, Darstellung, Zeichen. Philosophische Theorien bildhafter Darstellungen. Frankfurt/M.: Klostermann. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 187). Blanke geht in diesem Punkt sogar noch weiter und erklärt die Klassifikation von Typen illokutionärer Akte im Bildverstehen als eher marginal – keinesfalls aber als konstitutiv (vgl. [Blanke 2003a]Blanke, Börries (2003). Vom Bild zum Sinn. Das ikonische Zeichen zwischen strukturalistischer Semiotik und analytischer Philosophie. Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 167). Fiktionen als Make-Believe. In Fiktionalität. Ein interdisziplinäres Handbuch, 50-67. Eintrag in Sammlung zeigen) darin, zwei Fragen prinzipiell zu trennen: der Unterscheidung zwischen »Fiktionalität« und »Nicht-Fiktionalität« (was wohl nur vom Gebrauch eines Artefakts, also in letzter Konsequenz von der tatsächlichen Rezipient*innenschaft abhängt) sowie der Entscheidung zwischen beiden Verwendungs- und Interpretationsweisen (wofür dann doch Fiktionalitätssignale, wie Markierungen der Produzent*innenintentionen, zentrale Steuerungsfunktionen übernehmen). Bareis führt aus:
Fiktion. Eine relevante Kategorie der Metareferenz in Literatur und anderen Medien?. In Fiktion im Vergleich der Künste und Medien, 227-244. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 231f.). Das Urteil »Fiktivität« vs. »Nicht-Fiktivität« hingegen ist notwendig immer äußerst graduell: Bereits der Planet Erde, der in den allermeisten Darstellungen zumindest impliziert ist, ist schließlich nicht fiktiv (vgl. Abb. 4). In jedem Fall aber scheint es sinnvoll, die beiden Begriffspaare »Fiktivität« vs. »Nicht-Fiktivität« und »Fiktionalität« vs. »Nicht-Fiktionalität« deutlich voneinander zu unterscheiden. Man wäre sonst gezwungen, fehlerhafte oder bewusst täuschende Darstellungen (deren Gegenstände fiktiv sind, obwohl ihre Repräsentation gemäß nicht-fiktionaler Signale wahrhaftig sein sollte) als fiktional aufzufassen. Eine Lüge aber würden wir üblicherweise schlicht als täuschend – und eben nicht als fiktional – bezeichnen.
Piktorialer PanfiktionalismusFür Bildmedien existieren zudem einflussreiche Ausprägungen eines Panfiktionalismus (vgl. [Konrad 2014a]Konrad, Eva-Maria (2014).Panfiktionalismus. In Fiktionalität. Ein interdisziplinäres Handbuch, 235-254. Eintrag in Sammlung zeigen). Diesen zufolge müssten Bildmedien prinzipiell immer als „Fiktionen“ erachtet werden – und zwar bereits durch die Konstitution eines Bildinhalts voll mentaler, imaginärer oder eben: fiktiver Gegenstände. Eine solche Ansicht vertreten etwa Kendall L. Waltons ([Walton 1993a]Walton, Kendall L. (1993). Mimesis as Make-Believe. On the Foundations of the Representational Arts. Cambridge, Ma: Harvard UP. Eintrag in Sammlung zeigen) oder Benita Herder ([Herder 2017a]Herder, Benita (2017). Bild und Fiktion. Eine Untersuchung über die Funktion von Bildern in der Erkenntnistheorie. Köln: Herbert von Halem. Eintrag in Sammlung zeigen). Bilder wären demnach „fictions by definitions“ ([Walton 1993a]Walton, Kendall L. (1993). Mimesis as Make-Believe. On the Foundations of the Representational Arts. Cambridge, Ma: Harvard UP. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 351).[4] Ein solcher Fiktions-Begriff wäre ein inhärenter des Mediums bzw. der Zeichenmodalität.[5] Nach den zuvor explizierten Zusammenhängen zwischen (Nicht-)Fiktivität und (Nicht-)Fiktionalität erscheint dies allerdings für beide Begriffspaare wenig überzeugend.[6] Die (referenzbezogene) Unterscheidung »Fiktivität« vs. »Nicht-Fiktivität« käme von vorneherein “zu spät”, um Bildmedien grundsätzlich zur Fiktion zu erklären, da für Vertreter*innen eines piktorialen Panfiktionalismus bereits der Bildinhalt – das, was wir “im” Bild sehen – der “fiktive” Gegenstand darstellt (und nicht erst das, worauf mit dieser Ebene weiter Bezug genommen werden kann). Im Reich der Figuren. Meta-narrative Kommunikationsfiguren und die “Mangaisierung” des japanischen Alltags. Köln: Herbert von Halem. Eintrag in Sammlung zeigen, S. 82-115). Wenn sich in Bildmedien die Annahme einer (fiktiven, nicht-fiktiven oder in dieser Hinsicht unbestimmbaren) Existenz des Dargestellten nur aus der konkreten Verwendung heraus erklären lässt (der hypothetischen Verwendungsabsicht einer Kommunikator*in und der tatsächlichen Verwendungspraxis von Rezipient*innenseite), so scheint dies deutlich gegen die These zu sprechen, dass die (Nicht-)Fiktionalität von Bildern medial oder modal determiniert wäre. Überlegungen zu Medientheorie und Fiktionalität. In Fiktion im Vergleich der Künste und Medien, 97-124. Eintrag in Sammlung zeigen) prinzipielle Argumente dafür geboten, dass sich die Fiktionspotentiale unterschiedlicher Darstellungsmedien niemals als aus einem gegebenen a priori medialer Eigenschaften ableiten lassen. Fotografische Bilder der realen Person Sean Connery lassen sich ebenso dazu einsetzen, um die fiktive Figur James Bond darzustellen – und sie werden dies auch sehr häufig (vgl. auch [Wilde 2019a]Wilde, Lukas R.A. (2019). 9/11, Comics, and the Threatened Orders of Pictorial Media. Non-Fictional Comics as Historical Re-enactment. In ImageTexT, 11, 1, (online). Eintrag in Sammlung zeigen). Umgekehrt lassen sich Handzeichnungen ebenso in nicht-fiktionaler (etwa dokumentarischer) Absicht einsetzen, wie dies etwa in den Comic-Gattungen von graphic memoirs, graphic journalism, oder auch Sachcomics durchweg der Fall ist (vgl. [Schröer 2016a]Schröer, Marie (2016). Graphic Memoirs – autobiographische Comics. In Comics und Graphic Novels. Eine Einführung, 263-275. Eintrag in Sammlung zeigen).
Partikularisierung und PiktogrammatikDer Zusammenhang zwischen Bildinhalt und Fiktion ist aber komplexer als es aussieht – insbesondere in medien- bzw. zeichenvergleichender Perspektive. Genauer betrachtet nutzt etwa Walton seinen „Fiktions“-Begriff, der gegenüber Bildmedien grundsätzlich geltend gemacht werden sollte, in uneinheitlicher Weise und wendet ihn ein zweites Mal auf die Relation des (angeblich bereits „fiktiven“) Bildinhalts zu einem weiteren dargestellten Referenzobjekt an („portraying fictitious things beyond itself“, [Walton 1993a]Walton, Kendall L. (1993).Mimesis as Make-Believe. On the Foundations of the Representational Arts. Cambridge, Ma: Harvard UP. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 57). Daher scheint Walton, ebenso wie Herder, mit „fiktiven“ Darstellungen im Kern etwas spezifisch Anderes zu meinen. Gleiches dürfte für eine ähnliche Anwendung des „Fiktions“-Begriffs in Jörg R.J. Schirras Kontexttheorie des Bildes gelten, wo sich ebenfalls die Formulierung findet, wir könnten uns „Bilder als fiktive referentielle Kontexte“ vorstellen ([Schirra 2001a]Schirra, Jörg R.J. (2001). Bilder —— Kontextbilder. In Bildhandeln. Interdisziplinäre Forschungen zur Pragmatik bildhafter Darstellungsformen, 77-100. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 90). Da hier erneut der Bildinhalt angesprochen wird, scheint mir dies mindestens in medienvergleichender Perspektive unintuitiv: Einem generellen Terminus der deutschen Sprache (wie ‘Katze’) würde man sicherlich nicht einen zunächst „fiktiven Inhalt“ zusprechen. In kommunikativer Hinsicht verweist ‘eine Katze’ lediglich auf das Lexikon (vgl. [Eco 2000a]Eco, Umberto (2000). Kant und das Schnabeltier. München: Hanser. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 280-336), nicht auf eine Situation, deren Darstellung fiktional oder nicht-fiktional sein könnte. Sprachliche Zeichen stellen vor ihrer kontextrelativen Verwendung zunächst lediglich generelle Terme dar, denen man deswegen auch keinen grundsätzlich “fiktiven Kern” zusprechen würde – da ein Ausdruck wie ‘Katze’ zunächst gar kein Individuum referenzialisiert (das nun erst fiktiv oder nicht fiktiv sein könnte). Demgegenüber scheinen Bilder – bereits auf Ebene des Bildinhalts – stets wesentlich konkreter und damit partikularisierter zu sein (was die zuvor angesprochenen panfiktionalistischen Annahmen nun zumindest naheliegender erscheinen lässt). Die semantische Paradoxie von BildmedienHieran wird deutlich, dass das Problem der Partikularisierung des Bildinhalts in besonderer Weise mit dem Problem der Bildfiktion verbunden ist. Das Argument könnte etwa lauten: Weil wir auf Bildträgern meist nicht nur Zeichen, sondern komplexe und konkrete Situationen voll individuierter Einzelgegenstände zu sehen meinen, müsste der Bildinhalt zunächst immer als fiktiv eingeschätzt werden, wenn eine tatsächliche non-fiktionale Referenzfixierung notwendig gebrauchsabhängig bleibt. Betrachtet man fiktive Welten als mögliche (i.S.v. imaginierbare, vorstellbare) Welten (vgl. [Ryan 2014b]Ryan, Marie-Laure (2014).Possible-Worlds Theory. In Handbook of Narratology, Bd. 2, 726-742, 2. Aufl.. Eintrag in Sammlung zeigen), so könnte man Bilder als „Ansichten möglicher Welten“ ([Fellmann 2000a]Fellmann, Ferdinand (2000). Bedeutung als Formproblem. In Vom Realismus der Bilder, 17-40. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 21) und damit die Bildsemantik als eine „Mögliche-Welten-Semantik“ ([Fellmann 2000a]Fellmann, Ferdinand (2000). Bedeutung als Formproblem. In Vom Realismus der Bilder, 17-40. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 21) auffassen, was das panfiktionalistische Urteil zu bekräftigen scheint. Dieses Problem wurde auch als „semantische Anomalie“ ([Sachs-Hombach 2011a]Sachs-Hombach, Klaus (2011). Bildakttheorie. Antworten auf die Differenz von Präsenz und Entzug. In Präsenz im Entzug. Ambivalenzen des Bildes, 57-82. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 77) oder als „semantisches Paradox“ ([Fellmann 2000a]Fellmann, Ferdinand (2000). Bedeutung als Formproblem. In Vom Realismus der Bilder, 17-40. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 25) von Bildmedien bezeichnet. Sachs-Hombach formuliert dieses so, dass
Wenn sich die semantische Paradoxie aber erst dadurch ergibt, dass – oder besser: falls – Bilder partikulare Objekte zu zeigen scheinen (und zwar bereits auf Ebene des Bildinhalts), so verschiebt sich das Problem von Bild und Fiktion in eigentümlicher Weise. Tatsächlich würde man von nicht-gegenständlichen Bildern gewöhnlich etwa weder behaupten, dass sie fiktional oder dass sie nicht-fiktional wären, da sie eben keinen Gegenstand darstellen und folglich die Frage unsinnig wäre, ob der dargestellte Gegenstand bzw. die dargestellte Situation tatsächlich so existiert haben könnte. Umgekehrt darf dieser Zusammenhang für gegenständliche Bilder aber auch keineswegs als trivial gelten. Fiktionalität in der Bildwissenschaft (Kunstgeschichte/Fotografie). In Grundthemen der Literaturwissenschaft: Fiktionalität, in Vorbereitung. Eintrag in Sammlung zeigen), der Unterschied singuläre/generelle Bilder läge vollständig quer zur Differenz fiktionaler/non-fiktionaler Bilder. Dagegen muss aber eingewandt werden, dass ein Elfen-Bild in einem Comic-Panel durchaus die Existenz eines bestimmten Elfen in einem bestimmten diegetischen Kontext “behauptet” (vgl. [Wilde 2017a]Wilde, Lukas R.A. (2017). ‘Backwards and batshit-fucking-bonkers’. Das innovative Kommunikationsgefüge non-narrativer Webcomics. In Closure. Kieler e-Journal für Comicforschung, 4, 68-104. Eintrag in Sammlung zeigen). Im Rahmen einer solchen möglichen Welt bleiben fiktionale und nicht-fiktionale Elfen-Darstellungen also weiterhin auf konkrete, partikularisierte Elfen beschränkt. Elfen-Piktogramme an Toiletten-Türen hingegen würden weder die Existenz von Elfen behaupten noch fiktive Elfen vorstellig machen, sondern lediglich kommunizieren, dass jene Wesen (alles, was als „Elfen“ gelten mag) hier erwünscht und willkommen Einlass erhalten sollten. Insofern scheint mir die Frage nach der Partikularisierung des bildlich Dargestellten weiterhin ganz zentral dafür, ob sich die Frage nach Fiktionalität überhaupt stellt (vgl. ausführlicher [Wilde 2017a]Wilde, Lukas R.A. (2017). ‘Backwards and batshit-fucking-bonkers’. Das innovative Kommunikationsgefüge non-narrativer Webcomics. In Closure. Kieler e-Journal für Comicforschung, 4, 68-104. Eintrag in Sammlung zeigen sowie [Wilde 2018a]Wilde, Lukas R.A. (2018). Im Reich der Figuren. Meta-narrative Kommunikationsfiguren und die “Mangaisierung” des japanischen Alltags. Köln: Herbert von Halem. Eintrag in Sammlung zeigen, S. 221-245). Die piktogrammatische Spezifizierung einer Abbiege-Regelung für PKWs und Motorräder – nicht aber für Fahrräder – (Abb. 5) bildet keinerlei bestimmte Gegenstände ab und wird daher wohl auch nicht als Blicke in eine fiktive oder nicht-fiktive Diegese erachtet werden; sie macht lediglich die Bezugnahme auf Objektklassen zugänglich: Die Regelung, nur links abbiegen zu dürfen, gilt hier (lokale Deixis) für alle Verkehrsteilnehmer*innen, deren Fahrzeuge unter die zu erschließenden Klassifikatoren fallen. Ein piktogrammatischer Bildgebrauch scheint die Fiktionalitätsfrage also durchaus zu suspendieren. Drei bildtheoretische PositionenIn der Bildtheorie sind drei unterschiedliche Positionen denkbar, mit dieser Differenz und einem möglichen Primat umzugehen. Walton und Sachs-Hombach scheinen mir am deutlichsten für die zwei konträrsten Einschätzungen zu argumentieren. Walton geht, wie angesprochen, davon aus, jedes Bild eines Bisons stelle primär einen partikularen (und daher in seinen Termini: einen „fiktiven“) Bison dar (vgl. [Walton 1993a]Walton, Kendall L. (1993).Mimesis as Make-Believe. On the Foundations of the Representational Arts. Cambridge, Ma: Harvard UP. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 125). Wenn ein Bild somit als Gattungsbild gebraucht wird, wäre dies ein reflexiver, kontingenter Einsatz. Insbesondere für fotografische Bilder lässt sich dies mit einer gewissen Berechtigung vertreten.[7] Aber ist diese Ebene der Semantik nicht allein unserem Vorwissen um das fotografische Dispositiv geschuldet, demzufolge irgendwann einmal ein konkretes Einzelding vor einer Kamera gestanden haben müsste? Für viele Autor*innen jedenfalls scheint vorausgesetzt, dass Bildmedien grundsätzlich nur Individuelles, bzw. nur in abgewandeltem Gebrauch Allgemeines zeigen könnten. Einer viel beachteten Aussage von Jurij M. Lotman zufolge zeige ein Film etwa immer Konkretes:
Das Bild als kommunikatives Medium. Elemente einer allgemeinen Bildwissenschaft. Köln: Halem. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 166 sowie ausführlich in [Sachs-Hombach & Schirra 2011a]Sachs-Hombach, Klaus & Schirra, Jörg R.J. (2011). Prädikative und modale Bildtheorie. In Bildlinguistik. Theorien – Methoden – Fallbeispiele, 97-119. Eintrag in Sammlung zeigen). Die Referenzialisierung von Einzeldingen mit Bildern muss demnach aus notwendigen Gründen nachgeordnet und kontingent sein: „Die Veranschaulichung konkreter Gegenstände erfolgt immer analog zu Kennzeichnungen, indem begriffliche Charakterisierungen derart kombiniert werden, dass sie sich in einem bestimmten Kontext zur Charakterisierung individueller Dinge eignen“ ([Sachs-Hombach & Schirra 2006a]Sachs-Hombach, Klaus; Jörg R.J. Schirra (2006). Darstellungsstil als bild-rhetorische Kategorie. Einige Vorüberlegungen. In IMAGE. Themenheft Bild-Stil: Strukturierung der Bildinformation, 3, 175-191. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 182). Dies dürfte auf fiktive oder in dieser Hinsicht unbestimmbare Gegenstände in möglichen Welten ebenso zutreffen. In diesem Sinne ist es nur folgerichtig, dass der Fiktionsbegriff bei Sachs-Hombach kaum eine zentrale Rolle einnimmt. Ferdinand Fellmanns kommt zu einem gleich lautendem Urteil:
Mimesis as Make-Believe. On the Foundations of the Representational Arts. Cambridge, Ma: Harvard UP. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 351) gelten Piktogramme und Verkehrszeichen für ihn als nur „ornamental“; es handele sich um „nicht-funktionale Imaginationsrequisiten“ (non-functional props, [Walton 1993a]Walton, Kendall L. (1993). Mimesis as Make-Believe. On the Foundations of the Representational Arts. Cambridge, Ma: Harvard UP. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 281). Neil McDonells durchaus typische These hierzu lautet: „The picture of a man on a restroom sign does not refer to any particular man but to all men” ([McDonell 1983a]McDonell, Neil (1983). Are Pictures Unavoidably Specific?. In Synthese, 57, 1, 83-98. Eintrag in Sammlung zeigen, S. 85; vgl. [Scholz 2004a]Scholz, Oliver R. (2004). Bild, Darstellung, Zeichen. Philosophische Theorien bildhafter Darstellungen. Frankfurt/M.: Klostermann. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 134-145). Bildtheorie. Zur Einführung. Hamburg: Junius. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 51):
Packard formuliert diese Alternative mit Peirce als die Opposition, Bilder entweder als dicentisch-indexikalische Sinzeichen oder als rhematisch-ikonische Qualizeichen aufzufassen:
Medialität als RahmungEin Foto werden wir zumeist prinzipiell als definit – also partikularisiert – interpretieren, auch wenn wir keine Kriterien dafür besitzen, seinen Referenten tatsächlich bestimmen zu können! Und in diesem Fall müssten wir uns auch entscheiden, ob es sich um ein reales (nicht-fiktionales) oder eben fiktionalisiert eingesetztes (oder manipuliertes) Foto handelt. Doch auch dies ist womöglich eher einer medialen Konvention geschuldet, denn Eingriffe, Manipulationen, Montagen und nicht zuletzt andere Verwendungszusammenhänge der Fotografie (etwa als Gattungsbilder in Lexika oder in fiktional gerahmten Kontexten wie dem Foto-Roman) hat es schon immer gegeben (vgl. [Fineman 2012a]Fineman, Mia (2012).Faking it. Manipulated Photography before Photoshop. New York: Yale UP. Eintrag in Sammlung zeigen). Schon bei der Fotografie handelt es sich daher lediglich um eine Rezeptionskonvention. Es gilt daher, den Zusammenhang zu bestimmten Bildverwendungstypen bzw. Bildmedien noch genauer in den Blick zu nehmen. Multimodales Verstehen – Zwischen Zeichensystemwissen und Textsortenkompetenz. In Verstehen und Verständigung. Intermediale, multimodale und interkulturelle Aspekte von Kommunikation und Ästhetik, 88-112. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 102). Dies lässt sich mit Sachs-Hombachs und Schirras Überlegungen zum Bildstil als einem „illokutionärem Indikator“ verbinden ([Sachs-Hombach & Schirra 2006a]Sachs-Hombach, Klaus; Jörg R.J. Schirra (2006). Darstellungsstil als bild-rhetorische Kategorie. Einige Vorüberlegungen. In IMAGE. Themenheft Bild-Stil: Strukturierung der Bildinformation, 3, 175-191. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 181), das bestimmte „Bild Spiele“ (gegenüber anderen) als solche ausweist (vgl. [Scholz 2004a]Scholz, Oliver R. (2004). Bild, Darstellung, Zeichen. Philosophische Theorien bildhafter Darstellungen. Frankfurt/M.: Klostermann. Eintrag in Sammlung zeigen, S. 154-162). Wendet man dies auf den Zusammenhang zwischen piktogrammatischen vs. partikularisierenden Verwendungsweisen von Bildern an – und damit auch auf die Frage, ob ein Fiktionalitätsurteil getroffen werden muss – so zeigt es sich, dass keineswegs alle Bildverwendungspraktiken über alle konventionellen Medientypen gleich verteilt sind (vgl. erneut [Schröter 2016a]Schröter, Jens (2016). Überlegungen zu Medientheorie und Fiktionalität. In Fiktion im Vergleich der Künste und Medien, 97-124. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 123). Um erneut Comics als Beispiele heranzuziehen: „Nun sind aber gerade die (vielen) narrativen Comics jene, die typischerweise Einzeldinge darstellen, und zwar im Sinne eines Minimums an Realismus als Gegenstände einer extensionalen Welt“ ([Packard 2006a]Packard, Stephan (2006). Anatomie des Comics. Psychosemiotische Medienanalyse. Göttingen: Wallstein. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 180). Dies wiederum macht ein Fiktionalitätsurteil notwendig, was bei piktogrammatischen Bildverwendungsweisen nicht der Fall ist, die in kommunikativer Hinsicht lediglich Klassen hinreichend ähnlicher Gegenstände ins Spiel bringen sollen. Mit diesen Konventionen spielt der Grafikdesigner Frank Flöthmann in seinen populären „Piktogramm-Comics“. Trotz der offenkundigen Hybridisierung beider Bildmedienbereiche ist eine Differenzlogik zwischen Comic und Piktogramm zum Verständnis der Geschichten vorausgesetzt. Denn obwohl die Bildästhetik an die Kennzeichnung von Gegenstandstypen erinnert, stellt der Autor hier doch “reguläre” fiktive Welten aus 16 Märchen der Gebrüder Grimm dar, in welchen die Protagonist*innen auch als existent behauptet werden – was bei Piktogrammen in gewöhnlicher Verwendung (Genusbilder oder indefinit bestimmbare Bilder) gerade nicht der Fall ist. Wenn wir also von (konventionell als distinkt verstandenen) Einzelmedien wie »dem Spielfilm« sprechen, dann umfasst dessen Medialität, zusammenfassend, nicht nur seine technisch-materiellen und institutionellen Produktions-, Distributions- und Rezeptionsbedingungen (also beispielsweise auch sozialsystemische Institutionen oder eine arbeitsteilige Autor*innenschaft zwischen vielen Akteuren), sondern auch semiotische und fiktionsbezogene Erwartungen, die über Rahmungen und konventionalisierte Ästhetiken aufgerufen werden können. Der fiktionale Gebrauch von BildmedienWährend der »Fiktions«-Begriff in der Bildtheorie (im engeren Sinne) also in vielfacher Hinsicht merkwürdig untertheoretisiert ist, können doch zwei unterschiedliche Bereiche piktorialer Bezugnahmen auf fiktive Entitäten (Personen, Ereignisse, Welten) nicht ausgeblendet bleiben. Zum einen dürfte es ganz unbestritten sein, dass Bildmedien bereits etablierte fiktive Entitäten ebenso darstellen können wie real existierende Dinge. In kunstgeschichtlichen Beschäftigungen obliegt die Klärung dieser Referenz anhand bildlicher Kodes etwa der Ikonologie (vgl. [Panofsky 1939a]Panofsky, Erwin (1939).Studies in Iconology. Humanistic Themes in the Art of the Renaissance. New York: Oxford UP. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 6). Wenn wir mit den relevanten Ikonografien vertraut sind, so wissen wir, dass ein bildlich dargestellter Mann mit einer Filzkappe immer Odysseus darstellt und können Odysseus-Repräsentationen auch in unbekannten Bildern identifizieren. Die komplexen Diskussionen um die fragliche Ontologie dieses Wesens (zwischen fiktivem Referenzobjekt und davon unterschiedenem Sujet) müssen und können an dieser Stelle ausgeblendet bleiben, denn relevanter für den Zusammenhang von Bild und Fiktion scheint mir ein zweiter Bereich fiktionalen Bildgebrauchs. Hier wird nicht eine bereits bestehende fiktive Entität irgendwie durch bildliche Codes “anzitiert”, sondern genuin erzeugt.[8] Es sollte nämlich nicht übersehen werden, dass weite Teile der Medienwissenschaft sich im “Tagesgeschäft” mit exakt solchen Bildmedien auseinandersetzen, die im “unmarkierten Standardfall” stets als fiktional gelten, wie Thon zutreffend argumentiert hat (vgl. [Thon 2014c]Thon, Jan-Noël (2014). Fiktionalität in Film- und Medienwissenschaft. In Fiktionalität. Ein interdisziplinäres Handbuch, 443-466. Eintrag in Sammlung zeigen, S. 452-459): Realfilme, Animationsfilme, Fernsehserien, Comics oder Computerspiele. Die Befähigung dieser weiten Bereiche der Bildmedien zur Nicht-Fiktionalität muss – umgekehrt – zumeist mühevoll hergeleitet und gesondert begründet werden, mit verschieden hohem Aufwand bei unterschiedlichen Medientypen. Denn auch wenn nicht-fiktionale (dokumentarische oder essayistische) Realfilme in der Filmwissenschaft insgesamt ebenfalls weniger Aufmerksamkeit als fiktionale Spielfilme erhalten haben, scheint hier das fotografische Dispositiv doch zumindest eine unbestreitbar dokumentarische Qualität zu sichern.[9] Die Legitimation der Nicht-Fiktionalität von Animationsfilmen (z.B. «Waltz with Bashir», Ari Folman 2008), Comics (z.B. Art Spiegelmans «Maus: A Survivor’s Tale», 1991), oder Computerspielen (z.B. «JFK Reloaded», Traffic Games, 2004) muss hingegen immer wieder mühsam begründet und verteidigt werden (vgl. dazu [Thon 2019a]Thon, Jan-Noël (2019). Post/Documentary. Referential Multimodality in “Animated Documentaries” and “Documentary Games”. In Poetics Today, 40, 2, 269-297. Eintrag in Sammlung zeigen). Dass diese Bildmedien typischerweise fiktive Entitäten (Figuren, Ereignisfolgen, Welten) repräsentieren, stellt in jedem Fall keinen theoretischen Streitpunkt dar. Hier scheint mir eine merkwürdige Dissonanz gegenüber allgemeinen bildtheoretischen Prämissen zu liegen, die selten genauer in den Blick genommen worden ist. Abschließend soll daher noch einmal der Blick darauf gewendet werden, welche besonderen Funktionen und Leistungen Bildmedien in der Darstellung fiktiver Dinge, Ereignisse und Welten zufallen. Die notwendige Unvollständigkeit fiktiver EntitätenAlles, was in fiktionalen Medien dargestellt wird, muss in sehr grundlegender Hinsicht als unvollständig erachtet werden. Lubomír Doležel arbeitete diesen Punkt in seiner Variante der possible world-Theorie unter der Bezeichnung ‘ontologische Unvollständigkeit’ heraus:
Roman Ingarden. Ontological Foundations for Literary Theory. In Language, Literature and Meaning I. Problems of Literary Theory, 273-390. Eintrag in Sammlung zeigen). Wenn Eigenschaften und Merkmale des Dargestellten in Texten schlichtweg nicht definiert seien, so Smith, Doležel und viele andere, so “fehlen” uns nicht nur bestimmte Informationen (temporär), die wir etwa noch in Erfahrungen bringen könnten; sie existieren im Gegenteil nirgendwo, und zwar, auf einer grundsätzlichen und daher ontologischen Ebene.[10] Dennoch setzen wir im Rezeptionsprozess zumeist voraus, dass alle dargestellten Welten grundsätzlich konsistent und vollständig sind, sofern nicht explizite (phantastische) Gründe vorliegen, warum dem anders sein sollte. Rezipient*innen können gemeinhin auf ihr Weltwissen zurückgreifen, um solche “Lücken” zu füllen. Marie-Laure Ryan führt dies auf das von David Lewis übernommene Konzept des principle of minimal departure zurück:
Das literarische Kunstwerk. Mit einem Anhang von den Funktionen der Sprache im Theaterschauspiel. Tübingen: Niemeyer. Eintrag in Sammlung zeigen) oder Wolfgang Isers Konzept der »Leerstelle« (vgl. [Iser 1978a]Iser, Wolfgang (1978). The Act of Reading. A Theory of Aesthetic Response. Baltimore: Johns Hopkins UP. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 194), um auf die Notwendigkeit der „Mitarbeit des Lesers“ ([Eco 1987a]Eco, Umberto (1987). Lector in fabula. Die Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten. München: Hanser. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 1) in dieser inferenziellen Ergänzung von Unvollständigkeiten hinzuweisen. Die Filmwissenschaft operiert mit dem Terminus des ‘Suture’, die Comicforschung mit dem des ‘Closures’. In den Bildwissenschaften wurden diese Ansätze bisher erst mit großem Zögern aufgenommen, vermutlich aus des zuvor angeführten Theoriedefizits in der Fiktionsdebatte (vgl. [Lobsien 1980a]Lobsien, Eckhar (1990). Bildlichkeit, Imagination und Wissen. In Bildlichkeit. Internationale Beiträge zur Poetik, 80-114. Eintrag in Sammlung zeigen; [Kimmich 2003a]Kimmich, Dorothee (2003). Die Bildlichkeit der Leerstelle. In Wissenschaft und Systemveränderung. Rezeptionsforschung in Ost und West – eine konvergente Entwicklung?, 319-393. Eintrag in Sammlung zeigen). Fictional Characters in Literary and Media Studies. A Survey of the Research. In Characters in Fictional Worlds. Understanding Imaginary Beings in Literature, Film, and Other Media, 3-66. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 18). Über das Aussehen fiktiver Dinge im Film scheinen wir so zumeist viel zu wissen und epistemisch begründen zu können, weil vor der Kamera Objekte standen, deren Aussehen weitgehend auf die diegetischen Entitäten übertragbar ist. Mit anderen Worten: Die Wahrnehmungsnähe von Bildmedien kann sich dergestalt niederschlagen, dass jeder wahrnehmbare Aspekt des Bildinhalts auch in der Konkretisierung fiktiver Situationen relevant bleibt. Mit wieder anderen Worten: Die Prädikationsmöglichkeiten, die Bilder zur Verfügung stellen, sind größtenteils auf die fiktive Diegese übertragbar. Externe Prädikationsmöglichkeiten der Darstellungsmittel lassen sich als interne Prädikate des Dargestellten verrechnen (vgl. [Reicher 2010a]Reicher, Maria E. (2010). The Ontology of Fictional Characters. In Characters in Fictional Worlds. Understanding Imaginary Beings in Literature, Film, and Other Media, 111-133. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 117). Darstellungskorrespondenz und doppelte PrädikationDie Wahrnehmungsnähe von Bildmedien lässt sich durch Gregory Curries Begriff der »Darstellungskorrespondenz« (representational correspondence) noch genauer fassen (vgl. [Currie 2010a]Currie, Gregory (2010).Narratives and Narrators. A Philosophy of Stories. Oxford: Oxford UP. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 58-64): „ [F]or a given representational work, only certain features of the representation serve to represent features of the things represented“ (S. 59). Es sind also niemals alle Eigenschaften einer Darstellung hinsichtlich der fiktiven Situation relevant, wie Thon in Bezug auf die gleiche Textstelle von Currie weiter ausführt: „[I]t makes sense to distinguish more systematically between presentational and representational aspects of a given narrative representation in this context“ ([Thon 2016a]Thon, Jan-Noël (2016). Transmedial Narratology and Contemporary Media Culture. Lincoln: U of Nebraska P. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 60; Herv. im Orig.). Dass diese Differenz selbst im fotografischen Filmbild nie völlig überwunden werden kann, lässt sich leicht vor Augen führen: Man denke etwa an Schwarzweißfilme oder Rückblenden in Sepia-Kolorierungen, die nur in speziellen Ausnahmefällen eine “monochrome Welt” repräsentieren (etwa im medienreflexiven Film «Pleasantville», USA 1998; vgl. dazu umfassender [Thon 2017a]Thon, Jan-Noël (2017). Transmedial Narratology Revisited. On the Intersubjective Construction of Storyworlds and the Problem of Representational Correspondence in Films, Comics, and Video Games. In Narrative, 25, 3, 286-320. Eintrag in Sammlung zeigen; [Wilde 2019b]Wilde, Lukas R.A. (2019). LEGO als Marke, Lego als Material: Transmedialisierbarkeit und Wahrnehmbarkeit dargestellter Welten.. In Kulturelle Dynamiken/Cultural Dynamics. Transmedialisierung, 333-364. Eintrag in Sammlung zeigen). Etwas technischer ausgedrückt: Die Prädikationsmöglichkeiten, die ein Bild in einem Schwarzweißfilm anhand wahrnehmbarer Graustufen und monochromer Kontraste anbietet, treffen nur auf den Bildinhalt, nicht aber auf die fiktive Situation zu (vgl. [Walton 1993a]Walton, Kendall L. (1993). Mimesis as Make-Believe. On the Foundations of the Representational Arts. Cambridge, Ma: Harvard UP. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 171; [Thon 2016a]Thon, Jan-Noël (2016). Transmedial Narratology and Contemporary Media Culture. Lincoln: U of Nebraska P. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 85-91). All dies bedeutet zusammenfassend, dass fiktional eingesetzte Bildmedien stets eine doppelte Prädikation aufweisen: Die Prädikationsmöglichkeiten, die der Bildinhalt zur Verfügung stellt (begründete Aussagen über das Aussehen der Bildobjekte), stehen in relativer Darstellungskorrespondenz zur Ebene der fiktiven Diegese, auf die sie sich häufig – aber eben nicht immer, und niemals notwendig – “mappen” lassen. Im interpretativen Verstehen müssen beide Ebenen voneinander differenziert werden, indem zwischen abbildungsrelevanter Form und “bloßem” medialem Kontext differenziert wird. Als nicht abbildungsrelevanter medialer Kontext wären aber nicht nur limitierende Faktoren der Materialität zu nennen (Schwarzweiß-Druckverfahren in der Darstellung farbiger Welten). Auch viele Aspekte des medialen Produktionszusammenhangs fließen häufig nicht in die Konkretisierung fiktionaler Gegenstände mit ein. Mimesis as Make-Believe. On the Foundations of the Representational Arts. Cambridge, Ma: Harvard UP. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 174-183), danach zu fragen, warum die fiktive Figur Daario Naharis in der HBO-Serie «A Game of Thrones» plötzlich auf mysteriöse Weise ihr Aussehen verändert. In Staffel drei wurde die Figur vom Briten Ed Skrein, ab Staffel vier vom niederländischen Michiel Huisman verkörpert (vgl. Abb. 7), ohne dass dafür eine diegetische Erklärung angeboten wurde. Gültige fiktionale Rückschlüsse, dass Daario Naharis über magische Fähigkeiten verfügen und wie die diegetisch etablierten faceless men sein Aussehen beliebig transformieren könnte, wären ganz offensichtlich falsch (oder vorsichtiger: kommunikativ kaum anschlussfähig; zu fiktionalen Fakten vgl. [Bareis 2015a]Bareis, J. Alexander (2015). Fictional Truths, Principles of Generation, and Interpretation. In How to Make Believe. The Fictional Truths of the Representational Arts, 165-183. Eintrag in Sammlung zeigen). Der wahrnehmbare Unterschied, den die Prädikationsmöglichkeiten der Bilder zur Verfügung stellen, wird also nicht auf Seite des fiktional Dargestellten, sondern auf den medialen Ermöglichungshintergrund “verrechnet”. Dieser wird hier als institutioneller Produktionszusammenhang der TV-Serie kenntlich, mit dem die konventionalisierte semiotische Form des doppelten Darsteller*innenkörpers und dem Schauspieler*innen-Starsystem verbunden ist (vgl. [Wilde 2019b]Wilde, Lukas R.A. (2019). LEGO als Marke, Lego als Material: Transmedialisierbarkeit und Wahrnehmbarkeit dargestellter Welten.. In Kulturelle Dynamiken/Cultural Dynamics. Transmedialisierung, 333-364. Eintrag in Sammlung zeigen). Eine fundamentale Differenz zwischen den im Bild sichtbaren Objekten und den dadurch repräsentierten, diegetischen Entitäten ist also unauflösbar. Über Wahrnehmungsnähe und Darstellungskorrespondenz kann die doppelte Prädikation aber so eng geführt werden, dass sie gänzlich transparent erscheint, insbesondere in fotografischen oder illusionistischen Bildmedien, wo wir nahezu in die Diegese zu blicken meinen. Gemeinsamkeiten und Differenzen fiktionaler und nicht-fiktionaler WeltbezügeGrundsätzlich ist eine doppelte Prädikation zwischen sichtbarem Bildinhalt und den dadurch repräsentierten Entitäten (vermittelt über eine skalierte Darstellungskorrespondenz) auch für nicht-fiktionale, dokumentarische Formate unumgänglich: In nicht-fotografischen Bildmedien ist dies unmittelbar evident: Die Wahrnehmbarkeit der tatsächlich vorgefallenen Situationen wird hier doch in erheblichem Maße von den Wahrnehmungsparametern der (etwa gezeichneten, gemalten oder computergenerierten) Bildlichkeit abweichen; auch ist davon auszugehen, dass nicht alle Bildelemente in Vorder- und Hintergrund, in Zentrum und Peripherie, die gleichen Wahrheitsansprüche erheben. Packard geht daher von einer „gradierte[n] Fiktionalität“ ([Packard 2016c]Packard, Stephan (2016).Bilder erfinden. Fiktion als Reduktion und Redifferenzierung in graphischen Erzählungen. In Fiktion im Vergleich der Künste und Medien, 125-143. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 139) gezeichneter Bilder aus, Thon mit gleicher Stoßrichtung von einer „referential multimodality“ ([Thon 2019a]Thon, Jan-Noël (2019). Post/Documentary. Referential Multimodality in “Animated Documentaries” and “Documentary Games”. In Poetics Today, 40, 2, 269-297. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 271):
Mimesis as Make-Believe. On the Foundations of the Representational Arts. Cambridge, Ma: Harvard UP. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 44) ausbuchstabieren ließe. Auch in der Fiktionstheorie ist das bereits angesprochene principle of minimal departure zwar fest etabliert.[11] Es besteht aber ein zentraler Unterschied in seinem Referenzbereich. Nach Ryan muss nämlich nicht zwangsläufig unsere (als real erachtete) Welt den Ausgangspunkt des inferenziellen “Lücken-Füllens” darstellen. Ebenso können andere mediale, selbst bereits fiktionale Repräsentationen als interpretative Ausgangspunkte genutzt werden, etwa was das Verstehen von “Zentauren” oder “Superhelden” betrifft. Eine solche Loslösung der Darstellung und des Dargestellten von Ansprüchen lebensweltlicher Realität hat auch bildtheoretisch interessante Konsequenzen. Gegenüber einer “naturalisierenden” Lesung, die in phantastischen, abstrahierten und überzeichneten Cartoon-Bildern beispielsweise stets die Repräsentation einer Welt vermutet, die der unserer zumindest in ihrer Wahrnehmbarkeit weitgehend entspricht, ist es auch möglich, Umgekehrtes zu vertreten: Die phantastischen Welten von Comic, Manga und Animation brechen dann nicht nur punktuell lokal mit physikalischen Gesetzmäßigkeiten (etwa, wenn Figuren Superkräfte besitzen), sondern können auch auf globaler Ebene eine besondere „visuelle Ontologie“ aufweisen (vgl. [Lefèvre 2007a]Lefèvre, Pascal (2007). Incompatible Visual Ontologies. The Problematic Adaption of Drawn Images. In Film and Comic Books, 1-12. Eintrag in Sammlung zeigen), die der “unseren” aus keinerlei notwendigen Gründen entsprechen muss. «The LEGO Movie» (2014) bildet dafür ein beeindruckendes Denkmodell (vgl. [Wilde 2019b]Wilde, Lukas R.A. (2019). LEGO als Marke, Lego als Material: Transmedialisierbarkeit und Wahrnehmbarkeit dargestellter Welten.. In Kulturelle Dynamiken/Cultural Dynamics. Transmedialisierung, 333-364. Eintrag in Sammlung zeigen). Wenn das durch Lego-Steine dargestellte Wasser, der Schaum, die Dampf- und die Staubwolken durchaus naturalisiert aufgefasst werden könnten (so dass sich mit dem gleichen Material auch nicht-fiktive Geschichten erzeugen ließen), so muss den sogenannten „Master Buildern“ die “Legohaftigkeit” ihrer Welt stets wahrnehmbar bleiben. Sie können sie manipulieren und rekombinieren: „We'll build a motorcycle out of the alleyway!“ (00:14:40). Die dargestellte Welt behält also ihre besondere Ontologie, so dass die Hauptfigur Emmet seinen drehenden Lego-Kopf als Radachse einsetzen kann – was sich in keinem nicht-fiktionalen Referenzrahmen mehr plausibilisieren ließe! Was unterscheiden Comic-‚Medien‘?. In CLOSURE. Kieler e-Journal für Comicforschung, 1, 25-50. Eintrag in Sammlung zeigen). In solchen Fällen scheint es, als bestünde nicht nur die Darstellung aus einfachsten Konturlinien, “hinter” der eine reichere Wahrnehmungsfülle verborgen bleibt (die doppelte Prädikation würde damit durch eine blockierte Darstellungskorrespondenz auseinandergetrieben). Stattdessen scheint hier auch die dargestellte Welt selbst der Wahrnehmbarkeit abstrahierter Bildlichkeit zu entsprechen – was nur im Fiktionalen – dort aber prinzipiell jederzeit – möglich ist. Transkriptivität. Zur medialen Logik der kulturellen Semantik. In Transkribieren - Medien/Lektüre, 19-41. Eintrag in Sammlung zeigen). Siehe auch: |
Anmerkungen
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